«Der Service public der SRG wird immer wichtiger»
Die Qualität des Journalismus ist aus wirtschaftlichen Gründen bedroht. Darunter leidet die ganze Schweizer Medienlandschaft. An der Frühjahrstagung der Trägerschaft wurde deutlich, dass auf diese Tatsache ein besonderes Augenmerk zu richten ist.
– Von Markus Knöpfli
Allein seit Anfang Jahr ist es in der Deutschschweiz zu drei Protestaktionen
im Medienbereich gekommen: Zwei Journalistengewerkschaften reichten gegen die zwei Grossverlage Ringier und Tamedia Anzeige ein wegen ungenügender oder nicht vorhandener Überstundenregelung. Bei Tamedia protestierten zudem die Belegschaften der Zürcher Landzeitungen gegen den Sozialplan im Zusammenhang mit dem Abbau von 25 Stellen.
Das sind nur die jüngsten Auseinandersetzungen zwischen Sozialpartnern im Medienbereich. Seit der Finanzkrise 2008/09 ist es in der ganzen Schweiz zu vielen solchen Konflikten gekommen. Auch die SRG blieb bekanntlich nicht davon verschont.
Am 7. Februar nahm sich die Trägerschaft SRG Deutschschweiz deshalb an ihrer Frühjahrstagung unter dem Titel «Journalismus – Traumjob unter prekären Bedingungen?» dieses Themas an – nicht nur aus gewerkschaftlicher Sicht, sondern vor allem aus Qualitätsüberlegungen. Barbara Meili, Präsidentin der SRG ZH SH, erklärte dies so: Auch wenn die Situation der SRG-Medienschaffenden nicht so prekär sei wie andernorts, «so kann es uns doch nicht gleichgültig sein, was sich dort abspielt». Denn wenn das Berufsbild des Journalisten leide, verliere der Beruf für Junge an Attraktivität. Dadurch wiederum verkleinere sich der Talentpool der SRG-Medien.
Das Interesse am Journalismus schwindet
Die Journalismusstudentin Olivia Gähwihler von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) in Winterthur, wo die Tagung stattfand, bestätigte Meilis Aussage: Von ihren rund 100 Mitstudierenden im Institut für angewandte Medienwissenschaften (IAM) hätten sich im dritten Studienjahr nur 20 für den Schwerpunkt Journalismus entschieden, der Rest habe Public Relations (PR) gewählt.
Gähwihler hatte mit dem Mitstudenten Florian Schweer rund ein Dutzend Redaktorinnen und Redaktoren in verschiedenen Medienunternehmen befragt, wo sie derzeit der Schuh drückt (siehe Zitate Seite 6). Der Grundtenor: Oftmals sei der Wandlungsprozess hin zu konvergenten Redaktionen mangelhaft organisiert, was zu Zeitdruck und Überforderung führe. Dies wiederum vergrössere die Gefahr, dass PR und Werbung ungefiltert in die redaktionellen Inhalte einfliessen. Dadurch sinke die Qualität.
Vinzenz Wyss, Professor für Journalistik an der ZHAW und Vorstandsmitglied der SRG ZH SH, untermauerte diesen Befund mit Zahlen aus Studien von 2006 bis 2008. Das IAM hatte damals insgesamt 670 Redaktoren und Redaktorinnen von Zeitungsverlagen, Onlinemedien, Privatradios und -TVs sowie bei der SRG zu Arbeitsplatzsicherheit, Aufstiegsmöglichkeiten, Einkommen, Aus- und Weiterbildung oder Qualitätssicherung befragt. Das Resultat: In den meisten Punkten schnitt die SRG gut ab – und meist besser als die andern Medien. Prekär zeigte sich hingegen die Situation bei den Privatradio- und -TV-Sendern und erst recht bei den Onlinemedien der Verlage. Dort waren damals beispielsweise nur 16 Prozent beziehungsweise 14 Prozent der Mitarbeitenden journalistisch ausgebildet. Auch in andern Bereichen fielen die privaten Medien meist stark ab. Verglichen mit einer Studie von 1999 hatte sich aber die Zufriedenheit der Medienschaffenden über alle Medien hinweg (inklusive SRG) deutlich verschlechtert. Die Frage, ob sie ihren Beruf weiterempfehlen würden, bejahten 2008 jedenfalls nur noch 68 Prozent der Antwortenden, 1999 waren es immerhin
77 Prozent.
Private investieren kaum in journalistische Qualität
Kurt Imhof, Professor für Publizistikwissenschaft und Soziologie an der Uni Zürich, behandelte das Thema aus einer wirtschaftlichen Perspektive und zeichnete ein eher düsteres Bild. Die Medienkonzentration habe zur Folge, dass immer häufiger dieselben Inhalte verbreitet würden. Da Werbegelder von den klassischen Medien weg zu neuen Akteuren wie Google oder Facebook abfliessen, führe das bei den klassischen Medien zu Sparrunden, Entlassungen und damit zu Qualitätsverlust und mehr Einfalt.
Wohl würden die Medienhäuser weiterhin investieren, jedoch primär in Onlineplattformen für Tiernahrung oder Partnerschaftssuche – Geschäfte also, die weder mit Journalismus zu tun haben noch diesen finanzieren. Deshalb verlören die Informationsmedien innerhalb der Medienhäuser zunehmend an Bedeutung. Zudem leide deren Glaubwürdigkeit. «Dies schädigt über kurz oder lang die Medienmarke», sagte Imhof.
Investieren würden die Verlage auch in Newsplattformen, die allerdings primär Kurztexte und grosse Bilder brächten und dem Publikum, den Politikern und den PR-Leuten Möglichkeiten zur Selbstdarstellung böten – Beispiel blickamabend.ch von Ringier oder watson.ch von den AZ Medien. Dieser Medienpopulismus werde bedient durch politischen Populismus, der die Quotes dazu liefere, sagte Imhof und warnte: «Wir werden alle miteinander blöder.»
Investitionen in Journalismus hingegen seien – ausserhalb des Service public – zunehmend dünn gesät und je länger je mehr der Elite vorbehalten, sagte Imhof. «Das aber sollten wir uns in einer Demokratie nicht antun», schloss er.
SRG als «Insel der Seligen im Meer der Tränen»
Zwei Journalisten stützten diese Beobachtungen. Der ehemalige NZZ-Auslandredaktor Jürg Dedial berichtete, dass die NZZ-Auslandredaktion einst mit 13 Personen besetzt war, was auch Spezialisierungen erlaubte. Wegen der Finanzkrise 2008/09 sei sie dann auf acht Personen reduziert worden. Zwar habe man immer noch gut arbeiten können, aber eine Reduktion der Themen sei spürbar geworden. «Diesem Trend konnten auch wir uns nicht entziehen», sagte Dedial.
«Der Journalismus ist in der Krise», sagte auch Daniel Binswanger, Redaktor des «Magazins» aus dem Tamedia-Verlag. Seit 2008 folge in den Verlagen eine Sparrunde der anderen. Ein Ende sei nicht in Sicht. In dieser Situation erscheine die SRG dank ihrer Gebührenfinanzierung «als Insel der Seligen im Meer der Tränen». Darum appellierte er an die Anwesenden: «Nutzen Sie das Geld, um weiterhin guten Journalismus zu machen. Der Service public der SRG wird über die nächsten Jahre dramatisch an Wichtigkeit zunehmen.»
Allerdings hielt er sich auch mit Kritik gegenüber SRF nicht zurück: Die Beschleunigung sei ein riesiges Problem bei den heutigen Infomedien und führe nicht selten zu Medienhypes. Er erinnerte an die Affäre Hildebrand, die zum Rücktritt des Nationalbankpräsidenten geführt hatte. Trotz dünner Faktenlage hätten alle Medien mitgemacht: «Aber am problematischsten war SRF», sagte Binswanger. Obwohl in der konfusen Situation niemand die Fakten habe einordnen können, habe das niemand zugegeben.
Hansruedi Schoch, Mitglied der Geschäfts-leitung von SRF, gab in der anschliessenden Podiumsdiskussion Binswanger recht. Er mache sich tatsächlich Sorgen, wie schnell die Scheinwerfer der Medien über diverse Themen irrlichterten. «Dabei werden Dinge zur Wahrheit erkoren, die faktisch nicht stimmen. Hier haben wir ein strukturelles Problem: Die Qualität leidet.»
Die Thesen von Imhof stellte er hingegen infrage. Das Publikum könne sehr wohl zwischen Banalem und Qualität unterscheiden, meinte Schoch. So habe etwa der SRF-«Kulturplatz» mehr Zuschauer als das RTL-«Dschungelcamp». Auch die erneuerte «Rundschau» habe massiv an Marktanteil zugelegt. Und seit die «Tagesschau» die täglichen Ereignisse verstärkt einordne, «hat sie Quoten wie schon seit Jahren nicht mehr».
Standards klaffen auseinander
«Es ist naiv, wenn wir die grundsätzliche Problematik des Journalismus nicht sehen», hielt dem Kurt Imhof zum Schluss entgegen. Es reiche doch nicht, bloss einzelne Sendungen oder Medienprodukte als Hoffnungsträger hochzuhalten, sondern man müsse auch medienpolitische Überlegungen anstellen. Er jedenfalls sei überzeugt, dass der Service public noch viel bedeutender werde. «Ich bin aber unsicher, ob er noch die Standards setzen kann. Denn diese klaffen immer weiter auseinander.»
Markus Knöpfli
«Auch die Bürgerinnen und Bürger müssen genau hinsehen»
LINK sprach mit dem Tagungsorganisator Vinzenz Wyss, Leiter der Bildungskommission SRG Zürich Schaffhausen und Professor für Journalistik an der ZHAW.
LINK: Herr Wyss, an der Frühjahrstagung thematisierten Sie die prekäre Situation im Journalismus. Weshalb?
Vinzenz Wyss: Bekanntlich hat der Journalismus zunehmend Schwierigkeiten, sich zu finanzieren. Redaktionen werden oft wie Zitronen ausgepresst. Deshalb sind wir der Meinung, dass hier nicht nur die Medienschaffenden oder Verleger, sondern auch die Bürgerinnen und Bürger genauer hinsehen müssen. Die Präsenz der SRG.D an der ZHAW ist übrigens symbolisch zu verstehen: als ein Brückenschlag der SRG in die Gesellschaft.
Ist denn die Situation der Medienschaffenden bei der SRG auch so schwierig?
Nein, gemäss unseren Studien herrschen bei der SRG deutlich bessere Bedingungen. Klar, die Leute klagen auch, aber sie haben doch noch mehr Zeit zum Recherchieren. Damit soll die SRG aber nicht bluffen, sondern bewusst machen, dass journalistische Qualität nicht selbstverständlich ist. Sie muss immer wieder errungen und adäquate Arbeitsbedingungen müssen verteidigt werden.
Und was ist Ihrer Meinung nach
die Rolle der SRG-Trägerschaft?
Die Trägerschaft muss sich zunehmend auch in einer politischen, zivilgesellschaftlichen Rolle sehen. Die SRG-Mitglieder sind nicht einfach Fans von SRF, sondern sie fordern auch Leistung. Deshalb müssen sie kritische Fragen stellen und sich eine Meinung bilden. Das können sie am besten, wenn sie nicht nur bei der SRG hinschauen, sondern generell die Medienlandschaft beobachten. Zudem sollen sie auch neue Herausforderungen kennen lernen wie z. B. den Datenjournalismus oder den Umgang mit Social Media.
Es gibt Potenzial, mit dem man den Journalismus und seine Funktion stärken kann. Allerdings setzt dies zusätzliche Ressourcen voraus. Dieses Bewusstsein muss die Trägerschaft in die Welt hinaustragen.
Interview: Markus Knöpfli
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