Kein offenes Mikrofon für Migranten
Migranten sind ein Problem. Dieses Bild vermitteln die Schweizer Medien von einem Viertel der Bevölkerung, das sie zudem kaum zu Wort kommen lassen. Diese Benachteiligung muss ein Ende haben, fordern Migranten, Forscher und die Eidgenössische Kommission für Migration.
– Von Markus Knöpfli
«C’est cool!» – So überschrieb «Die Zeit» einen Artikel über die zweite Staffel von «The Voice of Switzerland». Sie war des Lobes voll über die SRF-Samstagabend-Kiste mit 40 Kandidatinnen und Kandidaten, von denen etwa die Hälfte sichtbar und hörbar Ausländer war oder einen Migrationshintergrund aufwies. «Wer wissen will, wie es die jüngeren Schweizer und ihre zugewanderten Gesangsgenossen mit den eigenen und den fremden Sprachen halten, der wird es hier erfahren», hiess es im Artikel.
Vor einem Jahr hatte sich der Publikumsrat der SRG Deutschschweiz bereits ähnlich zur ersten Staffel der SRF-Castingshow geäussert: Er lobte, «dass die einheimische Kultur- und Sprachenvielfalt mit dem Einbezug von Kandidatinnen und Kandidaten aus allen Landesteilen sowie mit Vertretern der ausländischen Bevölkerung gut zum Ausdruck gekommen ist».
Verzerrtes Bild von Migranten
«The Voice of Switzerland» mag also ein Beispiel eines medialen Integrationsbeitrags sein. Die einzelne Show kann aber über eines nicht hinwegtäuschen: Obwohl die ausländische Wohnbevölkerung in der Schweiz etwa 25 Prozent ausmacht, kommt sie in den Schweizer Medien verhältnismässig selten vor. Und wenn, dann ist das Bild, das die Medien von ihr zeichnen, vorwiegend negativ – meist erscheinen die Migrantinnen und Migranten im Zusammenhang mit «Einwanderung», «Asyl», «Kriminalität» und «Terrorismus». Schlimmer noch: Migranten kommen nur selten selbst zu Wort. Dies ist der einhellige Befund von vier völlig verschiedenen Studien aus den Jahren 2008 bis 2014.
Das Bild, das die Medien von Migranten zeichnen, ist vorwiegend negativ – meist erscheinen sie im Zusammenhang mit «Einwanderung», «Asyl», «Kriminalität» und «Terrorismus».
In einer dieser Studien untersuchten drei Studenten letztes Jahr 7683 Artikel vom «Blick» und der «NZZ». Das Thema Migranten und Migration kam nur in 5,1 Prozent aller Artikel vor und beide Blätter tendierten zum Negativen (70 Prozent aller Artikel über Migranten). Beide Blätter liessen zudem Migranten, über die sie berichteten, nur in einem Viertel der Berichte zu Wort kommen. Darum, so die Autoren, könne «mit grosser Sicherheit gesagt werden, dass die beiden Zeitungen ‹NZZ› und ‹Blick›, und somit vermutlich auch die gesamte Tagespresse der Deutschschweiz, bezüglich der Integrationsleistung dysfunktional wirken.» Mit andern Worten: Sie behindern die Integration von Migranten eher, als dass sie sie fördern.
Migranten primär als Problem dargestellt
Bei Radio und Fernsehen, egal ob SRG oder Private, sieht es ähnlich aus. Dies zeigte Publizistikprofessor Heinz Bonfadelli 2008 auf. Auch wies er auf eine fast schon systematische Ungleichbehandlung hin: Wurde über Ausländer berichtet, kamen Migranten nur in 22 Prozent, Schweizer jedoch in 68 Prozent der Beiträge zu Wort. Bonfadellis Fazit: «Von einer Integration der Migranten in die mediale Realität kann keine Rede sein.»
2012 kam zudem das Institut Publicom, das 14 SRG-Radios in allen Landesteilen untersuchte, zum Schluss: «Der Beitrag der meisten SRG-Radios (...) zur Integration der Ausländer (...) ist – zumindest, was die Thematisierungsleistung anbelangt – kaum erkennbar.»
Solange die ausländische Bevölkerung in den Nachrichten vorrangig als Problem präsentiert werden, wäre jeder Entscheid zugunsten der Ausländer eine Überraschung» (MediaTenor)
Auch von der internationalen Beratungsfirma MediaTenor wurde Kritik laut: In über 80 Prozent aller SRF-Nachrichten seit 2006, in denen von Ausländern die Rede war, seien diese «vorrangig als Problem präsentiert» worden, schrieb MediaTenor am 7. Februar 2014, zwei Tage vor der Abstimmung über die Einwanderungsinitiative der SVP. Und weiter: Solange dies so sei, «wäre jeder Entscheid zugunsten der Ausländer eine Überraschung». MediaTenor sollte Recht behalten.
SRG hat einen Integrationsauftrag
Interessant: Auf die mediale Benachteiligung der Migranten wies die Eidgenössische Kommission für Migration schon 2007 hin. Damals hielt sie fest, dass Ausländer und Ausländerinnen bei negativen Meldungen überproportional vertreten seien. «Bei der Darstellung von erfolgreichen Migrantinnen und Migranten – vor allem in Sport und Wirtschaft – hingegen wird die Nationalität oder die Herkunft oft nicht genannt, sie werden journalistisch ‹eingeschweizert›.»
Bei der Darstellung von erfolgreichen Migrantinnen und Migranten – vor allem in Sport und Wirtschaft – wird die Nationalität oder die Herkunft oft nicht genannt, sie werden journalistisch ‹eingeschweizert›. (Eidgenössische Kommission für Migration)
Ferner warnte sie: «Die Medien prägen das Bild mit, das ‹wir› von den Zugewanderten haben. Vor allem Personen, die wenig direkten Kontakt mit Zugewanderten haben, stützen sich bei ihrer Meinungsbildung auf mediale Inhalte.»
Die geballte Kritik an die Adresse der Medien trifft die SRG stärker als die Privaten oder die Presse, weil ihr im RTVG und in der Konzession explizit aufgetragen ist, die Integration der Ausländerinnen und Ausländer zu fördern. Was sagt man dort zu den Studien? Tristan Brenn, Chefredaktor TV, kennt die Studien zwar im Detail nicht. «Dass wir wenig über Ausländer in der Schweiz berichten, würde ich allerdings glatt bestreiten», sagt er. Insbesondere in DOK-Sendungen oder der «Rundschau» zeige SRF Porträts von erfolgreichen Migranten und begegne ihnen auch «mit sehr viel Sympathie». Eines aber gesteht er ein: «Ich finde auch, dass Migranten selber tendenziell zu wenig zu Wort kommen in den Beiträgen über sie. Da müssen wir selbstkritisch sein.»
«Ich finde auch, dass Migranten selber tendenziell zu wenig zu Wort kommen in den Beiträgen über sie. Da müssen wir selbstkritisch sein.» (Tristan Brenn, TV-Chefredaktor SRF)
Die Generaldirektion reagiert gelassener: «Wir nehmen die Studien zur Kenntnis und wollen unseren Auftrag qualitativ hochstehend wahrnehmen», schrieb SRGSprecher Daniel Steiner. Dies tue die SRG, indem sie das Thema Integration in den klassischen Programmen aufgreife. Auch setze man immer wieder Schwerpunkte zum Thema, so etwa eine Integrationswoche (2008), die Sendung «Il ponte» auf RSI La 1 oder einen unregelmässigen «Migrations- Stammtisch» auf Radio SRF 1 mit dem Titel «Andere Blicke im Schweizer Alltag». Zudem würde in SRF-Nachrichtensendungen bewusst hochdeutsch gesprochen.
Grossverteiler sind weiter
Doch ist das genug? «Der Gesetzgeber hat nicht festgeschrieben, was publizistisch produziert werden muss, um den Auftrag zu erfüllen», gibt Steiner zurück. Auch das Bundesamt für Kommunikation (Bakom), das immerhin zwei der Studien in Auftrag gegeben hatte, weicht aus. «Diese Frage müsste die SRG beantworten», hält Sprecherin Deborah Murith fest. Anders Manfred Pfiffner, Präsident des Publikumsrats: «Nach meiner Beobachtung wird der Integrationsauftrag seitens SRF so gut erfüllt, wie man es kann», sagt er.
«Die gebührenfinanzierten Medien müssen sich auch an den Bedürfnissen von Migranten orientieren – so wie die Grossverteiler, die dieses grosse Kundensegment bereits gezielt ansprechen. » (Eidgenössische Kommission für Migration)
Nach Meinung der EKM müsste aber mehr drinliegen. Sie forderte schon 2007, dass sich gebührenfinanzierte Medien auch an den Bedürfnissen von Migranten orientieren – «so wie die Grossverteiler, die dieses grosse Kundensegment bereits gezielt ansprechen ».
Sendungen über Migration – bloss eine Gettoisierung?
Jasmina Causevic, die im Publikumsrat die ausländische Wohnbevölkerung vertritt, macht ebenfalls deutlich, dass die Berichterstattung über Migranten in Schweizer Medien ungenügend sei. «Die Politik macht die Migranten oft zu Sündenböcken, doch diese kommen in den Medien kaum zu Wort. Es gibt aber keinen Grund, diesen Teil der Bevölkerung, der ja ebenfalls zum Wohlstand des Landes beiträgt, auszublenden», sagt sie.
An die Adresse der SRG fährt sie fort: «Ich bin klar der Meinung, dass SRF den Integrationsauftrag momentan noch viel zu wenig umsetzt.» Einwöchige Sondersendungen, «die nach kurzer Zeit vergessen sind», würden nicht genügen. Nötig sei eher ein regelmässig produziertes Gefäss. Als Beispiel nennt sie die WDR-Sendung «Cosmo- TV». Dort würden auch heikle und kontroverse Themen angesprochen, allerdings immer auch aus der Perspektive der Migranten. «Ich finde, der Deutschschweiz würde eine ähnliche Sendung sehr gut tun», sagt Causevic. Bei der SRG-Generaldirektion aber winkt man ab: «Wir halten nichts von einer Gettoisierung der Themen Integration und Migration», schreibt Daniel Steiner. Auch Tristan Brenn spricht sich gegen eine «Sonderbehandlung des Themas» aus. «Eine Rubrizierung könnte sogar ein falsches Signal sein, das der Integration abträglich ist», meint er.
Klare Wünsche an die Medien
Doch mit ihrer Forderung ist Causevic nicht allein. Die EKM, Professor Bonfadelli sowie das Forum für die Integration der Migrantinnen und Migranten (FIMM), die Dachorganisation der Migrantenvereine, haben je eigene «Empfehlungen» für Redaktionen formuliert, die sich im Übrigen ähneln. Das Schaffen von Sendungen, wie es Causevic vorschlägt, ist eine davon (siehe Kasten links).
Empfehlen allein bringt wenig. Deshalb geht beispielsweise das FIMM mit seiner Liste aktiv auf die Medien zu, berichtet FIMM-Sprecherin Heidi Mück. Auch gebe man Adressen von Migrantinnen und Migranten ab, die zu Themen wie Schule, Bildung, Jugend, Frauenfragen, Religion oder Asylpolitik Auskunft geben können. Insbesondere Fernsehen SRF habe davon schon Gebrauch gemacht, weiss Mück.
Beim Publikumsrat hingegen waren die Empfehlungen noch nie Thema, wie Manfred Pfiffner erklärt. Grundsätzlich wertet er sie positiv, insbesondere die Forderung, Migranten häufiger zu Wort kommen zu lassen. «Das gehört ja zum grundlegenden journalistischen Handwerk, selbst wenn man einen Dolmetscher beiziehen muss», meint er. Das Anliegen, mehr Migranten in den Redaktionen anzustellen, unterstützt er ebenfalls. «Schliesslich bringen Migrantinnen und Migranten den Redaktionen eine Horizonterweiterung.» Bei der SRG seien entsprechende Bestrebungen im Gang, weiss er.
«Dass Migranten mehr zu Wort kommen sollen, begrüsse ich. Das gehört ja zum grundlegenden journalistischen Handwerk, selbst wenn man einen Dolmetscher beiziehen muss» (Manfred Pfiffner, Präsident Publikumsrat SRG.D)
Jasmina Causevic hingegen wünscht raschere Veränderungen bei den Medien. «Es kommt alles nur sehr schleppend voran », sagt sie. Deshalb appelliert sie auch an die Trägerschaft, «sich in all ihren Bereichen intensiver mit dem Thema auseinanderzusetzen ».
Markus Knöpfli
Was die Medien tun können
Die wichtigsten Empfehlungen von FIMM, EKM und Bonfadelli:
• Migranten vermehrt direkt zu Wort kommen lassen, nicht nur
«Experten».
• Rubriken oder Sendungen schaffen,um die Kommunikation mit den Migrantinnen und Migranten zu intensivieren.
• Häufiger Migranten in Sendungen und Shows einladen.
• In den Redaktionen mehr Migrantinnen und Migranten
anstellen.
• Journalistinnen und Journalisten bei der Aus- und Weiterbildung für das Thema sensibilisieren.
• In Beiträgen über Straftaten nur Angaben zu Nationalität oder
ethnische Herkunft machen, «sofern sie für das Verständnis notwendig sind» (Zitat Presserat).
Die vier erwähnten Studien
• «Migration, Medien und Integration», 2008. Autor: Prof. Dr. Heinz Bonfadelli(Projektleitung), Uni Zürich
• «Analyse der Radioprogramme der SRG SSR», 2012. Autor: Dr. René Grossenbacher (Projektleitung), Publicom AG
• «Integration durch die Presse», 2013. Autoren: Pascal Dietrich, Tobias Füchslin,
Sandro Geisshüsler, Publizistikstudenten Uni Zürich
• «Ausländerbild in Schweizer Medien verschafft SVP-Initiative Rückenwind», 2014.
Autor: Roland Schatz, MediaTenor
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