Steht die «Tagesschau» vor dem Aus?
Der neue Chefredaktor TV von SRF, Tristan Brenn, hat grosse Herausforderungen zu bewältigen. Im Gespräch mit LINK zeigt er auf, welche journalistischen Grundsätze ihn leiten und wie er die News-Sendungen weiterentwickeln will.
– Interview: Franz-Xaver Risi
LINK: Ihr Chef Rudolf Matter hat Sie mit folgenden Worten vorgestellt: «Auf die Chefredaktion TV warten in den kommenden Jahren grosse Herausforderungen. Tristan Brenn ist der richtige Mann, um diese zu meistern.» Die Erwartungen an Sie sind sehr hoch.
Tristan Brenn: Es ist so, die Medienlandschaft wird kräftig durchgeschüttelt und das wirkt sich auch auf unser Haus aus. Das Medienangebot ist vor allem wegen des Internets explodiert, zudem sind die Mediennutzer anspruchsvoller geworden und sie verhalten sich anders. Darauf müssen wir in unserem Onlineangebot Antworten finden, und selbstverständlich beeinflusst das auch die Sendungen im traditionellen Fernsehen. Eine dritte Herausforderung sind die sinkenden Marktanteile unserer bewährten News-Sendungen, mit der alle anderen Fernsehstationen ebenfalls zu kämpfen haben.
«Das Medienangebot ist vor allem wegen des Internets explodiert, zudem sind die Mediennutzer anspruchsvoller geworden und sie verhalten sich anders. Darauf müssen wir in unserem Onlineangebot Antworten finden.»
In früheren Interviews haben Sie davon gesprochen, dass Sie die Schranken zwischen den Redaktionen abbauen, gezielt Synergien nutzen und insgesamt die journalistische Qualität stärken wollen. Was habe ich als Zuschauer zu erwarten?
Wir können nicht mehr wie früher in den abendlichen News-Sendungen einfach abbilden, was tagsüber wichtig war. Wir müssen einordnen, Hintergründe aufzeigen, Schwerpunkte setzen. Um das noch besser leisten zu können, kommen wir vom lange gepflegten Generalistentum etwas weg und setzen mehr auf Fachkompetenz. Ein Beispiel: Wenn die Wirtschaftsspezialisten von «Tagesschau» und «10vor10» stärker zusammenarbeiten und sich auch mit den Redaktorinnen und Redaktoren des Wirtschaftsmagazins «ECO» austauschen, gibt das mehr Schlagkraft und am Schluss eine kompetentere Berichterstattung.
Viele Zuschauer schalten ihre TV-Geräte aber vor allem deshalb ein, weil sie sich unterhalten lassen wollen. Und nun kommen Sie und erklären Ihnen die Welt.
Die Welt erklären ist nicht das Gegenteil von spannender News-Vermittlung. Früher waren Erklärstücke des Teufels, sie galten im Vergleich zu den Reportagen als langweilig. Vergessen ging oft, dass die Welt ja erst richtig spannend wird, wenn ich sie verstanden habe. Die wahren Geschichten, die wahren Krimis verbergen sich hinter Zahlen und Statistiken. Wir müssen diese nur richtig auswerten und auch den Mut haben, uns mit ihnen auseinanderzusetzen. Dann sind wir auf dem richtigen Weg. Klar ist, dass es dafür tendenziell mehr Fachkompetenzen braucht.
«Früher waren Erklärstücke des Teufels. Vergessen ging ja oft, dass die Welt ja erst richtig spannend wird, wenn ich sie verstanden habe.»
Als einfacher Mediennutzer gewinnt man den Eindruck, dass die journalistische Qualität auch in der Schweiz unter Druck geraten ist.
Umso wichtiger ist es, dass wir Gegensteuer geben – übrigens nicht als Einzige. In der Tendenz haben Sie Recht. Der Journalismus ist oberflächlicher geworden. Mein Anspruch ist, dass wir mit unseren Sendungen für Qualitätsjournalismus stehen. Journalisten stehen zunehmend einer geölten PR-Maschinerie gegenüber.
Wie können Sie gewährleisten, dass SRF nicht einfach zum Vermittler von Veröffentlichungen wird?
Indem wir uns klar bewusst sind, dass es diese PR-Maschinerie gibt. Wir müssen immer die Interessenlage der Quellen überprüfen und diese transparent machen.
Fakt ist, dass immer mehr Menschen Mühe damit haben, wie News heute gestrickt sind. Es dominieren Skandale, Unglücksfälle, vieles ist negativ besetzt. News werden nur noch in Kurzform und in Häppchen serviert. Tatsächlich müssen wir darauf achten, nicht einfach nur News, oft halt «bad news», zu verbreiten. Einen Ansatz sehe ich darin, dass wir uns bemühen, vermehrt lösungsorientiert zu berichten.
Sie sprechen das Konzept des «constructive journalism» an.
Wir werden diese Art von Journalismus stärker pflegen. Man könnte sich zum Beispiel vornehmen, dass mindestens eine Story pro News-Sendung diesem Grundsatz folgt – und zwar nicht nur am Ende, sondern als Teil der Hauptnews. In dieser Story steht dann nicht das Problem im Vordergrund, sondern die Lösung wird aufgezeigt.
«Tatsächlich müssen wir darauf achten, nicht einfach nur News, oft halt ‹bad news›, zu verbreiten. Einen Ansatz sehe ich darin, dass wir uns bemühen, vermehrt lösungsorientiert zu berichten.»
Welches sind Ihre persönlichen journalistischen Leitsätze?
Wenn wir einen objektiven Missstand aufdecken, habe ich das Gefühl, wir haben unsere Arbeit gemacht. Oder auch, wenn wir einen komplizierten Sachverhalt so darstellen, dass ihn die Leute verstehen. Schlechter Journalismus ist aus meiner Sicht einer, der nur personalisiert, skandalisiert, der nur auf Emotionen setzt.
Selbst renommierte Fernsehmacher wie der deutsche Journalist Claus Kleber sind überzeugt, dass die heutige «Tagesschau » keine Zukunft hat. Steht die «Tagesschau » vor dem Aus?
Ich bin entschieden nicht dieser Meinung. Unsere News-Sendungen sind nach wie vor Marken mit grosser Strahlkraft. Die «Tagesschau» wird auch in zehn Jahren noch gesendet. Sie wird aber möglicherweise auf weniger Themen fokussieren und diese prägnanter darstellen. Möglicherweise werden die einzelnen Beiträge bereits tagsüber online gehen, dann nämlich, wenn siefertig sind. Und am Abend folgt dann der Überblick.
Wie sieht die Zukunft bei den Talksendungen «Arena» und «Club» aus?
Beide sind für uns sehr wichtige Sendungen. Wir sind im Moment daran, ein neues Konzept für die «Arena» zu entwickeln, das wir auf Anfang 2015 umsetzen werden. Die Sendung wird zwar oft totgesagt, hat aber im letzten Jahr wieder Marktanteil gewonnen. «Arena» und »Club» sind auch deshalb wichtig, weil wir dort den Zuschauern ermöglichen werden, sich während der Sendungen mit Voten und Meinungen einzumischen.
Sind von Ihnen neue Sendungen zu erwarten?
Wir machen uns laufend Gedanken über die Weiterentwicklung von Sendungen, aber auch über neue Sendungen. Vieles ist eine Geldfrage. Konkreteres kann ich Ihnen im Moment nicht sagen.
Interview: Franz-Xaver Risi
Bilder: © SRF / Oscar Alessio
Zur Person
Tristan Brenn leitet seit dem 1. März 2014 die Chefredaktion TV von Schweizer Radio und Fernsehen (SRF). Brenn begann seine Fernsehkarriere 1993 als Stagiaire bei der «Tagesschau». Im Anschluss durchlief der heute 48-Jährige beim damaligen Schweizer Fernsehen diverse Stationen als Redaktor und Produzent, unter anderem bei «Tagesschau», «Arena» und «Rundschau». Zwischen 2007 und 2010 war Brenn Redaktionsleiter des Politmagazins «Rundschau». Ende 2010 übernahm der Germanist und Historiker das Amt des Nachrichtenchefs und stellvertretenden Chefredaktors TV von SRF.
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