Wenn blinde Menschen das Radio «aufsaugen» und «Tatort» schauen

Gesetz und Verordnung über Radio und Fernsehen verpflichten die SRG SSR, Sinnesbehinderten besondere Leistungen anzubieten. Das Radioprogramm wird «aufgesaugt», Fernsehen ist sehr gut, im Internet sind noch viele Verbesserungen möglich. So beurteilen blinde und sehbehinderte Menschen diese Extra-Angebote der SRG.

– Von Erich Niederer

Das Medium Radio und seine Inhalte sind für blinde und sehbehinderte Menschen einfach zugänglich. Sie sind sich gewohnt, zuzuhören, und haben gelernt, «in die Tonwelt einzutauchen». Zudem ist für die meisten von ihnen Radio hören viel einfacher als Zeitung lesen. Es braucht keinen Computer, keinen komplizierten Weg, keine «Händearbeit». Das ist ein erstes Fazit einer Diskussion mit Blinden und Sehbehinderten über die Leistungen der SRG (siehe Kasten unten).

Das Radio «ist ein wunderbares Hilfsmittel, um informiert zu werden», meint Stephan Bär. Und Yvonn Scherrer macht die interessante Feststellung, dass vor dem Radiogerät alle Hörenden gleich sind: «Alle haben den gleichen Ton und ausschliesslich den Ton und sind eigentlich blind, wie wir. Alle sind darauf angewiesen, dass die Sprache verständlich ist.»

«Vor dem Radiogerät sind alle Hörenden blind wie wir.» (Yvonn Scherrer)

Die Musikauswahl auf Radio SRF 1 wird gerühmt; sie sei «gut gemischt, beschwingt und abwechslungsreich». Und gelobt wird von vielen «die Pflege einer Dialektvielfalt, das Bemühen um eine klare, deutliche und verständliche Sprache». Stephan Bär ist Fan vom «Echo der Zeit» und dem Regionaljournal und saugt die Sendungen förmlich auf: «Das sind die besten Sendungen des Radios, und ich bin, was international, national und regional passiert, auf einfachste Art informiert.» Josef Bokstaller ist seit 50 Jahren intensiver «Echo»-Hörer; was er sehr angenehm findet, ist der Zugriff auf die Sendung im Internet, wenn man sie live verpasst hat. Auch Jean Baldo geniesst diesen zeitlich unabhängigen Zugriff im Internet und erinnert daran, wie er früher bei Abwesenheit jeweils kompliziert ein Kassettengerät für die Aufnahme installieren musste.

… und diskutierte über die Leistungen der SRG-Medien. Fotos: Thomas Züger

«Tatort» für Sehbehinderte

Beim Fernsehen ist die SRG verpflichtet, jährlich 24 Filme für Sehbehinderte mit Hörbeschreibung (Audiodeskription) auszustrahlen. Damit werden auf einem Zusatzkanal der Filmablauf und optische Eindrücke, etwa die Mimik oder das Kopfschütteln einer Filmfigur, akustisch beschrieben.

Das Angebot der SRG, das 2013 dank des Austausches mit deutschsprachigen Nachbarländern über 100 Sendungen umfasste, wird sehr gut aufgenommen. So hat sich Susanne Geisser, «mit einem guten Sehrest », den «Tatort» angesehen und es trotz des vielen Redens als praktisch empfunden, «dass beschrieben wird, was man nicht oder nicht genau sieht und was abgeht ». Allerdings kann diese akustische Beschreibung Sehende, die gleichzeitig den Film anschauen, auch stören. Giuseppe Porcu wünscht sich deshalb vom Fernsehen eine Art Deskriptions-App, mit der Blinde und Sehbehinderte über das iPhone und mit Kopfhörer den Film synchron konsumieren könnten. Priska Gattoni ärgert sich beim Fernsehen über die grossen Lautstärkendifferenzen: «Die Werbung ist viel zu laut.» Und gleich einige Blinde und Sehbehinderte kritisieren, dass in den Programmheften und Fernsehprogrammen in den Zeitungen Hinweise auf behindertengerechte Fernsehsendungen fehlen oder nur teilweise mit den entsprechenden Signeten versehen sind.

Übersichtlicher Internetauftritt

Das Internetangebot der SRG wird durchwegs gelobt; es sei in einem hohen Mass, aber nicht vollkommen barrierefrei, das heisst nicht ohne jegliche Einschränkungen bedienbar. So kritisiert Giuseppe Porcu, dass man auf www.srf.ch, die er eine sehr gute Website findet, zwar das Fernsehprogramm und den Wochentag problemlos auswählen, nicht aber erkennen kann, welche Sendung auf welchem Sender läuft. Er findet es ferner schade, dass die SRF-Radio-App über iPhone nicht zugänglich ist bzw. plötzlich Englisch spricht, und hofft, dass möglichst alle SRF-Apps eine ähnliche Struktur bekommen.

Die Regi-Redaktion stand Rede und Antwort.

Hansruedi Knechtle bemängelt, dass beim SRF-Player kein direkter Zugang zum Regionaljournal möglich sei. Er wünscht sich zudem einen übersichtlich mit Listen gestalteten Internetauftritt. Blinde und Sehbehinderte arbeiten nicht mit der Maus, sondern mit befehlbelegten Tasten. Ihre Hilfsmittel sind textbasiert: Der Screenreader braucht einen möglichst gut strukturierten Text und einfache, übersichtliche und logisch aufgebaute Darstellungen. Dann kann er verstehen, interpretieren und lesen. Eine solche Darstellung, so wird eingeworfen, spricht allerdings Sehende nicht an; sie wollen Animation, vielfältige Bewegung, schnelle Grafiken und Bilder. Dem widerspricht Josef Bokstaller: Gerade auch ältere Sehende, die nicht mit dem Computer aufgewachsen sind, würden von ruhigen, überblickbaren, einfach gestalteten Internetseiten sehr profitieren.

Sich ernst genommen fühlen

Blinde Menschen und Sehbehinderte sind dankbare, aufmerksame und auch anspruchsvolle Kunden der SRG. Das hat die Begegnung und Diskussion in St. Gallen gezeigt. Sie wissen die Leistungen der SRG zu schätzen und fühlen sich als Gruppe mit besonderen Bedürfnissen ernst genommen. Die technologische Entwicklung kommt diesen Bedürfnissen entgegen; sie zugunsten der Sinnesbehinderten kontinuierlich zu verbessern, scheint eine permanente Aufgabe für die SRG zu sein. Dann kann sie weiterhin einen wichtigen Beitrag zur kommunikativen Integration von hör- und sehbehinderten Menschen leisten.

Erich Niederer

Jean Baldo (r.) mit Erich Niederer, Präsident der SRG Ostschweiz. Bild: Thomas Züger

Blinde und sehbehinderte Menschen über die SRG-Medien

Jean Baldo ist 39 Jahre alt, wohnt im thurgauischen Eschlikon und ist seit Geburt blind. Er ist Mitglied der Sektion Ostschweiz des Schweizer Blindenund Sehbehindertenverbandes. Und er ist auch Mitglied der SRG Ostschweiz. Auf Einladung der SRG Ostschweiz und dank seiner Vermittlung besuchten kürzlich ein gutes Dutzend blinde und sehbehinderte Menschen das Regionalstudio, lernten das Studio sowie die Produktion des Regionaljournals kennen und diskutierten über die Bedeutung von Radio, Fernsehen und Internet, über ihren Medienkonsum und die Leistungen der SRG. Der nebenstehende Artikel fasst diese Diskussion zusammen.

Was das RTVG verlangt

Das Bundesgesetz über Radio und Fernsehen (Art. 24 Abs. 3) sowie die Radio und Fernsehverordnung (Art. 7) verpflichten die SRG SSR, Fernsehsendungen behindertengerecht aufzubereiten, indem sie Fernsehsendungen untertitelt, täglich eine Informationssendung in Gebärdensprache ausstrahlt und jährlich mindestens 24 Fernsehsendungen mit Audiobeschreibung für Sehbehinderte aufbereitet. Inhalte, Umfang und Zeitplan der von der SRG zu erbringenden Leistungen sind in einer Vereinbarung mit den Verbänden der Sinnesbehinderten geregelt.

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