Klammheimlich …
«Ich tu’s ab und zu. Es ist ein kurzes, wirkungsvolles Vergnügen und fühlt sich jeweils an wie der erste erfrischende Atemzug beim Biss in einen Pfefferminzkaugummi. Ein neuer Geschmack, für Sekunden. Die Rede ist vom Blick in die Klatschspalte der einschlägigen Gratisblätter.»
– Eine Carte blanche von Mirjam Hassler
«Gewollt oder ungewollt, Millionärs(er)gatt(er)in Irina Beller, Kunstfigur Conchita Wurst und Co. unterhalten durch ihr blosses Dasein eine grosse Anzahl Leserinnen und Leser. Für manchen Zugpendler, wie auch für mich, ist der Griff zur Gratislektüre eine beliebte Abwechslung: Durchs Schlüsselloch gucken, auf die Schaubühne des öffentlichen Lebens. Die mediale Welt von Zuckerwatte und Peitsche, Diamanten und Seitensprüngen, die gefühlsmässig einnimmt und schwanken lässt zwischen amüsieren, beneiden, verabscheuen und schockieren. Eine willkommene Unterhaltung und Brücke vom stressigen Meeting zum entspannten Abend. Da scheint die Regenbogenpresse für mich mehr als eine Leistung zu sein, welche die Gier nach glamouröser und skandalträchtiger Hofberichterstattung stillt.
Sie gehören nicht dazu? Wirklich? Sie tauchen am Feierabend nie in die Rolle des Voyeurs ab? Fokussieren Sie – mit Distanz – die vorbeiziehende Informationslawine im Dunstkreis von multinationalen Konzernen und politischen Regimes? Wenn dem so ist, gehört Ihnen meine ehrliche Bewunderung.
Kürzlich im Zug blätterte ich zur Abwechslung wieder einmal in einem Schweizer People-Magazin. Währenddessen fiel mir schräg vis-à-vis ein Herr in edlem Zwirn auf. Mit scheinbar unstillbarem Wissensdurst und stirnfaltiger Ernsthaftigkeit war er in ein Feuilleton vertieft. Er war Manager und hatte ganz bestimmt einen reich befrachteten Arbeitstag hinter sich. Ungeachtet dessen war es offensichtlich: Um sich vom Arbeitsgeschehen zu lösen und zu entspannen, brauchte er keine seichte Unterhaltungsliteratur.
Wer Niveau hat, der hat es eben auch bei der Wahl seiner Abendlektüre, schoss es mir durch den Kopf, und ich liess dabei mein Unterhaltungsblatt schon fast klammheimlich unter dem Sitz verschwinden. Nichtig und geradezu dümmlich kam ich mir vor. Mich minderwertig fühlen, nur weil ich in diesem einen Moment Unterhaltung Information vorziehe? ‹Sicher nöd›, rebellierte mein gekränktes Ego. Ich hätte ja auch nie behauptet, dass ich von Pfefferminzkaugummis alleine satt würde ...
Wahrscheinlich las mein geschätzter Nachbar im Feuilleton eine Abhandlung über die ‹positiven eskapistischen Elemente der emotionalisierten Berichterstattung›. Und sein eigentliches Entspannungsprogramm startet jeweils erst zuhause; nach dem obligaten Feierabend-Jogging geniesst er mit seiner Frau ein kühles Bier, und anschliessend frönen sie zusammen ihrer Vorliebe für britische TV-Comedy-Serien. Ja genau, so wird es sein!
Mein Fazit des Tages: Nutze die Medienvielfalt, wie es für dich stimmt. Mal zur Entspannung und Unterhaltung, mal zur bewussten Wissenserweiterung und ab und zu zur Revision überholter Denkmuster und Vorurteile. Beispielsweise jener über feuilletonlesende Sitznachbarn zur Abendstunde.»
Mirjam Hassler hat Journalismus / Organisationskommunikation studiert und wirkt in der Sektion 1 der SRG Zürich Schaffhausen mit.
Bild: zVg./ SBB (Montage)
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