Der Kampf um die Aufmerksamkeit vor dem Bildschirm
Netflix nennt sich der neue Anbieter für Filme und Fernsehserien. Sein Start in Zentraleuropa und in der Schweiz ist für September gross angekündigt. Ein neuer Konkurrent für die SRG? Eine Einschätzung von Philipp Cueni, Chefredaktor des Medienmagazins «Edito+Klartext».
– Von Philipp Cueni
Seit Monaten wird der Start von Netflix für Zentraleuropa und die Schweiz auf September gross angekündigt. Ist der amerikanische Anbieter von Filmen eine weitere Konkurrenz für die SRG? Netflix ist ein Gigant im Mediengeschäft. Gemäss eigenen Angaben hat das US-amerikanische Unternehmen mehr als 48 Millionen Kunden in über 40 Ländern. Der Start von Netflix in Zentraleuropa und auch in der Schweiz zeigt, dass sich das TV-Geschäft weiter globalisiert. Allerdings ist Netflix kein klassischer Fernsehanbieter, kein Broadcaster, sondern ein Internet-TV. Netflix bietet Videos im Abonnement an. Ein Kunde kann mit einem Pauschalbetrag beliebig viele Videos pro Monat beziehen. Angeboten werden Filme und Serien.
Viele offene Fragen
Damit konkurrenziert der US-amerikanische Dienstleister vor allem Kabelnetzanbieter mit Videoangeboten – in der Schweiz also zum Beispiel Swisscom und Cablecom. Offen ist noch, über welche Preisangebote der Wettbewerb ausgetragen wird. Man geht davon aus, dass der Flatrate-Tarif (Pauschaltarif) von Netflix die heutigen Preise der Schweizer Anbieter deutlich unterschreitet. Ebenfalls noch nicht bekannt ist, welche Filme Netflix in seine Videothek aufnehmen wird.
Auch wenn das Unternehmen als der weltweit grösste Anbieter von Filmen und Serien gilt, ist zum Beispiel noch unklar, wie weit das Programm auch europäische Filmproduktionen umfassen wird. Abzusehen ist in jedem Falle, dass die Anbieter in der Schweiz mit ähnlichen Angeboten unter Druck kommen werden und sich mit neuen Angeboten und neuen Preismodellen werden profilieren wollen. Die Konkurrenz um die Aufmerksamkeit vor dem Bildschirm wird weiterhin zunehmen.
Allerdings ist Bildschirm nicht gleich Bildschirm: Netflix, der Name sagt es, vertreibt seine Videos über Streamings im Internet. Insofern bedient der neue Anbieter lediglich jenes Publikum, das Filme über Internet anschauen will und kann. Dieses Segment ist aber am Wachsen. Gemäss Media Control hat der Konsum bei Video-on-Demand in der Schweiz um 14 Prozent zugenommen. Und in absehbarer Zeit werden viele Haushalte die klassischen TV-Angebote über Kabel oder Satellit und Angebote über das Internet über den gleichen (Fernseh-)Bildschirm laufen lassen. Insofern findet die Konkurrenz von vielen unterschiedlichen Anbietern auf dem gleichen Bildschirm statt.
Kein direkter Konkurrent für die SRG
Klassische Angebote wie die Programme der SRG werden so nur indirekt konkurrenziert: Im Wettbewerb um die Zeitgunst der Zuschauer beim Medienkonsum und dann direkter, wenn es um den Konsum von Filmen und Serien geht. In diesem Segment ist Netflix dann ein weiterer Konkurrent wie bisher bereits Swisscom und Cablecom oder andere auch ausländische Videoanbieter wie Apple (siehe Kasten Seite 8). Der Unterschied: Die SRG-Programme bieten ihre Filme innerhalb eines Programmteppichs – also nicht on Demand – an, und sie sind innerhalb der Rundfunkgebühren gratis zugänglich.
So könnte sich Netflix in der Schweiz positionieren
Internationalisierung und Zunahme der Player
Der Markteintritt von Netflix zeigt dennoch zwei Tendenzen. Erstens: Das Fernsehgeschäft wird weiter internationalisiert. Das schätzt auch SRG-Generaldirektor Roger De Weck so ein: «Netflix ist Sinnbild dafür, dass sich die SRG nicht nur an ihren bislang massgeblichen Wettbewerbern – den potenten deutschen, französischen und italienischen Kanälen – misst, sondern nunmehr an globalen Playern.» Und zweite Tendenz: Der Übertragungsweg über das Internet wird attraktiver und so
wichtiger, weil er durch die Technik des Live-Streamings (ein Film muss nicht mehr heruntergeladen werden) auch Filme in guter Qualität auf den Bildschirm bringen kann. Ob die Bandbreite der Übertragung auch für HD und grosse Bildschirme genügt, scheint noch nicht sicher. Grundsätzlich wird interessant sein zu beobachten, welche Akzeptanz das Internetfernsehen beim Publikum erreichen kann.
«Netflix ist Sinnbild dafür, dass sich die SRG nicht nur an ihren bislang massgeblichen Wettbewerbern misst, sondern nun mehr an globalen Playern.» (Roger de Weck, Generaldirektor SRG SSR)
Schliesslich zeigt das Beispiel von Netflix, dass die Palette der Player im Fernsehgeschäft immer breiter wird: Die öffentlichen und die privaten «klassischen» TV-Anbieter, die Kabelnetzbetreiber, die zunehmend auch eigene Dienste und Inhalte anbieten, die Giganten der IT-Industrie wie Google und Apple, Konzerne aus der Unterhaltungsproduktion sowie Unternehmen aus dem Bereich des Internet-TV (siehe Kasten).
Verlierer ist die Schweizer Filmförderung
Und die Internationalisierung dieser Anbieter hat auch Auswirkungen auf die nationalen Regulierungen im Fernsehbereich. In Frankreich wird debattiert, dass sich ein Filmanbieter wie Netflix kaum für die finanzielle Förderung französischer Filme engagieren wird; Medien mit Sitz in Frankreich sind aber dazu verpflichtet. Damit würden Einnahmen für französische Filmproduktionen verloren gehen und die Dominanz der amerikanischen Filmbranche zunehmen.
Das ist auch ein interessanter Aspekt für die Schweiz: Gemäss Radio- und TV-Gesetz müssen sich Fernsehveranstalter mit nationalem oder sprachregionalem Programmangebot, die Filme ausstrahlen, mit mindestens vier Prozent ihrer Bruttoeinnahmen an der Förderung von Schweizer Filmen beteiligen. Diese Pflicht gilt auch für ausländische Programmfenster, also zum Beispiel ProSieben Schweiz, Sat.1 Schweiz – nicht aber für das Filmangebot von Swisscom. Die SRG, ein zentraler Player in der Förderung des Schweizer Films, hat das schon zur Diskussion gestellt. Es wird schwierig sein, eine solche Förderung per Gesetz vorzuschreiben, wenn internationale Konkurrenten wie Netflix nicht dazu verpflichtet werden können.
Netflix setzt auf Eigenproduktionen – die SRG auch
Netflix ist nicht nur ein Vertreiber von Filmen, sondern auch ein bekannter Produzent: Seine Serie «House of Cards» hat weltweit hohe Beachtung gefunden und wurde in der Schweiz von SRF ins Programm aufgenommen. Nicht auszuschliessen, dass SRF auch in Zukunft die Chance hat, die Lizenz für Serien von «Konkurrent» Netflix einzukaufen, wenn Netflix damit in der Schweiz ein grösseres Publikum erreichen kann. Möglich ist aber auch, dass Netflix ihre bekannten Serien exklusiv auf Netflix als Lockvogel für ein Abo einsetzen will. So oder so ist gewiss: Die finanziellen Möglichkeiten von Netflix als Produzent sind ungleich höher als jene der SRG. Roger De Weck erläutert das an einem Beispiel: «Eine einzige Folge der berühmten Netflix-Serie ‹House of Cards› kostet etwa so viel Geld wie eine ganze Staffel von ‹Der Bestatter›.»
Aus dieser Marktsituation wird ersichtlich, warum die SRG gezwungen ist, auf zwei Strategien zu setzen: mit Eigenproduktionen exklusive Angebote für ein Publikum in der Schweiz anbieten und in Zukunft auch auf Kanälen wie dem Internet präsent sein. Dass schliesslich die klassischen Fernsehanbieter ihre Produktionen auch in einer Mediathek on Demand anbieten werden, an diesen Möglichkeiten arbeiten öffentliche Sender wie ARD, ZDF und auch die Sender der SRG bereits.
Philipp Cueni
Veranstaltungshinweis: «Die Medienentwicklung in Europa – globale Player und die Folgen für die Schweiz»
Am neuen Medienforum SRG Ostschweiz steht die Internationalisierung des Schweizer Medienmarkts zur Diskussion.
Die Veranstaltung findet statt am Donnerstag, 30. Oktober 2014, 18.30 Uhr, im Kongresszentrum Einstein in St.Gallen.
Der Anlass ist öffentlich und gratis.
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