Holpriger Weg in die «smarte» TV-Zukunft
Ab nächstem Jahr sollten alle Fernsehzuschauer mit modernen TV-Geräten von den interaktiven Zusatzdiensten der SRG-Programme profitieren können. So wollte es der Bundesrat. Was die SRG als essenziell für ihre Weiterentwicklung im TV-Bereich hält, finden die Kabelnetzbetreiber eine Überprivilegierung des öffentlichen Fernsehens. Die Bedenken zeigen Wirkung: Die Regulierung wird nun nicht wie geplant auf Anfang Jahr in Kraft gesetzt.
– Von Nick Lüthi
Ist heute irgendwo von HbbTV die Rede, folgt als Erklärung für das kryptische Kürzel schnell der Vergleich mit dem wohlbekannten Teletext. HbbTV sei «multimedialer Teletext» oder «Teletext 2.0» heisst es allenthalben. Das ist nicht nur die halbe Wahrheit und darum ein untauglicher Behelf, sondern kann geradezu in die Irre führen.
Bei HbbTV geht es um mehr, als nur um eine zeitgemässe Darstellung von Kurznachrichten am TV-Bildschirm (siehe Kasten). Die Abkürzung steht für Hybrid Broadcast Broadband TV und beschreibt die Verschmelzung von zwei Technologien: Neben der klassischen Programmübertragung (Broadcast, dt. Rundfunk) kann das Fernsehen zusätzlich auch Daten mittels Breitband-Internet (Broadband) auf den Bildschirm übertragen.
Baustein für die TV-Zukunft
Mit der neuen Technologie steht zum einen die Frage im Raum, wie wir in Zukunft fernsehen. Zum anderen geht es um die Kontrolle darüber, wer uns welche Inhalte präsentieren kann. Es geht also um alles. Es verwundert deshalb nicht, wenn die verschiedenen Akteure der TV-Branche in Zusammenhang mit HbbTV Grundsatzfragen aufwerfen und ihr gesamtes Gewicht in die Waagschale werfen. Einige signalisieren sogar die Bereitschaft, bis zum Äussersten gehen zu wollen.
Kristallisationspunkt der Kontroverse ist die anhängige Revision der Radio- und Fernsehverordnung. Per Anfang 2015 will der Bundesrat die neuen Bestimmungen in Kraft setzen. Im vergangenen Sommer konnten sich interessierte und betroffene Kreise zu den Vorschlägen äussern. Als umstrittenster Punkt der Anhörung erwies sich Artikel 46 der Verordnung. Darin ist festgehalten, dass die Weiterverbreiter der Programme, also Kabelnetzbetreiber wie UPC Cablecom oder Plattformanbieter wie Swisscom TV, künftig verpflichtet sind, das HbbTV-Angebot der einzelnen Sender zu verbreiten. Was heute für Teletext gilt, soll neu auch für HbbTV gelten. Daher rührt auch der – untaugliche – Vergleich zwischen den beiden Technologien.
Die SRG betont, HbbTV sei für die Weiterentwicklung ihres Fernsehangebots «strategisch wichtig». Erst diese neue Technologie ermögliche es, die Programme interaktiv zu gestalten, also dem Publikum einen Rückkanal zu bieten für Dialogformate. Zudem können Angebote bereitgestellt werden, die es dem Zuschauer möglich macht, frei durch das Programmangebot zu navigieren, ohne an ein starres Schema gebunden zu sein. Damit will die SRG auf die veränderten Nutzungsgewohnheiten reagieren und auch am TV-Gerät die Möglichkeit zum zeitversetzten Fernsehen bieten. Dieses Angebot ist heute vor allem auf den Websites der Fernsehsender gut ausgebaut.
Eine HbbTV-Plattform, die all das ermöglicht, ist aber wertlos, wenn sie das Publikum gar nicht sieht. Umso mehr, wenn es sich beim Publikum um Gebührenzahler handle, die ein Anrecht darauf hätten, für ihr Geld eine zeitgemässe Gegenleistung zu erhalten, begründet die SRG. Das sieht auch der Bundesrat so und hat darum die Revision der Radio- und Fernsehverordnung so gestaltet, dass sie den Bedürfnissen der SRG weitgehend entgegenkommt.
Widerstand gegen Verordnung
Daran stören sich die grossen Weiterverbreiter der Programme. Sie halten eigene Angebote bereit und bieten dem Zuschauer ebenfalls Inhalte, die über die eigentlichen TV-Sendungen hinausgehen. Dazu zählen Online-Videotheken, interaktive Dienste oder auch Textnachrichten. So können sich Kunden von Swisscom TV mit einem Tastendruck auf der Fernbedienung die News vom Bluewin-Portal anzeigen lassen.
Swisscom spricht sich zwar gegen eine gesetzliche Verpflichtung für die Durchleitung des HbbTV-Angebots der SRG-Programme aus, verweist aber gleichzeitig auf «weit fortgeschrittene Gespräche». Und auch bei der SRG klingt es danach, als ob man sich finden könnte für einen Kompromiss. Schliesslich pflegen die beiden Unternehmen enge Kontakte und haben mehr als ein Dutzend unternehmerische Berührungspunkte in den verschiedenen Geschäftsfeldern.
Unversöhnliche Töne vernimmt man dagegen von Swisscable, dem Verband der schweizerischen Kabelnetzunternehmen. Dass seine Mitglieder nun per Verordnung verpflichtet werden sollen, ein Konkurrenzangebot zu übernehmen, hält Swisscable für rechtswidrig und ist deshalb bereit, vor das Bundesverwaltungsgericht zu ziehen. «Spielraum für Kompromisse sehen wir nicht», heisst es bei Swisscable. Man habe nichts gegen die neue Technologie an sich, nur gegen die Absicht des Bundesrats, der SRG bezüglich der neuen Bestimmung in der Radio- und Fernsehverordnung ein Privileg einzuräumen. Es gehe nicht an, dass HbbTV einfach analog zum bisherigen Teletext reguliert werden solle.
SRG will gleich lange Spiesse
Die SRG wiederum sieht in der geplanten Regulierung der HbbTV-Verbreitung keine Privilegierung, sondern überhaupt erst die Gewährung gleich langer Spiesse. Das habe mit einer Eigenheit der schweizerischen Gesetzgebung zu tun. Weiterverbreiter von Programmen dürfen in der Schweiz das TV-Signal übernehmen, ohne dazu einen Vertrag mit dem Sender abzuschliessen. Auf ihren eigenen Plattformen können sie die Fernsehprogramme gegen Entgelt anbieten. Quasi als Gegenleistung für diese Kommerzialisierung durch Dritte hält es die SRG für legitim und folgerichtig, dass die Weiterverbreiter HbbTV übernehmen sollen.
Ursprünglich wollte der Bundesrat bis Ende Jahr über die Einführung von
HbbTV entscheiden. Nun zeigt sich, dass dieser Fahrplan nicht eingehalten werden kann. Es gebe «weiteren Klärungsbedarf bei der Umsetzung», der «noch eine gewisse Vorbereitungszeit» brauche, teilte das Bundesamt für Kommunikation (Bakom) Anfang November mit. Das kommt nicht überraschend. Denn die Vorbehalte der Kabelnetzbetreiber sind grundsätzlicher Natur. Man wolle deshalb noch einmal das Gespräch mit der Branche suchen. «Kompromisse sind denkbar, indem den Bedenken Rechnung getragen wird mit Übergangsfristen oder mit der Definition von – vorübergehenden – Ausnahmen», teilt Susanne Marxer mit, die das Dossier beim Bakom betreut. Lässt sich kein Kompromiss finden, bleibt nichts anderes als der langwierige Weg über die Gerichte.
Nick Lüthi
Bild: SRF (Screenshot) / Quelle: hdtv-forum.ch
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