Radiosendung «100 Sekunden Wissen» zum Thema «Elektrochonder» auf SRF 2 Kultur beanstandet (1)

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Mit Ihrem Brief vom 29. Oktober 2014 haben Sie die Sendung „100 Sekunden Wissen“ vom 23. Oktober auf Radio SRF 2 Kultur beanstandet. Den Erhalt Ihrer Eingabe habe ich mit meinem Brief vom 10. November bereits bestätigt.

Wie üblich, habe ich die Verantwortlichen von Radio SRF gebeten, zu Ihren Kritiken Stel­lung zu beziehen. Dies ist erfolgt und in der Zwischenzeit habe ich die Angelegenheit analysieren können. Ich bin somit in der Lage, Ihnen heute meinen Schlussbericht zu senden.

1. In Ihrem Schreiben betonen Sie zuerst, dass Frau Cornelia Kazis in ihren Recherchen zum Thema Elektrosensibilität über die reale Situation von Menschen mit einer Behinderung in Bereich Elektrosensibilität, leider falsch informiert sei. Als Begründung illustrieren Sie umfassend und detailliert Ihre persönliche Situation unter anderem wie folgt:

„Durch einen Unfall mit Hochfrequenz wurde ich vor bald drei Jahren überraschend von starken Zellreaktionen betroffen, sobald ich mit hochfrequenter Strahlung in Kontakt kam. Ich betrachtete dies als kurzfristige vorübergehende Einschränkung, ähnlich einem Sonnenbrand. Ähnlich wie Frau Kazis fand ich bei meinen Recherchen zum Thema leider nur viele verharmlosenden ‚Informationen‘, die mich leider dazu veranlassten mich weiterhin relativ unbekümmert hochfrequenter Strahlung zu exponieren in der Vorstellung, dass diese Symptome dann ‚von selbst‘ wieder ‚verschwinden‘ würden. In der Realität war dann das Gegenteil der Fall, was ich zuerst nicht wahrhaben wollte. Erst die dreidimensionalen Begegnung mit anderen Betroffenen und deren Unterstützung brachten mir kongruente Informationen über meine neue Lebenssituation, dass bei Hochfrequenz dieselben Regeln gültig sind, wie bei den berühmten UV-Strahlen, wovon man sagen muss, ‚die Haut vergisst nie!‘“

In Ihrer Eingabe betonen Sie insbesondere, dass Sie immer wieder Mitmenschen begegnen, die Ihre schwierige und neue Lebenssituation kaum begreifen könnten, „weil sie von öffentlichen meinungsbildenden Quellen unwahre Informationen erhalten haben“. Aus diesen Gründen müssten Sie leider gegen den Inhalt von dem Radiobeitrag vom 23. Oktober „ernsthaften Beschwerden einreichen, wegen Darstellung falscher Tatsachen von schwer gesundheitsbetroffenen Mitmenschen“.

Sie würden sich deshalb freuen, wenn nicht nur eine Richtigstellung stattfinden würde, sondern ein aufrichtiges und engagiertes Engagement zugunsten Elektrosmogbetroffener, „die es immer schwieriger haben, entsprechende Lebens-, Arbeits- und Wohnplätze zu finden und Sozialkontakte zu pflegen“.

2. Wie bereits erwähnt, haben die Verantwortlichen von Radio SRF zu Ihren Kritiken Stellung bezogen. Frau Franziska Baetke, Programmleiterin Radio SRF 2 Kultur“, schreibt dabei Folgendes:

„Das Wort „Elektrochonder“ ist ein aktueller Begriff, den zu klären das Ziel der Rubrik „100 Sekunden Wissen“ war. Der Moderator führt den Begriff „Hypochonder“ beim Publikum am Beispiel des Theater-Stücks von Molière ein. Am Ende seiner Moderation sagt er: „Neben dem Hypochonder gibt es jetzt neuerdings auch den „Elektrochonder“ - wirklich?“ Ob elektrosensible Menschen überhaupt hypochondrisch sein können, wird mit dieser Aussage - noch vor Beginn des Beitrags - bereits in aller Deutlichkeit in Frage gestellt. Mehr noch: mit diesem Ansagetext animiert der Moderator zum kritischen Hören und relativiert den Begriff „Elektrochonder“.

Zu Beginn des Beitrag geht es in derselben Fragehaltung weiter: „Gibt es sie oder gibt es sie nicht? ...Über das Thema wird leidenschaftlich debattiert. Und nicht selten geraten sich die Fachleute in die Haare......“. Cornelia Kazis, die Autorin des Beitrags, stellt klar, dass das Phänomen der Elektrosensibilität umstritten ist. Sie führt hierfür die starke Aussage der deutschen Strahlenkommission mit dem Zitat an: „...dass die Elektrosensibilität mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht existiert...“. Sie stellt im zweiten Teil des Beitrags aber ebenso klar, dass es „nun mal zwei von hundert Menschen gibt, die sich ständig unter Strom fühlen“, dass es das Phänomen der Elektrosensibilität für diese Menschen gibt. Genau diese Debatte bildet sich nun auch in Ihrer Beschwerde ab.

Mit dem Bezug zur Hypochondrie und dem Begriff „Elektrochonder“ hat die Autorin in der gegebenen Kürze lediglich einen Teil des aktuellen Diskurses zum Thema Elektrosensibilität aufgenommen, dabei hat sie aber die Elektrosensibilitäts-Betroffenheit explizit benannt und quantifiziert. Die Autorin hat sich im Rahmen der Rubrik „100 Sekunden Wissen“ aus formalen Gründen knapp und pointiert auszudrücken.

Ihre eindrücklichen Schilderungen sind geeignet für eine vertiefende und längere Sendung. Frau Cornelia Kazis lässt Sie anfragen, ob Sie bereit wären, darüber in einer „Kontext“-Sendung auf Radio SRF 2 Kultur zu berichten. Sie bekämen so als Betroffene die Möglichkeit, sich über Ihren sensibilitäts-erschwerten Alltag öffentlich zu äussern. Frau Kazis würde sich deshalb freuen, wenn in der Sendung Ihr aufrichtiges und engagiertes Engagement zugunsten Elektrosmog-Betroffener, die es immer schwieriger haben, entsprechende Lebens-, Arbeits- und Wohnplätze zu finden und Sozialkontakte zu pflegen, zum Ausdruck käme“.

3. Soweit die Stellungnahme von Frau Franziska Baetke, Programmleiterin Radio SRF 2 Kultur. Sie nimmt zu Ihren wichtigsten Kritiken glaubwürdig Stellung.

Bevor ich auf die Angelegenheit eintrete, lohnt es sich, die ganze Sendung „100 Sekunden Wissen“ vom 23. Oktober in Erinnerung zu rufen. Es ging dabei um den Versuch, den neuen Begriff „Elektrochonder“ zu erklären und zu bewerten. Bereits in der Anmoderation wird der Bogen zwischen „Hypochonder“ und „Elektrochonder“ wie folgt gespannt:

„Es steht Stellvertreter für den eingebildeten Kranken ‚Le malade imaginaire‘ von Molière. Der eingebildete Kranke lässt sich im Molière-Stück zum finanziellen Vergnügen seines Arztes immer wieder neue Krankheiten attestieren. Auch im wirklichen Leben sind Hypochonder Menschen, die sich selbst immer wieder vor Krankheiten fürchten oder sich selbst auch ganz ohne Arzt immer wieder krank­schreiben. Neben den Hypochonder gibt es jetzt neuerdings auch den Elektro­chonder. Wirklich? ‚100 Sekunden Wissen‘ mit Cornelia Kazis.“

Im eigentlichen Beitrag sagte Frau Cornelia Kazis Folgendes:

„Gibt es sie oder gibt es sie nicht? So ganz sicher weiss es niemand. Über das Thema wird leidenschaftlich debattiert und nicht selten geraten sich die Fach­leute in die Haare. Die einen sagen, Menschen, die einen weiten Bogen machen um Mikrowellenherden, WLAN, Handy und co. und von sich behaupten, sie seien hypersensibel und gesundheitlich angeschlagen wenn sie starken elektromag­netischen Feldern ausgesetzt seien, das seien einfach moderne Hypochonder, genauer Elektrochonder.

Zu diesen einen, die Elektrosmogflüchtende als etwas verrückt erklären, gehören die meisten. Allen voran die deutsche Strahlenschutzkommission. Sie kommt nach Durchsicht vieler Studien zum Schluss – ich zitiere – dass Elektrosensibili­tät mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht existiert. Weitere Forschung sollte daher in einem Themenkreis ausserhalb der Forschung über elektromagnetische Fel­der erfolgen. Heisst das, die Psychologen müssen ran oder die Wünschelruten her? Näheres ist nicht zu erfahren.

Halt, halt, sagen die anderen. So einfach geht es nicht. Es gibt nochmal 2 von 100 Menschen, die sich ständig unter Strom fühlen. Sie sind immer angespannt, auch in den Ferien. Sie schlafen schlecht, auch wenn sie keine Sorgen haben. Sie fühlen sich ständig gereizt, auch wenn Niemand da ist, der ihnen den letzten Nerv raubt. Sie sind dauernd gestresst, auch ohne volle Agenda. Sie haben Kopfweh auch ohne Föhn. Sie gehen vom Arzt zur Ärztin und niemand stellt eine Diagnose. Vielleicht spricht mal eine von Mikrowellensyndrom und das heisst dann so viel wie Elektrosensibilität oder gar Elektrosensitivität oder eben Elektro­chondrie.

Die Therapie wäre dann logischerweise ab in den Wald oder hoch auf den Berg, raus aus der Zivilisation. Aber wer kann das schon? Und wer will es?“

Geht es nun um meine eigene Beurteilung, so kann ich Ihre kritische Reaktion durch­aus nachvollziehen. Denn es sollte unbestritten sein, dass der Begriff „Hypochondrie“ im allgemeinen Sprachgebrauch negativ besetzt ist und „Hypochonder“ auch als abfällige Bezeichnung eines wehleidigen Menschen gebraucht wird. Man spricht laienhaft auch von einer eingebildeten Krankheit, was der Hinweis auf Molière und seinen „malade imaginaire“ zusätzlich noch verdeutlicht hat.

Bei dieser Ausgangslage scheint es mir zumindest problematisch zu sein, die echt vorhandene „Elektrosensibilität“ von vornherein als „Elektrochondrie“ abzuqualifizie­ren. Ihre Reaktion kann ich deshalb verstehen.

Bedeutet dies aber, dass der ganze Beitrag als unsachlich angesehen werden muss? Nachdem ich die Angelegenheit studieren konnte, gelange ich zu einer anderen Schlussfolgerung als Sie.

Selbstverständlich ist die Ombudsstelle nicht in der Lage, die wissenschaftlich um­strittene Frage nach möglichen subjektiven Symptomen bei Anwesenheit von hoch­frequenten Feldern zu beantworten. Sie kann auch nicht darüber entscheiden, ob sich die deutsche oder die österreichische Fachkommission näher an der Wahrheit befindet. Ihr fehlen sowohl die rechtlichen wie auch die fachlichen Kompetenzen. Die Ombudsstelle hat lediglich zu beurteilen, ob das Sachgerechtigkeitsgebot verletzt wurde oder nicht. In anderen Worten, ob sich das Publikum auf Grund der Sendung über das behandelte Thema eine eigene Meinung bilden konnte.

Ich gelange zur Auffassung, dass dies doch der Fall war. Denn auch wenn in einem journalistisch lockeren Ton, wurde das Problem kontrovers und verständlich genug behandelt. Es wurde deutlich vermerkt, dass diese wichtige Problematik umstritten ist. Auch wenn die zitierte deutsche Strahlenschutzkommission die Meinung vertritt, dass „Elektrosensibilität mit grösster Wahrscheinlichkeit nicht existiert“, wurde eben­falls zitiert, dass 2 von 100 Menschen „sich ständig unter Strom fühlen“. Die ent­sprechenden Symptome wurden ebenfalls erwähnt und keineswegs in Frage gestellt.

Insgesamt wurde deshalb das Sachgerechtigkeitsgebot nicht verletzt. Zwar kann ich Ihre kritische Reaktion nachvollziehen, Ihre Beanstandung aber, soweit ich darauf eintreten konnte, kann ich nicht unterstützen.

Ich stelle mit Befriedigung fest, dass sich die Verantwortlichen von Radio SRF auch dank Ihrer sowie drei weiteren ähnlichen Beanstandungen veranlasst fühlten, eine weitere, vertiefte Sendung über das Thema zu planen. Ihre konkrete Forderung – wenn auch in veränderter Form – wurde somit erfüllt.

4. Ich bitte Sie, das vorliegende Schreiben als meinen Schlussbericht gemäss Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes RTVG entgegenzunehmen. Über die Mög­lichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen UBI (Monbijoustrasse 54A, Postfach 8547, 3001 Bern) orientiert Sie der beiliegende Auszug aus dem Bundesgesetz über Radio und Fernsehen.

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