«10vor10»-Beitrag über Transsexualität beanstandet

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Mit E-Mail vom 19. November 2014 haben Sie die Berichterstattung „Transsexualität: Im falschen Körper“ in der Sendung „10vor10“ vom 17. November beanstandet. Den Erhalt Ihrer Eingabe habe ich mit meinem Brief vom 24. November bereits bestätigt.

Wie üblich, habe ich die Verantwortlichen von SRF gebeten, zu Ihren Kritiken Stel­lung zu beziehen. Dies ist erfolgt und in der Zwischenzeit habe ich die Angelegenheit analysieren können. Ich bin somit in der Lage, Ihnen heute meinen Schlussbericht zu senden.

1. Sie begründen Ihre Reklamation wie folgt:

„Hiermit möchte ich mich als Transmensch beschweren gegen die 10vor10-Sendung vom 17.11., die Leute wie mich als Personen dargestellt hat, die nur physische Wesen sind, die infolge Krankheit ihren Körper ‚umwandeln’ wollen.

Eine solche Sichtweise ist nicht nur respektlos, sondern auch menschenverachtend. Ich bitte Sie daher höflich, die Sendungsverantwortlichen auf die Menschenrechte hinzuweisen. Die Sendung führte dazu, dass uns Transmenschen das (Berufs-) Leben zusätzlich erschwert wird, indem Respektlosigkeit sogar im Staatssender ‚vorgelebt’ wird.

Ich bitte Sie, die Verantwortlichen auch persönlich zu belangen, da es sich um ein tiefgreifendes Vergehen gegen Minderheiten handelt.“

2. Wie erwähnt, haben die Verantwortlichen von SRF bereits am 15. Dezember 2014 zu Ihren Kritiken Stellung bezogen. Herr Christian Dütschler, Redaktionsleiter von „10vor10“, schreibt dabei Folgendes:

„Frau X beanstandet den Beitrag ‚Transsexualität: Im falschen Körper’ in der Sendung 10vor10 vom 17. November 2014.

Vorab möchten wir anmerken, dass wir bedauern dass der Beitrag von der Bean­standerin und verschiedenen anderen Zuschauern, insbesondere von Betroffenen, als ‚respektlos’ empfunden wurde. Es war nie unsere Absicht, Transmenschen in irgendeiner Weise zu verletzen oder zu verunglimpfen. Gleichzeitig möchten wir festhalten, dass wir den Beitrag anders einschätzen und die Art und Weise, wie das Thema aufgegriffen wurde, als informativ und in keiner Weise als despektierlich beurteilen. Gerne nehmen wir zu den einzelnen Vorwürfen Stellung.

  1. Reduktion auf ‚physische Wesen’

In einem kurzen Fernsehbeitrag ist es nicht möglich, ein komplexes Thema umfas­send abzuhandeln. Wir müssen uns deshalb regelmässig auf einen einzelnen Aspekt eines Themas konzentrieren. In diesem Fall schien uns bemerkenswert, dass sich die Anzahl der Geschlechtsumwandlungen innerhalb weniger Jahre verfünffacht hat. Darüber wollten wir berichten und haben deshalb den chirurgischen Aspekt ins Zent­rum unserer Berichterstattung gestellt. Bereits in der Moderation war diese Stossrich­tung erkennbar:

Immer mehr wagen eine Geschlechtsumwandlung. In der Spezialklinik am Universitätsspital Lausanne hat sich die Zahl der Operationen innerhalb weni­ger Jahre verfünffacht. Alexandra Gubser konnte einem der wenigen Chirur­gen, die solche Eingriffe vornehmen, über die Schulter schauen.

Es wird also klar, dass der Beitrag hauptsächlich die medizinisch-chirurgische Seite und nicht die psychologische beleuchtet. Wir glauben aber nicht, dass wir durch die Wahl dieses Fokus Transmenschen auf rein physische Wesen reduziert haben. So hält der Beitrag an verschiedenen Stellen fest, dass mit einer solchen Operation ein langwieriger psychologischer Prozess verbunden ist und dass die eigentliche Operation nur ein Schritt im ganzen Prozess ist:

· Der Patient hat zwei Jahre intensiver Psycho- und Hormontherapie hinter sich.

· Zitat Olivier Bauquis: ‚Ich gehe davon aus, dass es eigentlich erst der Anfang ist. Denn jetzt muss sie ihren neuen Körper erst kennenlernen. Darum rate ich meinen Patienten, sich auch nach der Geschlechtsum­wandlung, nach der Operation psychiatrisch begleiten zu lassen. Denn das ist wirklich eine entscheidende und für viele Patienten schwierige Phase.’

· Das Missverhältnis zwischen gefühlter Identität und Körper mag nun been­det sein. Der Weg zu einem erfüllten Leben im neuen Körper ist noch lang.

Im Beitrag kommt zudem zweimal ein Betroffener zu Wort. Er zeigt in seinem Zitat deutlich die Perspektive eines Betroffenen und seine persönliche Situation auf. Dabei wird klar, dass die Problematik weit über eine bloss physische hinausgeht:

‚Wenn ich diesen Schritt nicht gemacht hätte, dann hätte ich mich umgebracht. Wirklich. Ich hätte nicht weiter in einem Körper leben können, der nicht der meine ist.’

  1. Krankheit

Frau X verwendet in ihrer Beanstandung den Begriff ‚Krankheit’. Betroffene seien so dargestellt worden, dass sie ‚infolge Krankheit ihren Körper ‚umwandeln‘ wollen’. Wir gehen davon aus, dass sie sich damit auf den im Beitrag verwendeten Begriff ‚psychische Störung’ bezieht, den wir im Zusammenhang mit der Kostenüber­nahme durch die Krankenkasse nennen. Diese Einordnung haben wir gerade des­halb erwähnt, weil sich bei solch komplizierten Operationen unweigerlich die Kosten­frage stellt. Die Kosten werden heute von der Grundversicherung übernommen, gerade weil Transsexualität heute von offizieller Seite Krankheitswert zugesprochen wird. So wird Transsexualität von der WHO in ihrem Klassifizierungssystem unter Ka­pitel V „Psychische und Verhaltensstörungen“ eingeordnet (WHO International Clas­sification of Diseases, Version 2014; Manual der Schweizer Vertrauens- und Ver­sicherungsärzte; verschiedene Gerichtsurteile, z.B. K142/03 des Eidgenössischen Versicherungsgerichts). Dass diese Einordnung als stigmatisierend empfunden wer­den kann, können wir nachvollziehen. Deshalb haben wir im Bericht die folgende, zurückhaltende Formulierung gewählt:

Transsexualität ist kein selbstgewählter Lifestyle, sondern gilt offiziell als psy­chische Störung, deren Behandlungskosten von der Grundversicherung über­nommen werden.

Wir haben damit unseren Zuschauern und Zuschauerinnen eine Erklärung gegeben, warum die Grundversicherung die Kosten der Operation übernimmt. Eine Verun­glimpfung können wir darin nicht erkennen.

  1. Körper ‚umwandeln’

Die Beanstanderin scheint auch den im Beitrag verwendeten Begriff ‚Geschlechts­umwandlung’ zu kritisieren. In unserer Sprache versuchen wir möglichst publikums­nah zu sein, wobei wir natürlich nur Begriffe verwenden, die sachlich korrekt sind. Der Duden definiert ‚Geschlechtsumwandlung’ als:

Natürliche oder durch äussere Einwirkungen bewirkte Umwandlung des Geschlechts bei einem Individuum.

Die von Transgender Network Switzerland empfohlenen Begriffe ‚Geschlechtsan­passung’ resp. ‚Geschlechtsangleichung’ finden sich im aktuellen Duden nicht. Der Begriff ‚Geschlechtsumwandlung’ mag in Kreisen von Betroffenen und Experten kri­tisch diskutiert werden, in der Alltagssprache wird er weiterhin in neutraler Weise ver­wendet. So greifen auch verschiedenen Institutionen wie das Bundesamt für Ge­sundheit oder das Universitätsspital Zürich, das in diesem Bereich chirurgisch tätig ist, auf den Begriff ‚Geschlechtsumwandlung’ zurück (siehe offizielle Dokumente des BAG und Auszug aus der Webseite des Universitätsspitals Zürich). Auch andere Leitmedien wie die NZZ, der Spiegel oder die FAZ am Sonntag sprechen von Ge­schlechtsumwandlung. Wir sehen uns deshalb darin bestätigt, dass der Begriff im allgemeinen Sprachverständnis keineswegs negativ belegt ist.

  1. Respektlose / menschenverachtende Berichterstattung; Leben durch Berichterstattung zusätzlich erschwert

Wir sind der Meinung, dass der beanstandete Beitrag in keiner Weise ‚respektlos’ oder ‚menschenverachtend’ ist. Im Beitrag kommt neben dem Chirurgen auch ein Betroffener zweimal zu Wort, der nicht nur sehr sympathisch wirkt, sondern auch seine persönliche Situation als Betroffener anschaulich schildert:

Jessy Morell, Transsexueller

‚Man stellt sich als Kind noch keine Fragen. Das kommt erst in der Pubertät. Warum bin ich nicht wie die anderen? Erst nachdem ich eine Fernsehsendung über Transsexualität gesehen habe, wusste ich es. Vorher war ich schlicht und einfach verloren.’

Jessy Morell, Transsexueller

‚Wenn ich diesen Schritt nicht gemacht hätte, dann hätte ich mich umge­bracht. Wirklich. Ich hätte nicht weiter in einem Körper leben können, der nicht der meine ist.’

Gleichzeitig haben wir auch bei den Bildern der Operation darauf geachtet, dass die Würde der gezeigten Person nicht verletzt wird. So haben wir die Bilder sorgfältig ausgewählt und wo nötig gepixelt. Aus diesen und den oben ausgeführten Gründen können wir nicht nachvollziehen, inwiefern der Beitrag ‚respektlos’ resp. ‚menschen­verachtend’ sein oder ‚Transmenschen das (Berufs-)Leben zusätzlich erschweren’ soll.

Abschliessend möchten wir noch einmal festhalten, dass wir in unserem Beitrag zwar auf das rein Operative fokussiert, dabei aber auch mehrfach auf die Bedeutung der psychischen Komponente hingewiesen und die schwierige Situation der Betroffenen aufgezeigt haben. Am 16. Dezember fand das geplante Gespräch zwischen der Redaktion und zwei Vertretern von Transgender Network Switzerland (TGNS) statt. Der TGNS-Präsident Henry Hohmann und Alecs Recher von der Rechtsberatung von TGNS legten ausführlich ihre Sichtweise dar und erläuterten zusätzlich die schon schriftlich vorgebrachte Kritik. Gleichzeitig habe ich als Redaktionsleiter versucht, unsere Sichtweise verständlich zu machen. Zur Sprache kam insbesondere auch die Frage, welche Begrifflichkeit beim vorliegenden Thema adäquat ist. Die Aussprache hat dazu beigetragen, die von TGNS geäusserte Kritik noch besser zu verstehen. Wir haben die Vertreter von TGNS als sehr kompetente Gesprächspartner erlebt, auf die wir in der künftigen Berichterstattung gegebenenfalls gerne zurückgreifen.

Wir sind der Meinung, dass der Beitrag in jeder Hinsicht sachgerecht war und sich das Publikum eine eigene Meinung zum Thema bilden konnte. Wir bitten Sie deshalb, die Beanstandung abzuweisen.“

3. Soweit die sehr umfassende Stellungnahme des Redaktionsleiters von „10vor10“. Herr Christian Dütschler nimmt zu allen Ihren kritischen Bemerkungen ausführlich Stellung und begründet präzis, warum seiner Meinung nach Ihre Beanstandung ab­gewiesen werden sollte. Nachdem ich den von Ihnen kritisierten Beitrag sehr auf­merksam angeschaut habe, scheinen mir die Argumente von Herrn Dütschler sehr plausibel zu sein. Um Wiederholungen zu vermeiden, kann ich mich deshalb kurz halten.

Ich möchte zuerst unterstreichen, dass 10vor10 ausgehend von der Verleihung des Gleichstellungspreises der Stadt Zürich an die Rechtsberatung „Transgender Net­work Switzerland“ in einem kurzen Filmbericht das Thema Transidentität behandelt hat. Eine wichtige, aktuelle, aber unter verschiedenen Aspekten durchaus heikle Frage, denn sie betrifft die persönliche und Intimsphäre vieler Menschen. Im Beitrag stand aber vor allem der chirurgische Aspekt des Themas Transidentität im Vorder­grund. In diesem Sinne kann ich Ihre kritische Reaktion, ja Ihre Enttäuschung als direkt Betroffene durchaus nachvollziehen.

Kann man aber 10vor10 vorwerfen, respektlos, ja sogar menschenverachtend über Transmenschen berichtet zu haben? Ich glaube es nicht. Zwar konnte die Fokussie­rung auf die medizinisch-chirurgische Seite den Eindruck entstehen lassen, es würde sich vorwiegend um eine rein physische Angelegenheit handeln. Doch auch wenn eher beiläufig, wurde im Beitrag auch der schwierige psychische Prozess erwähnt, den eine derartige Operation mit sich bringt, und durch einen Betroffenen dargelegt.

Zugegeben: im Bericht wurden auch Begriffe verwendet, die umstritten sind. Insbe­sondere wurde kritisiert, dass von „Geschlechtsumwandlung“ und nicht von „Ge­schlechtsangleichung“ oder von „Geschlechtsangleichender Operation“ die Rede war. Doch es handelt sich höchstens um redaktionelle Unvollkommenheiten, welche nicht geeignet sind, den Gesamteindruck der Ausstrahlung wesentlich zu beeinflus­sen, und somit programmrechtlich als nicht relevant zu betrachten sind.

Doch die Verwendung von umstrittenen Begriffen ist ein Zeichen dafür, dass einer besseren und vorurteilsfreien sozialen Integration und der gesellschaftlichen Akzeptanz von Transmenschen in Zukunft grössere Beachtung geschenkt werden soll. Ich bin zuversichtlich, dass das Treffen zwischen Redaktion von 10vor10 und Vertretern von Transgender Network Switzerland zu einem entsprechenden Beitrag führen wird.

Insgesamt gelange ich zur Auffassung, dass sich das Publikum doch eine eigene Meinung bilden konnte. Das Sachgerechtigkeitsgebot wurde somit nicht verletzt. Auch wenn ich für Ihre Reaktion Verständnis habe, kann ich Ihre Beanstandung, soweit ich darauf eintreten konnte, nicht unterstützen.

4. Ich bitte Sie, das vorliegende Schreiben als meinen Schlussbericht gemäss Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes RTVG entgegenzunehmen. Über die Mög­lichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen UBI (Monbijoustrasse 51A, Postfach 8547, 3001 Bern) orientiert Sie der beiliegende Auszug aus dem Bundesgesetz über Radio und Fernsehen.

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