Türen öffnen

«Meine Mutter und ich: ‹Im Tram waren lauter Tamilen!› – ‹Und?› – ‹Eine ganze Familie!› – ‹Und?› – ‹Sie haben laut durch­einander­geschwatzt.› – ‹Und?› – ‹Ich habe kein Wort verstanden!› Nein, meine Mutter ist keine Rassistin. Sie ist einfach betagt und nicht sehr gesellig ...»

– Eine Carte blanche von Fausi Marti

«Sie wäre auch nicht entzückt, wenn eine Horde Schweizer Pfadi im Tram krakeelen würde. Der Unterschied: Bei den Tamilen bietet sich die Schublade ‹Ausländer› an, bei den Schweizern eignet sich höchstens das Etikett ‹heutige Jugend›.

Nun bin ich seit einem halben Jahr als ‹Schweizer mit Migrations­hintergrund› im Publikumsrat der SRG Deutschschweiz. Was berichten die Schweizer Medien über die Migrantinnen und Migranten? Die Antwort stand im LINK 3/2014›: ‹Kein offenes Mikrofon für Migranten.›

Medien berichten vor allem über Besonderes. Nicht aber über meinen ägyptischen Kollegen in Zürich, der für seine Landsleute fröhliche Grillpartys organisiert. Oder den irakischen Literaturwissenschafter im Thurgau, der trotz Jahren als Flüchtling mitreissend lachen kann. Oder über die ägyptische Geschäftsfrau, die in Basel ein Radioprogramm für arabische Expats gestartet hat. Aber schliesslich erfahren wir auch nicht, dass Herr Müller einen neuen Rasen­mäher angeschafft oder Frau Meier die Auto­marke gewechselt hat...

Also kein Unterschied? Doch: Von all den Mitmenschen, die wir nicht kennen, sind die Migranten besonders ‹fremd›. Alles, was uns bei ihnen als ‹fremd› oder ‹anders› erscheint, können wir in der Schublade ‹Ausländer› ablegen. Für den kriminellen Ausländer gibt es die Schublade ‹Ausländer›, der kriminelle Schweizer dagegen ist einfach ein Krimineller.

Studien zeigen: Wer mit Migrantinnen und Migranten Tür an Tür wohnt, hat oft mehr Verständnis für sie. Also ist es eine schöne Aufgabe der Medien – und insbesondere der SRG mit ihrem Integrationsauftrag – Türen zwischen Schweizern und Ausländern zu öffnen. Zur schweizerischen Kultur gehört längst auch die Migration. Sendungen wie ‹Donnschtig-Jass› stehen natürlich auch Migrantinnen und Migranten offen, es wären aber auch neuartige Gefässe sinnvoll, Gefässe von Migranten für Migranten und ‹Urschweizer›. Und dazu bräuchte es mehr Migranten am Mikrofon: als Journalistinnen, als Vereinsvertreter oder ‹Mann von der Strasse›. Und ich würde mir auch mehr Sachkenntnis von Schweizer Medienschaffenden in Migrationsfragen wünschen.

Natürlich bemühen sich die Medien, im Migrationsbereich Türen zu öffnen. Hätte meine Mutter letzten Frühling die ‹DOK›-Sendung über tamilische Secondos in der Schweiz gesehen, hätte sie sicher mehr Verständnis aufgebracht für die dunkelhäutigen Kinder im Tram.»

Fausi Marti reist als Mitglied des Publikumsrats oft nach ­Zürich, lehrt in Bern an der Berner Fachhochschule, lebt in Basel und fühlt sich auch in Kairo zu Hause.

Bild: Marti-Scalabrino

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