Der Publikumsrat im Porträt: Durch Vertrauen zum kritischen Dialog

Sie schauen und hören genau hin: die Publikumsräte der SRG Deutsch-schweiz. Sie äussern Sendekritik aus der Perspektive der Zuschauer und Zuhörer. In den Redaktionen bringt die Kritik Prozesse in Gang.

– Von Regina Schneeberger

Wenn Roger Schawinski seinen Gesprächs­partner mit dessen eigenen Waffen schlagen will, fährt er einen Bildschirm hoch. Auf diesem können die Zuschauer eine verfängliche Äusserung des Interview­partners lesen. Wenn sie es denn lesen können. Denn zu Beginn der Sendereihe war der Text so klein, dass sich mancher Zuschauer hätte näher an den Fernseher setzen müssen, um ihn zu entziffern. Der Kritik des Publikumsrats ist es zu verdanken, dass heute die Schrift auf dem Bildschirm grösser und lesefreundlicher ist.

Tunnelblick vermeiden

Der Publikumsrat der SRG Deutschschweiz bringt die Sicht der Fernsehzuschauer und Radiohörerinnen den Redaktionen näher. Elf Mal im Jahr tauschen sich Redaktoren verschiedener Sendungen und die 26 Mitglieder des Publikumsrats in einer Sitzung aus. Am 12. Februar 2015 waren SRF «DOK» und SRF zwei «­sportpanorama» Thema (siehe Seite 14 und 15). Kritisch hinterfragten die Räte die Fragestrategien der Journalisten, den Einstieg in eine Sendung oder den Informationsgehalt. «Manchmal setzen wir zuviel Wissen voraus», sagt Nök ­Ledergerber, stellvertretender Abteilungsleiter Sport. Wenn man

Der Publikumsrat funktioniert wie ein Vergrösserungsglas, das Mängel, aber auch Positives aus dem Blickwinkel des Publikums sichtbar macht» (Hansjürg Zumstein, Redaktor SRF Kultur)

sich nur mit Sportjournalisten unterhalte, könne dies zu einem Tunnelblick führen. Der Publikumsrat bringe eine hilfreiche Aussensicht ein, so Ledergerber. Er nimmt die Kritik als hart in der Sache aber als fair wahr. Auch Hansjürg Zumstein, Redaktor SRF Kultur, nahm an der Sitzung teil. «Der Publikumsrat funktioniert wie ein Vergrösserungsglas, das Mängel, aber auch Positives aus dem Blickwinkel des Publikums sichtbar macht», sagt Zumstein. Dass der Web-Auftritt der «DOK»-Filme zu wenig nahe am Publikum ist, nimmt er als Anregung mit. «Die Filme könnten wir online mit noch mehr Hintergrundinformationen und zusätzlichen Bildern versehen», sagt er.

Nök Ledergerber, stv. Abteilungsleiter Sport: «Manchmal setzen wir zu viel Wissen voraus. Das kann zu einem Tunnelblick führen.»

Viel Lob und wenig Kritik

Intern löst die Kritik des Rats Resonanz aus, gegen aussen hingegen stösst der Publikumsrat auf geringes Interesse. Nach jeder Sitzung veröffentlicht er eine Medienmitteilung. Von den Zeitungen wird diese jedoch nur selten aufgegriffen. «Von aus­sen werden wir oft als zahnlos wahrgenommen», sagt Manfred Pfiffner, Präsident des Publikumsrats. In den Mitteilungen findet sich häufig Lob und nur wenig und sehr sachlich formulierte Kritik. «Die Me­dien greifen liebend gerne das Negative heraus, das Positive interessiert sie praktisch nie. Dies führt zu einer völlig verzerrten Wahrnehmung», begründet Pfiffner die zurückhaltende Kritik. Wenn der Publikumsrat wollte, könnte ernatürlich Schlagzeilen landen. Denn die Mechanismen der Medien seien leicht durchschaubar, so Pfiffner. Dies sei jedoch nicht das Ziel. «Um in einem offenen und konstruktiven Dialog mit den Redaktionen zu bleiben, braucht es viel Vertrauen», sagt er.

«Die Me­dien greifen liebend gerne das Negative heraus, das Positive interessiert sie praktisch nie. Dies führt zu einer völlig verzerrten Wahrnehmung.» (Manfred Pfiffner, Präsident Publikumsrat SRG.D)

Denn nur über eine funktionierende Zusammenarbeit könne der Rat mit seiner Kritik etwas bewirken. Weisungsbefugnis habe er keine. Setzen die Redaktionen die Kritikpunkte nicht um, habe dies keine rechtlichen Konsequenzen.

Die Rolle des Beobachters verlassen

Nebst gegenseitigem Vertrauen ist die Vorbereitung der Sitzung zentral. Radio hören und fernsehen tun die Publikumsräte nicht nur als Freizeitbeschäftigung, sondern vor allem professionell. Je nach Arbeitsgruppe schauen sie sich Sport- oder Unterhaltungs-sendungen an oder hören kulturelle Beiträge am Radio. Anhand eines Kriterienrasters beurteilen sie die Sendungen. Mit dem Raster im Kopf und einem Block und Stift in der Hand die Rolle des normalen Zuschauers oder Zuhörers ein­zunehmen, ist jedoch nicht einfach. «Wenn ich einen Beobachtungsauftrag habe, schaue ich anders», sagt Publikumsrat ­Renatus Zürcher. Deshalb bügle er manchmal nebenbei noch Hemden, um nicht zu sehr in die Rolle des Beobachters zu verfallen. Zudem frage er Bekannte nach deren Meinung zu gewissen Sendungen. Die anschliessende Kritik hält jedes Mitglied der Arbeitsgruppe in einem Einzelbericht fest. Der Arbeitsaufwand eines Rats entspricht einer 10-Prozent-Anstellung.

Sendungskritik im direkten Gespräch mit den SRF-Sendungsverantwortlichen.

Rat bestimmt Sendungsauswahl

Welche Sendungen analysiert werden, entscheidet der Leitende Ausschuss des Publikumsrats. «Redaktionen können kein Veto einlegen», sagt Manfred Pfiffner. Sowohl neue Sendungen wie auch Sendungen, die schon lange im Programm sind, und das Online-Angebot stehen zur Auswahl. «Wenn eine Sendung oder Sendereihe nur einmalig und über einen kurzen Zeitraum ausgestrahlt wird, analysieren wir sie in der Regel nicht», sagt Pfiffner. Da es dann für die Macher oft keine Korrekturmöglichkeit gebe.

Zu wenig repräsentativ?

So breit wie das Spektrum der Sendungen ist auch die Zusammensetzung des Rats. Eine Primarlehrerin, eine Organisationspsychologin oder ein Software-Ingenieur sind Mitglieder. Auffällig ist jedoch, dass viele der Ratsmitglieder über einen höheren Schulabschluss verfügen. «Um Sendungen differenziert beurteilen und darüber vertieft diskutieren zu können, muss man sich schriftlich und mündlich gut ausdrücken können. Das braucht einen gewissen Bildungshintergrund», sagt ­Susanne Hasler, stellvertretende Präsi­dentin des Publikumsrats. Dass der Rat nicht das gesamte Publikum repräsentiert, sieht auch ­Manfred ­Pfiffner: «Das Parlament bildet jedoch auch nicht eins zu eins das Volk ab.»

Kritisch, aber fair: Publikumsratspräsident Manfred Pfiffner mit Stv. Susanne Hasler (l.) und Publikumsrätin Kathy Gerber.

Gewisse Vorgaben sorgen aber dafür, dass die Zusammensetzung nicht zu einseitig ausfällt. So muss mindestens ein Drittel weiblich beziehungsweise männlich sein, es hat zwei ausländische Mitglieder und es müssen zwei Junge unter 30 Jahren vertreten sein. «Das Durchschnittsalter im Rat liegt unter 50 Jahren, damit sind wir im Schnitt jünger als das Publikum», sagt ­Pfiffner. Dafür, dass die Mitglieder aus verschiedenen Regionen der Schweiz kommen, sorgt das Aufnahmeverfahren. Denn die sieben regionalen Mitglied-gesellschaften der SRG stellen je zwei Publikumsräte. Die übrigen zwölf Mitglieder gelangen über ein Bewerbungsverfahren in den Rat.

Den Blick der Jungen berücksichtigen

Der Publikumsrat beschäftigt sich mit der Idee, zukünftig weitere kritische Stimmen von ausserhalb einzuholen. Social Media wie Twitter oder Facebook könnten dazu dienen, punktuell ein breiteres Publikum einzubeziehen. Konkret könnte dies so aussehen: Der Rat fordert über Social Media Interessierte auf, ihre Meinung zum Einstieg eines «DOK»-Films zu äussern. In der Sitzung könnten dann diese Reaktionen mit den Verantwortlichen diskutiert werden. «So wäre es möglich, vermehrt die Meinung von Jungen einzubeziehen», sagt Manfred Pfiffner. Diese Art der Kritik würde jedoch die Programmbeobachtung der Ratsmitglieder höchstens ergänzen und keinesfalls ersetzen. «Wir beobachten nach bewährten Beobachtungsrastern und haben einen hohen Qualitätsanspruch an die Sendekritik», sagt Pfiffner.

Regina Schneeberger

Bilder: Imagopress / Patrick Lüthy

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