«DOK»-Film «Ukraina – Tagebuch aus einem zerrissenen Land» beanstandet (Ukraine-Konflikt 3)
Mit E-Mail vom 19. Februar 2015 haben Sie die DOK-Sendung über die Ukraine des gleichen Tages beanstandet. Den Erhalt Ihrer Eingabe habe ich mit meinem Brief vom 25. Februar bereits bestätigt.
Wie üblich, habe ich die Verantwortlichen von SRF gebeten, zu Ihren Kritiken Stellung zu beziehen. Dies ist erfolgt und in der Zwischenzeit habe ich die von Ihnen kritisierte Sendung sehr genau studieren können. Ich bin somit in der Lage, Ihnen heute meinen Schlussbericht zu senden.
Sie begründen Ihre Beanstandung wie folgt:
1. „Ich möchte mich hiermit über den tendenziösen Bericht in der heutigen DOK Sendung über die Ukraine beschweren.
Ich finde es fahrlässig und irreführend, dass die Beteiligung der USA an den Maidan-Protesten mit keinem Wort erwähnt wurde. Man kann in verschiedenen Ländern beobachten, wie die USA politische Umbrüche organisiert und was für Folgen das hat. Diese Beteiligung ist erwiesen, Frau Nuland und Herr Kerry waren höchstpersönlich auf dem Maidan, dazu gibt es genug Bilddokumente. Auch, dass die USA Milliarden investiert hat, sagt Frau Nuland selbst. Obama sagt in einem Interview mit BBC am 31. Januar 2015, dass die USA Putin mit ihrem ‚Power Change’ überrascht haben. Dieser Aspekt ist zu wichtig als dass er einfach verschwiegen werden darf.
Stattdessen bleibt die SRF DOK Sendung bei inzwischen längst überholten Behauptungen zum Maidan. Es wird gesagt, dass Demonstranten von ‚Snipern’ beschossen wurden und dass die Polizei verdächtigt wird. Inzwischen gilt dies als mehr als unwahrscheinlich, da auch Polizisten von denselben Snipern erschossen wurden. Nachzulesen in verschiedenen Quellen, beispielsweise der BBC vom 12.02.2015, aber auch in früheren Berichten zum Beispiel ARD Monitor vom 10.04.2014.
Im Gegensatz dazu wird in der DOK Sendung mehrfach behauptet, dass sich Russische Truppen in der Ukraine befinden. Das konnte die OSZE bis heute nicht bestätigen. Es handelt sich dabei um eine pure Behauptung ohne jeglichen Beleg.
Dazu kommt die Andeutung, dass ‚Russen’ hinter dem Beschuss des Busses im Januar 2015 mit mehreren Toten stecken sollen. Diese Behauptung habe ich in DOK zum ersten Mal gehört. Ich habe danach im Internet recherchiert und keinerlei Hinweis dazu gefunden. Ich gehe davon aus, dass diese These auf der Phantasie des DOK-Journalisten beruht.
Alles in allem kann diese Sendung nur als Propaganda bezeichnen. Von Deutschen Medien ist man das gewohnt, und man kann es sich auch erklären, da sie im weitesten Sinne einer Konfliktpartei angehören. Die Schweiz tut das nicht und sagt von sich, ein neutrales Land zu sein. Deshalb finde ich einen derart unvollständigen und tendenziösen Bericht umso stossender. Als Schweizerin ist es mir ein Bedürfnis, solche Dinge nicht einfach geschehen zu lassen. Die Medien sollten vorsichtiger sein mit ihrer Berichterstattung zu Kriegssituationen und Lehren aus den Lügen ziehen, die uns in den letzten Jahren nachweislich aufgetischt wurden. Ich erachte das als enorm wichtig.“
2. Wie bereits erwähnt, haben die Verantwortlichen von SRF zu Ihren Kritiken Stellung bezogen. Ich möchte Ihnen das Schreiben von Herrn Marius Born, Bereichsleiter „Dokumentarfilme und Reportagen“, und von Frau Belinda Sallin, Redaktionsleiterin „DOK Eigenproduktionen“, nicht vorenthalten. Sie schreiben Folgendes:
„Gerne nehmen wir Stellung zur Beschwerde von Frau X auf unseren DOK-Film «Ukraina - Tagebuch aus einem zerrissenen Land» vom 19. Februar 2015:
Es war uns schon im frühen Stadium des Ukraine-Konfliktes ein Bedürfnis, mit einem längerfristig angelegten Filmprojekt hinter die Newsberichterstattung zu blicken und dabei vor allem Direkt-Betroffenen eine Stimme zu geben. Mit diesem DOK versuchten wir, ein grösseres Verständnis für die Hintergründe des Konfliktes zu schaffen, aber auch die tiefen Gräben aufzuzeigen, die das Land heute entzweien.
Wir legten grossen Wert darauf, Vertreter unterschiedlicher Lager zu Wort kommen zu lassen und ihre Standpunkte unverfälscht zu transportieren: Unter anderem eine alleinerziehende Mutter, die sich aktiv für den Aufbau der abtrünnigen «Volksrepublik Donezk» einsetzt, einen pro-ukrainischen Kämpfer in Freiwilligen-Bataillonen und einen kritischen Bürger von Donezk, der beiden Seiten misstraut. Ein simples Gut-Böse-Schema wird einem derartigen Konflikt nie gerecht. Die unterschiedlichen, oft widersprüchlichen Stimmen, machten es für den Zuschauer sicher nicht einfach. Aber sie vermittelten ein realistisches Bild der Situation. Als zusätzliches Element und roten Faden wählten wir die Perspektive des Korrespondenten. Dieser Blick ist, so sehr wir uns um eine objektive Wiedergabe der Fakten bemühten, in der Einordnung und Wertung der Geschehnisse immer subjektiv. Auch das subjektive Erleben sollte in den Film einfliessen, was durch die Wahl des Ich-Erzählers (Optik des Korrespondenten) transparent gemacht wurde.
In Anbetracht der Relevanz und der Emotionalität des Themas möchten wir einige persönliche Ausführungen unseres Korrespondenten Christof Franzen voranstellen, in denen er den Kontext, in dem er vor Ort arbeitet, verständlich macht:
«Die Berichterstattung über die Ukraine ist eine grosse Herausforderung. Einerseits wegen der Komplexität, andererseits weil es kaum ruhige Phasen gibt. Gross-Ereignisse, wie zum Beispiel der Abschuss des Malaysia Air Flugzeuges letzten Juli oder die kürzliche Ermordung des russischen Oppositionellen Boris Nemzow (ein scharfer Kritiker der russischen Ukraine Politik – ein mögliches Motiv für seine Ermordung), fordern einen stets aufs Neue, und parallel dazu gilt es, die grossen Zusammenhänge im Blickwinkel zu behalten. Jedes Ereignis wirft neue Fragen auf.
Begonnen hat das bereits im Herbst 2013 mit der Frage der Ausrichtung der ukrainischen Politik und Wirtschaft. In wieweit widerspricht das Assoziierungs- und Freihandelsabkommen EU-Ukraine bestehenden Abkommen zwischen Russland-Ukraine? Sollte man Russland einbeziehen oder waren das Verhandlungen zwischen (souveränen) europäischen Staaten und der Ukraine?
Dann die Demonstrationen auf dem Maidan. Wieviel Gewalt darf eine Regierung anwenden? War der Abgang des Präsidenten Wiktor Janukowitsch ein bewaffneter Staatsstreich oder die legitime Vertreibung eines korrupten Herrschers durch sein Volk? Wurde Janukowitsch überhaupt vertrieben oder ist er geflüchtet, weil sein Umfeld, insbesondere die Sicherheitskräfte, ihn einfach fallen gelassen hatten?
Die Krim-Annexion: Eine Okkupation, mit der massiv internationales und ukrainisches Recht verletzt wurde oder die legitime Selbstbestimmung einer Nation, respektive der Krim-Bevölkerung?
Die Volks-Aufstände im Osten der Ukraine. Echt oder inszeniert? Welches ist die Rolle des Westens aber auch die Rolle Russlands? Ist es inzwischen ein Bürgerkrieg oder ein Krieg zwischen Russland und der Ukraine?
Auch die Wortwahl stellt eine Herausforderung dar. Sind die bewaffneten Män-ner und Frauen in Donezk Separatisten, Rebellen, Terroristen (Sprachgebrauch in Kiew) oder Mitglieder der Volkswehr (Selbstbezeichnung)?
Der russische Generalstabs-Chef Walerij Gerassimow hatte in einer Rede im Januar 2013 gesagt, Kriege würden im 21. Jahrhundert «nicht mehr erklärt» und sie verliefen nach einem «ungewohnten Muster». Politische Ziele seien nicht mehr allein mit konventioneller Feuerkraft zu erreichen, sondern durch den «breit gestreuten Einsatz von Desinformationen, von politischen, ökonomischen, humanitären und anderen nichtmilitärischen Maßnahmen, die in Verbindung mit dem Protestpotential der Bevölkerung zum Einsatz kommen». Der russische Begriff dafür ist «nichtlineare Kriegsführung», die Nato spricht von hybrider, also gemischter Kriegsführung. (Auszug aus Artikel der Frankfurter Allgemeinen).
Genau diese hybride Kriegsführung stellt grosse Herausforderungen an uns Berichterstatter. Es ist bekannt, dass die Wahrheit das erste Opfer eines Konflikts ist und sie ist weder schwarz noch weiss. Es gibt viele Fragen, wo man je nach politischer Einstellung ganz unterschiedlicher Meinung sein kann. (z.B. ob die EU-Osterweiterung oder die Partnerschaftsabkommen mit Ex-UdSSR Staaten gut oder schlecht sind etc.) Im ukrainischen Konflikt gibt es aber meiner Meinung nach klar erkennbare hellere und dunklere Grautöne. Zu den dunkleren gehört die Tatsache, dass Russland die – von ihm als OSZE-, UNO- und Europarats-Mitglied mehrmals garantierten – Souveränitätsrechte der Ukraine massiv verletzt hat. In meiner Berichterstattung versuche ich täglich, eben diese Grauzonen, und zwar alle und auf beiden Seiten, zu benennen und auszuleuchten. Wichtig ist für mich aber dabei, die Wahrheit nicht in der Mitte suchen zu wollen, sondern dort, wo ich sie am ehesten vermute.
Wie geht man mit einer solchen Herausforderung als Korrespondent um? Viel lesen, lesen, lesen ... von den ständig neuen Twitter-Meldungen aus der Front bis zu Sachbüchern. Gespräche führen, mit möglichst vielen Vertretern aller Parteien. Dank der Schweizer OSZE-Präsidentschaft letztes Jahr hatte ich zudem – oft im Rahmen von Off-the-record-Gesprächen – exzellente Informationsquellen.
Reisen vor Ort, ins Konfliktgebiet sind das zentrale Element. Ich war seit Konfliktbeginn oft in der Ukraine, in fast allen Landesteilen, aber meistens im Donbas; auch noch kurz vor Erscheinen des DOK-Filmes.
Zusammenfassend gesagt: Ich habe sehr viel Zeit aufgewendet und erhebliche Risiken in Kauf genommen, um dem Schweizer Publikum ein möglichst vielschichtiges und facettenreiches Bild dieses Konfliktes zu zeichnen. Selbstverständlich geschehen unter so intensiven Arbeitsbedingungen auch Fehler oder Falscheinschätzungen. Aber nachdem ich meinen Dokumentar-Film nochmals intensiv von Anfang bis zum Schluss angeschaut habe, kann ich guten Gewissens hinter jedem einzelnen Satz stehen und die entsprechende Recherche dahinter – falls erforderlich – nachzeichnen.»
Soweit der Autor des Films, Christof Franzen, über den grösseren Entstehungskontexts des Films. Nun zu den Kritikpunkten von Frau X im Einzelnen:
«Ich finde es fahrlässig und irreführend, dass die Beteiligung der USA an den Mai-dan-Protesten mit keinem Wort erwähnt wurde.
Man kann in verschiedenen Ländern beobachten, wie die USA politische Umbrüche organisiert und was für Folgen das hat.
Diese Beteiligung ist erwiesen, Frau Nuland und Herr Kerry waren höchstpersönlich auf dem Maidan, dazu gibt es genug Bilddokumente.
Auch, dass die USA Milliarden investiert hat, sagt Frau Nuland selbst.
Obama sagt in einem Interview mit BBC am 31. Januar 2015, dass die USA Putin mit ihrem «Power Change» überrascht haben.
Dieser Aspekt ist zu wichtig als dass er einfach verschwiegen werden darf.
Stattdessen bleibt die SRF DOK Sendung bei inzwischen längst überholten Behauptungen zum Maidan.
Es wird gesagt, dass Demonstranten von «Snipern» beschossen wurden und dass die Polizei verdächtigt wird. Inzwischen gilt dies als mehr als unwahrscheinlich, da auch Polizisten von denselben Snipern erschossen wurden. Nachzulesen in verschiedenen Quellen, beispielsweise der BBC vom 12.02.2015, aber auch in früheren Berichten zum Beispiel ARD Monitor vom 10.04.2014.»
Wir haben uns im äusserst kurz gehaltenen Rückblick an die wichtigsten, zentralen Fakten gehalten:
Der Protest auf dem Maidan begann am 21. November 2014, abends mit wenigen Hundert Personen. (https://www.youtube.com/watch?v=MqxG9zISsP0)
Das war wenige Stunden nachdem der ukrainische Ministerpräsident Mykola Asarow bekannt gegeben hatte, die Vorbereitungen zur Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens mit der Europäischen Union auszusetzen. Dies wiederum war eine Folge davon, dass Russland einerseits massiv Druck ausgeübt hatte (Handelsembargo), aber auch mit viel Geld lockte (15 Milliarden Kredit). Dass er auf Druck Russlands nachgeben musste, sagte der ukrainische Präsident Janukowitsch u.a. in einem Gespräch mit Angela Merkel am 29. November in Litauen.
(https://www.youtube.com/watch?v=1QNFDPcPm3U; http://www.faz.net/aktuell/politik/europaeische-union/gipfeltreffen-in-vilnius-eu-verbittet-sich-einmischung-moskaus-12686503.html)
Nach wenigen Tagen ging die Regierung gewaltsam gegen die Demonstranten vor. Professor Ulrich Schmid von der Universität St. Gallen schreibt in einer Arbeit: «In the night between November 29th and 30th, Independence Square was cleared by the police with brutal force – allegedly so that the Kiev municipal services could put up a large Christmas tree.»
Das wurde im Film so erwähnt; aber auch, dass sich danach immer mehr radikalere Demonstranten – die teils auch bewaffnet waren – auf dem Maidan breit machten.
Wir sind auf die äusseren Einflüsse der Maidan-Bewegung nicht eingegangen; auch auf die umstrittenen Besuche westlicher Aussenminister auf dem Maidan nicht. Sonst hätte man hier ein ganz neues Thema aufmachen müssen: Nämlich die Frage, ob und wie weit die EU und/oder die USA – abgesehen von «moralischer» Unterstützung – am Maidan beteiligt waren und gleichzeitig auch, inwieweit russische Kräfte dort aktiv waren. Das wäre Thema eines ganzen Filmes.
Zu den von Frau X erwähnten «USA Milliarden», die die USA laut Frau Nuland investiert hätten: In Russland aber auch im Donbas ist oft zu hören, die Vereinigten Staaten hätten die Maidan-Bewegung mit fünf Milliarden Dollar unterstützt. Hier ist, was Frau Nuland tatsächlich gesagt hat:
«Since the declaration of Ukrainian independence in 1991, the United States supported the Ukrainians in the development of democratic institutions and skills in promoting civil society and a good form of government – all that is necessary to achieve the objectives of Ukraine’s European. We have invested more than 5 billion dollars to help Ukraine to achieve these and other goals.» Nuland said the United States will continue to «promote Ukraine to the future it deserves».
(http://www.youtube.com/watch?v=2y0y-JUsPTU#t=505).
Dass es sich bei den fünf Milliarden Dollar nicht um Unterstützung für die Maidan-Bewegung handelte, sondern um Reform-Hilfen seit 1991, hat letzten Sommer – in Anlehnung an Frau Nuland – zum Beispiel auch die staatliche russische Nachrichtenagentur Sputink (früher Rian) gemeldet: «Die USA haben die Protestaktionen, die im November 2013 in Kiew begannen, nicht finanziert, sagte die Europa- und Asien-Beauftragte des US-Außenamtes, Victoria Nuland, als sie Journalistenfragen bei einem Briefing in der ukrainischen Hauptstadt beantwortete. «Insgesamt hat es eine Nullunterstützung des Mai-dans durch die USA gegeben», sagte Nuland. Zugleich hätten die USA der Ukraine regelmäßig bei der Durchführung von Schlüsselreformen geholfen, so Nuland. Seit 1991 habe sich diese Hilfe auf rund fünf Milliarden Dollar beziffert.» (http://de.sputniknews.com/german.ruvr.ru/news/2014_06_10/Die-USA-haben-Euromaidan-nicht-bezahlt-und-beabsichtigen-nicht-ihre-Raketenabwehr-in-der-Ukraine-zu-stationieren-3000/)
Wir können an dieser Stelle nicht die amerikanischen Reform-Hilfen beurteilen. Auch die Schweiz investiert Geld in «democracy building», «good governance», etc. in einer Vielzahl von Ländern. Wir stellen aber fest, dass sich diese Falsch-Information: «5 Milliarden Dollar für Maidan Proteste» hartnäckig hält – in Russland, im Konfliktgebiet, aber offenbar auch bei uns in der Schweiz.
Frau X schreibt weiter:
Es wird gesagt, dass Demonstranten von «Snipern» beschossen wurden und dass die Polizei verdächtigt wird. Inzwischen gilt dies als mehr als unwahrscheinlich, da auch Polizisten von denselben Snipern erschossen wurden. Nachzulesen in verschiedenen Quellen, beispielsweise der BBC vom 12.02.2015, aber auch in früheren Berichten zum Beispiel ARD Monitor vom 10.04.2014.
Diese Aussage von Frau X ist nicht korrekt. Es gibt keinen Zweifel, dass am 20. Februar Einheiten der ukrainischen Spezialtruppen «Berkut» auf die Demonstranten geschossen haben (hier eines von vielen Videos. Die Schützen in Schwarz mit gelben Armbinden:
https://www.youtube.com/watch?v=qSvj8F_Br4M).
Richtig ist, und wir nehmen an, das meinte Frau X: Es wurden tatsächlich Polizisten erschossen, und es ist bis heute offen, wer geschossen hat und warum. Die Anschuldigungen liegen weit auseinander und niemand (auch nicht die von Frau X erwähnten Berichte) konnte das bis heute abschliessend klären.
Die entscheidenden Fakten wurden im Film genannt: a) auch Demonstranten waren vereinzelt bewaffnet und b) über die Hintergründe gibt es bis heute viele offene Fragen.
Im Film wurde nicht der Regierung die Schuld zugewiesen, sondern gesagt, dass diese «am Pranger stand». Dazu schreibt Christof Franzen: «Ich kann das bis heute – als einer der vor Ort war – bezeugen. Das ganze System Janukowitsch ist nach dem Massaker zusammengebrochen wie ein Kartenhaus. Er stand in der Verantwortung – zu Recht oder nicht, bleibt offen.»
(http://www.srf.ch/news/international/pfiffe-und-buhrufe-auf-dem-maidan)
Der nächste Kritikpunkt von Frau X:
Im Gegensatz dazu wird in der DOK Sendung mehrfach behauptet, dass sich Russische Truppen in der Ukraine befinden. Das konnte die OSZE bis heute nicht bestätigen. Es handelt sich dabei um eine pure Behauptung ohne jeglichen Beleg.
Zum Hintergrund der OSZE-Beobachter-Mission schreibt Christof Franzen:
«Es ist praktisch ausgeschlossen, dass diese jemals die Präsenz russischer Truppen beweisen kann, solange Russland dies bestreitet. Das ist rein schon vom Mandat her kaum möglich. Die OSZE kann zum Beispiel sagen (und das tut sie auch), dass «Uniformierte» die Grenze von Russland in die Ukraine übertreten haben; sie kann auch die Uniformen beschreiben etc. Aber sie wird und darf nicht sagen: Das sind russische Truppen oder russische Waffen. Die OSZE schreibt in ihren täglichen Berichten (die ich abonniert habe und regelmässig lese...) auch nicht, wer auf wen schiesst. Es stehen dort aber Informationen wie: «ausgehendes Artillerie Feuer aus Richtung Nord-Ost-Ost ...». Die Interpretation, wer dann geschossen hat, bleibt beim Leser / der Leserin. Die OSZE-Grenzüberwachungsmission an der russisch-ukraini-schen Grenze darf lediglich zwei Grenzübergänge bewachen und die wenigen Beobachter dürfen nicht einmal Feldstecher benutzen! (Zumindest war das letztes Jahr noch so...). Das heisst: Mehrere Hundert Kilometer russisch-ukrainische Grenze (also das Grenzgebiet zwischen Russland und denjenigem ukrainischen Grenz-Teil, der von den prorussischen Separatisten besetzt ist) werden von der OSZE nicht kontrolliert! Trotz entgegengesetzter Abmachung im Minsker Abkommen.»
Zu den russischen Kämpfern:
Dass russische Staatsbürger in der Ostukraine kämpfen, wird von Russland nicht bestritten; entsprechende Aussagen gibt es unter anderem von Aussenminister Segej Lawrow oder vom UNO-Botschafter Witalij Tschurkin.
Im DOK-Film heisst es dazu:
«Die Stimmung bei den (ukrainischen) Kämpfern ist gut. Es ist Juli. Die Ukrainer stehen vor der Einnahme von Donezk. Im August wird die ukrainische Offensive dann aber jäh gestoppt. Höchstwahrscheinlich durch einen Grosseinsatz russischer Soldaten. Der Kreml bestreitet dies.»
Hierzu schreibt Christof Franzen:
«Ich mache kein Geheimnis daraus, dass ich keinen Zweifel über die Präsenz regulärer russischer Truppen in der Ukraine habe. Ich könnte hier mehrere Seiten darüber schreiben, beschränke mich auf ein paar Gedanken und «Indizien».
Bei der Krim-Besetzung hatte Präsident Putin die Präsenz russischer Truppen zuerst geleugnet, Wochen später dann zugegeben.
Seit Konfliktbeginn beklagen sich ukrainische Kämpfer und ukrainische Soldaten (auch im Gespräch mit uns) immer wieder, dass sie in Sachen Waffen und Waffentechnik dem Gegner masslos unterlegen seien. Die prorussischen Separatisten ihrerseits behaupten aber, dass sie nur von den Ukrainern eroberte Waffen zur Verfügung hätten.
Der Kriegsverlauf: In den Monaten Juni und Juli eroberten die ukrainischen Einheiten Schritt für Schritt des «besetzten» Terrains zurück; insgesamt 75 Prozent. Der damalige «Verteidigungsminister der Republik Donezk», Strelkow, schrieb seinerzeit, die Separatisten könnten nur durch einen Einmarsch regulärer russischer Truppen gerettet werden. In der zweiten August-Hälfte hat sich der Konflikt-Verlauf innert Tagen radikal geändert; ein guter Teil der ukrainischen Armee war auf einmal in der Stadt Illowajsk eingekesselt; Hunderte Ukrainer kamen ums Leben. Bis September waren laut Präsident Poroschenko 65 Prozent der ukrainischen Militärtechnik zerstört. Eine solch radikale Wende ist ein starkes Indiz für den Einmarsch grosser russischer Truppen-Verbände.
Irgendwann konnten weder der Kreml noch die Separatisten verheimlichen, dass russische Soldaten in der Ost-Ukraine kämpfen. Ganz einfach, weil dort russische Soldaten in Gefangenschaft gerieten oder starben. Schrittweise haben der Kreml und Präsident Putin persönlich ihre Argumentation angepasst. Zuerst hiess es, russische Soldaten hätten sich in der Ukraine verlaufen (http://derstandard.at/2000004764609/Russland-Soldaten-verirrten-sich-in-die-Ukraine); später gab man zu, dass tatsächlich russische Soldaten in der Ukraine sind, aber als «Freiwillige» während ihres «Urlaubes» (http://www.zeit.de/politik/ausland/2014-09/russland-soldaten-ukraine-staatsfernsehen). Was der Kreml bis heute nicht beantworten konnte, ist die Frage, warum diese Freiwilligen modernstes russisches Kriegsgerät über die Grenze in ihren «Ukraine-Urlaub» mitnehmen dürfen.
(http://www.businessinsider.com/russian-weapons-separatists-using-in-ukraine-2014-11?op=1).
Als ein Beispiel unter vielen sei hier nur der russische Panzer T72-B erwähnt, über den die Separatisten verfügen – obwohl die Ukraine niemals solche Modelle gekauft hatte. (http://www.reuters.com/article/2014/10/23/us-ukraine-crisis-tanks-exclusive-idUSKCN0IC1GE20141023)
Dazu: eine Vielzahl von Medienpublikationen, in denen Verwandte russischer Soldaten, oder russische Soldaten selber, von ihren Einsätzen in der Ukraine erzählen. Auch in den russischen Social Media sind viele Angaben dazu zu finden.
§ Artikel mit konkreten Beispielen russischer Soldaten in der Ukraine erscheinen auch in russischen Zeitungen, vor allem in Blättern wie Nowaya Gazeta oder Kommersant.
§ http://www.kommersant.ru/doc/2671088?isSearch=True, (hier wird u.a. beschrieben, dass in der Regel russische Truppen kämpfen; und dann, sobald das Gebiet für Journalisten wieder zugänglich ist, einheimische Kämpfer an den Strassensperren etc. aufgestellt werden.
§ http://www.nzz.ch/international/wir-wussten-es-geht-in-die-ukraine-1.18494340 (mit Bezug auf Nowaya Gazeta)
§ Berichte NATO und EU
§ Berichte der bekannten russischen NGO «Soldaten-Mütter».
§ Eigene Recherchen (zum Beispiel Gespräche mit Mitarbeitern des Moskauer Militärspitals...).»
Der letzte Vorwurf von Frau X:
Dazu kommt die Andeutung, dass «Russen» hinter dem Beschuss des Busses im Januar 2015 mit mehreren Toten stecken sollen. Diese Behauptung habe ich in DOK zum ersten Mal gehört. Ich habe danach im Internet recherchiert und keinerlei Hinweis dazu gefunden. Ich gehe davon aus, dass diese These auf der Phantasie des DOK-Journalisten beruht.
Dazu Christof Franzen:
«Beim hier erwähnten «Beschuss» handelt es sich um die Explosion von Minen-Geschossen am 22. Januar an einer Bushaltestelle im Süden der Stadt Donzek. Das war ein Schock für die Bevölkerung, weil es in diesem Stadtteil davor monatelang ruhig gewesen war. Der Grund für diese relative Ruhe war die Stationierung von ukrainischen Artillerie-Waffen in Flughafennähe, ausserhalb der nördlichen Stadtgrenze und somit in grosser Entfernung zum Ort, wo der Beschuss des Busses stattgefunden hatte. Es war von der Distanz her unmöglich, dass ukrainische Truppen von dort aus mit einem Minenwerfer die Bushaltestelle hätten beschiessen können. Das haben mir vor Ort auch prorussische Kämpfer bestätigt.
Die (pro-)russische Seite machte ukrainische Saboteure für solche Taten verantwortlich, wie diese Meldung von Interfax zeigt.
UKRAINE-DONETSK-MILITIAS
02/08/2015 1:30:56 PM MSK
Ukrainian army actively deploys sabotage intelligence groups – Donetsk militia
DONETSK. Feb 8 (Interfax) – The Ukrainian government forces have begun an active practice of deploying sabotage intelligence groups in the Donetsk and Luhansk People's Republics (DPR and LPR, respectively), DPR defense spokesman Eduard Basurin told reporters on Sunday. ... Their mission is not only to correct artillery and carry out mortar strikes, but also to intimidate the local population.»
Schwer verständlich war für mich bei diesem Angriff (und am Tag zuvor bei der Explosion vor einem Krankenhaus), wieso die Ukrainischen Truppen zivile Ziele, ja sogar direkt Zivilisten, beschiessen sollten. Die einzige mögliche Erklärung waren Fehlschüsse. Auch von den prorussischen Separatisten, zumindest von den einheimischen Kämpfern, ist so etwas nicht zu erwarten. Ich hatte aber in der Region oftmals, unter anderem auch von unserer Protagonistin Anastasia, gehört, dass man irgendwelche «dritten Kräfte» verdächtigt, auf beide Parteien zu schiessen. Im Gegensatz zu dem, was Frau X schreibt, gibt es dazu durchaus sehr viele Informationen im Internet. Viel dazu wurde allerdings auf Russisch oder Ukrainisch publiziert.
Am 28. Januar wurde auf einer der wichtigsten Informations-Plattformen der prorussischen Separatisten «Volkswehr Neurussland» (vk.com_strelkov_info) eine Meldung publiziert, wonach die prorussischen Streitkräfte eine Sabotage-Gruppe des Gegners verhaftet habe. Drei Männer, unterwegs mit einem Auto, hätten mit Minenwerfern in der Stadt geschossen. Alle drei seien russische Staatsbürger (aus der Krassnodarsker Region). Diese Meldung wurde u.a. von der russischen Nachrichtenagentur Ria Novosti aufgenommen und weiterverbreitet.
(http://rian.com.ua/incidents/20150129/362713016.html)
Die prorussische Seite bestätigt also die Präsenz russischer Saboteure, die mit Minenwerfern auf Gebäude schiessen. Auftrag und Hintergrund sind aber umstritten.»
Dies die Ausführungen von Christof Franzen zur Explosion von Minengeschossen an einer Bushaltestelle im Süden von Donezk. Im Film wird diesbezüglich Folgendes gesagt:
Sind wir noch am gleichen Tag zufällig Zeugen einer solchen Tat geworden? In einem bisher sicheren Stadtteil explodieren mehrere Minen-Geschosse neben einem Bus. Über ein Dutzend Menschen sterben. Die ukrainischen Artillerie-Posi-tionen können es nicht gewesen sein; die sind zu weit weg. Dennoch machen die russischen Fernsehsender unverzüglich die Ukrainer für den Anschlag verantwortlich.
Die Separatisten zerren ukrainische Gefangene an den Unglücksort. Zur Aufhetzung der Bevölkerung. Das geschieht regelmässig. Verstösst aber gegen die Genfer Konventionen.
Der ukrainische Geheimdienst berichtet von russischen Sondereinsatz-Gruppen, die in Donezk auf Wohngebäude schiessen. Aussage gegen Aussage, einmal mehr. Ich frage mich: Gibt es Kräfte, die ein Interesse daran haben, Ukrainer gegen Ukrainer aufzuhetzen?
Wir halten diese Formulierung für korrekt. Von einer «Behauptung» und von einer These, die «auf der Phantasie des Dok-Journalisten beruht» (Zitat Frau X), kann keine Rede sein.
Den Vorwurf der tendenziösen Berichterstattung weisen wir in aller Form zurück. Unser Korrespondent Christof Franzen hat sich vor Ort ein unabhängiges Bild der Situation gemacht, unterschiedlichste Positionen zu Wort kommen lassen und Fragen gestellt, wo es keine klaren Antworten gibt.
Wir beantragen, die Eingabe in diesem Sinne abzulehnen.“
3. Soweit die sehr ausführliche Stellungnahme der Verantwortlichen von „DOK“. Nachdem ich den Film „Ukraina – Tagebuch aus einem zerrissenen Land“ sehr genau analysieren konnte, scheinen mir die Argumente von Herrn Marius Born und Frau Belinda Sallin sowie diejenigen des Autors Christof Franzen sehr plausibel zu sein. Um Wiederholungen zu vermeiden, kann ich mich in meiner eigenen Beurteilung sehr kurz halten.
Eine Vorbemerkung scheint mir trotzdem wichtig zu sein. Sie verlangen ausdrücklich, dass die Medien mit ihrer Berichterstattung zu Kriegssituationen vorsichtiger sein müssen und aus den Lügen, die uns in den letzten Jahren nachweislich aufgetischt wurden, die nötigen Lehren ziehen.
Ihre Sorge finde ich sehr berechtigt. Denn Sie sind sicher mit mir einig, dass die heutigen Konflikte von einem wahren „Informationskrieg“ begleitet werden. Sei es im Irak oder in Syrien, in Gaza oder eben in der Ukraine, die Konfliktparteien liefern ständig gegenteilige Informationen sowie umstrittene „Beweise“, welche eher als „Desinformation=Propaganda“ anzusehen sind. Im Fall Ukraine betrifft dies bei weitem nicht nur die russische Seite. Wie von Herrn Franzen offen betont, macht dies die Arbeit auch der Journalisten vor Ort besonders schwierig. Sie müssen ständig bemüht und gewillt sein, den Wahrheitsgehalt der offiziellen Informationen zu überprüfen und, wenn dies nicht möglich ist, vorsichtig zu berichten.
Dies ist meines Erachtens in dem von Ihnen beanstandeten DOK-Film eindeutig der Fall gewesen. Sie monieren, dass die Beteiligung der USA an den Maidan-Protesten mit keinem Wort erwähnt wurde. Gewiss, über die Rolle der USA und von anderen Westmächten sowie über die tödlichen Einsätze von Scharfschützen gegen Maidan-Demonstranten hätte man zusätzliche Informationen erwarten können. Immerhin wurde im Kommentar unterstrichen, dass radikale Demonstranten, unter ihnen auch bewaffnete, auf dem Maidan anwesend waren. Auch bezüglich der Anwesenheit von russischen Truppen in der Ukraine wurde lediglich gesagt, dass dies „höchstwahrscheinlich“ sei und vom Kreml bestritten werde.
Doch weder die Ereignisse am Maidan noch die Präsenz von russischen Truppen oder auch der Beschuss eines Busses im Donbass waren eigentliches Thema des Filmberichtes. Es ging vielmehr um die Menschen, die sich in dieser schwierigen Situation im Lande zurechtfinden müssen. Dies wurde bereits zu Beginn des Filmes transparent vermittelt: „Wie erleben die Menschen in der Ukraine den Krieg in der Heimat? Dieser Frage will ich nachgehen“, kündigte Autor Christof Franzen an. In seinem „Tagebuch aus einem zerrissenen Land“ begleitet Christoph Franzen über Monate hinweg verschiedene Menschen im Westen und im Osten der Ukraine.
Seine Schilderungen und Beobachtungen über den nationalistischen Freiwilligenkämpfer Oleksij, die junge prorussische Aktivistin Anastasia sowie den Familienvater Wladimir, der in der Masse von Propaganda und Lügen nach der Wahrheit sucht, sind eindrücklich. Daraus ist ein Filmdokument entstanden, das keineswegs als „tendenziös“ oder als „Propaganda“ angesehen werden kann. Im Gegenteil: es wurde stets vermieden, die „Schuldigen“ für diesen Krieg zu suchen, sondern es wurde vor allem versucht, die Motivation und das Leiden der Leute zu zeigen.
Aus dem Gesagten ergibt sich, dass meiner Meinung nach der DOK-Film geradezu die von Ihnen zu Recht geforderte Sachlichkeit der Berichterstattung erfüllt. Ihre Beanstandung, soweit ich darauf eintreten konnte, beurteile ich deshalb als unberechtigt.
4. Ich bitte Sie, das vorliegende Schreiben als meinen Schlussbericht gemäss Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes RTVG entgegenzunehmen. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen UBI (Monbijoustrasse 54A, Postfach 8547, 3001 Bern) orientiert Sie der beiliegende Auszug aus dem Bundesgesetz über Radio und Fernsehen.
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