«Tagesschau»-Beitrag über Auseinandersetzungen in der Ost-Ukraine beanstandet (Ukraine-Konflikt 2)

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Mit E-Mail vom 17. Februar 2015 haben Sie die Berichterstattung der Tagesschau über die Ukraine, namentlich die Tagesschau vom 17. Februar beanstandet. Den Erhalt Ihrer Eingabe habe ich mit meinem Brief vom 25. Februar bereits bestätigt.

Wie üblich, habe ich die Verantwortlichen von SRF gebeten, zu Ihren Kritiken Stel­lung zu beziehen. Dies ist erfolgt und in der Zwischenzeit habe ich die von Ihnen kritisierte Sendung sehr genau angeschaut. Ich bin somit in der Lage, Ihnen heute meinen Schlussbericht zu senden.

1. Sie begründen Ihre Beanstandung wie folgt:

„Seit mehreren Monaten und vor allem in den letzten Tagen werden in der Tagesschau-Hauptausgabe immer wieder ostukrainische resp. russische Terroristen interviewt, die ihre Ansichten (unkommentiert) verbreiten dürfen, während die ukrainische Seite oder Bevölkerung kaum zu Wort kommt. Gerade in den Ausgaben von heute 17. Februar und den vorhergehenden Tagen war dies sehr frappant. Dies erachte ich als nicht objektiv. Aufgrund der einseitigen Gewichtung von Wortmeldungen der Kriegsparteien in Ihrer Sendung werden die Rollen von Opfer und Täter vertauscht. Wer in diesem Konflikt der Aggressor ist, sollte seit dem Scheitern von Minsk II auch dem letzten Demokraten klar sein. Der Tatsache, dass eine grosse Mehrheit der Bevölkerung in der Ukraine nicht Russlands Knechte sein wollen, wird durch Ihre Berichterstattung kaum Rechnung getragen.“

2. Wie bereits erwähnt, haben die Verantwortlichen von SRF zu Ihren Kritiken Stellung bezogen. Ich möchte Ihnen das Schreiben von Herrn Franz Lustenberger, Stv. Re­daktionsleiter der Tagesschau, nicht vorenthalten. Er schreibt Folgendes:

„In seiner Eingabe vom 17. Februar 2015 kritisiert Herr X die Berichterstattung der Tagesschau zur Krise und den militärischen Auseinandersetzungen im Osten der Ukraine. Er schreibt von ‚ostukrainischen, respektive russischen Terroristen’, die ihre Ansichten unkommentiert verbreiten dürften.

Die Tagesschau hat seit dem Ausbruch des Konfliktes vor mehr als einem Jahr – gerade jetzt Mitte Februar jährt sich die Annexion der Krim durch Russland – immer beide Seiten zu Worte kommen lassen. Sie hat über die militärische Lage am Boden, über die diplomatischen Bemühungen wie auch über die Leiden der Bevölkerung ausführlich berichtet – und zwar in Filmbeiträgen wie auch in live-Gesprächen mit den Korrespondenten Peter Gysling, Christof Franzen und Christoph Wanner. Sie alle haben sich seit Beginn des Konfliktes mehrmals im Krisengebiet aufgehalten und haben mit tausenden von Leuten gesprochen.

Die Mehrzahl der Zuschauerzuschriften und auch der Eingaben an die Ombudsstelle werfen der Tagesschau vor, Russland-kritisch und ‚Putin-feindlich’ zu sein. Die Tagesschau würde den Volkswillen der russisch-sprachigen Bevölkerungsmehrheit in der Krim (Frühling 2014) und in der Ostukraine missachten.

In der Ostukraine handelt es sich um einen Konflikt zwischen dem Staat Ukraine und einer regionalen Minderheit, die vom Nachbarstaat Russland unterstützt wird. Entsprechend spricht die Tageschau in ihren Texten von ‚russischen Separatisten’, von ‚von Russland unterstützten Separatisten’, von ‚von russischen Kämpfern unterstützten Separatisten’ oder (wenn es eindeutige Hinweise gibt) von ‚von der russischen Armee unterstützten Separatisten’. Die Tagesschau ist der Ansicht, dass diese Begriffswahl klar macht, wie die Konfliktlinien verlaufen.

Zur konkreten Berichterstattung am 17. Februar:

Gleich in der ersten Moderation wird gesagt, dass wegen des Einmarsches der russischen Separatisten in die Stadt Debalzewe der Friedensplan von Minsk gefährdet sei. (Nur nebenbei bemerkt – die Tagesschau verwendet die ukrainische Schreibweise Debalzewe und nicht die russische Schreibweise Debalzewo.) Im Bericht selber wird die militärische Lage beschrieben, wobei der Sprecher der ukrainischen Armee diese Kämpfe und die Einnahme der Stadt bestätigt. Dies im Widerspruch zum Minsker Abkommen, das für diesen Tag den Beginn des Abzugs schwerer Waffen vorgesehen hatte.

Im zweiten Beitrag, einer Reportage aus dem Gebiet der Separatisten, schildert Korrespondent Christof Wanner das Erlebte. Diese Reportage ist bereits in der Anmoderation als solche angekündigt: ‚... heute hat er sich im Gebiet der Separatisten umgesehen’. Für den Zuschauer ist damit klar und transparent, woher diese Reportage kommt.

Bereits im ersten Bild wird klar, dass die russischen Separatisten in der Offensive sind, mit gehisster russischer Fahne. Dann erklärt ein Kämpfer Ziel und Motiv der Offensive; ein zweiter Kämpfer gibt offen zu, dass der Waffenstillstand nur geschlossen wurde, ‚um frische Kräfte an die Front zu führen’. Dies ist einer der seltenen Momente der Ehrlichkeit in den Aussagen beider Konfliktparteien.

Dann erklärt ein Kommandeur der pro-russischen Separatisten seinen Hass. Diese Ehrlichkeit in den Drohungen mag irritieren, sie vermittelt dem Zuschauer auch ein Bild der wirklichen Verhältnisse und Emotionen. Diesem Hass setzt unser Korrespondent Kinderzeichnungen gegenüber, die von einer ganz anderen Sicht auf den Krieg sprechen, nämlich von einer tiefen Sehnsucht nach Frieden.

Fazit: die Reportage von Christof Wanner aus dem Separatistengebiet vermittelt einen ungeschminkten Eindruck von der militärischen Lage. Er vermittelt die Ansichten der pro-russischen Kämpfer. Er zeigt mit den Kinderzeichnungen aber auch auf, dass die militärische Sicht nicht die einzige ist. Es ist ein Dokument aus dem Kriegsgebiet, zu dem sich der Zuschauer eine eigene Meldung bilden kann, auch weil die Tagesschau bereits in der Anmoderation zum Beitrag auf den speziellen Blickwinkel hingewiesen hat.

Die Tagesschau zitiert in diesem Zusammenhang aus dem Jahresbericht 2015 der Ombudsstelle: ...Ein Thema kann ... aus einem bestimmten Blickwinkel beleuchtet werden, ohne das Gesetz zu verletzen, wenn dies in transparenter Weise geschieht und die wesentlichen Fakten korrekt vermittelt werden.

Die Tagesschau hat transparent über die Reportage informiert; sie hat im ersten Beitrag und auch in der Reportage selber über die tagesaktuellen Fakten (Offensive auf Debalzewe) korrekt berichtet.“

3. Soweit die ausführliche Stellungnahme der Verantwortlichen von SRF. Nachdem ich die Tagesschau vom 17. Februar sehr genau analysieren konnte, scheinen mir die Argumente von Herrn Franz Lustenberger sehr plausibel zu sein. Um Wiederholungen zu vermeiden, kann ich mich in meiner eigenen Beurteilung sehr kurz halten.

Eine Vorbemerkung scheint mir trotzdem wichtig zu sein. Sie sind sicher mit mir einige, dass die heutigen Konflikte von einem wahren „Informationskrieg“ begleitet werden. Sei es im Irak oder in Syrien, in Gaza oder eben in der Ukraine, die Konfliktparteien liefern ständig gegenteilige Informationen sowie umstrittene „Beweise“, welche eher als „Desinformation=Propaganda“ anzusehen sind. Im Fall Ukraine betrifft dies bei weitem nicht nur die russische Seite.

Bei dieser Ausgangslage überrascht es nicht, wenn auch die Berichterstattungen von SRF immer wieder Anlass zu Beanstandungen geben. Meistens wird dabei moniert, SRF und insbesondere die Tagesschau würden einseitig zu Ungunsten von Russland und Präsident Putin berichten.

Sie bilden eigentlich die Ausnahme. Sie monieren, dass SRF allgemein und insbesondere die Tagesschau vom 17. Februar „immer wieder ostukrainische resp. russische Terroristen interviewt, die ihre Ansichten (unkommentiert) verbreiten dürfen“. Sie erachten dies als nicht objektiv.

Ich sehe das anders. Es gehört geradezu zum Informationsauftrag der Tagesschau, über die Ansichten und Haltung beider Konfliktparteien zu berichten. Dies zu tun, bedeutet keineswegs, für die eine oder andere Seite Stellung zu nehmen. Es geht lediglich darum, so umfassend wie möglich über die Lage zu informieren.

Dies war meines Erachtens auch in der Tagesschau vom 17. Februar der Fall. Zwar konnten ausschliesslich pro-russische Separatisten ihre Sicht über die Lage ankündigen und kommentieren. Doch dies geschah in transparenter Weise und die erfolgten Aussagen erachte ich durchaus als sehr wertvoll, um zu beurteilen, ob der Friedensplan von Minsk gefährdet ist oder nicht. Es ging also nicht darum, den russischen Separatisten eine Plattform zu bieten, sondern vielmehr um einen Beitrag für die Einschätzung der damaligen Lage.

Ich gelange daher zur Auffassung, dass sich das Publikum eine eigene Meinung bilden konnte. Das Sachgerechtigkeitsgebot wurde deshalb nicht verletzt. Ihre Beanstandung, soweit ich darauf eintreten konnte, kann ich deshalb nicht unterstützen.

4. Ich bitte Sie, das vorliegende Schreiben als meinen Schlussbericht gemäss Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes RTVG entgegenzunehmen. Über die Mög­lichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen UBI (Monbijoustrasse 54A, Postfach 8547, 3001 Bern) orientiert Sie der beiliegende Auszug aus dem Bundesgesetz über Radio und Fernsehen.

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