«Tagesschau»-Bericht über das Treffen div. Staatspräsidenten in Minsk beanstandet (Ukraine-Konflikt 1)

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Mit E-Mail vom 8. Februar 2015 erachten Sie die Berichterstattung von SRF im Zusammenhang mit dem Bürgerkrieg in der Ukraine als sehr einseitig. Stellvertretend für Ihre Beobachtungen beanstanden Sie die Hauptausgabe der Tagesschau des gleichen Tages. Den Erhalt Ihrer Eingabe habe ich mit meinem Brief vom 9. Februar bereits bestätigt.

Wie üblich, habe ich die Verantwortlichen von SRF gebeten, zu Ihren Kritiken Stel­lung zu beziehen. Dies ist erfolgt und in der Zwischenzeit habe ich die von Ihnen kritisierte Sendung sehr genau angeschaut. Ich bin somit in der Lage, Ihnen heute meinen Schlussbericht zu senden.

1. Sie begründen Ihre Unzufriedenheit wie folgt:

„Mich ärgert die sehr einseitige Berichterstattung des Schweizer Fernsehens (vor allem Tagesschau) im Zusammenhang mit dem Bürgerkrieg in der Ukraine. Wenn ich nicht für das SRF sehr viel Gebühren bezahlen müsste, so würde ich einfach darüber hinwegsehen und ausgewogenere Berichterstattungen von Konkurrenten anschauen. Von einer Premium Nachrichtensendung mit hoher Einschaltquote erwarte ich eine sachliche Berichterstattung, basierend auf fundiert journalistischen Recherchen vor Ort, unabhängig und neutral. Der Korrespondent Christoph Franzen ist mit seinem deutlich erkennbaren Russland Hass die Krönung des Ganzen. Bitte tauschen Sie diesen Herrn aus, er scheint sich in Moskau nicht wohl zu fühlen, seine Tiraden gegenüber dem Kreml sind sehr subjektiv und stark negativ eingefärbt, er scheint frustriert zu sein und beleidigt Russland mit seiner Inkompetenz der lokalen Kultur, Geschichte, Befindlichkeiten und Interessen. Ein grosser Teil seiner Aussagen sind spekulativ und teilweise nachweislich falsch. Er scheint journalistisch, fachlich und emotional überfordert zu sein, ich vermute er spricht kein Russisch, er kann sich somit kein unabhängiges Bild der Lage machen. Stellvertretend für meine Beobachtungen können Sie die Tagessschau Hauptausstrahlung von heute Sonntag 8.2.15 19:30 erachten.“

2. Wie bereits erwähnt, haben die Verantwortlichen von SRF zu Ihren Kritiken Stellung bezogen. Ich möchte Ihnen das Schreiben von Herrn Franz Lustenberger, Stv. Re­daktionsleiter der Tagesschau, nicht vorenthalten. Er schreibt Folgendes:

„In seiner Eingabe per e-mail vom 8. Februar kritisiert Herr X die Ukraine-Berichterstattung der Tagesschau. Er macht dies in einer sehr pauschalisierten Form, auch gegenüber unserem Russland-Korrespondenten Christof Franzen.

Im Folgenden nehme ich zum ‚Ukraine-Teil’ in der Hauptausgabe vom 8. Februar Stellung:

Einleitend wird in der Moderation auf das kommende Treffen der Staatspräsidenten François Hollande, Waldimir Putin, Petro Poroschenko und Kanzlerin Angela Merkel in der weissrussischen Hauptstadt Minsk eingegangen. Dieses Treffen sei eine Chance für Frieden in der Ukraine.

Im Bericht äussern sich die beiden Präsidenten Putin und Poroschenko zu den Bedingungen und den Aussichten dieses zweiten Minsker Treffens. Der Bericht macht klar, um was es insbesondere geht – nämlich um die Frage, inwieweit die Gebiete, welche die von Russland unterstützten Separatisten seit Abschluss des ersten Minsker Abkommens erobert haben, in einem neuen Abkommen berücksichtigt werden sollen oder nicht.

Faktum ist, dass die von Russland unterstützten Kräfte im Osten der Ukraine nach dem Abschluss des ersten Minsker Abkommens weitere Gebiete erobert haben. Aktuellstes Beispiel anfangs Februar war der Kampf um die Stadt Debaltsewo, die dann auch wenige Tage später von den von Russland unterstützten Kräften erobert wurde. Eine klare Missachtung des ersten Abkommens von Minsk vom September 2014 wie auch des späteren zweiten Minsker Abkommens vom Februar 2015.

Im live-Gespräch wird die Frage aufgeworfen, inwieweit die Gesprächsbereitschaft Russlands angesichts weiterer möglicher Sanktionen durch die EU auch taktischer Natur sei. Christof Franzen macht in der Antwort klar, dass diese Frage sehr schwierig zu beantworten sei. Er geht von der Tatsache aus, dass die von Russland unterstützten Separatisten in einer militärisch starken Position sind. Daraus folgert er, dass der Westen und die Ukraine politisch sehr viel anbieten müssten, um eine Änderung der Politik Russlands zu bewirken. Er erwähnt als mögliche Konzession an die Separatisten eine sehr weitgehende Autonomie der Gebiete in der Ostukraine, samt Einfluss (Vetorecht) auf die ukrainische Aussenpolitik. Ein solches Vetorecht würde bedeuten, dass Moskau indirekt über die pro-russischen Separatisten die Aussenpolitik eines souveränen Nachbarstaates ‚mitbestimmen’ könnte.

Christof Franzen erläutert im weiteren, dass die von Russland unterstützten Kräfte jeweils am Boden neue Fakten schaffen. Und zwar immer dann, wenn der Sanktionsdruck nicht hoch ist. Immer dann, wenn die EU über neue Sanktionen diskutiert, signalisiere Präsident Putin Gesprächsbereitschaft. Das Beispiel der eroberten Stadt Debaltsewo im Februar ist ein Beleg für diese russische Taktik.

Die Aussagen von Christof Franzen im live-Gespräch sind begründet. Der Zuschauer kann sich zu diesen persönlichen Einschätzungen eine eigene Meinung bilden.

In einer ausführlichen Stellungnahme zuhanden der Redaktion DOK zu seinem Film über die Ukraine erinnert Christof Franzen an eine Rede des russischen Generalstabs-Chefs Walerij Gerassimow, der im Januar 2013 gesagt hatte, Kriege würden im 21. Jahrhundert ‚nicht mehr erklärt’ und sie verliefen nach einem ‚ungewohnten Muster’. Politische Ziele seien nicht mehr allein mit konventioneller Feuerkraft zu erreichen, sondern durch den ‚breit gestreuten Einsatz von Desinformationen, von politischen, ökonomischen, humanitären und anderen nichtmilitärischen Maßnahmen, die in Verbindung mit dem Protestpotential der Bevölkerung zum Einsatz kommen’. Der russische Begriff dafür ist ‚nichtlineare Kriegsführung’, die Nato spricht von hybrider, also gemischter Kriegsführung. (Auszug aus Artikel der Frankfurter Allgemeinen).

Herr X greift in seiner Beanstandung den SRF-Korrespondenten Christoph Franzen ganz persönlich an – mit pauschalen Vorwürfen und Unterstellungen, die falsch sind: Christoph Franzen lebt seit Jahren in Russland, er ist mit einer Russin verheiratet, er spricht russisch. In seiner ganzen bisherigen Arbeit hat er immer grossen Respekt vor dem russischen Volk und der Kultur gezeigt. Er kennt die russische Seele und weiss um die Befindlichkeiten der Russinnen und Russen, auch angesichts der leidvollen Geschichte im 20. Jahrhundert.

Ein Journalist ist in unserem Verständnis einer freien Medienwelt nie das Sprachrohr einer Regierung. Er berichtet über Fakten, er analysiert das Geschehen, er liefert persönliche und begründete Einschätzungen. Die Tagesschau stellt sich dem Dialog mit kritischen Zuschauern; Voraussetzung ist allerdings eine sachliche und keine polemische Kritik. Ich beantrage, die Eingabe in diesem Sinne abzulehnen.“

3. Soweit die Stellungnahme des Stv. Redaktionsleiters der Tagesschau. Herr Franz Lustenberger argumentiert umfassend, warum seiner Meinung nach Ihre Beanstandung abzulehnen sei.

Geht es nun um meine eigene Beurteilung, so muss ich um Verständnis dafür bitten, wenn es mir nicht möglich ist, auf Ihre schwerwiegenden Kritiken über „die sehr einseitige Berichterstattung des Schweizer Fernsehens (vor allem Tagesschau) im Zusammenhang mit dem Bürgerkrieg in der Ukraine“ einzutreten. Ihre Bemängelungen sind allgemein gehalten und betreffen nicht klar definierte Sendungen.

Auch über Ihre negativen Einschätzungen der Tätigkeit des SRF-Korrespondenten Christoph Franzen kann die Ombudsstelle nicht befinden. Ich habe aber überhaupt keinen Anlass, an den Erklärungen von Herrn Franz Lustenberger zu zweifeln. Dies umso mehr, als Herr Franzen seine umfassenden Kenntnisse über das Geschehen und die Lage in der Ukraine zum Beispiel in seinem DOK-Film, der am 19. Februar ausgestrahlt wurde, beweisen konnte.

Die Ombudsstelle kann dagegen beurteilen, ob die Berichterstattung in der Tagesschau vom 8. Februar die geltenden programmrechtlichen Bestimmungen verletzt hat oder nicht. Dabei scheint mir eine Vorbemerkung wichtig zu sein. Sie sind sicher mit mir einig, dass die heutigen Konflikte von einem wahren „Informationskrieg“ begleitet werden. Sei es im Irak oder in Syrien, in Gaza oder eben in der Ukraine, die Konfliktparteien liefern ständig gegenteilige Informationen sowie umstrittene „Beweise“, welche eher als „Desinformation=Propaganda“ anzusehen sind. Im Fall Ukraine betrifft dies bei weitem nicht nur die russische Seite, was die Arbeit auch der Journalisten vor Ort besonders schwierig macht. Sie müssen ständig bemüht und gewillt sein, den Wahrheitsgehalt der offiziellen Informationen zu überprüfen und, wenn dies nicht möglich ist, vorsichtig zu berichten.

Dies ist meines Erachtens in der Berichterstattung der Tagesschau vom 8. Februar durchaus der Fall gewesen. Es ging dabei um die erfolgreichen Bemühungen von Bundeskanzlerin Angela Merkel und des französischen Präsidenten François Hollande am Rande der Sicherheitskonferenz von München, ein Treffen zwischen den Konfliktparteien in Minsk zu ermöglichen. Ein Treffen der letzten Chance, denn in der Ostukraine werden die blutigen Kämpfe immer heftiger, die EU hat die neuen Sanktionen gegen Russland nur vorläufig auf Eis gelegt und die USA drohen damit, modernere Waffen an die ukrainische Regierung zu liefern. Bei dieser explosiven Situation ging es in der Tagesschau vom 8. Februar darum, die Bereitschaft von Präsident Putin, am geplanten Minsker Treffen teilzunehmen, zu bewerten.

„Wie viel Taktik steht hinter der Teilnahme von Russland an den Gesprächen?“ fragte die Moderatorin. Die Antwort von SRF-Korrespondent Christoph Franzen viel entsprechend vorsichtig aus: „Im Moment ist es schwierig, dies zu beurteilen“, stellte Herr Franzen klar. Er betonte aber, dass die von Russland unterstützten Separatisten aus der Position der militärischen Stärke operieren. Der Westen und die Ukraine müssten deshalb politisch viel anbieten, um eine Änderung der Politik Moskaus zu bewirken. Herr Franzen sah dabei die möglichen Konzessionen in einer weitgehenden Autonomie der Ostukraine.

Für das Publikum war klar, dass es sich um die persönlichen Einschätzungen von Herrn Franzen handelte. In anderen Worten, um einen durchaus zulässigen Kommentar. Dass diese Einschätzungen sich als nicht zutreffend erwiesen haben – in Minsk wurde vor allem ein Waffenstillstand beschlossen und die politischen Folgen für die Ostukraine wurden von den Präsidenten Putin und Poroschenko unterschiedlich interpretiert und sowohl von Frau Merkel wie von Herrn Hollande gar nicht erwähnt –, muss bei der unsicheren Lage am Tag der Ausstrahlung in Kauf genommen werden. Niemand war zu diesem Zeitpunkt in der Lage, vorauszusagen, welche Ergebnisse das Treffen von Minsk erzielen würde. Auch wenn nicht zutreffend, sehe ich die vorsichtige, persönliche Einschätzung von Herrn Franzen in keinem Fall als Beweis für eine anti-russische Haltung.

Ich gelange deshalb zur Auffassung, dass sich das Publikum eine eigene Meinung bilden konnte. Das Sachgerechtigkeitsgebot wurde daher nicht verletzt. Ihre Beanstandung, soweit ich darauf eintreten konnte, kann ich deshalb nicht unterstützen.

4. Ich bitte Sie, das vorliegende Schreiben als meinen Schlussbericht gemäss Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes RTVG entgegenzunehmen. Über die Mög­lichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen UBI (Monbijoustrasse 54A, Postfach 8547, 3001 Bern) orientiert Sie der beiliegende Auszug aus dem Bundesgesetz über Radio und Fernsehen.

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