«Tagesschau»-Beitrag über die Krim-Tataren beanstandet (Ukraine-Konflikt 7)

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Wie bereits in Ihren früheren Eingaben, haben Sie mit E-Mail vom 16. März 2015 erneut die Berichterstattung von Herrn Christoph Franzen kritisiert. Es geht diesmal um den Bericht über die Krim-Tataren in der Tagesschau vom 14. März. Den Erhalt Ihrer Eingabe habe ich mit meinem Brief vom 19. März bereits bestätigt.

Wie üblich, habe ich die Verantwortlichen von SRF gebeten, zu Ihren Kritiken Stel­lung zu beziehen. Dies ist erfolgt und in der Zwischenzeit habe ich die von Ihnen kritisierte Sendung sehr genau angeschaut. Ich bin somit in der Lage, Ihnen heute meinen Schlussbericht zu senden.

1. Sie begründen Ihre Reklamation unter anderem wortwörtlich wie folgt:

„Schon wieder hat Christoph Franzen in der Tagesschau von Samstag 14.03.2015 bewusst mit Fakten manipuliert und verleumderisch gegen Russland seinen Beitrag über Krim gestaltet. Ich werfe Christoph Franzen und Tagesschau SRF die Verleumdung gegen Russland und Krim vor....

Ja es gibt auf der Krim 1 - 4 % Krimtataren, welche zur Ukraine gehören wollten, aber nicht, weil sie Ukraine so gerne haben, sondern weil es von der ukrainischen Regierung immer wieder versprochen wurde, dass Krim Tataren auf der Krim eine islamisch krimtatarische Republik machen konnten.

Für Christoph Franzen existieren nur diese 4 % der Bevölkerung welche gegen Russland spricht. Aber warum berichtet er nicht über 94% der Bevölkerung, welche für Russland sind und positiv über Russland sprechen? Weil es passt für Christoph Franzen und SRF nicht, dass die Mehrheit der Bevölkerung glücklich ist, mit Russland zu sein!“

2. Wie bereits erwähnt, haben die Verantwortlichen von SRF zu Ihren Kritiken Stellung bezogen. Ich möchte Ihnen das Schreiben von Herrn Franz Lustenberger, Stv. Re­daktionsleiter der Tagesschau, nicht vorenthalten. Er schreibt Folgendes:

„In ihrer Eingabe vom 19. März kritisiert Frau X die Berichterstattung über die Krim-Tataren in der Tagesschau vom 14. März. Sie wirft der Tagesschau und ihrem Russland-Korrespondenten Christof Franzen ‚bewusste Manipulation von Fakten’ und die ‚Verleumdung gegen Russland und die Krim’ vor.

Ich habe den Beitrag von Christof Franzen noch einmal ganz genau angeschaut – ich kann in keiner einzigen Sequenz eine Verleumdung Russlands erkennen. Frau X wirft der Tagesschau weiter vor, dass sie nur über die Krim-Tataren berichtet habe.

Die Informationssendungen von SRF haben Mitte Februar in mehreren Sendungen über den Jahrestag des Krim-Referendums berichtet. Dazu die Ergänzungen von Christof Franzen:

‚SRF hat übers Wochenende (und unter meiner Mitwirkung) in mindestens drei Hauptsendungen über den Jahrestag des Krim-Referendums berichtet.

Am Freitag im 10vor10, am Samstag in der Tagesschau und am Montag, dem 16. März und Jahrestag, nochmals in der Tagesschau. Ich denke, man muss dieses Ge­samtpaket beobachten, weil es in einem einzelnen Tagesschau-Beitrag, wie demjeni­gen vom Samstag, schlicht unmöglich ist, alle Aspekte mit einzubeziehen (alle drei erwähnten Beiträge liegen der Ombudsstelle vor)

Im 10vor10-Beitrag vom Freitag wird zum Beispiel aufgezeigt, wie verschiedene Menschen auf der Krim über die heutige Situation denken. Und es wird dort auch gesagt, ‚dass die Zustimmung für die neuen Machthaber gross ist’. Wir zeigen in einer Reportage aus der russischen Provinz, dass viele Menschen trotz Sanktionen etc. noch hinter der Eingliederung der Krim in die Russische Föderation stehen. Nicht zuletzt habe ich in einer Schaltung auch erwähnt, dass derzeit die Ukraine eine unattraktive Alternative ist für viele Einwohner der Krim.

Am Montag wurden dann sogar vor allem die Jubelbilder der prorussischen Anhän­gerschaft gezeigt. Und ich habe in einer Schaltung auf die Gefühlslage auf der Krim hingewiesen, resp. gesagt, dass viel Ernüchterung da ist, aber auch bei vielen Men­schen emotionale Zufriedenheit, zu Russland zu gehören und grosse Hoffnung auf russische Investitionen.’

Frau X kritisiert, dass die Tagesschau nur über die Krim-Tataren berichtet hat. Wie ausgeführt, ist der Beitrag am Samstag Teil eines Beitrag-Paketes, in dem ganz verschiedene Aspekte des Jahrestages des Krim-Referendums aufgegriffen werden.

In der Reportage vom Samstag hat sich Christof Franzen auf die Probleme der Krim-Tataren konzentriert, und hier insbesondere auf die Frage der Menschenrechte. Seine Erläuterung dazu:

‚Es sind anerkannte internationale Menschenrechtsorganisationen, die mehrmals über teils schwere Menschenrechtsverletzungen gegenüber den Krimtataren berichteten (http://www.hrw.org/news/2014/11/17/crimea-human-rights-decline, http://www.swissinfo.ch/ger/oppositionelle-auf-der-krim-werden-laut-amnesty-gefoltert/41330822) aber auch politische internationale Organisationen wie die OSZE (http://www.reuters.com/article/2015/01/26/ukraine-crisis-crimea-tv-idUSL6N0V52E320150126). Ich habe im Beitrag auch kurz die russischen Verspre­chen angesprochen (von denen viele nicht eingehalten wurden). Da ging es nicht zuletzt auch um russisches Geld und es ist sicher eine Tatsache, dass davon auch Tataren profitiert haben.’

Im Beitrag selber wird auch gezeigt, wie eine Filmequipe während des Interviews mit einer Vertreterin des tatarischen Senders ATR von Sicherheitskräften behindert wird. Die Einschüchterung gegen Andersdenkende wird für den Zuschauer sichtbar.

Die Tataren machen anfangs 2014 rund 12 Prozent der gesamten Bevölkerung auf der Krim aus. Im Jahre 1936 (vor dem 2. Weltkrieg und der Deportation durch Stalin) betrug ihr Anteil gemäss der ersten Ausgabe der Grossen Sowjetischen Enzyklopä­die 23,1 Prozent.

Die Zahl von ‚1 bis 4 Prozent Krimtataren, welche zur Ukraine gehören wollten’, ist völlig aus der Luft gegriffen. Nach Angaben des pro-russischen Referendumskomi­tees stimmten im Februar 2014 96 Prozent für den Anschluss an Russland. Es ist mittlerweile bekannt, dass dieser Ja-Anteil wie auch die hohe Wahlbeteiligung ge­fälscht waren.

Es war der Menschenrechtsrat des russischen Präsidenten Putin, der das in einem Bericht darlegte http://www.zeit.de/politik/ausland/2014-05/ukraine-putin-wahlfaelschung, http://www.nzz.ch/aktuell/startseite/krim-referendum-stark-gefaelscht-1.18296089). Und es sei noch hinzugefügt, dass das Referendum auch vom damaligen Bundespräsidenten und OSZE-Vorsitzenden Didier Burkhalter als verfassungs- und völkerrechtswidrig beurteilt worden war.

Das Referendum widerspricht den Grundsätzen der europäischen Nachkriegsord­nung, wie sie in der Schlussakte von Helsinki (Konferenz für Sicherheit und Zusam­menarbeit in Europa KSZE) im Jahre 1975 niedergelegt wurden: ‚Unverletzlichkeit der Grenzen, Territoriale Integrität der Staaten, Friedliche Regelung von Streitfällen, Nichteinmischung in innere Angelegenheiten.’ Die grosse Mehrheit der Tataren auf der Krim hatte das Referendum boykottiert, da sie keine Möglichkeit hatten, für die Beibehaltung des ‚Status Quo’ zu stimmen.

Fazit: Der von Frau X konkret kritisierte Beitrag war in keiner Weise verleumderisch gegenüber Russland. Er griff einen Aspekt heraus, nämlich die Sichtweise einer zahlenmässig relevanten ethnischen und religiösen Minderheit. Zusammen mit allen anderen Beiträgen zum Jahrestag der Annexion der Krim durch Russland hat SRF ein breites, sachliches und ausgeglichenes Bild der Situation auf der Krim vermittelt. Ich beantrage aus diesen Gründen, die Eingabe von Frau X als nicht berechtigt abzuweisen.“

3. Soweit die Stellungnahme des Stv. Redaktionsleiters der Tagesschau. Herr Franz Lustenberger argumentiert glaubwürdig und umfassend, warum seiner Meinung nach Ihre Beanstandung abzulehnen sei.

Gegenstand Ihrer Beanstandung ist die Berichterstattung in der Tagesschau vom 14. März mit dem Titel „Krim-Tataren leiden unter russischen Repressalien“. Sie monie­ren, dass laut dem Autor Christoph Franzen „nur diese 4 % der Bevölkerung, welche gegen Russland spricht“, existieren würden. Warum wurde nicht über die 94 Prozent der Bevölkerung berichtet, welche für Russland sind und sich positiv über Russland aussprechen, fragen Sie sich.

Nachdem ich die Tagesschau vom 14. März angeschaut habe, kann ich Ihre kritische Reaktion durchaus nachvollziehen. Denn tatsächlich ging es lediglich um die Volks­gruppe der Krim-Tataren, eine ethnische und religiöse Volksgruppe, welche sich stets kritisch gegenüber Russland ausgesprochen hat und sich durch die Annexion der Krim besonders betroffen fühlt. Sie seien die Verlierer und würden unter der russischen Repression leiden, wurde im Beitrag betont.

Kann man deshalb der Tagesschau vorwerfen, gezielt und bewusst gegen Russland zu berichten? Kann man von Manipulation sprechen? Aus zwei Gründen kann ich Ihre Sicht der Dinge nicht teilen.

Zuerst einmal, indem sowohl die Tagesschau wie auch 10vor10 anlässlich des Jah­restages des Krim-Referendums in verschiedenen Beiträgen umfassend berichtet haben. In 10vor10 vom 13. März wurde insbesondere betont, dass „die Zustimmung für die neuen Machthaber gross“ sei. Es wurde auch betont, dass für viele Bewohner die Ukraine derzeit eine unattraktive Alternative sei. In der Tagesschau vom 16. März ging es um die Feierlichkeiten ein Jahr nach dem umstrittenen Referendum, welche klar prorussisch geprägt waren. Bei dieser Ausgangslage ist es als absolut zulässig zu betrachten, wenn in der Tagesschau auch ein Bericht über die Krim-Tataren gesendet wurde.

Dies umso mehr, als die Krim-Tataren eine besondere Minderheit darstellen. Sie haben eine schwierige Geschichte hinter sich und wurden insbesondere auf Geheiss Stalins nach Sibirien und Zentralasien deportiert. Erst in den achtziger Jahren durften sie in ihre Heimat zurückkehren. Laut NZZ vom 2. April haben sie sich am entschie­densten von allen Einwohnern der Halbinsel gegen die russische Annexion gestellt. Ob sie 1 bis 4 Prozent der 2,3 Millionen zählenden Bevölkerung der Krim ausmachen – wie Sie es behaupten – oder 12 Prozent – wie von Herrn Ledergerber angegeben – ist nicht massgebend. Entscheidend ist, dass die Machthaber zunehmend repressiv gegen sie vorgehen. Es ist Ihnen sicher nicht entgangen, dass auf den 31. März der einzige krimtatarische Fernsehsender ATR die Ausstrahlung seiner Programme ein­gestellt hat, was laut Amnesty International als „eklatanter Angriff“ auf die Pressefrei­heit beurteilt wurde. Es lag somit im Informationsauftrag der Tagesschau, auch über die Unzufriedenheit dieser Minderheit zu berichten.

Ich gelange somit zur Auffassung, dass sich das Publikum über die Lage in der Krim ein Jahr nach der Annexion insgesamt eine eigene Meinung bilden konnte. Das Sachgerechtigkeitsgebot wurde nicht verletzt. Ihre Beanstandung, soweit ich darauf eintreten konnte, kann ich deshalb nicht unterstützen.

4. Ich bitte Sie, das vorliegende Schreiben als meinen Schlussbericht gemäss Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes RTVG entgegenzunehmen. Über die Mög­lichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen UBI (Monbijoustrasse 54A, Postfach 8547, 3001 Bern) orientiert Sie der beiliegende Auszug aus dem Bundesgesetz über Radio und Fernsehen.

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