«Tagesschau»-Bericht über Lukas Hartmanns neuen Roman beanstandet
Mit E-Mail vom 24. März 2015 haben Sie die Berichterstattung über das neuste Buch von Lukas Hartmann sowie über die US-Wahlen in der Tagesschau vom 23. März beanstandet. Den Erhalt Ihrer Eingabe habe ich mit meinem Brief vom 26. März bereits bestätigt.
Wie von Ihnen gewünscht, habe ich die Verantwortlichen von SRF gebeten, Ihre aufgeworfenen Fragen zu beantworten. Mit Brief vom 21. April ist dies nun erfolgt. Ich bin somit in der Lage, Ihnen heute meinen Schlussbericht zu senden.
1. Sie begründen Ihre Reklamation wie folgt:
1.
Gestern wurde ca. 5 Min. lang (!) in der Hauptausgabe der Tagesschau das neuste Buch von Lukas Hartmann vorgestellt. Er sei der Ehemann der Bundesrätin Sommaruga ...
Dieses Buch erscheint am 25.03.2015. Herr Hartmann wurde mehrfach interviewt. Ins rechte Licht gesetzt (wohl am BHF Bern, im Archiv i.S. Fichen etc. etc.). Sein Buch handle vom Umbruch Europas 1989/1990 (Mauerfall) und spezifisch von der Fichenaffäre und der Geheimarmee P26 etc.
Dieser Beitrag war ein peinlicher PR-Gag dieses Herrn Hartmann, gratis unterstützt vom doch so unabhängigen TV. Aber eben, er ist ja der Ehemann einer Bundesrätin... Dies ist ein Verstoss gegen die gesetzlichen Bestimmungen. Andere Bücherschreiber etc. wären auch froh, um solche Gratiswerbung!!
Zudem hat er sich negativ über die Fichenaffäre etc. geäussert (er sei auch registriert gewesen). Dass in der Ex-DDR Mio. von Bürgern vom Staat systematisch ausspioniert worden sind, scheint ihm nicht so wichtig zu sein... Ausgewogenheit sieht anders aus. Der Informationsauftrag wurde ebenfalls nicht erfüllt. Einseitigkeit muss bemängelt werden.
Solche Berichte gehören allenfalls in eine Kultursendung, jedoch nicht in eine Hauptausgabe einer Tagesschau SRF.
2.
Nun kommen sie also wieder. Diese nicht interessanten USA-Vorwahlberichte von unserem Korrespondenten, der doch beschäftigt werden muss. Ein Herr Cruz aus Texas hat als 1. seine Präsidentenambitionen kund getan... Er habe aber keine Chance, meinte unser Korrespondent ... Man berichtet aber trotzdem darüber. Show muss sein ...
Am 08.11.2016 finden diese Wahlen statt und das CH-TV beschäftigt sich jetzt schon mit längeren Berichten in der Hauptausgabe mit solchen Banalitäten.
Wahlen in anderen Ländern interessieren unsere Medien scheinbar weniger. Ab rund 18 Monate lang USA-Vorwahlen zu begutachten, scheint ohne Grenzen möglich zu sein. Solches gehört nicht zum Informationsauftrag der SRF! Dieses ist abzustellen!“
2. Wie bereits erwähnt, haben die Verantwortlichen von SRF zu Ihren Kritiken Stellung bezogen. Ich möchte Ihnen das Schreiben von Herrn Franz Lustenberger, Stv. Redaktionsleiter der Tagesschau, nicht vorenthalten. Er schreibt Folgendes:
„In seiner Eingabe vom 24. März beanstandet Herr X zwei Beiträge in der Tagesschau vom 23. März. Er kritisiert die Besprechung des neuen Buches von Lukas Hartmann sowie die Präsidentschaftskandidatur von Ted Cruz in den USA.
Lukas Hartmann:
Herr X stellt grundsätzlich in Frage, dass die Tagesschau über das neue Buch von Lukas Hartmann berichtet. Dem muss ich sowohl aus rechtlichen wie auch aus inhaltlichen Gründen widersprechen:
Artikel 6 des Bundesgesetzes für Radio und Fernsehen (RTVG) garantiert die Unabhängigkeit und Autonomie der Programmveranstalter: ‚...Sie sind in der Gestaltung, namentlich in der Wahl der Themen, der inhaltlichen Bearbeitung und der Darstellung ihrer Programme frei und tragen dafür die Verantwortung.’
Die Tagesschau trägt diese Verantwortung seit mehr als 60 Jahren, ihre Mitarbeitenden tragen sie gerne, in Übereinstimmung mit Artikel 24 RTVG, der den Programmauftrag der SRG näher umschreibt: ‚.... Die SRG trägt bei zur .... kulturellen Entfaltung und zur Stärkung der kulturellen Werte des Landes sowie zur Förderung der schweizerischen Kultur unter besonderer Berücksichtigung der Schweizer Literatur sowie des Schweizer Musik- und Filmschaffens,....’
Die Tagesschau berichtet gemäss ihrem Auftrag über aktuelle und relevante Ereignisse in Politik, Wirtschaft, Kultur, Gesellschaft, Wissenschaft und Sport. Das neue Buch von Lukas Hartmann ist aktuell. Der Autor ist einer der bekanntesten Schweizer Autoren der Gegenwart; er wurde in den vergangenen Jahren mit mehreren Preisen ausgezeichnet.
Transparenz ist eine Grundlage eines seriösen Informationsjournalismus; dazu gehört auch die Information, dass der Autor der Ehemann der aktuellen Bundespräsidentin (nicht Bundesrätin) ist. Hätte diese Tatsache etwa verschwiegen werden sollen? Jede Kulturberichterstattung hat in der Regel einen positiven Effekt. Dies gilt für Bücher, für Filme, für Opernaufführungen – dies gilt für jeden Auftritt in den Medien.
Der Inhalt des Buches ist die Zeit des Umbruches in den Jahren 1989/90. Eine wichtige Zeit für die Schweiz und ganz Europa. Entsprechend wird dieser Inhalt thematisiert, in den Bildern und in den Interviewpassagen mit Lukas Hartmann. Kein Verständnis habe ich für die Forderung, die Tagesschau hätte auch die Bespitzelung durch das Ministerium für Staatssicherheit in der ehemaligen DDR in diesen Beitrag hineinpacken sollen. Es geht im Beitrag der Tagesschau um ein aktuelles Buch und um seinen Autor, und nicht um die weltweite Bespitzelung von Bürgerinnen und Bürgern durch staatliche Organe. Es ist die Freiheit des Autors, das Thema aufzugreifen, das ihm persönlich wichtig ist. Es ist schon etwas befremdend, von einem Schriftsteller in seinem literarischen Werk Ausgewogenheit zu verlangen. Literatur ist immer eine persönliche Auseinandersetzung mit der Zeit und der Geschichte.
Der Beitrag war entgegen der Behauptung von Herrn X nicht 5 Minuten lang, sondern wies eine übliche Länge für Kulturbeiträge von 2.05“ (plus Moderation von 49“) auf.
Das neue Werk von Lukas Hartmann wurde in den meisten Zeitungen besprochen; eine Auswahl von Rezensionen liegt der Ombudsstelle vor.
Ted Cruz
Herr X kritisiert die ausführliche Berichterstattung über den beginnenden Wahlkampf in den USA. Die Ausführungen zur Programmautonomie (siehe oben) gelten auch für diesen Teil der Beschwerde. Zum Beitrag selber hat Herr X keine Kritik angebracht, weshalb sich eine inhaltliche Antwort eigentlich erübrigen würde. Ich habe unseren USA-Korrespondenten Arthur Honegger trotzdem um eine kurze Stellungnahme gebeten, auch im Hinblick auf mögliche weitere Eingaben zu diesem Thema:
‚Die Kandidatur von Ted Cruz eröffnet den US-Wahlkampf, der die Nachfolge von Präsident Obama bestimmen wird. Die Wahlen in den USA sind ein global hoch relevantes Ereignis, aus mehreren Gründen: Die Vereinigten Staaten sind eine der grössten und ältesten Demokratien der Welt, der Einfluss des Landes geht weit über die Landesgrenzen hinaus. Vom Ausgang der Wahl hängt zudem die Besetzung der Ministerien und Botschafterposten in aller Welt ab, was auch die Schweiz direkt betrifft. Die Chancen von Ted Cruz mögen momentan nicht gross sein, als Vertreter einer wichtigen Strömung in seiner Partei sowie erster offizieller Bewerber überhaupt gehört seine Kandidatur unserer Ansicht deshalb auf jeden Fall in die Tagesschau.’
Alle grossen Zeitungen und Online-Medien haben über diese Kandidatur berichtet. Ted Cruz bewirbt sich als Vertreter der Tea-Party-Bewegung um die Nomination durch die Republikanische Partei. Diese Bewegung hat in den letzten Jahren an Zuspruch gewonnen und spielt innerhalb der Republikanischen Partei eine grosse Rolle. Nach den Midterm-Wahlen im November deutet in den USA derzeit Vieles auf einen Machtwechsel im Weissen Haus hin; da ist ein ernsthafter republikanischer Kandidat, ein Senator aus Texas, durchaus relevant für die Tagesschau.
Es ist richtig, die Wahlen finden erst im November 2016 statt. Es gibt aber kaum ein anderes Land, in dem die Vorwahlzeit derart früh beginnt. In den USA ist die ganze Politik schon jetzt auf diese Präsidentschaftswahlen ausgerichtet. Diese Ausmarchung ums Rennen ins Weisse Haus aber als ‚Banalität’ zu bezeichnen – dafür habe ich kein Verständnis.
Falsch ist die Aussage von Herrn X, Wahlen in anderen Ländern würden die Medien weniger interessieren. Für SRF und die Tagesschau trifft dies jedenfalls nicht zu. In den letzten Tagen und Wochen hat die Tagesschau in ihren verschiedenen Ausgaben ausführlich über die Parlamentswahlen in Israel, die Departementswahlen in Frankreich, die Regionalwahlen in Andalusien, die Gesamterneuerungswahlen im Kanton Luzern oder über die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in Nigeria berichtet.
Ich beantrage, die Eingabe von Herrn X im Sinne der Ausführungen abzulehnen.“
3. Soweit die Stellungnahme des Stv. Redaktionsleiters der Tagesschau. Herr Franz Lustenberger argumentiert glaubwürdig, warum Ihre Beanstandung abgelehnt werden soll.
Geht es nun um meine eigene Beurteilung, so scheint mir eine Vorbemerkung wichtig zu sein. Die Ombudsstelle hat keine eigentliche Qualitätskontrolle vorzunehmen. Sie hat deshalb nicht zu beurteilen, ob eine Sendung gut oder schlecht ist, ob ein Beitrag als sinnvoll oder nicht zu betrachten ist. Die Aufgabe der Ombudsstelle besteht lediglich darin, zu überprüfen, ob in einer beanstandeten Sendung die geltenden programmrechtlichen Bestimmungen (insbesondere die Art. 4 RTVG – Mindestanforderungen an den Programminhalt – und Art. 5 RTVG – Jugendgefährdende Sendungen) verletzt wurden oder nicht.
Bei der Behandlung von Beanstandungen muss die Ombudsstelle der den Veranstaltern zustehenden Programmautonomie gebührend Rechnung tragen. Denn etwas darf nie vergessen werden: Art. 93 Abs. 3 der Bundesverfassung und Art. 6 Abs. 2 RTVG gewährleisten die Programmautonomie des Veranstalters. Diese beinhaltet namentlich auch die Freiheit in der Wahl eines Themas einer Sendung oder eines Beitrags und in der inhaltlichen Bearbeitung.
In anderen Worten, es ist grundsätzlich als absolut zulässig zu betrachten, wenn die „Tagesschau“ einen Beitrag über das neuste Buch von Lukas Hartmann sendet. Dieser Entscheid liegt in der alleinigen Verantwortung der Tagesschau-Redaktion. Voraussetzung dafür ist aber, dass die geltenden gesetzlichen Bestimmungen nicht verletzt wurden.
In Ihrer Eingabe unterstellen Sie, dass die Tagesschau über den neusten Roman „Auf beiden Seiten“ lediglich berichtet habe, weil dessen Autor Lukas Hartmann der Ehemann von Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga ist. Sie sehen den Beitrag als „peinlichen PR-Gag“ und eine Gratiswerbung für das Buch.
Nachdem ich die Angelegenheit analysieren konnte, gelange ich zu anderen Schlussfolgerungen als Sie. Zuerst einmal, weil es unbestritten ist, dass Lukas Hartmann sich einen Namen als Verfasser von Kinderbüchern und historischen Romanen gemacht hat. Dafür hat er auch verschiedene Preise erhalten. Dass er nun in seinem Roman „Auf beiden Seiten“ die Zeit des Mauerfalls, den Fichenskandal und die geheime Widerstandsgruppe P-26 thematisiert, wurde zu Recht in den meisten Zeitungen besprochen. Es scheint mir deshalb journalistisch legitim, wenn auch die Tagessschau darüber berichtete.
Zugegeben: diese breite mediale Berichterstattung ist möglicherweise auch darauf zurückzuführen, dass Herr Hartmann der Ehemann von Bundespräsidentin Sommaruga ist. Es ist aber doch für die Öffentlichkeit interessant und relevant zu erfahren, dass sich gerade der Mann der heutigen Justizministerin kritisch mit den früheren „Skandalen“ befasst.
Es steht ausser Zweifel, dass eine Berichterstattung am Fernsehen über ein neues Buch – vorliegend in der „Tagesschau“ – mit einem gewissen Werbeeffekt verbunden ist. Dies ist sicher auch bei der Berichterstattung über den Roman von Lukas Hartmann der Fall gewesen. Will man aber über kulturelle Angelegenheiten berichten, ist dies an sich unvermeidlich. Wichtig ist, dass die Grenzen des mit der Vermittlung einer Information notwendig verbundenen Werbeeffektes nicht überschritten werden. In der Tagesschau vom 23. März ist dies sicher nicht der Fall gewesen. Denn im kurzen Filmbeitrag sprach Herr Hartmann mehr über seine Erfahrungen und Gefühle insbesondere bezüglich die Fichenaffäre als über seinen Roman.
Ihre zweite Reklamation betrifft die USA-Vorwahlberichterstattung und den kurzen Bericht über die Kandidatur des republikanischen Senators Ted Cruz. Auch in dieser Hinsicht gilt es, grundsätzlich die bereits erwähnte Programmautonomie der Tagesschau zu berücksichtigen.
Dazu teile ich die Begründungen von Herrn Franz Lustenberger. Anders als Sie erachte ich die Informationen über den möglichen künftigen Präsidenten der Supermacht USA ebenfalls als besonders relevant für die Schweiz und deshalb erwähnenswert.
Aus dem Gesagten ergibt sich, dass ich Ihre Beanstandung, soweit ich darauf eintreten konnte, als unberechtigt erachte.
4. Ich bitte Sie, das vorliegende Schreiben als meinen Schlussbericht gemäss Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes RTVG entgegenzunehmen. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen UBI (Monbijoustrasse 54A, Postfach 8547, 3001 Bern) orientiert Sie der beiliegende Auszug aus dem Bundesgesetz über Radio und Fernsehen.
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