«Die Sprachkompetenz hat klar abgenommen»

Die Entwicklung von Schweizer Radio stand im Fokus der 90. Generalversammlung der SRG Bern Freiburg Wallis in Murten. Der langjährige Nachrichtenmann Kurt Witschi berichtete dem interessierten Publikum Intimes und Historisches aus seinem neuen Buch.

– Von Ueli Scheidegger

Seit zwei Jahren ist er pensioniert. Aber wenn es um die Radionachrichten geht, kann er sich immer noch ins Feuer reden: Kurt Witschi, langjähriger Nachrichtenredaktor, ist ein «Nachrichtenfreak». Schon in seiner Jugend hatte er sich für die Radionachrichten interessiert. Er war davon so fasziniert, dass er nach einer Berufslehre fast sein gesamtes Berufsleben lang die Nachrichten von Schweizer Radio prägte. Ganze 43 Jahre lang gehörte er der Nachrichtenredaktion von Radio DRS (später SRF) an. Er arbeitete als Redaktor, stellvertretender Redaktionsleiter, Sprachpfleger, Beauftragter für Hörerreaktionen und längere Zeit auch als Nachrichtensprecher. Als Akteur in der Newswelt hat er viele Erfahrungen gemacht, gesammelt und systematisch aufgezeichnet. Daneben hat er auch sehr viel Material zur Geschichte der Radionachrichten zusammengetragen. Nun hat er seine Aufzeichnungen in einem Buch zusammengefasst, das kürzlich erschienen ist. An der Generalversammlung der SRG Bern Freiburg Wallis stand der Autor deshalb als Gast im Mittelpunkt des Interesses.

Von der Kanzleisprache ...

Kurt Witschi erlebte die Entwicklung der Radionachrichten und der Nachrichtensprache hautnah mit. «Die Nachrichtensprache glich früher eher der Kanzleisprache », fasste er zusammen, «mit langen Sätzen, Nebensätzen und Einschüben.» Damals waren die Nachrichten sprachlich sehr nahe am Beamtendeutsch und am Verlautbarungsjournalismus. Jedenfalls waren die Nachrichtenbulletins der Schriftsprache näher als der gesprochenen. Im Buch erläutert Witschi dies anhand von konkreten Beispielen, die heute in unseren Ohren nur schwer verständlich sind. In den 1940er- und 50er-Jahren des letzten Jahrhunderts verwendeten die damaligen Redaktoren der Schweizerischen Depeschenagentur (SDA) hemmungslos auch lateinische Begriffe, ohne diese zu erklären. «Dabei wurde ein Teil des Publikums ausgeschlossen », sagte Kurt Witschi, «was völlig unannehmbar ist». Die Nachrichtenbulletins der SDA in deutscher und französischer Sprache wurden erst 1971 eingestellt und von den SRG-Sendern übernommen.

... zur verständlichen Nachrichtensprache

Nach und nach sei die Nachrichtensprache verständlicher geworden. «Die Sprache ist heute freier, einfacher, hat kürzere Sätze und ist dadurch verständlicher.» Auch die Wortwahl sei heute in den Radionachrichten frecher und konkreter. «Früher hätten wir uns nie getraut, einem Motorrad ‹Töff› oder einem Fahrrad ‹Velo› zu sagen.» Als Sprachpfleger hat Kurt Witschi jahrelang konsequent darauf gepocht, dass «ein gewisses sprachliches Niveau erhalten bleibt.» Mit intensiver und kritischer Beobachtung – er war oft auch zu Hause in seiner Freizeit ein kritischer Hörer – hat er seinen Kolleginnen und Kollegen immer wieder Feedbacks gegeben und sie auf Fehler hingewiesen. Er stellte ein Regelwerk auf, an dem sich das Nachrichtenteam orientieren konnte.

«Früher hätten wir uns nie getraut, einem Motorrad ‹Töff› oder einem Fahrrad ‹Velo› zu sagen.»

Hat sich die Nachrichtensprache in den letzten Jahren weiter verändert? «Ich beobachte eine Abnahme der Sprachkompetenz », stellte Kurt Witschi heute fest. Das äussere sich beispielsweise in Helvetismen oder falschen Mehrzahlen. Wo er sich denn in Sprachfragen selber positionieren würde, fragte ihn Versammlungsleiter Andreas Schefer. «Ich bin ein umgänglicher Fundi», antwortete Witschi. Und er deutet damit an, dass ihm auch heute noch viel an einer gepflegten (Nachrichten-) Sprache liegt und ihm die Sprachverluderung zuwider ist. Deshalb ist es folgerichtig, dass er in seinem Buch auch den Einfluss der Privatradios auf die SRG-Sender ab Mitte der 1980er-Jahre thematisiert.

Starke Entwicklung auch in der Form

Stark verändert hat sich in den 90er-Jahren, die Witschi beschreibt, auch die Form der Nachrichten. Die Nachrichtensprecher traten früher nicht namentlich in Erscheinung. Man kannte zwar ihre Stimmen, nicht aber ihre Namen. Noch Mitte der Sechzigerjahre gab es keine Schlagzeilen. «Als Erstes wurde der ausführliche Wetterbericht vorgelesen, dann kamen die Nachrichten der SDA», schmunzelte Kurt Witschi und spielte ein

«Noch Mitte der Sechzigerjahre gab es keine Schlagzeilen. Als Erstes wurde der ausführliche Wetterbericht vorgelesen, dann kamen die Nachrichten der SDA»

entsprechendes Beispiel vom Start des Sechs-Tage-Krieges ein. «Es gab in den Nachrichtensendungen weniger Hektik und auffallend grosse Pausen.» Das ist heute ganz anders. «Wir haben die Schlagzeilen eingeführt», erinnerte sich Witschi. «Heute gibt es stündliche Nachrichten – auf Radio SRF sind es täglich 76 Nachrichtenbulletins.» Und das Tempo sei höher, die Pausen seien deutlich kleiner geworden.

Archivbilder aus dem Buch:Links: Im Spannungsfeld zwischen einsamem Sprechstudio und der grossen Hörergemeinde: Thomas Fuchs liest die Nachrichten (Foto Beat Mathys), rechts: Ein Hauch von Italianità in der Depeschenagentur.

Zensur im Zweiten Weltkrieg

Vor den Genossenschafterinnen und Genossenschaftern der SRG Bern Freiburg Wallis in Murten legte Autor Kurt Witschi auch dar, dass der Zweite Weltkrieg die grösste Herausforderung für die Unabhängigkeit des Radios (und der Depeschenagentur) war. Um seine propagandistischen Ziele zu erreichen, übte Nazideutschland Druck aus. «Obwohl die Meldungen des Deutschen Nachrichtenbüros reine Nazipropaganda waren, konnte die SDA auf diese Quellen nicht verzichten, zu einfach hätte Berlin ihr sonst vorwerfen können, sie verbreite nur antideutsche Meldungen der gegnerischen Kriegspartei», schreibt Witschi

«Im Gegensatz zu den Zeitungen gab es beim Radio keine eigentliche Zensur. Beim Radio war es eher eine Vorzensur, die in den Köpfen der Redaktoren stattfand.»

in seinem Buch. «Im Gegensatz zu den Zeitungen gab es jedoch beim Radio keine eigentliche Zensur», sagte Witschi in Murten. «Beim Radio war es eher eine Vorzensur, die in den Köpfen der Redaktoren stattfand.» In seinem Buch blendet Kurt Witschi auch die dunklen Seiten der Schweizer Nachrichtengeschichte nicht aus. «Über die Judenvernichtung kam am Radio sehr wenig, weil das Schweizer Radioprogramm auch über die Grenzen gehört werden konnte.» Der nationale Sender ignorierte die Judenverfolgung in Europa.

«Nachrichten wird es immer geben»

Zum Abschluss wagte Nachrichtenmann Kurt Witschi einen Ausblick ins Jahr 2025. «Nachrichten wird es immer geben», gab er sich überzeugt, «aber der Hörerkreis wird kleiner. Ich bin skeptisch, weil die jungen Leute nicht mehr Radio hören.» Die sozialen Medien sieht er klar als Konkurrenz für die Radionachrichten. Ob diese auf Dauer ebenso glaubwürdig und zuverlässig sind wie die Nachrichten von Radio SRF, bleibe abzuwarten.

Ueli Scheidegger

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