Emotionale Debatte um die RTVG-Revision
Am 14. Juni stimmt das Volk über die neue Gebührenordnung ab. Doch worum geht es genau. Welche Informationen aus der Presse sind korrekt, welche nicht? Die SRG Aargau Solothurn lud gemeinsam mit der «az Aargauer Zeitung» zur Klärung ein.
– Von Fabian Gressly
«Die Zeiten sind vorbei, in welchen man mit dem klassischen Radio- oder Fernsehgerät die Nachrichten empfangen hat», stellte Bundesrätin Doris Leuthard fest. Dank Internet und mobiler Empfangsgeräte wie Tablets und Smartphones könne man heute überall und jederzeit Medieninhalte konsumieren. Inzwischen verfügten 92 Prozent aller Privathaushalte und 100 Prozent aller Unternehmen über einen Internetzugang. Das «alte» Radio- und Fernsehgesetz werde dieser Situation nicht mehr gerecht, so Leuthard, weshalb der Bundesrat es überarbeiten liess.
Diese RTVG-Revision, die am 14. Juni zur Abstimmung kommen wird, war Thema eines Abstimmungspodiums, zu welchem am 24. April die SRG Aargau Solothurn sowie die «az Aargauer Zeitung» ins Kultur- und Kongresszentrum Aarau eingeladen hatten. Neben der Medienministerin begrüssten die Podiumsleiter Peter Moor- Trevisan (Präsident SRG AG SO) und Christian Dorer (Chefredaktor az Aargauer Zeitung) zwei weitere Politiker: auf der Befürworterseite der neuen Gebührenordnung SP-Nationalrat Cédric Wermuth und auf der gegnerischen Seite Sylvia Flückiger- Bäni, SVP-Nationalrätin und Vizepräsidentin des Aargauer Gewerbeverbandes.
Viele bezahlen heute nicht, sollten aber
Doris Leuthard sprach in ihrem Einstiegsvotum einen Punkt an, der im Laufe des Abends noch einige Male zur Sprache kommen sollte: Eigentlich müssten die Unternehmen heute bereits Billag-Gebühren bezahlen. Denn in sehr vielen Betrieben würden Radios laufen oder Fernsehgeräte stehen. Die Unternehmen täten dies aber nicht und seien dafür bisher auch kaum belangt worden, denn die Kontrollen der Billag seien sehr aufwändig. Mit der neuen Regelung würde das Schwarzsehen und -hören beseitigt, so Leuthard: Weil jeder bezahlt, darf auch jeder konsumieren. Teure Kontrollen wären nicht mehr nötig. Eine weitere Forderung des Gewerbes, nämlich die Reduktion der Bürokratie, sei berücksichtigt worden. «Nun machen wir das, und es ist dem Gewerbe auch wieder nicht recht», bekräftigte sie ihr Unverständnis für das ergriffene Referendum. Zumal: 75 Prozent aller Unternehmen würden mit der neuen Regelung von der Medienabgabe befreit.
Übersicht: Das bringt die Revision
Die Medienministerin zeigte auch auf, dass mit dem Gebührensplitting nicht alle Einnahmen der SRG zuflössen. Schon heute gehe ein Teil an private Medien, damit sie ihre Bedeutung erhöhen und ihre Rolle wahrnehmen können. Heute beträgt der Anteil vier Prozent, mit dem neuen RTVG sogar mehr, nämlich sechs. Wieso? Weil auch Private vor hohen Investitionen stünden und: «Weil Private wichtige lokale Informationen bieten, die SRF nicht bieten kann und soll», veranschaulichte Leuthard die Trennung der Schwerpunkte zwischen SRF und Privaten.
Gewerbeverband kritisiert Doppelbesteuerung
Für den Gewerbeverband war und ist an der neuen Regelung vor allem eins nicht in Ordnung, wie Sylvia Flückiger-Bäni sagte: «Was uns stört, ist die Doppelbesteuerung.» Gerade mit der aktuellen Situation nach Aufhebung des Franken-Euro-Mindestkurses sei das Gewerbe auch so schon gefordert. Es könne doch nicht sein, dass ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter privat für etwas zur Kasse gebeten würden und sie mit ihrem Unternehmen diese Leistung nochmals bezahlen müsse.
«Was uns stört, ist die Doppelbesteuerung. Es kann nicht sein, dass meine Mitarbeiter privat zur Kasse gebeten werden und ich mit meinem Unternehmen nochmals bezahlen muss.» Sylvia Flückiger-Bäni, SVP-Nationalrätin und Vizepräsidentin des Aargauer Gewerbeverbandes
Der Ansatz von Cédric Wermuth war ein staatspolitischer, und er wies zudem darauf hin, dass bereits in der jetzt geltenden Gebührenordnung eine Doppelbelastung bestehe: «Sie bezahlen als Privatperson Steuern, aber auch mit Ihrem Unternehmen.» Jeder und jede bezahle über Steuern Leistungen, die sie oder er selbst gar nicht beanspruche: «Muss man für Dinge bezahlen, die man gar nicht nutzt? Ja, denn das ist das Prinzip einer Demokratie.»
«Muss man für Dinge bezahlen, die man gar nicht nutzt? Ja, denn das ist das Prinzip einer Demokratie.»
Cédric Wermuth, SP-Nationalrat
Er griff auch Doris Leuthards Aussage auf, wonach heute viele keine Billag-Gebühr zahlen, dazu aber eigentlich verpflichtet wären: Würden heute alle Unternehmen bezahlen, die auch Medien konsumieren, flössen 500 Millionen Franken in die Billag-Kasse. Derzeit seien es aber 20 Millionen, rechnete Wermuth vor. Die neue Regelung sehe 200 Millionen Franken vor, was aus seiner Sicht gar einer faktischen Entlastung des Gewerbes gleichkomme.
Droht eine Erhöhung auf 1000 Franken?
Vor, während und nach der Diskussion zwischen Cédric Wermuth und Sylvia Flückiger- Bäni wurde immer wieder die Medienministerin «eingeschaltet». Sie nahm zu Aussagen Stellung, korrigierte, und relativierte. Sylvia Flückiger-Bäni gab dem Kritikpunkt des Gewerbeverbandes, die Medienabgabe würde bald einmal 1000 Franken statt 400 Franken betragen, Nachschub: «SRF will ja mehr Eigenproduktionen realisieren und ins Web investieren. Das kostet Geld.» Diese Zahl wies Doris Leuthard entschieden von sich. Zum einen bemerkte sie, dass der Bundesrat schon heute und nicht erst mit dem neuen RTVG über die Gebührenhöhe befinden könne: «Wenn ich wollte, könnte ich morgen dem Bundesrat entsprechend Antrag stellen.» In ihrer Zeit als UVEK-Chefin sei aber vonseiten der SRG noch nie ein Erhöhungsantrag gestellt worden, «einem solchen würde ich auch nicht zustimmen.» Auch SRG-Generaldirektor Roger de Weck hatte in einem Zeitungsinterview betont, während seiner Amtszeit würde kein Erhöhungsantrag gestellt werden. Auf Nachbohren der Moderatoren, wie der Gewerbeverband auf diese 1000 Franken komme, musste die Vertreterin des Gewerbes einräumen, dass der Betrag «eine reine Annahme» sei.
«Einem Gebührenerhöhungsantrag würde ich nicht zustimmen.» Doris Leuthard, Bundesrätin und Medienministerin
Und was, wenn die Medienabgabe über die Steuern eingenommen würde, wie es viele Billag-Gegner fordern? Würde das Geld über die bestehende «Infrastruktur» der Steuerverwaltung eingezogen, könne man die Billag und deren Personalkosten einsparen. Dass dies nur eine Seite der Medaille ist, zeigte Cédric Wermuth auf: Wäre die Medienabgabe eine Mediensteuer und würde auch so eingetrieben, «dann würde jedes Jahr im Parlament im Rahmen der Budgetdebatte darüber diskutiert. » Das – die Abhängigkeit der Medien von der Politik – dürfe nicht passieren. Ein Umstand, dem auch Sylvia Flückiger-Bäni beipflichtete: Man wolle Medien, die unabhängig berichten.
«Nicht in den 1960ern stehen bleiben»
Unter Einbindung des Publikums wurden noch viele Punkte diskutiert. So wurde etwa darauf hingewiesen, dass die Schweizer Mediengebühr nicht mit jener anderer Länder verglichen werden könne. Zum einen produziere man hier Sendungen in vier Sprachen, zum anderen verteilten sich die Kosten in grösseren Ländern anders, und die Gebühr pro
«Man kann durchaus diskutieren, was Service public ist. Die Diskussion läuft derzeit auch, hat aber mit der Abstimmung nichts zu tun.» Doris Leuthard, Bundesrätin und Medienministerin
Kopf sei tiefer. Einen Aspekt versuchte die Debatte von der Abstimmungsvorlage zu trennen, was nicht immer gelang: Die Diskussion über den Service public. «Man kann durchaus diskutieren, was Service public ist», so Doris Leuthard. Die Diskussion laufe derzeit auch, habe aber mit der Abstimmung nichts zu tun. Es sei jedoch klar, so ein abschliessender Kommentar von Cédric Wermuth, dass die Leistungen der SRG sich verändern werden: «Man kann ja nicht ernsthaft verlangen, dass der Service public in den 60er-Jahren stehen bleibt.»
Fabian Gressly
Tipp! Lesen Sie auch das Interview mit der Präsidentin der Stiftung für Konsumentenschutz, Prisca Birrer-Heimo.
Das Video zum Podiumsgespräch:
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