Kritik will gelernt sein!

«Wie oft sind wir der Kritik ausgesetzt und müssen umgekehrt Kritik selber anbringen? Warum können wir mit ihr oftmals so schlecht umgehen? Kritik hört niemand gern, und wer Kritik übt, trifft oft nicht den richtigen Ton.»

– Eine Carte blanche von Muriel Zeiter

«Einem Kritiker, der das neueste Opus von Max Reger verrissen hatte, schrieb der Komponist auf einer Postkarte: ‹Sehr geehrter Herr Doktor! Ich sitze im kleinsten Raum meines Hauses und lese Ihre Kritik – noch habe ich sie vor mir ...›

Als Publikumsrätin ist es meine Aufgabe, Radio- und Fernseh­sendungen aus der Sicht des Publikums kritisch zu beobachten. Das Handwerk der Macher unserer Radio- und Fernsehpro­gramme beherrsche ich nicht. Mit eigenen Worten beschreibe ich dem Profi meine Sichtweise. Es ist mir bewusst, dass ich nur ­einen kleinen Ausschnitt einer ganzen, komplexen Wirklichkeit vor ­Augen habe. Die eigene Wahrnehmung, auch wenn sie klar scheint, kann täuschen. Im gemeinsamen Gespräch bekomme ich Einblick in den Entstehungsprozess der Sendungen und kann so das Verhalten und Handeln der Macher nachvollziehen. Gibt es doch viele individuell und subjektiv gültige Wahrheiten. Eine wertschätzende Kommuni­kation und ein auf Wohlwollen ausgelegtes Feedback ist Voraussetzung für eine wirkungsvolle Kritik.

Kritik interessiert in erster Linie, wenn eine Möglichkeit zur Verbesserung ­besteht. Damit die Macher von SRF sich ernsthaft mit unserer Kritik auseinandersetzen können, muss der Publikumsrat mit ­Empathie, Interesse, Sachlichkeit und Vertrauen überzeugen. Empathie meint, auf die Befindlichkeit des anderen zu achten und sich in seine Lage zu versetzen. Im letzten Seminar durfte der Publikums­rat in der Rolle des ­Moderators vor die Kamera treten. Kritisieren ist definitiv einfacher als selber hinzustehen.

Der Publikumsrat nimmt sich Zeit. Er beobachtet mit Interesse die Sendung und verfasst dazu seine eigene Meinung, welche in den Gesamtbericht des Publikumsrats einfliesst. Der Gesamtbericht dient als Besprechungsgrundlage in der Sitzung mit den Machern.

Ich bemühe mich um Sachlichkeit, beziehe mich also auf die Fakten, die ich gehört oder gesehen habe. Ich erzähle, wie ich mich gefühlt, was ich mir dazu überlegt, was ich mich dazu gefragt habe, und verweise auf die diesbezüglichen ­Sendungsausschnitte. So kann meine Kritik klar zugeordnet und nachvollzogen werden.

In der monatlichen Publikumsratssitzung wird gemeinsam überdacht und abgewogen. Dazu gehört, den anderen genügend Raum einzugestehen, damit sie Stellung nehmen und ihre eigene Sichtweise darlegen können. Begegnet man einander mit Respekt, Toleranz und Nachsicht stärkt sich das ­gegenseitige Vertrauen. Kritik wird angenommen und führt zur Weiterentwicklung. Wurde anlässlich einer ­früheren Publikumsratssitzung lange über den ‹heissen Stuhl› der Rundschau diskutiert, begegnen sich ­Moderator und Interviewpartner heute auch dort auf Augenhöhe.

So habe ich gelernt, nicht nur in der Musik, auch in der Kritik gilt: C’est le ton qui fait la musique. Und wer von ‹Tuten und Blasen› keine Ahnung hat, bläst sicher nicht den Marsch, muss aber auch nicht nach der Pfeife anderer tanzen.»

Muriel Zeiter

Bild: Thomas Züger

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