Beitrag in der «Tagesschau» über Fukushima beanstandet

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Mit E-Mail vom 24. Juli 2015 kritisieren Sie den Beitrag über „Fukushima“ in der Tagesschau vom 22. Juli. Den Erhalt Ihrer Eingabe habe ich mit meinem Brief vom 24. Juli bereits bestätigt.

Wie üblich, habe ich die Verantwortlichen von SRF gebeten, zu Ihren Kritiken Stel­lung zu beziehen. Dies ist erfolgt und in der Zwischenzeit habe ich die von Ihnen kritisierte Sendung sehr genau angeschaut. Ich bin somit in der Lage, Ihnen heute meinen Schlussbericht zu senden.

1. Sie begründen Ihre Unzufriedenheit wortwörtlich wie folgt:

„Schon oft habe ich mich über die einseitige Berichterstattung des SRG-Fernsehens geärgert, wenn über Kernenergie berichtet wird. Diesmal schlucke ich den Ärger nicht mehr herunter.

Da wird berichtet, wie die japanische Regierung bestimmte Gebiete rund um das havarierte Kernkraftwerk zur Benutzung freigeben will und wie sich die Bewohner als Versuchskaninchen vorkommen. Ein Vertreter von Greenpeace bestätigt die Beden­ken. Was die japanische Regierung vorhabe, sei unverantwortlich. Zum Beweis misst er irgendwo (wo?) eine Dosisrate von 1,4 μSv/h, wenn ich richtig gesehen habe. Das entspricht 13 mSv/Jahr. In der Schweiz ist die zulässige Dosis für Personen, die beruflich mit Strahlung zu tun haben, 20 mSv/Jahr, also ist 13 mSv offenbar unbedenklich. Solche Fakten werden natürlich nicht erwähnt, es zählt nur die Meinung eines fragwürdigen ‚Experten‘. Von Ausgewogenheit keine Spur!

Natürlich passt es nicht ins Weltbild von Greenpeace, dass man ein ‚für Jahrhun­derte‘ ‚tödlich‘ verstrahltes Gelände nach bloss 5 Jahren wieder besiedeln kann – und offenbar passt es auch nicht ins Weltbild der Tagesschau-Redaktion. Warum sonst hätte sie diesen völlig einseitigen Beitrag gesendet?

Sehr geehrter Herr Casanova, es ist an der Zeit, dass die Nachrichtensendungen des Fernsehens endlich beginnen, über Fakten zu berichten und aufhören, wertvolle Sendezeit mit Mythen, Vermutungen und vorgefassten Meinungen zu vergeuden. Man hätte erwarten können, die 50% der Stimmbürger, die bei der letzten Abstim­mung ihren Unmut über die SRG geäussert haben, müssten den Verantwortlichen zu denken gegeben und sie angeregt haben, sich um etwas mehr Qualität zu bemüh­en.“

2. Wie bereits erwähnt, haben die Verantwortlichen von SRF zu Ihren Kritiken Stellung bezogen. Ich möchte Ihnen das Schreiben von Herrn Franz Lustenberger, Stv. Redaktionsleiter der Tagesschau, nicht vorenthalten. Er schreibt Folgendes:

„In seiner Eingabe vom 24. Juli kritisiert Herr X den Bericht der Tages­schau vom 22. Juli (Hauptausgabe) zur bevorstehenden Rückkehr von Bewohnern in ein Dorf in der Nähe des Atomkraftwerkes Fukushima. Er wirft der Tagesschau eine einseitige Berichterstattung vor.

Die Analyse des Beitrages ergibt Folgendes:

Gleich zu Beginn werden die grossen Anstrengungen der japanischen Behörden gezeigt, das Gebiet wieder bewohnbar zu machen. Riesige Erdmengen wurden ab­getragen. Der Regierungssprecher sagt im O-Ton: ‚Wo gereinigt wurde, ist die Radioaktivität niedrig.‘ Er begründet damit den Entscheid der Regierung, dass die Einwohner der Gemeinde Itate ab 2017 wieder in ihre Häuser zurückkehren können.

Der Regierungssprecher gibt im Beitrag zu, dass bewohnbare Gebiete im engeren Sinne gereinigt wurden, nicht aber die umliegenden Wälder.

Dann kommt ein Greenpeace-Sprecher zu Wort, der das Vorgehen der japanischen Behörden kritisiert.

Die Reporter der ARD vor Ort messen die Strahlenbelastung. Der Text sagt, dass die Strahlenbelastung höher liegt als gemäss internationalem Standard (siehe separater Abschnitt).

Gegen Schluss des Beitrages äussert ein Dorfbewohner seine Ängste vor einer Rückkehr; er drückt sein Misstrauen in die Regierung aus.

Strahlenbelastung

Herr X argumentiert damit, dass die Messung im Beitrag eine Jahres­dosis von ca. 13 mSv/Jahr ergeben habe. Dies sei unbedenklich, da die zulässige Höchstbelastung für Personen, die beruflich mit Strahlung zu tun haben, in der Schweiz 20 mSv/Jahr betrage. Also deutlich mehr als die im Beitrag gemessene Belastung in Japan.

Ich habe mich beim Bundesamt für Gesundheit, welches in der Schweiz für Strahlen­schutz zuständig ist, informiert:

In der Schweiz gilt für die Bevölkerung gemäss Strahlenschutzgesetzgebung ein Grenzwert von 1 mSv/Jahr. (Artikel 37 Strahlenschutzverordnung, SR 814.501). Also 13mal weniger als das Dosimeter in Japan vor Ort gemessen hat.

Für beruflich strahlenexponierte Personen gilt – wie Herr X richtig schreibt – ein Wert von 20 mSv/Jahr (Artikel 35 ff Strahlenschutzverordnung). Be­dingung: Alle diese Personen, für die dieser 20mal höhere Grenzwert gilt, sind ärzt­lich überwacht und tragen während ihrer Arbeit ein Dosimeter, das die aufgenom­mene Strahlenmenge dokumentiert. Für junge Personen und schwangere Frauen, die beruflich mit Radioaktivität zu tun haben, gelten deutlich tiefere Grenzwerte, nämlich 1 – 5 mSv/Jahr.

Diese Angaben gelten für Normalsituationen. Für Notfallsituationen nach einer Hava­rie in einem AKW gibt es in der Schweiz derzeit keine Höchstwerte. Bei Notfallsi­tuationen ist gemäss der Internationalen Kommission für Strahlenschutz (ICRP) jedes Land frei, einen Wert zu definieren. Derzeit schlägt die ICRP nach einem Notfall, also nach einem Unfall, einen Wert zwischen 1 mSv/Jahr und 20 mSV/Jahr vor. Mit der im Beitrag gemessen Strahlung von ca. 13 mSv/Jahr liegt das japanische Dorf im oberen Bereich der Spannbreite. Die Kritik von Greenpeace kann also nicht als Vermutung und vorgefasste Meinung abgetan werden.

Der von Herr X angeführte Grenzwert von 20mSv/Jahr gilt wie erwähnt für Personen, die unter permanenter ärztlicher Kontrolle leben und deren Strahlen­belastung lückenlos dokumentiert wird. Ob dies bei den Rückkehrerinnen und Rück­kehrer der Fall ist, kann zum jetzigen Zeitpunkt niemand garantieren. Zudem ist da­von auszugehen, dass nicht nur berufstätige Männer ab 18 Jahren, sondern auch Kinder, Frauen (auch schwangere) und ältere Menschen zurückkehren.

Fazit

Ein Vergleich der gemessen Dosis von ca 13 mSv/Jahr in der Umgebung von Fuku­shima mit der jährlich erlaubten Dosis für strahlenexponiertes Personal in der norma­len Situation ist nicht zulässig. Ein reiner Zahlenvergleich blendet zudem die psy­chische Belastung der betroffenen Bevölkerung sowie die eingeschränkte Bewe­gungsfreiheit (es wurde nicht die ganze Landschaft dekontaminiert) aus.

Der Beitrag ist sachlich korrekt. Er ist ausgewogen, indem beide Seiten – die Regie­rung Japans sowie die atomkritische Organisation Greenpeace – zu Worte kommen. Beide Sichtweisen werden dargestellt. Der Zuschauer und die Zuschauerin kann sich zu den Plänen der japanischen Regierung eine Meinung bilden.

Ich beantrage, die Beanstandung in diesem Sinne zu beantworten.“

3. Soweit die Stellungnahme des Stv. Redaktionsleiters der Tagesschau. Herr Franz Lustenberger argumentiert ausführlich, warum seiner Meinung nach der von Ihnen beanstandete Beitrag als sachlich korrekt und ausgewogen anzusehen ist.

Die Ausgangslage sollte unbestritten sein. Nach der Atomkatastrophe von Fukushi­ma im März 2011 wurden rund 80.000 Menschen, die im Umkreis des AKW wohnten, auf Anordnung der Regierung von Tokio evakuiert. Weitere rund zehntausend Per­sonen verliessen ihre Wohnungen und Häuser aus eigener Entscheidung.

Um die betroffenen Gebiete wieder bewohnbar zu machen, hat die japanische Regie­rung ein sehr umfassendes Programm für die Dekontaminierung der Region in die Wege geleitet. In den vergangenen Jahren wurden tausende Arbeiter eingesetzt. Sie haben Häuser und Strassen mit Wasser abgespritzt und kontaminierte Erde abgetra­gen und in hunderttausende Säcke gefüllt – mit dem Ziel, die Strahlungswerte in eini­gen Teilen der Präfektur Fukushima zu reduzieren. Dank diesen einmaligen und sehr kostspieligen Massnahmen hat nun die Abe Regierung am 12. Juni 2015 beschlossen, die Evakuierungsanordnung, insbesondere der Bewohner von Iitate, ab März 2017 aufzuheben und die entsprechenden Entschädigungen ab 2018 zu kündigen.

Dieser Entscheid ist umstritten. Laut Medienberichte wollen vielen der Evakuierten nicht in ihre Häuser zurückkehren. Ihrerseits kritisiert die Umweltorganisation Green­peace den Beschluss der japanischen Regierung. Auf dekontaminierten Feldern in der Region Iitate seien Werte gemessen worden, die einer jährlichen Dosis von mehr als 10 Millisievert entsprächen. Eine Rückkehr der Menschen in ihre Häuser sei des­halb nicht zu verantworten.

Diese Sachlage bildete auch den wesentlichen Inhalt des Kurzbeitrages der Tages­schau vom 22. Juli mit dem Titel „Zurück in der Sperrzone“. Sie monieren nun, die Berichterstattung sei völlig einseitig gewesen. Sie werfen der Tagesschau vor, den Beitrag nur gesendet zu haben, weil es offenbar nicht ins Weltbild der Redaktion passe, dass das verstrahlte Gelände nach bloss fünf Jahren wieder besiedelt werden kann. Sie verlangen zudem, dass die Tagesschau über Fakten und nicht über Ver­mutungen und vorgefasste Meinungen berichtet.

Geht es nun um meine eigene Beurteilung, so scheint es mir wichtig zu betonen, dass die von Ihnen kritisierte Berichterstattung keine Eigenproduktion von SRF ist. Es handelt sich um die überarbeitete Fassung des Beitrages „Regierung will Fukushi­ma-Region wieder besiedeln“ des ARD-Korrespondenten aus Japan, Uwe Schwerig, der am 20. Juli in den „Tagesthemen“ gesendet wurde. Dass die Tagesschau ent­schieden hat, dies zu übernehmen, kann ich journalistisch durchaus nachvollziehen. Denn die Frage einer Rückkehr der evakuierten Bevölkerung rund um das AKW Fu­kushima ist eindeutig relevant. Darüber zu berichten, gehört zum Informations­auftrag der Tagesschau und hat mit einer angeblichen atomkritischen Haltung nichts zu tun.

Dies unter der Voraussetzung, dass über das Thema sachgerecht und ausgewogen berichtet wurde, damit sich das Publikum eine eigene Meinung bilden konnte. Nachdem ich die Angelegenheit analysieren konnte, gelange ich zur Überzeugung, dass dies der Fall war. Die Fakten – die riesigen Anstrengungen der japanischen Behörde, das Gebiet rund um Fukushima zu dekontaminieren, der Entscheid der Abe-Regie­rung, die Evakuierungsbefehle ab März 2017 aufzuheben, sowie die Tatsache, dass weiterhin zu hohe Radioaktivität vorhanden sei – wurden korrekt und verständlich übermittelt. Zwar wurden auch die Kritiken von Greenpeace und eines Bewohners von Iitate prominent berücksichtigt. Doch dies ist durchaus zulässig, umso mehr als auch der Vertreter der japanischen Regierung Hiroo Inoue die Haltung von Tokio erklären konnte. Er betonte dabei, dass die Radioaktivität in den Gebieten, wo bereinigt wurde, niedrig und nicht hoch sei. Dabei gab er auch offen zu, dass der Wald nicht dekontaminiert wurde.

Dass dies laut Greenpeace gefährlich sei, weil der Regen die Radioaktivität auswaschen und wieder in gesäuberte Gebiete übertragen würde, scheint mir nachvollziehbar. Im Bericht wurde in Bild und Ton unterstrichen, dass bereits heute sogar dort, wo die Erde bereits bereinigt wurde, die gemessene Radioaktivität die jährlichen internationalen Grenzwerte bis um das 20-fache überschreiten würde.

Als Beweis misst ARD-Korrespondent – und nicht ein Vertreter von Greenpeace – die Radioaktivität: das Messgerät zeigt einen Wert von 1,4 μSv/h (im ARD-Bericht auch von 1,53 μSv/h), was eindeutig über die international gültigen Grenzwerte hinausgeht.

Sie bestreiten die Auffassung von Greenpeace, wonach es unverantwortlich sei, die evakuierten Bewohner einer derartigen Strahlenbelastung auszusetzen. Sie erinnern daran, dass in der Schweiz für Personen, die beruflich mit Strahlung zu tun haben, die zulässige Dosis 20 mSv/Jahr beträgt. Die gemessenen 13 mSv müssen deshalb als unbedenklich angesehen werden. Herr Lustenberger argumentiert ausführlich und zutreffend, warum dieser Vergleich unzulässig ist.

Natürlich kann man über die festgelegten Grenzwerte diskutieren und diese, vor allem wenn man die natürliche Radioaktivität in manchen Gebieten berücksichtigt, als zu niedrig erachten. Doch sie sind in der geltenden Strahlenschutzgesetzgebung verankert und sind deshalb für eine Bewertung in der Tagesschau massgebend. Art. 37 ist klar: „Für nichtberuflich strahlenexponierte Personen darf die effektive Dosis den Grenzwert von 1 mSv pro Jahr nicht überschreiten.“ Dabei – so Art. 36 Abs. 3 der Verordnung – wird „für die Berechnung der Dosisgrenzwerte [...] die Strahlenexposition durch die natürliche Strahlung [...] nicht berücksichtigt“. Im Übrigen gilt wie in der Schweiz auch in der ganzen EU für die Strahlenbelastung, die über die natürliche Belastung hinausgeht, ein Grenzwert von einem Millisievert pro Jahr. Auch in dieser Hinsicht ist die Berichterstattung der Tagesschau sachlich und korrekt.

Aus dem Gesagten ergibt sich, dass sich das Publikum insgesamt eine eigene Meinung bilden konnte. Das Sachgerechtigkeitsgebot wurde nicht verletzt. Ihre Beanstandung, soweit ich darauf eintreten konnte, kann ich deshalb nicht unterstützen.

4. Ich bitte Sie, das vorliegende Schreiben als meinen Schlussbericht gemäss Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes RTVG entgegenzunehmen. Über die Mög­lichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen UBI (Monbijoustrasse 54A, Postfach 8547, 3001 Bern) orientiert Sie der beiliegende Auszug aus dem Bundesgesetz über Radio und Fernsehen.

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