«Tagesschau»-Beiträge über eritreische Asylsuchende beanstandet

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Mit E-Mail vom 6. August 2015 beanstanden Sie die «Tagesschau» des gleichen Tages. Den Erhalt Ihrer Eingabe habe ich mit meinem Brief vom 8. August bereits bestätigt.

Wie üblich, habe ich die Verantwortlichen von SRF gebeten, zu Ihren Kritiken Stel­lung zu beziehen. Dies ist erfolgt und in der Zwischenzeit habe ich die von Ihnen kritisierte Sendung sehr genau angeschaut. Ich bin somit in der Lage, Ihnen heute meinen Schlussbericht zu senden.

1. Sie begründen Ihre Beanstandung wortwörtlich wie folgt:

„Einleitend hat in der heutigen Hauptausgabe der Tagesschau Frau Bundespräsiden­tin Sommaruga (SP) ihre Meinung zum Schreiben des Regierungsrates des Kt. Lu­zern in Sachen eritreischen Flüchtlingen kundgetan. Anschliessend wurde dem Fern­sehpublikum die diesbezüglichen Stellungnahmen von zwei Regierungsräten (BS/ SG), einem Stadtrat (ZH) sowie die Kurzmeinung einer Regierungsrätin (VS) präsen­tiert. Alle diese vier Politiker sind SP Mitglieder wie die Frau Bundespräsidentin! Auf die Meinung eines zuständigen Politikers der CVP, FDP oder SVP zum Brief wartete man jedoch vergeblich...

Ich finde eine solche Berichterstattung extrem einseitig, alles andere als ausgewogen und einer Institution wie der SRF unwürdig.“

2. Wie bereits erwähnt, haben die Verantwortlichen von SRF zu Ihren Kritiken Stellung bezogen. Ich möchte Ihnen das Schreiben von Herrn Franz Lustenberger, Stv. Re­daktionsleiter der Tagesschau, nicht vorenthalten. Er schreibt Folgendes:

„Mit E-Mail vom 6. August beanstandet Herr X die Berichterstattung des gleichen Tages über das Schreiben des Regierungsrates des Kantons Luzern an die Vorsteherin des EJPD, Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga. Er kritisiert insbe­sondere die Auswahl der befragten Exekutivpolitiker im zweiten Beitrag zum Thema.

Der Brief des Regierungsrates des Kantons Luzern hat anfangs August für eine neue Dynamik in der Diskussion um die Asylsuchenden aus Eritrea gesorgt. Entsprechend haben die meisten Medien dies ausführlich zum Thema gemacht.

Brief der Luzerner Regierung und Stellungnahme EJPD

Die Tagesschau hat am Mittwoch 5. August ausführlich über den Brief des Regie­rungsrates des Kantons Luzern informiert. Dabei wurde eingehend die Position der Luzerner Regierung dargestellt. Regierungsrat Guido Graf konnte im Interview seine Forderungen begründen. Dazu hat die Tagesschau in einer Grafik die Entwicklung der Asylgesuche seit dem Jahre 2012 bis zum ersten Halbjahr 2015 dargestellt. Da­raus ist ersichtlich, dass die Zahl der Asylgesuche von Menschen aus Eritrea deutlich zugenommen hat.

http://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/tagesschau-vom-05-08-2015-1930?id=4801ef45-51a7-4e2b-bbb4-9a1073939d2a

Am Tag danach, am Donnerstag 6. August, hat Bundespräsidentin Simonetta Som­maruga zu ihrem jährlichen Aare-Spaziergang geladen. An diesem Mediengespräch waren natürlich die Asylthematik und insbesondere der Brief aus Luzern vom Vortag das Hauptthema. Dies wird im Bericht thematisiert; Simonetta Sommaruga konnte inhaltlich zu den Forderungen im Brief Stellung nehmen. Ihre Parteizugehörigkeit ist in diesem Fall irrelevant; die Tagesschau hätte jeden EJPD-Vorsteher / jede EJPD-Vorsteherin völlig unabhängig von der Parteizugehörigkeit dazu befragt.

Auswahl der Exekutivpolitiker

Herr X kritisiert insbesondere die Auswahl der befragten Exekutivmitglie­der im zweiten, ergänzenden Beitrag zum Thema. Für diese Kritik habe ich ein ge­wisses Verständnis. Ich möchte im Folgenden aber darlegen, wie es dazu gekom­men ist und warum der Ausgabeleiter der Sendung sich entschieden hat, den Beitrag auch in dieser Form zu senden:

Ursprungsidee des zweiten Teiles war – neben der zuständigen Bundesrätin – auch Vertreter der von der Asylthematik am meisten betroffenen Kantone und Städte zu Worte kommen zu lassen. Es ist also in diesem zweiten Beitrag nicht um politische Stellungnahmen aus verschiedenen Parteien gegangenen, sondern um Stellungnah­men der für den Asylbereich verantwortlichen Exekutivmitglieder. Dies aus der Über­legung heraus, dass die vom Regierungsrat des Kantons Luzern angesprochenen Probleme vor allem die Kantone und Städte betreffen und nur im Verbund von Bund und Kantonen/Städten besprochen und gelöst werden können. Der Luzerner Regie­rungsrat Guido Graf hat ja nicht als CVP-Politiker den Brief unterschrieben, sondern explizit als Vertreter seiner Kantonsregierung und seines Kantons.

Die beiden Reporter Claudio Spescha und Anemi Wick haben sich bei der Auswahl auf jene sechs Kantone konzentriert, die gemäss Verteilschlüssel des Staatssekreta­riates für Migration (SEM) am meisten Asylsuchende aufnehmen; dazu mit Zürich die grösste Stadt der Schweiz. Diese Auswahl ist sachlich begründet – man fragt dort nach, wo es am meisten Asylsuchende hat.

Im Folgenden das Notizprotokoll der beiden Reporter an diesem Tag, an dem in den meisten Kantonen noch ‚Schulferien‘ waren:

Kanton Zürich: Der zuständige Regierungsrat Mario Fehr (SP) war am betreffenden Tag abwesend. Allerdings beschied man uns, der Kanton Zürich würde sich in sol­chen Fragen prinzipiell nicht zu den Angelegenheiten anderer Kantone äussern.

Kanton Bern: Polizeidirektor Hans-Jürg Käser (FDP) ist als Präsident der KKJPD (Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren) eine wichtige Figur der Asylpolitik auf eidgenössischer Ebene. Wir hätten ihn sehr gerne für unseren Beitrag befragt. Beim Kanton Bern beschied man uns, Regierungsrat Käser sei abwesend. Wir versuchten während des ganzen Tages vergeblich, Herrn Käser auf seiner Mobil­telefonnummer zu erreichen. Zweimal hinterliessen wir ihm eine Nachricht auf der Combox. Leider meldete sich RR Käser nicht bei uns.

Kanton Waadt: Den zuständigen Staatsrat Philippe Leuba (FDP) erreichten wir per Telefon in seinen Ferien. Er hatte die Aktualität rund um den Luzerner Brief nicht ver­folgt und wollte sich nicht äussern.

Kanton Aargau: Die zuständige Regierungsrätin Susanne Hochuli (Grüne) wollte sich gemäss Auskunft ihres Mediensprechers nicht äussern.

Kanton St.Gallen: Wir fragten bei Regierungsrat Martin Klöti (FDP) nach, dem Vor­steher des Departements des Innern, der auch Vorstandsmitglied der Konferenz der Kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren ist. Beim Departement des Innern verwies man uns allerdings auf den Justiz- und Sicherheitsdirektor Fredy Fässler (SP).

Kanton Genf: Der zuständige Regierungsrat Mauro Poggia (MCG) hätte uns gerne Auskunft gegeben, befand sich allerdings zum Zeitpunkt des Telefongesprächs in Frankreich – im Auto auf dem Weg in die Ferien. Inhaltlich decken sich seine Aus­sagen aber mit denen des Baselstädtischen Regierungsrats Christoph Brutschin (SP), der am Anfang des Beitrages zu Wort kommt.

Als wir bis anfangs Nachmittag erst die Zusage des für Asyl zuständigen Zürcher Stadtrats Raphael Golta (SP) hatten, begannen wir, unsere Anfrage auch auf andere Kantone auszudehnen (gemäss Verteilschlüssel SEM sind dies nach Luzern die Kantone Wallis, Tessin, Basel-Landschaft, Solothurn).

Vom Kanton Basel-Landschaft (RR Isaac Reber, Grüne) erhielt unsere Online-Kolle­gin Sabina Hübner, die ebenfalls in dieser Angelegenheit recherchierte, eine Absage. Um 14.30 Uhr erhielten wir schliesslich die Zusage des St.Galler Justizdirektors Fre­dy Fässler, gegen 15 Uhr auch jene des Baselstädtischen Sozialdirektors Christoph Brutschin (SP) und der Walliser Sozialdirektorin Esther Waeber-Kalbermatten (SP).

Wir teilten dem Ausgabeleiter mit, dass wir den Beitrag machen könnten, dass aber alle drei Regierungsräte und der Zürcher Stadtrat Raphael Golta Mitglieder der SP seien – was aber nicht untypisch sei, da in vielen grossen Kantonen und Städten, die vom Flüchtlingsproblem am stärksten betroffen sind, Sozialdemokraten und Grüne für diese Thematik zuständig seien. Wir entschieden uns, den Beitrag trotzdem zu senden und den letztgenannten Punkt zu deklarieren.

Soweit das ausführliche Rechercheprotokoll der beiden Reporter der Tagesschau.

Die Tagesschau hat sich entschieden, bei den Reaktionen aus den Kantonen und Städten zum Brief des Luzerner Regierungsrates jene Exekutivmitglieder zu Worte kommen zu lassen, welche von der Asylproblematik am stärksten betroffen sind. Die Tagesschau hat nicht willkürlich eine parteipolitisch-einseitige Auswahl getroffen, sondern sich auf den objektiven Verteilschlüssel des SEM gestützt.

Dass zuständige und angefragte bürgerliche Regierungsräte für ein Statement vor der Kamera nicht erreichbar waren (BE, VD, GE) oder den Ball an den SP-Regie­rungskollegen (SG) weiterschoben, kann nicht der Tagesschau angelastet werden.

http://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/tagesschau-vom-06-08-2015-1930?id=539e7c28-462c-4bba-9309-5d8bfd227530

Inhalt der kantonalen Stellungnahmen

Die in der TS auftretenden Exekutivmitglieder haben – obwohl alle der gleichen Par­tei angehören – in ihren Statements keine Parteipolitik betrieben:

Regierungsrat Christoph Brutschin (BS) anerkennt den Diskussionsbedarf in Sachen Finanzierung der Flüchtlinge mit Status ‚vorläufig aufgenommen‘. Dies entspricht einem zentralen Punkt aus dem Brief der Luzerner Regierung.

Regierungsrat Fredy Fässler (SG) erklärt, alle Kantone hätten Probleme mit der Unterbringung. Auch dies ein Aspekt aus dem Brief der Luzerner Regierung.

Raphael Golta (Stadt Zürich) wie auch die beiden Regierungsräte weisen in ihren Stellungnahmen zudem auf die gültige Rechtsordnung hin, auf die Zuständigkeit der eidgenössischen Behörden in Bezug auf die ;Einstufung; der Herkunftsländer von Asylsuchenden.

Fazit

Die Tagesschau hat an zwei Tagen hintereinander ausführlich über den Brief des Regierungsrates des Kantons Luzern an die Vorsteherin des Eidg. Justiz- und Polizeidepartementes berichtet.

Am ersten Tag standen der Inhalt des Briefes und die Kritik seitens der Luzerner Re­gierung im Vordergrund. Am zweiten Tag ging es um die aktuelle Reaktion von Bun­despräsidentin Simonetta Sommaruga und um Stellungnahmen von Exekutivmitglie­dern aus Kantonen und Städten, die am stärksten von der Asylproblematik betroffen sind.

Keiner der befragten Politiker hat eine parteipolitisch-motivierte Stellungnahme abge­geben, sondern aus der Sicht des verantwortlichen Exekutivmitgliedes gesprochen. Die Tagesschau hat sich sehr um Stellungnahmen von für den Asylbereich zuständi­gen Exekutivpolitikern aus allen Parteien bemüht; dies war aber wegen der Ferien­zeit nicht möglich. Hätte man deshalb auf den Beitrag verzichten sollen? Ich finde nein; denn die Stellungnahmen von Exekutivpolitikern aus anderen Kantonen vervoll­ständigen das Gesamtbild der aktuellen Diskussion.

Die Berichterstattung der Tageschau zum Brief der Luzerner Regierung über die beiden Tage hat es dem Zuschauer erlaubt, sich eine eigene Meinung zu bilden.

Ich bitte Sie, die Beanstandung in diesem Sinne zu beantworten.“

3. Soweit die ausführliche und präzise Stellungnahme des Stv. Redaktionsleiters der Tagesschau. Nachdem ich die Sendung sehr genau analysieren konnte, scheinen mir die Argumente von Herrn Franz Lustenberger sehr plausibel zu sein. In meiner eigenen Beurteilung kann ich mich deshalb kurz halten.

Zuerst möchte ich aber klar betonen, dass ich Ihre kritische Reaktion nachvollziehen kann. Indem die Asylpolitik politisch umstritten ist und als Wahlkampfthema promi­nent diskutiert wird, ist der Auftritt in der Tagesschau ausschliesslich von SP-Politi­kern zumindest als problematisch anzusehen. Es wäre sicher ausgewogener gewe­sen, wenn auch Vertreter von anderen Parteien zu den Forderungen der Luzerner Regierung bezüglich Flüchtlinge aus Eritrea hätten Stellung nehmen können.

Doch ich habe keinen Anlass, an den Erklärungen von Herrn Lustenberger zu zwei­feln, wonach die Verantwortlichen des Beitrages ohne Erfolg versucht haben, einen für das Asylwesen zuständigen Regierungsrat einer anderen Partei zu befragen. Die Liste der umsonst angesprochenen Politiker ist eindrücklich. Sie zeigt, wie es manch­mal für die Journalisten der Tagesschau schwierig ist, – stets unter Zeitdruck – kom­petente Persönlichkeiten für ein Interview zu gewinnen.

Nachdem lediglich SP-Regierungs- oder Stadträte zur Verfügung standen, hätte die Tagesschau auf die Berichterstattung über die Reaktion anderer Kantone auf den Brief des Kantons Luzern verzichten müssen? Ich glaube es nicht. Aus zwei Gründen bin ich der Meinung, dass der redaktionelle Entscheid, den Beitrag trotzdem zu sen­den, nicht nur als richtig, sondern auch als zulässig anzusehen ist.

Zuerst einmal aus journalistischer Sicht. Es ist unbestritten, dass die Forderungen des Kantons Luzern, die Eritreer nicht mehr als Flüchtlinge anzuerkennen, hohe Wel­len verursacht hat. Nachdem Bundespräsidentin Sommaruga die gestellten Ansprü­che deutlich abgewiesen hatte, war die Frage über die Haltung der übrigen Kantone durchaus als relevant zu betrachten. Dass die Tagesschau – wie viele andere Me­dien auch – versucht hat zu eruieren, ob Luzern ein Einzelfall sei, gehört eindeutig zu ihrem Informationsauftrag.

Dann aber auch, weil in der Berichterstattung die parteipolitische Zugehörigkeit der auftretenden Politiker eine untergeordnete Stellung einnahm. Wie sich der Luzerner CVP-Regierungsrat Graf im Namen seiner Regierung an den Bundesrat gewendet hat, muss man davon ausgehen, dass auch die übrigen angefragten Politiker die Haltung ihrer Regierungen und nicht ihrer Partei vertraten.

Ich stelle dabei fest, dass sowohl der Baselstädtische Sozialdirektor Christoph Brutschin wie auch der St. Gal­ler Justizdirektor Fredy Fässler und der Zürcher Stadtrat Raphael Golta, obwohl alle SP-Politiker, eine staatspolitische und sehr differenzierte Haltung einnahmen. Alle haben vermieden, eine parteipolitisch motivierte Stellungnahme abzugeben und aus dieser Angelegenheit irgendwelche Vorteile für ihre eigene Partei zu ziehen. Einzig die kurz zitierte Walliser Sozialdirektorin Esther Waeber Kalbermatten hat indirekt parteipolitisch reagiert, indem sie die Angelegenheit pauschal als missbräuchliches Wahlkampfthema definierte.

Insgesamt bin ich der Auffassung, dass das Publikum trotz parteipolitischer Einseitig­keit der befragten Politiker über die Haltung der Kantone korrekt informiert wurde und sich eine eigene Meinung bilden konnte. Das Sachgerechtigkeitsgebot wurde des­halb nicht verletzt. Auch wenn ich für Ihre Reaktion Verständnis habe, kann ich Ihre Beanstandung, soweit ich darauf eintreten konnte, nicht unterstützen.

4. Ich bitte Sie, das vorliegende Schreiben als meinen Schlussbericht gemäss Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes RTVG entgegenzunehmen. Über die Mög­lichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen UBI (Monbijoustrasse 54A, Postfach 8547, 3001 Bern) orientiert Sie der beiliegende Auszug aus dem Bundesgesetz über Radio und Fernsehen.

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