«Eco»-Beitrag über Entwicklungshilfe-Milliarden beanstandet

4076 |
Mit Ihrem Brief vom 9. Oktober 2015 beanstanden Sie im Namen der „alliancesud“ den Beitrag „Entwicklungshilfe-Milliarden bringen wenig“ in der Sendung „ECO“ vom 21. September. Den Erhalt Ihrer Eingabe habe ich mit meinem Brief vom 12. Oktober bereits bestätigt.

Wie üblich, habe ich die Verantwortlichen von SRF gebeten, zu Ihren Kritiken Stel­lung zu beziehen. Dies ist erfolgt und in der Zwischenzeit habe ich die von Ihnen kriti­sierte Sendung analysieren können. Ich bin somit in der Lage, Ihnen heute meinen Schlussbericht zu senden.

1. Sie begründen Ihre Beanstandung wie folgt:

„Gerne möchten wir im Folgenden darlegen, wieso Alliance Sud, die entwicklungs­politische Arbeitsgemeinschaft der Schweizer Hilfswerke Swissaid, Fastenopfer, Brot für alle, Helvetas, Caritas und Heks, den oben genannten Beitrag beanstandet.

Mit Genugtuung haben wir zunächst zur Kenntnis genommen, dass das Schweizer Fernsehen SRF 1 im Wirtschaftsmagazin ECO der Entwicklungszusammenarbeit (EZA) eine monothematische Sendung widmet. Zweifellos besteht in der Öffentlich­keit ein grosses und legitimes Interesse daran, wie Steuergelder in der EZA verwen­det werden, welche Wirkung deren Einsatz entfaltet, aber selbstverständlich auch, wo es damit Probleme gibt. Auch der Zeitpunkt für diesen Beitrag, wenige Tage bevor die Uno in New York die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung verabschie­det hat, war gut gewählt.

Die Umsetzung des Themas, die Fokussierung auf gewisse bzw. das gezielte Weg­lassen anderer Aspekte und die Wahl der Auskunftspersonen waren allerdings klar ungenügend. Unter dem Strich hat die Sendung unseres Erachtens fundamentale journalistische Prinzipien verletzt. So entstand ein eigentliches Zerrbild dessen, wie heute – gerade unter Schweizer Federführung – Entwicklungshilfe bzw. -zusammen­arbeit geleistet wird.

Woran lassen sich diese Eindrücke bzw. dieser Vorwurf festmachen?

  • Die in der Sendung thematisierten Nord/Süd-Geldflüsse («Entwicklungshilfe») sind nur ein Teilaspekt der globalen Entwicklung. Fakt ist, dass ein Mehrfaches dessen an Geldern von Süden nach Norden fliesst als Entwicklungsgeld von Nor­den nach Süden gelangt. Es sind unlautere Finanzflüsse («illicit financial flows»), die u.a. aus Korruption und Steuerhinterziehung stammen. Von «Hilfsgeldern» profitieren heute die Geber oft mehr als die Empfänger, denn es ist sogenannt gebundene Hilfe, die nicht selten mehr Schaden anrichtet als dass sie Armut und Unterentwicklung reduzieren würde. Von all dem war bei ECO nichts zu erfahren.
  • Im ersten Teil wurden die Bestrebungen der Vereinten Nationen zur Armutsbe­kämpfung thematisiert. Erfolge der Uno-Millenniumsentwicklungsziele (MDG) wur­den dabei klein geredet, viele der neuen Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDG) als «illusorisch» abgetan, ohne Begründung oder politische Einordnung, wie die Agenda 2030 von Staaten, Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft erarbei­tet wurde.
  • Kritische Bemerkungen zur Arbeit der Schweizer Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) gäbe es zweifellos einige anzubringen. Wie ECO einzel­ne von der Deza finanzierte Projekte herausgriff, diente jedoch in plumper Weise der Stützung der vorgefassten These (s. letzter Punkt). Eine journalistisch korrek­te Auseinandersetzung mit der Arbeit der Deza hätte anders ausgesehen.
  • Im mittleren Teil der Sendung kam in einem längeren Interview-Teil Angus Dea­ton, Professor an der renommierten Princeton University und Kritiker der EZA, zu Wort. Deaton erläuterte die Gefahr, dass Hilfsgelder den eigentlich verantwortli­chen Staat substituieren; dass Hilfsagenturen Hilfsempfängern gegenüber zu we­nig Rechenschaft ablegen; dass die globalen Handelsbeziehungen ungerecht zu Ungunsten der Entwicklungsländer ausgestaltet sind. Alles gewichtige Argumen­te, die diskutiert werden müssen. An dieser Stelle hätte ECO zwingend jemanden befragen müssen, der die Verhältnisse der Schweizer EZA kennt: «Was unter­nimmt die Deza, was tun deren Projektpartner im Feld, um diese Fehler zu ver­meiden bzw. deren Folgen zu mildern?». ECO verpasste es jedoch, die EZA-Kritik von Prof. Deaton zu kontextualisieren.
  • Im letzten Teil der Sendung wurde die Arbeit des Swiss Investment Funds for Emerging Markets (Sifem) vorgestellt. Die nach Finanzmarktkriterien getätigten Investitionen von Schweizer Steuergeldern sind mithin eine atypische Form von EZA. In den letzten Monaten ist die Vergabepraxis des Sifem in der Schweizer Presse heftig kritisiert worden. ECO gab jedoch nur der Sifem-Vertreterin Raum, Kritiker dieser Art der EZA kamen keine zu Wort. Diese hätten wohl die Grund­these dieser ECO-Sendung in Frage gestellt, die Moderator Reto Lipp in seinem letzten Votum wie folgt zusammenfasste: «Entwicklungshilfe ist dann erfolgreich, wenn nicht die Moral der Treiber für das Handeln ist, sondern unternehmerisches Gewinnstreben.»

Eingangs der Sendung hatte derselbe Moderator dem Publikum versprochen: «Wir schauen hin – genau und kritisch.» Genau diesen Anspruch konnte SRF ECO in keiner Weise einlösen. Der ECO-Beitrag «Entwicklungshilfe-Milliarden bringen we­nig» war unseres Erachtens eine verpasste Gelegenheit, um sachgerecht über Zusammenhänge, Möglichkeiten und Risiken der EZA zu informieren.“

2. Wie bereits erwähnt, haben die Verantwortlichen von SRF zu Ihren Kritiken Stellung bezogen. Ich möchte Ihnen das Schreiben von Herrn Reto Gerber, Redaktionsleiter von ECO, und Tilman Lingner, Redaktor ECO, nicht vorenthalten. Sie schreiben Fol­gendes:

„Gerne nehmen wir die Gelegenheit wahr, auf die Eingabe von X zu antworten. Der Geschäftsführer von Alliance Sud wirft der Redaktion vor, sie habe «fundamentale journalistische Prinzipien verletzt» und so «ein eigentliches Zerrbild» der Entwicklungsarbeit publiziert.

Bevor wir auf diese Vorwürfe eingehen, erlauben wir uns angesichts des umfassen­den Themenfelds eine kurze Einordung der Sendung in den Gesamtkontext des The­mas.

Die staatliche Entwicklungshilfe hat eine inzwischen mehr als 50jährige Tradition. In dieser Zeit hat sie sich von der «technischen Hilfe» über die «Hilfe zur Selbsthilfe», das «Empowerment» hin zum «Ownership»-Ansatz weiterentwickelt. Zu jedem Zeit­punkt galt der jeweils gültige Ansatz als der richtige, nur um einige Jahre später doch wieder kritisiert zu werden – durchaus auch von Entwicklungshelfern. Anderes hatte Konstanz: So kritisierten Entwicklungshelfer bereits in den 70er- und 80er-Jahren die fehlende Abstimmung zwischen Entwicklungshilfe und Aussenhandelspolitik.

Entwicklungshilfe hat nicht nur eine lange Tradition, sie ist auch vielschichtig. Sie umfasst Katastrophenhilfe, den langfristigen Aufbau von Wirtschaft oder staatlicher Strukturen und vieles mehr. Sie wird finanziert durch private Geldgeber wie Stiftun­gen, durch Gönner und Spender von Nichtregierungsorganisationen (NGO) und nicht zuletzt durch staatliche Gelder; auch aus der Schweiz. Die staatliche Entwicklungs­hilfe-Finanzierung ist weltweit und auch aus Schweizer Perspektive die mit Abstand grösste Finanzierungsquelle für Entwicklungshilfe-Projekte. Die finanzierenden Staa­ten geben ihr Geld teilweise direkt vor Ort aus, leiten es über internationale Organi­sationen in hilfsbedürftige Länder – oder sie beauftragen Nichtregierungsorganisatio­nen mit Aufgaben. In der Schweiz sind insbesondere die Budgets von Helvetas und Swisscontact stark vom Bund beeinflusst.

Gerade weil die Entwicklungshilfe ein komplexes und vielschichtiges Geschäft ist, wird im Fernsehen vergleichsweise selten vertieft darüber berichtet. Zu den meistge­sehenen Ansätzen zählen Beiträge über einzelne Projekte, die Einzelpersonenen, NGO oder auch staatliche Stellen finanzieren. Zu dieser Art von Berichterstattung fällt unter anderem auch ein Beitrag bei ECO aus dem Jahr 2010: Das Forellenprojekt von Swisscontact in Südafrika, das in der nun kritisierten Sendung wieder aufgenommen wurde (siehe Link-Liste am Schluss des Dokuments).

Eine zweite Kategorie von Beiträgen sind jene, die einzelne Missstände in Entwickl­ungsländern aufgreifen: Seien dies mutmassliche Fehler beim Verteilen von Hilfsgel­dern auf Haiti, ein schlechtes Behandeln der lokalen Bevölkerung in Entwicklungs­länder durch grosse internationale Konzerne oder – im März 2012 bei ECO zu sehen – ein kritischer Beitrag über die Vergabe von Minenrechten in der Demokratischen Republik Kongo. Am Beispiel des letzten Beitrags zeigt sich sehr gut, wie komplex die Materie nur schon in einem Einzelfall mitunter sein kann (siehe Link-Liste).

Als sich die Redaktion von ECO diesen Sommer zum Ziel nahm, angesichts des an­stehenden Uno-Gipfels eine Spezialsendung zum Thema Entwicklungshilfe auszu­strahlen, war deshalb von vorneherein klar, dass eine Vielzahl von Aspekten nicht behandelt werden würde. Dass eine Spezialsendung zum Thema Entwicklungshilfe zeitlich sinnvoll positioniert war, anerkennt auch Alliance Sud. Genauso sind sich Alliance Sud und die Redaktion darüber einig, dass «die Öffentlichkeit ein grosses und legitimes Interesse» daran hat, wie Steuergelder aus der staatlichen Entwick­lungszusammenarbeit verwendet werden.

Was aber sollte, angesichts der vielen Facetten, in der Sendung vorkommen? Die Redaktion kam nach längerer Überlegung zum Schluss, dass folgende Punkte zwingend Teil der Sendung sein müssen:

  • Eine möglichst umfassende Analyse der Millenniums-Ziele, die die Uno vor 15 Jahren verabschiedet hatte – mit einer Frist von 15 Jahren, d.h. bis diesen September. Die Millenniums-Ziele waren der eigentliche Anlass für die Spezial­sendung.
  • Eine kurze Analyse der Nachhaltigkeitsziele, die die Uno-Vollversammlung diesen September verabschiedet hat. Wer im Kontext der Entwicklungshilfe über die Uno berichtet, kann diesen für die Uno so wichtigen Moment nicht ignorieren.
  • Ein Blick auf die staatliche Schweizer Entwicklungshilfe, weil sie eng mit der Politik der Uno koordiniert ist – und weil unsere Zuschauer erwarten dürfen, dass wir nicht nur eine globale Perspektive einnehmen.
  • Ein Blick auf ehemalige Entwicklungshilfeprojekte. Dabei war es insbesondere ein Anliegen, folgende Punkte aufzugreifen: die fehlende Abstimmung zwi­schen Entwicklungshilfe und Aussenhandelspolitik, das grundlegende Problem, wenn Entwicklungshelfer der lokalen Bevölkerung ihre Ideen mit auf den Weg geben wollen (Empowerment vs. Ownership, siehe oben).
  • Ein Gespräch mit einem ausgewiesenen Fachmann in Sachen Entwicklungs­hilfe. Statt bestehende Pfade zu beschreiten, wollte wir den Zuschauerinnen und Zuschauern als Mehrwert einen Interviewpartner anbieten, der weit über die Landesgrenzen hinaus Renommé geniesst. Wir entschieden uns für Angus Deaton, der inzwischen für seine Arbeit den Nobelpreis erhalten hat.
  • Und: Wir wollten exemplarisch, und als positives Beispiel, zeigen, wie der Ownership-Ansatz funktionieren kann. Wir taten dies am Beispiel des Schweizer Investitionsfonds Sifem.

Weil der publizistische Aufhänger der Spezialsendung der Uno-Gipfel und damit die staatliche Entwicklungshilfe war, entschieden wir uns, die gesamte Spezialsendung der staatlichen Entwicklungshilfe zu widmen. Auch das Swisscontact-Projekt in Südaf­rika war – obwohl von Swisscontact geführt – ein vom Bund finanziertes Projekt. Wie bereits erwähnt, ist die Entwicklungshilfefinanzierung durch Staaten der gewichtigste Pfeiler der Entwicklungshilfe. Die Sendung vom 21. September fokussierte also auf den grössten Ausgabeposten – weltweit rund 130 Milliarden Dollar.

Die aus unserer Sicht zwingenden Elemente vor Augen muss klar sein, dass sehr vieles in der Sendung nicht Platz finden konnte.

Hier eine nicht abschliessende Liste mit Dingen, auf die wir – teils schweren Herzens – verzichtet haben:

  • Ein eigener Beitrag zu Migration
  • Katastrophenhilfe (immerhin angetippt in Moderation)
  • Spezielle Auszahlungsmodelle wie: Cash-on-Delivery, Selectivity, bedingungs­lose Cash-Lieferungen
  • Eine Diskussion um Hilfe in Failed States
  • Esther Duflo mit den Projekt-Evalutionen
  • Geldflüsse von Migranten in ihre Heimat
  • NGOs jeglicher Couleur
  • Die Diskussion, ob das Ziel von 0,7 Prozent des BIP sinnvoll ist.
  • Die Frage, ob und inwiefern es sinnvoll ist, dass auch Kosten für die Betreu­ung von Flüchtlingen in den Industriestaaten zur Entwicklungshilfe gezählt werden sollen.
  • Die Diskussion darüber, inwiefern Entwicklungshilfe auch ein politisches Instrument sein soll, sein darf oder gar sein muss.
  • Die Diskussion darüber, wieviele Hilfe bilaterial sein soll und wieviel multila­teral.
  • Verschiedene Ansätze der Wirtschaft, z.B. von Barry Callebaut, Nestlé etc.
  • Impact Investing via Grossbanken u.ä.
  • Die Aussage, wonach Entwicklungsländer ihr Steuersubstrat besser nutzen müssten.
  • Die «Paris Deklaration» von 2005 und die Diskussion darüber, ob die genann­ten Grundsätze erreicht sind, oder ihnen zumindest gut nachgelebt wird.
  • Spezialfall Entwicklungshilfe aus China, oder Süd-Süd im Allgemeinen.
  • Die Frage, ob ein stark wachsendes und im Durchschnitt auch prosperieren­des Land wie China noch Entwicklungshilfegelder für die Ärmsten erhalten soll.
  • Die Frage, welche Art von Entwicklungshilfe besonders ökonomisch beson­ders effizient wäre (Copenhagen Consensus Center, Björn Lomborg)
  • Die Fiaskos von Band Aid, Live Aid, etc.
  • Den Themenkomplex Hunger/Unterernährung.
  • Die Frage der Gerechtigkeit und der mutmasslich steigenden Ungleichheit, auch innerhalb von armen Ländern.

Diese Liste entstand im Vorfeld der Publikation als redaktionsinterne Diskussions­grundlage. Sie zeigt, dass im Rahmen der Programmautonomie eine Auswahl durch die Redaktion geschehen musste, und dass die Redaktion sich sorgfältig mit dem Thema auseinandergesetzt hat. Es ist der Redaktion sehr bewusst, dass Entwick­lungshilfe «nur einen Teilaspekt der globalen Entwicklung» ausmacht, wie es Alliance Sud schreibt. Genau dies ist ja unter anderem der Grund dafür, weshalb der Einfluss der Uno auf die Erreichung der Millenniumsziele nicht überschätzt werden sollte.

Angesichts der Tatsache, dass die Spezialsendung über Entwicklungshilfe schon im engeren Bereich «Entwicklungshilfe» auf sehr viele Aspekte verzichten musste, erschien es uns nicht opportun, Themen aus dem weiteren Umfeld des Themen­bereichs, etwa Korruption und Steuerhinterziehung (in der Beschwerde auch: «illicit financial flows») einzubauen. Die Themenauswahl und Fokussierung war in den Augen der Redaktion durchdacht, publizistisch zulässig – und auch zwingend.

Zu beachten ist ferner: Die Publikation der Spezialsendung über Entwicklungshilfe geschah nicht in einem publizistischen Vakuum. Über Entwickungshilfe wurde auf den Programmen von SRF schon wiederholt berichtet. Die Zuschauerinnen und Zuschau­er von ECO beziehen ihr Wissen nicht nur von ECO, sondern können die Informatio­nen von ECO durchaus in einen Gesamtkontext des Angebots einbauen. Ferner ist weiter zu beachten, dass das Publikum von ECO breiter informiert ist als das Publi­kum zur Hauptsendezeit. Es kann deshalb davon ausgegangen werden, dass zum Zeitpunkt der Publikation der Spezialsendung ein Grundwissen über Entwicklungshilfe vorhanden ist.

Dass ECO kritisch berichten soll, ist darüber hinaus unbestritten. In seiner Betrach­tung von letztem Jahr vermerkte der Publikumsrat gar: « Einige Mitglieder finden, die Sendung dürfte noch kritischer sein.» Und: «Die Arbeitsgruppe schätzt die Möglich­keit der Vertiefung eines Themas. Besonders interessant sei es, wenn auch uner­wartete Aspekte aufgegriffen werden.

Dies gesagt, kommen wir nun gerne auf die Vorwürfe von Alliance Sud zu sprechen, respektive auf eine genauere Betrachtung der einzelnen Beiträge der Spezialsen­dung.

Beitrag 1: Millenniums-Ziele

Dieser Teil der Sendung ist ein Herzstück der Sendung, die Millenniumsziele waren während Jahren das entwicklungspolitische Aushängeschild der Uno. Dazu schreibt Alliance Sud als Vorwurf:

« Erfolge der Uno-Millenniumsentwicklungsziele wurden dabei klein geredet, (...).»

Fakt ist: Der Beitrag analysiert mit Hilfe einer aufwändigen Grafik sehr anschaulich und mit hoher Informationsdichte, welche Millenniumsziele die Uno erreicht hat, und welche nicht. Die Liste kann nicht abschliessend sein, sie deckt aber zentrale Punkte ab. Zwischen TC 2:39 und TC 5:20, dh während mehr als der Hälfte des Beitrags werden ohne spezielle Wertung erreichte Ziele und nicht erreichte Ziele aufgelistet. Dabei kommen die erreichten Ziele keineswegs zu kurz. Die erste Kritik erfolgt bei TC 5:20, wo zu lesen ist: «Der Anteil der Menschen, die mit weniger als 1 Dollar 25 pro Tag auskommen müssen, sank weltweit gesehen von 47 Prozent auf noch 14 Pro­zent. Die Uno war daran kaum massgeblich beteiligt.» Es folgt die für den Zuschauer nachvollziehbare Begründung, dass der positive Effekt vor allem auf Wirtschafts­wachstum zurückzuführen war. Ein Faktum, das im Übrigen nicht einmal von der Uno selbst bestritten wird. Gerne zitieren wir auch den früheren Geschäfts­führer von Alliance Sud und Vorgänger von X.

In einem Interview am 7. Juli ist zu lesen:

«Es sind die Ziele erreicht worden, von denen man schon im Jahr 2000 wusste, dass sie möglich sind. Zum Beispiel die Halbierung der bittersten Armut. Man ging damals davon aus, dass wenn China im gleichen Tempo wächst, es das sozusagen im Alleingang schaffen wird. Und das war auch der Fall.»

Auch ausländische Sender haben selbstverständlich über die Millenniums-Ziele berichtet, etwa das ZDF am 8. September 2015 (siehe Linkliste), dabei hiess der Titel: «Bilanz der Millenniumsziele durchwachsen».

Bei TC 5:51 wird dann innerhalb der ECO-Sendung die zentrale Frage gestellt, ob die Uno von bereits vorhandenen Trends profitiert habe. Dies ist offensichtlich der Fall, wie in der Studie von Uno-Mitarbeiter Howard Friedman nachzulesen ist (siehe Linkliste). Howard Friedman, in der Rolle des Kritikers, erhält genau ein Zitat zugewie­sen; gleichviel wie die Uno, die zu Beginn des Grafik-Beitrags in Person von Ban Ki-Moon zitiert wird. Weil die Uno zur Studie von Howard Friedman keine Stellung nehmen wollte, konnte sie zum Kernvorwurf nicht breiter zitiert werden. Davon, dass die Erfolge der Uno «klein geredet» werden, kann nicht die Rede sein. Vielmehr darf von einer nüchternen Analyse gesprochen werden, bei der sowohl die Uno wie ein Kritiker angemessen zu Wort gekommen sind.

Was im Kontext der Millenniums-Ziel-Diskussion ab und an vergessen geht: Im Ge­gensatz zu anderen Situationen ist die Uno in diesem Dossier nicht neutrale Beo­bachterin, sondern Partei. Die Uno hatte selbst ein hohes Interesse, ihre Erfolge mög­lichst prominent zu zeigen und medial darstellen zu lassen, und sie hat von dieser Möglichkeit extensiv Gebrauch gemacht. Es ist in diesem Kontext eine wichtige Aufg­abe von Journalisten, kritische Fragen zu stellen. ECO hat diese wichtige Funktion im Gegensatz zu anderen Medien übernommen – fair und journalistisch sauber.

Beitrag 2: Nachhaltigkeitsziele

Formal gesehen bildet dieser Beitrag eine Einheit mit Beitrag 1, mit der Analyse der Millenniums-Ziele. Inhaltlich wird jedoch ein neues Kapitel angeschnitten, die Sustai­nable Development Goals. Ihnen widmet ECO eine knappe Minute. Das ist wenig, doch gelingt es in der Sendung nicht nur, die Masse der Ziele (17 Haupt- und 169 Unterziele) formal eingängig darzustellen, sondern es wird journalistisch korrekt die Uno zitiert: «Die Uno hält sie für ‚historisch‘ und ‚weitsichtig‘.» Anschliessend wird den Zuschauern anhand von Beispielen dargelegt, weshalb die Nachhaltigkeitsziele ihre Mängel haben. Alliance Sud schreibt:

«Viele der neuen Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDG) [wurden] als ‚illusorisch‘ abgetan, ohne Begründung oder politische Einord­nung, wie die Agenda 2030 von Staaten, Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft erarbeitet wurde.»

Richtig ist: ECO hat die neuen Ziele nicht ohne Begründung als illusorisch abgetan, sondern den Zuschauerinnen und Zuschauern an Hand konkreter Beispiele und damit nachvollziehbar aufgezeigt, wo die Schwächen der Nachhaltigkeitsziele liegen. Zu diesem Schluss kommt übrigens nicht nur ECO, sondern auch eine Vielzahl anderer Publikationen. Die renommierte Zeitschrift «The Economist» schreibt zum Beispiel, die Nachhaltigkeitsziele seien eine Sammlung von Ideen aller möglichen Lobby-Gruppen, die ihre eigenen Interessen vor Augen hatten. «Die Nachhaltigkeits­ziele wären schlimmer als unnütz», lautet das Fazit.

Kritik an den Nachhaltigkeitszielen kommt auch aus den Reihen etablierter Entwick­lungshelfer. So schreibt Rolf Kappel, der ehemalige Leiter des Entwicklungshilfe-Departements an der ETH Zürich in einem Aufsatz, die Nachhaltigkeitsziele «zeigen in die falsche Richtung». Und weiter: «Die enorme Ausweitung des Umfangs der neuen Agenda könnte den globalen Einsatz zur Armutsbekämpfung reduzieren, und die Armen würden darunter leiden. Das darf nicht geschehen.»

Beitrag 3: Deza – Schweizer Entwicklungshilfe

Keine Spezialsendung über Entwicklungshilfe ohne einen Blick auf die Schweiz, darin war sich die Redaktion einig. Deshalb finden sich stark verdichtet auch einige Infor­mationen zur Arbeit der Deza. Alliance Sud schreibt dazu:

«Kritische Bemerkungen zur Arbeit der Schweizer Direktion für Ent­wicklung und Zusamme­arbeit (Deza) gäbe es zweifellos einige anzubringen. Wie ECO einzelne von der Deza finanzierte Projekte herausgriff, diente jedoch in plumper Weise der Stützung der vorge­fassten These (s. letzter Punkt). Eine journalistisch korrekte Ausei­nandersetzung mit der Arbeit der Deza hätte anders ausgesehen.»

Richtig ist: Auf den ersten 45 Sekunden informiert der Beitrag die Zuschauer über die Verortung der Deza, über die Entwicklung des Entwicklungshilfebudgets, er lobt die Deza: «Sie hat international einen guten Ruf», und er lässt sie mit einem Zitat zu Wort kommen.

Anschliessend wird im Beitrag – mit Begründung – auf 15 Sekunden beschrieben, dass die Deza geografisch nicht sehr stark fokussiert ist, bevor auf den nächsten 40 Sekunden nachvollziehbar belegt wird, dass die Deza auch thematisch nicht fokus­siert ist. Im Anschluss daran erhält die Deza, journalistisch korrekt, ein Zitat mit ihrer Stellungnahme.

Es mag durchaus sein, dass sich die Deza wie von Alliance Sud erwähnt, anderweitig kritisieren liesse. ECO schien es wichtig, die zwei genannten Kernpunkte anzuspre­chen, die in direkten Zusammenhang mit den neuen Nachhaltigkeitszielen der Uno stehen: ein mutmasslich fehlender Fokus; ein Vorwurf übrigens, der der Deza in der Vergangenheit auch von politischer Seite wiederholt gemacht wurde, und auch von Seiten Alliance Sud. Dazu wiederum ein Zitat des früheren Geschäftsführers von Alliance Sud, es stammt aus einem Artikel in der «NZZ am Sonntag» vom 19. Juli 2015:

«Die Deza ist heute in viel mehr Ländern präsent, als es der Bundesrat in seinem Beschluss von 2007 vorgesehen hatte.»

Beitrag 4: Grundlegende Probleme von Hilfsprojekten

Zu diesem Beitrag nennt Alliance Sud keinen Kritikpunkt. Wie weiter oben ausfor­muliert, scheint dieses Themenfeld in der Sendung auf, weil sich daran das Problem der fehlenden Kohärenz zwischen Entwicklungshilfepolitik und Aussenhandelspolitik von zentraler Bedeutung zeigen lässt, und weil es zeigt, wo die Probleme der Hilfe von Aussen ganz generell liegen. Es war der Redaktion wichtig, dass speziell in diesem Beitrag auch Menschen vor Ort vorkommen. Afrikaner, die aus ihrer eigenen Erlebniswelt berichten und beurteilen. Der zitierte James Shikwati etwa, aus Kenya, gehört zu den prominentesten Beobachtern und Kritikern von Entwicklungshilfe in Afrika.

Die Entwicklungshilfe-Organisation Swisscontact legte Wert darauf, dass die Organi­sation als eine NGO dargestellt wird, die Unternehmertum vor Ort stärker will. Ebenso war es ihr wichtig, dass im Beitrag transportiert wurde, dass Andries van der Westhui­zen und andere Angestellte des Weinguts im Rahmen des Projekts lesen und schrei­ben lernten, was ihnen – ungeachtet des Projektausgangs – niemand mehr wegneh­men kann. Beide Anliegen sind im Beitrag erfüllt.

Beitrag 5: Interview mit Angus Deaton

Der britische Ökonom Angus Deaton ist ein gewichtiger Mann, wenn es um die Erfor­schung von Armut geht. Mit seinem Buch «The Great Escape» hat er vor kurzem ein Buch publiziert, das gelegentlich als Meilenstein in der Beschreibung der Entwick­lungshilfe gelobt wird. Dass ECO ein Interview mit Angus Deaton erhalten konnte, ist nicht selbstverständlich, und hat uns entsprechend gefreut. Alliance Sud kritisiert denn auch nicht, dass ECO ein Interview mit Angus Deaton geführt hat. Zitat:

«Deaton erläuterte die Gefahr, dass Hilfsgelder den eigentlich ver­antwortlichen Staat substituieren; dass Hilfsagenturen Hilfsempfän­gern gegenüber zu wenig Rechenschaft ablegen; dass die globalen Handelsbeziehungen ungerecht zu Ungunsten der Entwicklungslän­der ausgestaltet sind. Alles gewichtige Argumente, die diskutiert werden müssen.»

Die eigentliche Kritik von Alliance Sud lautet:

«An dieser Stelle hätte ECO zwingend jemanden befragen müssen, der die Verhältnisse der Schweizer EZA kennt: ‚Was unternimmt die Deza, was tun deren Projektpartner im Feld, um diese Fehler zu vermeiden bzw. deren Folgen zu mildern?‘ ECO verpasste es jedoch, die EZA-Kritik von Prof. Deaton zu kontextualisieren.»

Die Redaktion hält dem entgegen, dass das Interview mit Angus Deaton im Rahmen einer Spezialsendung über Entwicklungshilfe sehr gut eingebettet war. Der vorlau­fende Beitrag, der einige zentrale und weitgehend unbestrittene Problemfelder der klassischen Entwicklungshilfe ansprach, lieferte ein gutes Fundament für das Ge­spräch. Im Gespräch selbst wiederum äusserte sich Angus Deaton durchaus differen­ziert.

Der Interviewer nimmt zudem seine journalistische Pflicht wahr und fragt nach, drei­mal:

  • «Aber was ist schlecht daran, Kindern Lesen und Rechnen beizubringen?»
  • «Es gibt andere Ansätze: So können lokale Unternehmer für ihre Geschäftsideen Kredite nachfragen. Was halten sie da­von?»
  • «Wir müssen also zuschauen und gar nichts tun?»

Letzeres verneint Angus Deaton und er nennt konkrete Beispiele, wie in seinen Augen Entwicklungshilfe aussehen sollte. Er portiert dabei notabene im Kern durchaus Anlie­gen, die seit den 80er-Jahren von Entwicklungshelfer-Seite genannt werden: faire Verträge in der Handelspolitik.

Hätte Angus Deaton die Deza direkt kritisiert, so hätte sie selbstverständlich zu ihrer Meinung befragt werden müssen. Respektive: Der Interviewer hätte die Perspektive der Deza explizit einbringen müssen. Diese konkrete Kritik kam jedoch nicht vor. Angus Deaton argumentiert genereller, weshalb das Interview in den Augen von ECO durchaus ohne direkten Gegenpart ausgestrahlt werden konnte.

Dass ECO mit der Wahl von Angus Deaton übrigens nicht falsch lag, zeigt eine Meldung vom 12. September. Angus Deaton hat für seine Arbeiten den Nobelpreis für Wirtschaft erhalten.

Beitrag 6: Sifem

Zum Schluss der Spezialsendung warf ECO einen Blick auf ein Konzept, das in den letzten Jahren zunehmend Zuspruch erhielt, aber dennoch sehr vielen Zuschauern kaum bekannt sein dürfte: Staatliche finanzierte und profitorientierte Entwicklungs­fonds. Diese sind – wie auch die teilweise von solchen Fonds finanzierten Mikrokredit­firmen – eine fast schon reine Form des Ownership-Ansatzes.

«In den letzten Monaten ist die Vergabepraxis des Sifem in der Schweizer Presse heftig kritisiert worden. ECO gab jedoch nur der Sifem-Vertreterin Raum, Kritiker dieser Art der EZA kamen keine zu Wort.»

Alliance Sud kritisiert diese Art der Entwickungshilfe-Finanzierung. Richtig ist, dass Sifem in den letzten Monaten in Tages-Anzeiger und Blick für gewisse Investments kritisiert worden war. Dies vor Augen ist im ECO-Beitrag folgende Textpassage zu finden: «In der Vergangenheit ist Sifem wegen fragwürdiger Investitionen auch schon in die Kritik geraten. Zu Unrecht findet Andrea Heinzer. Aber die teils hohen Anlage-Risiken will sie nicht kleinreden.»

Eine detaillierte Auseinandersetzung mit den Vorwürfen aus der Presse war aus Sicht von ECO nicht zielführend. Abgesehen davon, dass es sich um einzelne, teils komplexe Investments handelt, werden die Vorwürfe von Sifem bestritten. ECO er­wähnt dennoch kritische Punkte, jedoch solche struktureller Natur: Ein wunder Punkt sind etwa die ständigen Währungsverluste, die den Fonds in die Verlustzone führen. Ein zweiter Punkt: Etliche Firmen, die indirekt Geld von Sifem erhalten, könnten sich vermutlich auch anderweitig finanzieren. Zitat: «Es erstaunt, dass eine erfolgreiche Firma wie diese auf solche Gelder angewiesen sein soll. Tatsächlich lassen im Ges­präch mit «ECO» gleich mehrere Chefs der im Beitrag gezeigten Firmen durchbli­cken, dass sie für ihre Expansion nicht zwingend auf Sifem-Gelder angewiesen wären.»

Moderationen

Alliance Sud kritisiert die Moderationen nicht grundsätzlich, stösst sich aber offenbar an der letzten Moderation:

«Entwicklungshilfe ist dann erfolgreich, wenn nicht die Moral der Treiber für das Handeln ist, sondern unternehmerisches Gewinnstre­ben».

Nun ist das vielleicht eine etwas zugespitzte Formulierung. Sie wird aber im von Alliance Sud nicht zitierten Folgesatz erklärt. Dieser lautet: «Denn unternehmerisches Denken ist das Fundament für Wirtschaftswachstum, und das wiederum bedeutet für viele Menschen ein besseres, gesünderes und längeres Leben.»

Dass Wirtschaftswachstum ein zentraler Treiber für eine bessere Lebensqualität ist, ist eine Position, die empirisch sehr breit abgestützt ist. Nobelpreisträger Angus Dea­ton führt sie in seinem Buch «The Great Escape» auf, mit einer ganzen Reihe von Studien, die er selbst zitiert. Zu finden unter anderem auf den Seiten 21 und 35 des erwähnten Buches (englische Ausgabe).

Zusammenfassung

X kritisiert im Kern, dass ECO in der Spezialsendung vom 21. Sep­tember verschiedene, aus Sicht von Alliance Sud zentrale, Aspekte der Entwicklungs­hilfe nicht ausgeführt, in bestehenden Beiträgen zu wenig, respektive zu viel Kritik geübt habe.

Mit den obigen Ausführungen hat die Redaktion dargelegt, dass ihre Auswahl der Themen nachvollziehbar, publizistisch sinnvoll und damit im Rahmen der Programm­autonomie erfolgte. Wo Institutionen wie die Uno oder die Deza konkret kritisiert wurden, konnten sich diese zu den Vorwürfen äussern. Die Redaktion ist der festen Überzeugung, dass sie journalistisch korrekt gehandelt und kein «Zerrbild» der Ent­wicklungshilfe publiziert hat.

Die Redaktion «ECO» beantragt deshalb, die Beschwerde abzuweisen.“

3. Soweit die Stellungnahme der Verantwortlichen von SRF. Herr Reto Gerber als Redaktionsleiter von ECO sowie Redaktor Tilman Lingner begründen ausführlich, warum sie beantragen, Ihre Beanstandung abzuweisen.

Sie werfen der Sendung vor, fundamentale journalistische Prinzipien verletzt zu ha­ben. Durch die Fokussierung auf gewisse Punkte beziehungsweise das gezielte Weglassen anderer Aspekte sowie die Wahl der Auskunftspersonen haben zu einem eigentlichen Zerrbild dessen beigetragen, was heute in Entwicklungshilfe und Zu­sammenarbeit geleistet wird. Sie begründen Ihre Beanstandung mit entsprechenden kritischen Feststellungen und Bemerkungen zu den einzelnen Teilen der Sendung.

Nachdem ich ECO vom 21. September analysieren konnte, habe ich für Ihre Kritik viel Verständnis. Ihre Enttäuschung kann ich durchaus nachvollziehen. Sie haben eine umfassende Sendung über die Entwicklungszusammenarbeit erwartet und nun bringt ECO nur kritische Beiträge und Stellungnahmen über die klassische Entwick­lungshilfe. Damit wird die durch den Moderator am Schluss der Sendung geäusserte These begründet, wonach «Entwicklungshilfe [...] dann erfolgreich [ist], wenn nicht die Moral der Treiber für das Handeln ist, sondern unternehmerisches Gewinnstre­ben».

Es stellt sich die Frage, ob dies als zulässig zu betrachten ist. Wurde damit das Sachgerechtigkeitsgebot verletzt?

Bei der Beantwortung dieser Fragen hat die Ombudsstelle die geltende Praxis zu berücksichtigen. Im Zusammenhang mit dem Sachgerechtigkeitsgebot prüft sie, ob dem Publikum aufgrund der in der Sendung vermittelten Fakten und Meinungen ein möglichst zuverlässiges Bild über einen Sachverhalt oder ein Thema vermittelt wird, so dass dieses sich darüber frei eine eigene Meinung bilden kann. Umstrittene Aus­sagen sollen als solche erkennbar sein. Fehler in Nebenpunkten und redaktionelle Unvollkommenheiten, welche nicht geeignet sind, den Gesamteindruck der Ausstrah­lung wesentlich zu beeinflussen, sind programmrechtlich nicht relevant. Das Sachge­rechtigkeitsgebot verlangt zudem nicht, dass alle Sichtweisen qualitativ und quantita­tiv gleichwertig zum Ausdruck kommen.

Bei der Behandlung von Beanstandungen muss die Ombudsstelle der den Veranstal­tern zustehenden Programmautonomie gebührend Rechnung tragen. Denn etwas darf nie vergessen werden: Art. 93 Abs. 3 der Bundesverfassung und Art. 6 Abs. 2 RTVG gewährleisten die Programmautonomie von Radio und Fernsehen. Diese be­inhaltet namentlich auch die Freiheit in der Wahl eines Themas einer Sendung oder eines Beitrags und in der inhaltlichen Bearbeitung.

Im Rahmen dieser wichtigen journalistischen Freiheit haben die Verantwortlichen von „ECO“ entschieden, die klassische Entwicklungshilfe nur aus einem kritischen Blick­winkel zu behandeln: Die 135 Milliarden Dollar, welche die Industrieländer jährlich für die Entwicklungshilfe ausgeben, bringen wenig. Laut dem Ökonom James Shikwati ist die Entwicklungshilfe der Virus, der das afrikanische Betriebssystem befallen hat. „Was Menschen länger leben lässt, wohlhabender und zufriedener macht, ist Wirt­schaftswachstum“, lautete die These von ECO.

Um diese These zu begründen, wurden in den ersten zwei Beiträgen die Millenni­umsziele der UNO sowie die Tätigkeiten der DEZA analysiert.

Die Millenniumsziele, die die UNO als grossen Erfolg kommuniziert, hätten weniger gebracht, als die UNO uns glauben machen will. Das Ziel Halbierung der Armut sei zwar erreicht worden, die UNO sei aber daran kaum beteiligt gewesen, denn der Erfolg sei in erster Linie auf das Wirtschaftswachstum in China zurückzuführen. Die Wirkung staatlicher Entwicklungshilfe dagegen ist bescheiden – und doch wird viel Geld dafür ausgegeben.

Wo steht die Schweiz? Im zweiten Beitrag wurde über die Tätigkeiten der DEZA berichtet. Es wurde zwar unterstrichen, dass die DEZA international einen guten Ruf hat. Doch sie fokussiert ihre Arbeit zu wenig und zählt nicht weniger als 44 Länder zu ihren Schwerpunktländern. Als Beispiel der Verzettelung ihrer Tätigkeit wurden die Unterstützung für Filmfestivals, für die Ausbildung von chinesischen Spitzenbeamten und für die Erforschung der Andengletscher erwähnt, als hätten sie keine entwick­lungspolitische Bedeutung. Dass von den zahlreichen DEZA-Projekten lediglich zwei gezeigt wurden, welche gescheitert sind, passt zum Fokus der ganzen Sendung und kann nicht als sachliche Berichterstattung über die Tätigkeit der DEZA angesehen werden.

„Zwar sind wir ethisch verpflichtet zu helfen, doch wir schaden mehr als wir Gutes tun.“ Mit diesen Worten wurde das Gespräch mit dem angelsächsischen Wirtschafts­professor Angus Deaton eingeführt. Der berühmte Nobelpreisträger hatte damit die Gelegenheit, praktisch unwidersprochen seine interessanten, aber umstrittenen, scharfen Kritiken der heutigen Entwicklungshilfe umfassend darzulegen. Fazit von ECO aus dem Interview mit Professor Deaton: „Menschen sollen selbst entscheiden dürfen, wie sie sich entwickeln. Was sie dafür brauchen, ist in vielen Fällen Geld, über das sie unternehmerisch frei verfügen können. In Staaten, die ein Minimum an Rechtssicherheit gewähren, ist der Unternehmeransatz vielversprechend.“

Dieser Ansatz ist derjenige des Swiss Investment Fund for Emerging Markets (Sifem). Dieser Entwicklungsfonds befindet sich zu 100 Prozent im Besitz des Bun­des und hat das Ziel, jährliche Investitionen von bis 100 Millionen Franken zu tätigen. Über diesen Schweizer Fonds berichtete ECO sehr umfassend und mit verschiede­nen erfolgreichen Beispielen. Auch wenn die Kritiken am Sifem wegen fragwürdigen Investitionen beiläufig erwähnt wurden, war die Tätigkeit dieses Fonds sehr positiv bewertet: Dank der Fonds, in die Sifem weltweit investiert, seien vergangenes Jahr 48.000 Jobs erhalten oder neu geschaffen worden. „Und Jobs sind in vielen Fällen der beste Weg aus der Armut.“

Diese Analyse der vier Beiträge der monothematischen Sendung vom 21. September bestätigt Ihre Kritik. Die einseitige Art und Weise, wie die klassische „staatliche Ent­wicklungshilfe“ nur negativ dargestellt wurde, ermöglichte ECO, seine These zu be­gründen: „Entwicklungshilfe ist dann erfolgreich, wenn nicht die Moral der Treiber für das Handeln ist, sondern unternehmerisches Gewinnstreben. Denn unternehmeri­sches Denken ist das Fundament für Wirtschaftswachstum, und das wiederum be­deutet für viele Menschen ein besseres, gesünderes und längeres Leben.“

Ist ein derartiger Thesen-Journalismus zulässig? Das Bundesgericht schützt diese Sicht der Dinge ausdrücklich. Diesbezüglich hat es Entscheide getroffen, welche die Wahrung der Medienfreiheit bestärken und präzisieren. Demzufolge ist es falsch, „sachgerecht“ mit „ausgewogen“ gleichzusetzen. Das Gebot der Sachgerechtigkeit erfordert für die einzelne Sendung keine Ausgewogenheit im Sinne einer möglichst gleichwertigen Darstellung aller Standpunkte. Ein Thema kann auch einseitig oder aus einem bestimmten Blickwinkel beleuchtet werden, ohne das Gesetz zu verletzen, wenn dies in transparenter Weise geschieht und die wesentlichen Fakten korrekt vermittelt werden.

Diese wichtigen Voraussetzungen wurden im ECO vom 21. September ungenügend berücksichtigt. Gewiss: Bereits im Titel „ Entwicklungshilfe-Milliarden bringen wenig“ war der kritische Ansatz der Sendung transparent angekündigt. Doch ich teile Ihre Auffassung, dass die Art und Weise, wie die klassische Entwicklungshilfe – und ins­besondere die Tätigkeit der DEZA – pauschal und einseitig als Anstrengungen mit zweifelhaftem Nutzen kritisiert wurde, ein eigentliches Zerrbild dessen darstellt, was heute geleistet wird. Auch die These, wonach nur Wirtschaftswachstum die Armut in vielen Ländern lindern kann, wurde zwar stets wiederholt, aber keinesfalls bewiesen. Die Ansichten von Professor Deaton wurden weder hinterfragt noch kontextualisiert. Auch die „Erfolge“ der Sifem genügen sicher nicht, um die These zu beweisen, dass nur unternehmerisches Gewinnstreben und Wirtschaftswachstum als echte Entwick­lungshilfe anzusehen sind.

Aus all diesen Gründen gelange ich zur Auffassung, dass sich das Publikum auf Grund der vermittelten Fakten und Meinungen ungenügend eine eigene Meinung bil­den konnte. Ihre Beanstandung, soweit ich darauf eintreten konnte, erachte ich des­halb als teilweise berechtigt.

4. Ich bitte Sie, das vorliegende Schreiben als meinen Schlussbericht gemäss Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes RTVG entgegenzunehmen. Über die Mög­lichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen UBI (Monbijoustrasse 54A, Postfach 8547, 3001 Bern) orientiert Sie der beiliegende Auszug aus dem Bundesgesetz über Radio und Fernsehen.

In der Stellungnahme zitierte Links:

Der Link zur kritisierten Sendung vom 21. September 2015:
http://www.srf.ch/play/tv/eco/video/eco-spezial-entwicklungshilfe-milliarden-bringen-wenig?id=20429ca5-f908-4342-9993-ce0855fca2b2

Der Link zum ECO-Beitrag über das Forellenprojekt aus dem Jahr 2010:
http://www.srf.ch/play/tv/eco/video/mit-forellen-gegen-armut?id=56470e0d-aeee-4067-9253-8f5af239f955

Der Link zum Beitrag über Minenrechte im Kongo:
http://www.srf.ch/play/tv/eco/video/kupferboom-im-kongo?id=e522f979-69fb-47dd-9a22-1bc7530cf03e

Studie von Howard Friedman:
https://mpra.ub.uni-muenchen.de/48793/1/MPRA_paper_48793

«Heute Journal» zu Millenniums-Zielen:
http://www.zdf.de/ZDFmediathek/kanaluebersicht/228#/beitrag/video/2486192/ZDF-heute-journal-vom-08-September-2015

Kommentar

Bitte beachten Sie, dass Ihr Kommentar inkl. Name in unserem LINK-Magazin veröffentlicht werden kann

Leider konnte dein Kommentar nicht verarbeitet werden. Bitte versuche es später nochmals.

Ihr Kommentar wurde erfolgreich gespeichert und wird nach der Freigabe durch SRG Deutschschweiz hier veröffentlicht

Weitere Neuigkeiten