Den «Fällen» ein Gesicht geben – Gerichtszeichner stellen ihre Werke aus
An die spektakulärsten Gerichtsfälle erinnern sich die meisten noch jahrelang. Die Geschichten sind unfassbar, oft tragisch, manchmal brutal. Zur Erinnerung tragen aber auch die Zeichnungen bei, die wir in Zeitungen und im Fernsehen von den Gerichtsszenen sehen. Die Werke von vier Gerichtszeichnerinnen und einem -zeichner sind bis Ende Dezember im Produktionszentrum Bundeshaus ausgestellt. Eine der Zeichnerinnen ist Erika Bardakci-Egli. Sie erzählt von ihrer Arbeit im Gerichtssaal.
Das Urteil im Fall Kneubühl, der Heiler-Prozess, das Bootsdrama auf dem Bielersee: Im Gericht sind Fotos aus Gründen des Persönlichkeitsrechts verboten, deshalb kommen in den Medien Zeichnungen ins Spiel. Auf drei Etagen finden sich an den Wänden des Produktionszentrums Bundeshaus bis Ende Dezember Gerichtszeichnungen von Angela Zwahlen, Karin Widmer, Erika Bardakci-Egli, Linda Graedel und vom 2011 verstorbenen Herman «Hörmen» Schmutz.
Erika Bardakci: «Eine Zeichnung soll auch die Stimmung im Gerichtssaal wiedergeben. Ich bin das Auge des Betrachters.»
Initiiert wurde die Ausstellung von Erika Bardakci-Egli zusammen mit Angela Zwahlen und Karin Widmer. Spannend ist die Zusammenstellung der Zeichnungen, denn oft besuchen mehrere Zeichner dieselben Gerichtsverhandlungen. Die vorgängige Meinung der Schreibenden, Gerichtszeichnungen sähen immer etwa gleich aus, wird sogleich widerlegt. Die Beteiligten in den Gerichtssälen sind in allen Zeichnungen gut zu erkennen und doch sind die Zeichnungsstile ganz unterschiedlich.
Handarbeit als Ausgleich zum Computer
«Die meisten Zeichnerinnen und Zeichner arbeiten mit Bleistift, da die Arbeit schnell gehen muss und man in einem Gerichtssaal nicht viel Platz zur Verfügung hat», erklärt Erika Bardakci-Egli. Einige Zeichner lassen ihre Werke schwarz/weiss, andere kolorieren sie nachträglich mit Farbstiften oder Aquarell. Die 46-jährige Grafikerin hat schon immer gerne gezeichnet, besonders Gesichter und Akte, jedoch nur nach Vorlage, nicht frei aus dem Kopf heraus, wie sie betont. 2013 wurde sie durch ihre Arbeit als Newsgrafikerin angefragt, ob sie für das Fernsehen Gerichtszeichnungen machen wolle. Ihr erster Fall war der Bieler Rentner Kneubühl. Die Handarbeit sei eine tolle Abwechslung zu ihrer Tätigkeit als Newsgrafikerin am Computer, sagt Bardakci-Egli. Sie finde es auch spannend, in eine Welt einzutauchen, zu welcher sie sonst nie Zugang hätte.
«Am Schluss bin ich jeweils nudelfertig»
Die Gerichtszeichnerin ist meist am Vormittag des ersten Tages der Verhandlungen aufgeboten. Den Platz kann sie sich im Gerichtssaal nicht frei auswählen. Manchmal hat sie einen Tisch zur Verfügung, manchmal nicht. Am meisten verlangt werden Zeichnungen, in welchen der Angeklagte, sein Verteidiger, die Richter und der Staatsanwalt dargestellt werden. Oft wünscht die Redaktion, dass die Angeklagten von hinten gezeichnet werden, damit man sie nicht erkennt. Sie würde die Verurteilten auf der Strasse in den seltensten Fällen wiedererkennen, obwohl sie sie live gesehen und gezeichnet habe, sagt Bardakci-Egli.
Während sich der Journalist auf diejenige Person konzentriere, die spreche, konzentriere sie sich auf diejenige, die nicht spreche. «Ich beginne die Zeichnung mit derjenigen Person, die nicht redet. Sprechende Personen bewegen sich und sind deshalb schwieriger zu zeichnen. Bewegt sich diese, fahre ich mit einer andern Person fort. Ich zeichne also nie eine Person von A bis Z fertig und gehe dann zur nächsten», erklärt die Zeichnerin ihr Vorgehen. Sie findet es wichtig, dass eine Zeichnung auch die Stimmung wiedergebe. «Ich bin das Auge des Betrachters.» Die Arbeit sei anstrengend. Am Schluss des Vormittags sei sie jeweils nudelfertig.
Impressionen aus dem Gerichtssaal bis Ende Dezember
Die Ausstellung im Produktionszentrum Bundeshaus an der Bundesgasse 8 (Etagen 1 bis 3) in Bern ist für alle Interessierten von Montag bis Freitag von 8.00 bis 19.00 Uhr zugänglich. Telefonisch anmelden kann man sich unter 079 295 29 18.
Text: Unternehmenskommunikation SRG
Illustration: «Der Fall Worb: Ein 73-jähriger Rentner trägt die Schuld am Tod eines Buben auf einem Fussgängerstreifen in Worb. Urteil: 40 Monate unbedingt.» Das Besondere an dieser Zeichnung: Der Arm rechts wurde absichtlich gezeichnet, damit das Fernsehen eine Animation erstellen kann. Zeichnung: Erika Bardakci-Egli.
Bild: Erika Bardakci-Egli arbeitet im Produktionszentrum Bundeshaus in der Newsgrafik und zeichnet seit 2013 auch Gerichtsverhandlungen für die SRG. (zVg.)
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