«Tagesschau»-Beitrag über Durchsetzungsinitiative beanstandet
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Mit E-Mail vom 22. Dezember 2015 beanstanden Sie die Tagesschau des gleichen Tages. Der Bericht über die Durchsetzungsinitiative sei nicht ausgewogen gewesen. Den Erhalt Ihrer Eingabe habe ich mit meinem Brief vom 13. Dezember bereits bestätigt.
Wie üblich, habe ich die Verantwortlichen von SRF gebeten, zu Ihren Kritiken Stellung zu beziehen. Dies ist erfolgt und in der Zwischenzeit habe ich die von Ihnen kritisierte Sendung sehr genau analysieren können. Ich bin somit in der Lage, Ihnen heute meinen Schlussbericht zu senden.
1. Sie begründen Ihre Beanstandung wie folgt:
- „01:35 Frau Sommaruga bekennt sich als Gegnerin dieser Initiative, kein Befürworter der Initiative kommt zu Wort
- 01:41 Zitat Frau Sommaruga ‘mit der Ausschaffungsinitiative ...mit dieser Initiative sollen jetzt neu ... Ausländer, die ein Bagatelldelikt begangen haben ... automatisch ausgeschafft werden’. Hier stört erstens die Wortwahl ‘neu’, welche suggeriert dass bereits ein Gesetz in Kraft ist, zweitens der Ausdruck ‘Bagatelldelikt’, dem ich nach Durchlesen des Initiativtextes nicht zustimmen kann. Im Gegenteil sollen ausländische Staatsangehörige nur bei schweren Delikten oder im Wiederholungsfall ausgeschafft werden. Die Moderation unterlässt es, diese offensichtliche sachliche Fehlargumentation von einer anderen Seite zu beleuchten.
- 05:00 Zitat Sprecherin ‘... im Extremfall könnte das bedeuten, dass ein Secondo, der in seiner Jugend in eine Schlägerei verwickelt war und einige Jahre später einen Beamten beschimpft, ausgewiesen wird...’. Hier stört das Wort ‘Schlägerei’. Ich lese im Initiativtext ‘schwere Körperverletzung (Art. 122 StGB) ’ . Die Sprecherin bezeichnet also ein ‘schwere Körperverletzung’ als ‘Schlägerei’, was offensichtlich sachlich und sprachlich nicht korrekt ist. Demaskierend wirkt der Versuch der Sprecherin, eine Folge von zwei Delikten als möglichst geringfügig darzustellen.
Fazit: Mit der Auswahl der Interviewpartner und der Wortwahl der Moderation werden die Zuschauer nicht sachlich informiert, genau das wäre aber die Pflicht eines öffentlich rechtlichen Senders.
Im Gegenteil bekennt sich die Moderation und die SRF Sprecher durchwegs implizit, im Einzelfall sogar explizit, als Gegner der Initiative.
Und genau das ist extrem bedenklich. Die Freiheit der Medien und die sachlich absolut neutrale Information durch öffentlich/rechtliche Sender sind die Grundgerüste jeder freien und demokratischen Gesellschaft. An die Sendungen der Tagesschau stellt die Bevölkerung dabei besonders hohe Ansprüche.“
2. Wie bereits erwähnt, haben die Verantwortlichen von SRF zu Ihren Kritiken Stellung bezogen. Ich möchte Ihnen das Schreiben von Herrn Franz Lustenberger, Stv. Redaktionsleiter der Tagesschau, nicht vorenthalten. Er schreibt Folgendes:
„Mit Mail vom 22. Dezember beanstandet Herr X die Berichterstattung über die Medienkonferenz von Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga zur Haltung des Bundesrates zur Eidgenössischen Volksinitiative ‚Zur Durchsetzung der Ausschaffung krimineller Ausländer (Durchsetzungsinitiative)‘, die am 28. Februar 2016 zur Abstimmung gelangt.
Stellungnahme der Landesregierung
Die SRF-internen Publizistischen Leitlinien (7.2. Wahlen und Abstimmungen) sind in Bezug auf die Berichterstattung im Vorfeld von Abstimmungen und Wahlen klar: ‚Zum Pflichtstoff im Vorfeld von nationalen Abstimmungen gehören die Berichterstattung über die Positionen der Pro- und Contra-Komitees sowie die Medienkonferenz des Bundesrates.‘
Entsprechend dieser Leitlinie hat die Tagesschau über die Medienkonferenz von EJPD-Vorsteherin Simonetta Sommaruga berichtet. Es gehört zur Informationspflicht der Tagesschau, dass die Zuschauerinnen und Zuschauer bei einer eidgenössischen Abstimmung über die Position des Bundesrates informiert werden. Ich bin der festen Überzeugung, die Zuschauerinnen und Zuschauer der Tagesschau haben sogar ein Anrecht darauf, die Position der Landesregierung zu kennen. Die Haltung des Bundesrates zu einer Abstimmungsfrage ist ein wesentliches Element im Hinblick auf die Meinungsbildung.
Die Tagesschau behandelt alle Initiativen und Referenden gleich, ob von links oder von rechts lanciert. Die Tagesschau wird beispielsweise auch die Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation oder das Referendum gegen die 2. Röhre am Gotthard gleich behandeln; beide Vorlagen kommen ebenfalls am 28. Februar zur Abstimmung. Die beiden politischen Komitees Pro und Contra sowie die Stellungnahme der Landesregierung.
Herr X kritisiert inhaltlich die Argumentation von Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga zur Abstimmungsvorlage. Er stört sich an den Wörtern ‚neu‘ und ‚Bagatelldelikt‘.
Im Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer (Ausländergesetz) vom 16. Dezember 2005 ist die Ausschaffung (Artikel 69 und Folgende) geregelt. Das Parlament hat am 20. März 2015 zudem Gesetzesänderungen zur Ausschaffung von Ausländerinnen und Ausländern beschlossen; gegen diese Gesetzesänderungen ist kein Referendum ergriffen worden. Es gibt also im Gegensatz zur Meinung von Herrn X durchaus gesetzliche Bestimmungen zur Ausschaffung, unabhängig von der Gesetzesrevision im Frühling, die noch nicht in Kraft gesetzt wurde, oder der zur Abstimmung stehenden Durchsetzungsinitiative.
Der Begriff ‚Bagatelldelikt‘ ist nicht gesetzlich definiert. Ganz allgemein wird darunter ein (sehr) leichtes Delikt verstanden, wobei damit auch eine Wertung verbunden ist.
Die Tagesschau spielt sich nicht zum Richter über Aussagen von interviewten Personen auf. Sie macht eine Person während des Interviews höchstens auf tatsachenwidrige Aussagen aufmerksam; eine Interviewpassage kann dann wiederholt werden. Denn es ist weder im Interesse einer interviewten Person noch im Interesse der Tagesschau, wenn klare Fakten falsch dargestellt werden. Anders verhält es sich im vorliegenden Fall – die Aussagen von Bundesrätin Simonetta Sommaruga, welche sie im Namen des Gesamtbundesrates gemacht hat, bedürfen keiner Korrektur.
Inhalt der Initiative
Im zweiten Beitrag stellt die Tagesschau zweierlei dar: Einerseits den zeitlichen Ablauf und den Grund, welche die SVP veranlasst haben, noch vor der Verabschiedung der Gesetzesrevision durch die Eidgenössischen Räte eine zweite Initiative (Durchsetzungsinitiative) zu lancieren und einzureichen. Andererseits wird kurz auf den Inhalt der Durchsetzungsinitiative eingegangen, die im Gegensatz zur angenommenen Ausschaffungsinitiative einen deutlich anderen, einen erweiterten Katalog von strafbaren Handlungen in die Verfassung schreiben will.
Herr X kritisiert das Wort ‚Schlägerei‘ im Beitrag. Im Initiativtext (Artikel 197 Ziff 9 der Übergangsbestimmungen der Bundesverfassung) werden unter Absatz 2, lit a folgende strafbare Handlungen aufgeführt: einfache Körperverletzung (Art. 123 StGB) oder auch Raufhandel (Art. 133 StGB). Die einfache Körperverletzung beinhaltet gemäss Strafgesetzbuch eine Schädigung eines Menschen an Körper oder Gesundheit.
Als Raufhandel ist gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung jede wechselseitige tätliche Auseinandersetzung von mindestens drei Personen zu bezeichnen, die eine Körperverletzung oder den Tod eines Menschen zur Folge hat (vgl. u.a. BGE 137 IV 1E.4.2.2.S.3f)
Es ist richtig, dass die ‚Schlägerei‘ an sich kein im Strafgesetzbuch definierter Straftatbestand ist. Jedoch wird unter ‚Schlägerei‘ ganz allgemein eine gewalttätige Auseinandersetzung, welche typischerweise einfache Körperverletzungen zur Folge hat, verstanden. Die Formulierung Schlägerei als Beispiel ist also korrekt und für den Zuschauer verständlich.
Fazit
Die Berichterstattung war korrekt und in Übereinstimmung mit den Publizistischen Leitlinien von Schweizer Radio und Fernsehen SRF. Sie hat die Position des Bundesrates zu einer Abstimmungsvorlage sachlich richtig dargestellt. Über die Argumente für die Initiative wird die Tagesschau am Tag der Medienkonferenz des Pro-Komitees berichten.
Die Meinungsbildung der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger wird durch die Berichterstattung über die Haltung des Bundesrates nicht beeinträchtigt. Im Gegenteil – die Information über die Haltung der Landesregierung ist unerlässlich für den Meinungsbildungsprozess. Ich bitte Sie, die Beanstandung in diesem Sinne abzulehnen.“
3. Soweit die ausführliche Stellungnahme des Stv. Redaktionsleiters der Tagesschau. Herr Franz Lustenberger argumentiert sehr plausibel, warum Ihre Beanstandung seiner Meinung nach abgewiesen werden soll.
Geht es um meine eigene Beurteilung, so kann ich Ihre kritische Reaktion durchaus nachvollziehen. Denn es ist unbestritten, dass Sendungen im Vorfeld von Wahlen und Volksabstimmungen aus staatspolitischer Sicht heikel sind, weil sie unmittelbar die politische Meinungsbildung berühren. Der Europarat unterstreicht in einer Empfehlung an die Mitgliedsstaaten die Bedeutung der Medien und insbesondere auch der elektronischen Medien bei der Berichterstattung im Vorfeld von Wahlen und Abstimmungen.
Bei dieser Ausgangslage ist die Sicherung der politischen Meinungsbildung als wichtiges Element der Demokratie eine der Hauptaufgaben der rundfunkrechtlichen Programmaufsicht in der Schweiz. Entsprechend sorgfältig ist bei der Gestaltung von Ausstrahlungen vor Wahlen und Volksabstimmungen vorzugehen. Die Informationsgrundsätze von Art. 4 RTVG bezwecken im Zusammenhang mit der Berichterstattung vor Wahlen und Volksabstimmungen primär, die Chancengleichheit zwischen den kandidierenden Personen bzw. Parteien vor Wahlen und zwischen Befürwortern und Gegnern einer Vorlage bei Volksabstimmungen zu gewährleisten. Sendungen im Vorfeld vor Wahlen oder Volksabstimmungen haben deshalb erhöhten Sorgfaltspflichten bezüglich Ausgewogenheit zu genügen. Laut Bundesgericht ist diese Ausgewogenheit bereits im Rahmen einzelner Sendungen Rechnung zu tragen.
Es gibt aber auch Ausnahmen. Eine wichtige betrifft die zwingende Berichterstattung über die Medienkonferenz des Bundesrates im Vorfeld einer Volksabstimmung, welche wie am 22. Dezember auch einseitig erfolgen darf. Voraussetzung dafür ist aber, dass in der Tagesschau auch über die Medienkonferenz des Pro-Komitees zu Gunsten der sogenannten „Durchsetzungsinitiative“ ebenfalls umfassend berichtet wird. Ich habe keinen Anlass zu zweifeln, dass dies – wie es in der Vergangenheit stets der Fall war – auch in diesem Fall erfolgen wird.
Anders als Sie gelange ich deshalb zur Auffassung, dass die Berichterstattung vom 22. Dezember als absolut zulässig zu betrachten ist. Dies auch, wenn das Wort „Schlägerei“ rein juristisch als problematisch zu betrachten ist. Dabei muss man aber berücksichtigen, dass es öfters journalistisch notwendig ist, einen Sachverhalt zu vereinfachen. Wichtig ist, dass dies sinngemäss erfolgt. In dieser Hinsicht teile ich die Argumentation von Herrn Lustenberger, dass diese Vereinfachung korrekt war, damit sich das Publikum eine eigene Meinung bilden konnte.
Aus dem Gesagten ergibt sich, dass das Sachgerechtigkeitsgebot nicht verletzt wurde. Ihre Beanstandung, soweit ich darauf eintreten konnte, beurteile ich deshalb als unberechtigt.
4. Ich bitte Sie, das vorliegende Schreiben als meinen Schlussbericht gemäss Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes RTVG entgegenzunehmen. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen UBI (Monbijoustrasse 54A, Postfach 8547, 3001 Bern) orientiert Sie der beiliegende Auszug aus dem Bundesgesetz über Radio und Fernsehen.
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