«Tagesschau»-Beitrag über Schneemangel in den Bergen beanstandet
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Mit E-Mail vom 24. Dezember 2015 kritisieren Sie die Tagesschau vom 23. Dezember. Den Erhalt Ihrer Eingabe habe ich mit meinem Brief vom 28. Dezember bereits bestätigt.
Wie üblich, habe ich die Verantwortlichen von SRF gebeten, zu Ihren Kritiken Stellung zu beziehen. Dies ist erfolgt und in der Zwischenzeit habe ich die Angelegenheit analysieren können. Ich bin somit in der Lage, Ihnen heute meinen Schlussbericht zu senden.
1. Sie begründen Ihre Unzufriedenheit wortwörtlich wie folgt:
„Gerne wüsste ich, WER darüber bestimmt, welche Themen, in welcher Art und Weise, über die gebührenfinanzierten Sender in der Schweiz ausgestrahlt werden. Dies vor allem in einer Sendung von öffentlichem Interesse wie die Tagesschau. An Herrn Inhauser habe ich heute folgendes geschrieben:
Sehr geehrter Herr Inhauser
Über Ihre einleitenden Worte, .... wörtlich: "die blanke Tristesse" .... zum akuten Schneemangel und die erste Einstellung von Muottas Muragel aus über das Oberengadin hinweg haben mich sehr, aber sehr geärgert. Die Aufnahme ist irreführend und vernichtend.
Die Mitarbeiter unser Bergbahnen im Oberengadin arbeiten Tag und Nacht sehr hart, um viele sehr gut, hervorragend preparierte Pisten herzustellen. Viele Pisten-km sind offen. Sicher mit Kunstschnee – aber von hervorragender Qualität. Diavolezza, Corvatsch, Corviglia, überall kann man Skifahren.
Wäre es nicht Ihre Aufgabe, Orte, die auf den Tourismus angewiesen sind, zu unterstützen, anstatt sie bloss zu stellen?
Ich lebe und arbeite im Oberengadin. In den letzten Tagen habe ich viele zufriedene Gäste gesehen. Wir haben Schwarzeis, man kann Skifahren, spazieren gehen, und vieles mehr. Ein positiver, lobender Beitrag wäre an dieser Stelle angebracht gewesen. Niemand kann etwas dafür, dass kein Schnee gefallen ist, aber man hat mit viel Einsatz das Beste daraus gemacht.
Meiner Meinung nach bedürfte der Beitrag in der Tagesschau vom 23.12.2015 einer RICHTIGSTELLUNG und einer ENTSCHULDIGUNG, wenn nicht sogar einer Untersuchung.“
2. Wie bereits erwähnt, haben die Verantwortlichen von SRF zu Ihren Kritiken Stellung bezogen. Ich möchte Ihnen das Schreiben von Herrn Franz Lustenberger, Stv. Redaktionsleiter der Tagesschau, nicht vorenthalten. Er schreibt Folgendes:
„Mit Mail vom 24. Dezember 2015 beanstandet Frau X die Berichterstattung der Tagesschau vom 23. Dezember über den Schneemangel und die Anmeldung von Kurzarbeit für die Beschäftigten von Bergbahnen.
Frau X stellt eine grundsätzliche Frage zur Themenwahl der Tagesschau, und macht dann einige Bemerkungen zur Moderation von Florian Inhauser sowie zur Rolle der Medien.
Themenwahl
Das Gesetz über Radio und Fernsehen (RTVG) bestimmt, dass die Programmveranstalter «in der Gestaltung, namentlich in der Wahl der Themen, der inhaltlichen Bearbeitung und der Darstellung ihrer Programme frei sind und dafür die Verantwortung tragen» (Art. 6, Abs.2 RTVG).
Die Tagesschau-Redaktion bespricht die Themen des Tages an zwei Redaktionssitzungen am Morgen und am frühen Nachmittag. Basis ist eine interne Planung von Veranstaltungen und Themen. Der verantwortliche Ausgabeleiter der Sendung (namentlich aufgeführt im Schluss-Einblender unter Redaktion) präsentiert um 14.30 Uhr der Redaktion den geplanten Ablauf der Sendung. Alle anwesenden Redaktionsmitglieder können ihre Meinung dazu äussern, Einwände vorbringen und Anregungen machen. Die Verantwortung für die Sendung trägt der Ausgabeleiter, er nimmt die Beiträge und Moderationen ab. Die letzte Verantwortung liegt bei der Redaktionsleitung, die korrigierend eingreift oder die im Zweifelsfall – beispielsweise bei heiklen Bilder aus Kriegsgebieten – vom Ausgabeleiter beigezogen wird. Der Nachrichtenchef als Vertreter der Chefredaktion ist über alle Themen der einzelnen Sendungen des Tages im Bilde; er kann ebenfalls eingreifen.
Diese Delegation von Verantwortung, in Kombination mit intensiver redaktionsinterner Diskussion und «Backup» durch die Redaktionsleitung und die Chefredaktion, hat sich bewährt. Anders wären rund zwei Stunden live-produzierte, tagesaktuelle Sendungen (Tagesschau, Schweiz-aktuell, 10v10, SRF Börse und Glanz & Gloria) gar nicht zu bewältigen.
Schneemangel
Der fehlende Schnee im Dezember, und auch in den ersten Januartagen, war in allen Medien eines der grossen Themen. Das hat die Menschen bewegt und interessiert. Die Tagesschau berichtet gemäss ihrem Auftrag nach den Kriterien von Relevanz und Aktualität. Beide Kriterien sind beim Thema Schneemangel gegeben.
Die Tagesschau hat reale Bilder vom 23. Dezember gezeigt: Während der Moderation ein Blick auf das Oberengadin, im Beitrag dann ausführlich aus dem Skigebiet Motta Naluns in Scuol. Alle Bilder sind weder irreführend noch manipuliert; sie zeigen schlicht die Realität. Die Bilder von Muottas Muraigl sind zudem auch auf der Webseite der Tourismus-Organisation Engadin St. Moritz aufgeschaltet, also auf Ihrer eigenen Werbeplattform.
Wenn Frau X darauf hinweist, dass trotz dieser prekären Schneeverhältnisse durchaus auch Ski gefahren werden konnte, so wird auch dies im Beitrag gesagt. Man sieht Skifahrerinnen und Skifahrer in Aktion. Es wird im ganzen Beitrag nirgends gesagt, dass alle Skipisten geschlossen wären; im Gegenteil, der Filmbeitrag beginnt mit dem Satz: «Skifahren geht zwar, aber meist nur auf Kunstschnee und die Pisten sind längst nicht alle offen...»
In Anschluss an das Gespräch mit dem Meteorologen Joël Rominger von SRF wird nochmals darauf hingewiesen, dass an vielen Orten durchaus Ski gefahren werden kann, und dass viele Pisten mit Einschränkungen geöffnet sind. Die Rede ist von prächtigen Bedingungen, wie die Bilder aus Davos und der Beitrag aus der Westschweiz (Glacier 3000) belegen.
Die Tagesschau hat nicht bezweifelt, dass die Mitarbeitenden der Bergbahnen, angesichts der prekären Schneeverhältnisse, Tag und Nacht einen hervorragenden Job machen, damit die Gäste Pisten vorfinden, auf denen überhaupt Ski gefahren werden kann. Die Tagesschau hat einen anderen Fokus gewählt, nämlich die Frage nach der Beschäftigungslage in den Wintersportorten. Sie hat sich für das Thema der Kurzarbeit-Entschädigungen für die Mitarbeitenden interessiert. Dieser Aspekt ist relevant, denn er geht über die einfache Situationsbeschreibung hinaus. Er stellt grundsätzliche Fragen in einer liberalen Marktwirtschaft, wie auch die klare Reaktion des Staatssekretariates für Wirtschaft Seco im Beitrag zeigt.
Rolle der Medien
Frau X stellt die Frage, ob es nicht Aufgabe der Tagesschau wäre, Tourismus-Orte zu unterstützen, anstatt sie blosszustellen. Wie schon dargelegt – die Tagesschau hat in diesem Beitrag niemanden blossgestellt. In der Konzession für die SRG wird der Programmauftrag umschrieben; dieser ist sehr breit gefasst – von spezifischer Tourismus- oder Wirtschaftsförderung im weiteren Sinne ist aber nicht die Rede (Art. 2, Konzession für die SRG). PR ist nicht Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Radios und Fernsehens in der Schweiz.
Die Tagesschau – wie SRF im Allgemeinen – berichtet immer wieder und sehr ausführlich über die verschiedensten Aspekte des Tourismus. Dies im Bewusstsein, dass die Tourismusbranche für die Schweiz ein wichtiger Wirtschaftsfaktor ist.
Frau X macht sich Gedanken zur Rolle der Medien in der heutigen Zeit, in der Krieg und Terror die Schlagzeilen beherrschen. Die Tageschau führt diese Diskussion auch intern immer wieder. Man spricht in diesem Zusammenhang von „konstruktivem Journalismus“, der bewusst über positive Entwicklungen berichtet, um ein einseitiges negatives Weltbild bei den Zuschauern zu verhindern. Probleme werden nicht ignoriert oder schön geredet, sondern um die Diskussion möglicher Lösungsansätze erweitert.
Genau dies hat die Tagesschau am 23. Dezember gemacht: Sie hat das Problem sachgerecht dargestellt und eine mögliche Lösung, nämlich die Kurzarbeit-Entschädigung, kontrovers dargestellt.
Ich bitte Sie, die Beanstandung in diesem Sinne zu beantworten.“
3. Soweit die Stellungnahme des Stv. Redaktionsleiters der Tagesschau. Herr Franz Lustenberger erklärt ausführlich, warum die Tagesschau die Auswirkungen des Schneemangels thematisiert hat und argumentiert plausibel, warum seiner Meinung nach Ihre Beanstandung abgewiesen werden soll.
Geht es nun um meine eigene Beurteilung, so kann ich Ihre kritische Reaktion durchaus nachvollziehen. Denn in der Anmoderation von Herrn Florian Inhauser konnten sowohl die gezeigten Bilder wie auch die ausgewählte, zum Teil unnötig dramatisierende Formulierung tatsächlich den falschen Eindruck vermitteln, dass im Oberengadin überhaupt nicht Skigefahren werden kann. Wurde damit irreführend, ja vernichtend berichtet? Hätte die Tagesschau im Interesse des Tourismus und der Mitarbeitenden der Bergbahnen gar nicht über das Thema berichten sollen? Nachdem ich die Angelegenheit studieren konnte, gelange ich zu anderen Schlussfolgerungen als Sie.
Zuerst einmal, weil es in der Tagesschau vom 23. Dezember nur indirekt um den Stand der Skipisten in der Schweiz und insbesondere im Oberengadin ging. Vielmehr – wie bereits im Titel der Sendung „wenig Schnee, wenig Jobs, wenig Geld“ transparent angekündigt – war Thema des Beitrages die Frage, ob der fehlende Schnee in den Alpen ein Fall für die Arbeitslosenversicherung sei. Eine durchaus relevante Frage, denn in Graubünden haben etwa ein Dutzend Bergbahnen und Tourismusbetriebe bei den Behörden Kurzarbeit angemeldet. Im Beitrag konnte der Direktor der Bergbahnen Scuols, Herr Egon Scheinwiler, betonen, dass von 70 Angestellten nicht weniger als 30 aufgrund des Schneemangels ohne Arbeit zu Hause bleiben mussten. Die Arbeitslosenversicherung sollte deshalb die Löhne dieser Angestellten zu 80 Prozent übernehmen. Doch die Bedingungen für eine derartige Form der Kurzarbeitsentschädigung sind streng: Solche Entschädigungen werden nur bezahlt, wenn der Umsatz der betreffenden Abrechnungsperiode 25 Prozent des Umsatzes der fünf vorangegangenen Jahre nicht übersteigt. Eine Bedingung, die laut Herrn Scheinwiler viel zu streng sei.
Dann aber auch, weil im Bericht selber in Bild und Ton wiederholt vermittelt wurde, dass viele Pisten trotz Schneemangels offen seien und Skifahren dank Kunstschnee durchaus möglich sei. Am Beispiel Davos wurde sogar von prächtigen Bedingungen gesprochen. Das Publikum war deshalb durchaus in der Lage, den möglicherweise falschen Eindruck in der Anmoderation richtig zu erfassen und wenn nötig zu korrigieren.
Aus dem Gesagten ergibt sich, dass sich das Publikum über das Thema eine eigene Meinung bilden konnte. Das Sachgerechtigkeitsgebot wurde eingehalten. Auch wenn ich für Ihre Reaktion Verständnis habe, kann ich Ihre Beanstandung, soweit ich darauf eintreten konnte, nicht unterstützen.
4. Ich bitte Sie, das vorliegende Schreiben als meinen Schlussbericht gemäss Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes RTVG entgegenzunehmen. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen UBI (Monbijoustrasse 54A, Postfach 8547, 3001 Bern) orientiert Sie der beiliegende Auszug aus dem Bundesgesetz über Radio und Fernsehen.
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