Arthur Honegger über die US-Medienlandschaft: «Der Effekt zählt mehr als die Relevanz»

Sieben Jahre lang hat Arthur Honegger aus New York und Washington für SRF über die amerikanische Politik, Wirtschaft und Gesellschaft berichtet. Nun ist er wieder in der Schweiz und moderiert «10vor10». Im Rahmen des Anlasses «Im Angesicht der Weltmacht USA» der SRG Zürich Schaffhausen Ende Januar sprach LINK mit ihm über den Zustand der amerikanischen Medienlandschaft.

SRG.D: Die grosse Frage gleich vorweg: Worin unterscheidet sich die amerikanische von der Schweizer Medienlandschaft?
Arthur Honegger: Es gibt viele Unterschiede – das Fernsehen ist vor allem noch wichtiger als bei uns, und das News-Angebot am TV ist enorm gross. Nur wenige Amerikaner informieren sich noch über Zeitungen, das sind dann eher «Bildungsbürger». Auch das Internet hat ­einen ganz anderen Stellenwert, aber Fernsehen ist nach wie vor das Info-Medium Nummer eins.

Die SRG SSR hat einen öffentlichen Auftrag. Was unterscheidet uns von den USA?
Unsere SRG ist aus dem Rundfunk entstanden. Sie ist getragen durch den gesellschaftlichen Konsens, dass elektronische Massenmedien reguliert werden müssen – dies auch vor dem Hintergrund der historischen Erfahrungen in Deutschland. In den USA waren die grossen Sender hingegen immer schon in privater Hand. Öffentliches Radio und Fernsehen entwickelte sich dort oft an Universitäten. Beim Fernsehen PBS und bei dem Radiosender NPR spürt man diesen akademischen Hintergrund noch heute. Die Inhalte sind sehr anspruchsvoll, um nicht zu sagen elitär. Bei PBS News etwa werden Studiogäste eingeladen, die zwar Top-Experten sind, aber nicht eben massentauglich ­formulieren. Das verstehen dann nur die­jenigen Zuschauer, die sich bereits sehr gut auskennen. Nicht unproblematisch.
Kümmert sich überhaupt jemand um den Service public?
Es gibt nach wie vor Sender, die in ihren Städten oder Staaten mit den Bildungseinrichtungen zusammenarbeiten. Ihren Auftrag aber erteilen sie sich selber. Finanziert werden sie grösstenteils über Spenden, denn sie kennen keine Gebühren. Das führt dazu, dass das Programm öfter für einen Spendenaufruf unterbrochen wird: «Bitte gebt uns Geld, damit wir weiter Programm machen können.» Viel Geld kommt so aber nicht zusammen, diese Sender konzentrieren sich darum oft auf einen engen Bereich.

Erteilt der Staat keinerlei Leistungs­aufträge?
Nein, das wäre in den USA undenkbar.Die freie Presse stand ja am Anfang der Gründung dieser Nation, und die Amerikaner sind generell eher staatsskeptisch.

Würde ein wenig Regulierung aber nicht auch gut tun?
Was die Qualität angeht auf jeden Fall, vor allem im Bereich der politischen Infor­mation. Da ist das Angebot zwar gross, laut und bunt, doch was man dort teilweise als News serviert bekommt, ist oft nur ­Meinungsmache, die nicht mehr viel mit Journalismus oder Fairness zu tun hat.

Wer steht denn dahinter?
Die Interessen des jeweiligen Konzerns, ganz einfach. Bei Newscorp zum Beispiel heisst der Chef Rupert Murdoch, der ist bekanntermassen konservativ und propagiert sein Weltbild ungeniert über Kanäle wie Fox News. Das linke Pendant dazu heisst MSNBC, da gibt es dann linke Meinungsmache. Die grosse Gefahr dabei ist, dass sich das Publikum mehr und mehr segmentiert.

Und das heisst?
Dass Bürger nur noch Medien konsumieren, die nonstop bestätigen, was die Leute ohnehin schon denken; mit den Argumenten der Gegner wird man nie konfrontiert. Und das ist dann eben keine Meinungs­bildung, sondern Meinungsmache. Dies im grossen Gegensatz zu unserem journalis­tischen Ethos bei der SRG: Wir achten stets darauf, dass bei kontroversen Themen immer beide Seiten zu Wort kommen – egal ob bei «10vor10», der «Tagesschau» oder in der «Arena». Das ist absolut essenziell für das Funktionieren unserer direkten Demokratie. Unsere Zuschauer bilden sich ihre Meinung je nach Thema, und das ist gut so. Voraus­setzung dafür sind professionelle, zuverlässige und faire Medien. In den USA hingegen findet der gesellschaftliche Wettbewerb zwischen Konservativen und Liberalen statt, die Meinungen sind weitgehend gemacht und somit sind auch viele Medien klar auf dem Links-rechts-Schema zu verorten.

«Es besteht die Gefahr, dass Bürger nur noch Medien konsumieren, die nonstop bestätigen, was die Leute ohnehin schon denken»

Wie sehen denn überhaupt News in den USA aus?
Es gibt die sogenannten Cable News, also CNN, Fox News, MSNBC usw., sowie zahlreiche Sender mit Vollprogramm, zum Beispiel ABC oder CBS. Diese berichten zwar neu­traler, aber in der Regel sehr kurz und sehr knallig. Zu Beginn musste ich da immer wieder auf die Stopptaste drücken, um überhaupt Zeit zu haben, die Infografiken zu verstehen, da ist vieles komplett über­laden. Die Statements sind dafür nur fünf bis zehn Sekunden lang; die Macher zielen beim Publikum mehr auf den Effekt als aufs Verstehen.

Können wir von den US-Medien lernen?
Sicher, bei den Innovationen zum Beispiel. Es gibt ständig neue Formate. Und die Trends etwa im Social-Media-Bereich stammen bekanntlich alle aus den USA, weil man sich dort schneller auf Neues einlässt als in Europa – man braucht sich nur ­Twitter anzuschauen, heute unbestritten der wichtigste Informations-Seismograf der Welt.

Sie haben nun ein Land erlebt ohne ­vergleichbaren Service public. Was wäre, wenn dieser bei uns wegfallen würde?
Das will ich mir lieber nicht vorstellen. Ich habe in den USA erlebt, wie proble­ma­tisch gesellschaftliche Polarisierung sein kann – sie legt das politische System dort teilweise lahm. Wenn die Bürger nur noch in ihrer eigenen Echokammer ­leben, fehlt ein Forum für den Meinungsaustausch, für die Meinungsbildung. In der Schweiz aber sind der gemeinsam erarbei­tete Kompromiss und der gesellschaftliche ­Konsens absolut zentral für den Zusammenhalt des Landes. Darauf baut das gesamte System Schweiz.

Interview: Oliver Schaffner
Bild: SRF (Arthur Honegger in seinem Büro in Washington, USA, 2013)

Arthur Honegger über sein Leben in Amerika
Die SRG Zürich Schaffhausen organisierte zum fünften Mal gemeinsam mit der Schaffhauser Vortragsgemeinschaft einen exklusiven Abend mit einem SRF-Auslandkorrespondenten. Nach Jens Korte, Barbara Lüthi, Werner van Gent und Peter ­Gysling sorgte am 28. Januar 2016 auch Arthur Honegger wieder für einen vollen Vortragssaal. ­Honegger liess hinter die Schlagzeilen blicken, berichtete von spannenden ­Begegnungen, besonderen Erlebnissen, aber auch von seinen peinlichsten ­Momenten. Vieles davon hat er in seinem Buch «ABC 4 USA» fest­gehalten. Mit beeindruckendem ­Wissen be­antwortete er am Ende ohne jeg­liches ­Zögern alle Zuschauerfragen.

Kommentar

Bitte beachten Sie, dass Ihr Kommentar inkl. Name in unserem LINK-Magazin veröffentlicht werden kann

Leider konnte dein Kommentar nicht verarbeitet werden. Bitte versuche es später nochmals.

Ihr Kommentar wurde erfolgreich gespeichert und wird nach der Freigabe durch SRG Deutschschweiz hier veröffentlicht

Weitere Neuigkeiten