Berichterstattung von SRF über den Kurdenkonflikt mit der Türkei beanstandet
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Mit E-Mail vom 5. Januar 2016 kritisieren Sie die „unausgewogene Berichterstattung bei SRF über den Kurdenkonflikt mit der Türkei“. Sie beziehen sich insbesondere auf die Tagesschau. Sie begründen Ihre Unzufriedenheit wörtlich wie folgt:
1. «Kürzlich bin ich auf den folgenden Artikel von infosperber gestossen.
http://www.infosperber.ch/Artikel/Medien/Krieg-gegen-Kurden-SRF-Tagesschau-schaut-weg.
Hier wird erwähnt, dass seit Wochen das SRF beim Kurdenkonflikt mit der Türkei aktiv wegschaut. Auch nach meinen Recherchen in dem SRF-Archiv konnte ich weder etwas von dem Konflikt lesen noch alte Tagesschau-Beiträge anschauen.
Ich finde es nicht in Ordnung, dass die SRF seit Wochen nichts von diesem Bürgerkrieg berichtet, wo schon über hundert Tote auch von der Zivilbevölkerung hervorgebracht hat. Auf anderen News-Portalen wie die von der ARD, Spiegel oder BBC sind diverse, aktuelle Berichte zu lesen/anzuschauen. Ich frage mich weshalb das SRF es nicht schafft auch hierüber etwas zu berichten. Sind ihre Auslandskorrespondenten im Urlaub oder bevorzugt die SRF hier eine einseitige ethische Gruppe?
Aus diesem Grund möchte ich hier mit eine Beanstandung einreichen, weil die SRF sei es auf ihrer Webseite oder vor allem in der Tagesschau etwas nicht behandelt was auch von grosser Wichtigkeit ist.
Ich hoffe mit dieser Beanstandung, dass die SRF beginnt auch über das Kurdenkonflikt in der Türkei zu berichten“.
2. Ich habe, wie üblich, die Redaktion gebeten, Stellung zu Ihrer Kritik zu nehmen. Hier die Antwort von Franz Lustenberger, Stv. Redaktionsleiter Tagesschau.
„In seiner Eingabe vom 5. Januar 2016 kritisiert Herr X die „unausgewogene Berichterstattung“ über den Kurdenkonflikt mit der Türkei. Er verweist dabei auf einen Artikel im Medienportal „infosperber“ von Urs P. Gasche vom 4. Januar.
Er schreibt in seiner Eingabe davon, dass SRF und vor allem die Tagesschau „etwas nicht behandelt was auch von grosser Wichtigkeit ist“. Herr X kritisiert nicht die Unausgewogenheit in den einzelnen Meldungen, sondern das Fehlen einer Berichterstattung überhaupt.
Ich gehe im Folgenden auf zwei Aspekte ein. Zum einen auf die Programmautonomie gemäss Verfassung und RTVG, zum anderen auf den inhaltlichen Vorwurf der fehlenden Berichterstattung.
Programmautonomie
Bereits in der Verfassung ist die Programmautonomie verankert: „Die Unabhängigkeit von Radio und Fernsehen sowie die Autonomie in der Programmgestaltung sind gewährleistet“ (BV Art. 93, Ziff.3).
Im Gesetz wird diese Autonomie der Programmveranstalter weiter präzisiert: „Sie sind in der Gestaltung, namentlich in der Wahl der Themen, der inhaltlichen Bearbeitung und der Darstellung ihrer Programme, frei und tragen dafür die Verantwortung“ (RTVG Art. 6, Ziff.2). Und weiter: „Niemand kann von einem Programmveranstalter die Verbreitung bestimmter Darbietungen und Informationen verlangen“ (RTVG Art.6, Ziff.3).
Diese Freiheit ist nicht unbeschränkt. Sie ist kein Freipass für Willkür in der Themenwahl. Die SRG-Konzession vom 28. November 2007 (Stand 1. Juni 2013) formuliert den Programmauftrag so: „Die SRG trägt bei zur a) freien Meinungsbildung des Publikums durch umfassende, vielfältige und sachgerechte Information, insbesondere über politische, wirtschaftliche und soziale Zusammenhänge...“ (SRG-Konzession Art.4).
Soweit die rechtlichen Grundlagen: Sie garantieren die Programmautonomie und lehnen jeglichen Anspruch auf irgendwelche Berichterstattung ab, gleichzeitig formulieren sie aber auch einen Informationsauftrag.
Konkrete Berichterstattung
Die Konzession hält nicht fest, in welchen Gefässen (Radio, Fernsehen, Internet, respektive einzelne Sendungen) dieser Informationsauftrag zu erfüllen ist. Eine solche Vorschrift würde auch keinen Sinn machen, und sie wäre in vollständigem Widerspruch zur Programmfreiheit.
Der Beschwerdeführer führt mit Verweis auf ein Medienportal lediglich die Tagesschau-Sendungen von 19.30 Uhr als Beleg ins Feld. Die Tagesschau produziert täglich vier Sendungen (Mittag, 18 Uhr, 19.30 Uhr Spät/Nachtausgabe). In der heutigen Zeit der permanenten News macht die Fokussierung auf eine einzelne Sendung keinen Sinn. In den Zeiten meiner Eltern waren 12.30 Uhr am Mittag (Nachrichten von Radio Beromünster) und 19.30 Uhr (Tagesschau) besondere Zeiten im Tagesverlauf. Es sind für das Publikum nach wie vor wichtige Sendezeiten, bei weitem aber nicht die einzig relevanten Sendezeiten.
Ich habe alle Sendungen der Tagesschau (und teilweise auch von 10v10) seit Ende Oktober (Wahlen in der Türkei) und besonders ab anfangs Dezember unter die Lupe genommen. Die Tagesschau hat mehrfach über den Kurdenkonflikt berichtet. Da nicht alle Sendungen der Tagesschau im Internet verfügbar sind, habe ich alle Nachrichten- und Beitragstexte herauskopiert und eingescannt (siehe separates Dossier).
Ich habe zusätzlich auch einzelne Textbeiträge von srf/news herauskopiert. Die Tagesschau hat entgegen der Ansicht des Beschwerde-führers verschiedentlich über den Konflikt in der Osttürkei berichtet. Dies belegt die Liste der beigefügten Beiträge:
30. Oktober (10v10); 28. November (Tagesschau Nacht); 10. Dezember Tagesschau 18 Uhr); 14. Dezember (10v10); 17. Dezember (srf.news); 20. Dezember (srf.news); 21. Dezember (Tagesschau 18 Uhr); 21. Dezember (Tagesschau Nacht); 25. Dezember (Tagesschau Mittag); 25. Dezember (Tagesschau Spätausgabe); 29. Dezember (Tageschau 18 Uhr); 3. Januar (Tageschau Spätausgabe); 4. Januar (Tagesschau 18 Uhr); 4. Januar (Tagesschau 19.30 Uhr); 5. Januar (srf.news); 7. Januar (srf.news)
SRF blendet den Konflikt in der Osttürkei überhaupt nicht aus. Im Gegenteil: Das neue Auslandmagazin SRFglobal hat die erste Sendung am 22. September 2015 ganz der Türkei und damit auch der Kurdenproblematik gewidmet. Notabene zu einer Zeit, als die wenigsten Medien den Fokus auf die Türkei gerichtet hatten.
http://www.srf.ch/play/tv/redirect/detail/fa877f9c-7849-4527-95da-1a41ae48b7a3
Ich bin der festen Überzeugung, dass eine solch umfassende Darstellung für das Publikum mehr bringt als einzelne Meldungen und Nachrichten, die vom Beschwerdeführer indirekt angemahnt werden. Die Zuschauerinnen und Zuschauer möchten Erklärungen und Vertiefungen, möchten Hintergründe erfahren.
Die Tagesschau – und SRF generell – sind kein internationaler News-Channel, der rund um die Uhr Nachrichten sendet. SRF kann und muss in der Auslandberichterstattung Schwerpunkte setzen. Wie dies beispielsweise eben mit der Sendung SRFglobal zur Türkei im Herbst gemacht wurde.
Nicht zuletzt gibt es viele Themen und Konflikte in der Welt, über die es wert ist, zu berichten. Ganz generell muss jede Tagesschau-Ausgabe aufgrund der beschränkten Sendezeit eine enge Auswahl an Themen treffen. Anders als Zeitungen, die mehrere Dutzend Themen jeden Tag aufnehmen können. Das ganze Tagesschau-Team strebt danach, jeden Tag eine Sendung zusammenzustellen, die relevant, vertiefend, kritisch und interessant ist für ein äusserst breitgefächertes Publikum. In Bezug auf die Auswahl oder die journalistische Gewichtung der Themen ist die Tagesschau durchaus selbstkritisch genug, um Anregungen, über ein Thema mehr zu berichten, aufzunehmen. In diesem Sinne werden wir die Kritik des „infosperber“ im Rahmen des regelmässigen Austausches unter den Produzenten (verantwortliche Ausgabeleiter) weiter besprechen.
Fazit
Die Tagesschau, 10v10, SRFglobal und srf/news haben in vielen Sendungen und Artikeln über das Geschehen in der Osttürkei berichtet.
Die Kritik von Herrn X ist uns Anlass, jeweils noch intensiver über die Themenwahl des Tages in der Redaktion zu diskutieren. Ich bitte Sie, die Eingabe in diesem Sinne zu beantworten.“
3. Soweit die Stellungnahme der Redaktion, bezogen sowohl auf den Aspekt Programmautonomie als auch auf die konkrete Berichterstattung. Meine Beurteilung nach gründlicher Analyse Ihrer Eingabe:
Aufgabe der Ombudsstelle ist laut Radio- und Fernsehgesetz RTVG (Art. 91 Abs. 3) zu überprüfen, ob in einer beanstandeten Sendung die geltenden programmrechtlichen Bestimmungen (insbesondere die Art. 4 RTVG – Mindestanforderungen an den Programminhalt – und Art. 5 RTVG – Jugendgefährdende Sendungen) verletzt wurden oder nicht.
Im Zusammenhang mit dem Sachgerechtigkeitsgebot von Art. 4 Abs. 2 RTVG prüft die Ombudsstelle, ob dem Publikum aufgrund der in der Sendung oder im Beitrag vermittelten Fakten und Meinungen ein möglichst zuverlässiges Bild über einen Sachverhalt oder ein Thema vermittelt wird, so dass dieses sich darüber frei eine eigene Meinung bilden kann.
Bei der Behandlung von Beanstandungen muss die Ombudsstelle der den Veranstaltern zustehenden Programmautonomie gebührend Rechnung tragen. Denn etwas darf nie vergessen werden: Art. 93 Abs. 3 der Bundesverfassung und Art. 6 Abs. 2 RTVG gewährleisten die Programmautonomie des Veranstalters. Diese beinhaltet namentlich auch die Freiheit in der Wahl eines Themas einer Sendung oder eines Beitrags und in der inhaltlichen Bearbeitung.
Nun schreibt auch der Stv.- Redaktionsleiter der Tagesschau, dass diese Freiheit „nicht unbeschränkt“ und „kein Freipass für Willkür in der Themenwahl“ ist und auch der in der SRG-Konzession formulierte Programmauftrag verlange, dass SRF zur freien Meinungsbildung des Publikums durch umfassende, vielfältige und sachgerechte Information, insbesondere über politische, wirtschaftliche und soziale Zusammenhänge beizutragen habe. In diesem Bewusstsein stellen die Redaktionen ihre Programme zusammen.
Bei der Beurteilung über die Berichterstattung eines Themas muss die gesamte Leistung von SRF betrachtet werden. Nur die Tagesschau – und wie in Ihrer Eingabe, nur die Hauptausgabe - anzuschauen, gibt eine verengte Sicht. SRF – und auch andere Sender – haben bewusst verschiedene Informationsgefässe geschaffen - Nachrichtensendungen (Tagesschau), Infotainment-Sendungen (10 vor 10) und Hintergrundsendungen, wie das neuere Auslandmagazin SRF Global. Dazu kommt die Berichterstattung auf der Website. Alle diese Gefässe haben verschiedene Funktionen – von der kurzen Berichterstattung über die Entwicklung einer Situation, eines Konfliktes usw. bis zur tiefgründigen Einordnung. Gerade die Erklärung fehle in heutigen Medien zunehmend, stellen Wissenschaft und Kritiker immer wieder fest (z.B. Jahrbuch Qualität der Medien). Dass SRF mit der Gebührengrundlage diese liefert, ist wichtig und richtig. Besonders bei komplexen Themen, wie beispielsweise dem Kurdenkonflikt, braucht es neben Tagesaktuellen immer wieder Hintergrundinformationen, die uns Zusammenhänge erklären.
Gemäss der Zusammenstellung von SRF wurde in den letzten Monaten in verschiedenen Sendungen über den Kurdenkonflikt berichtet. Einige Beispiele:
Am 30.10. sendet 10vor10eine Reportage über die Bevölkerung im Osten der Türkei, die für den Politpoker (es ist kurz vor den Wahlen) einen hohen Preis bezahle.
Am 28.11. berichtete die Spätausgabe der Tagesschau vom Tod des prominenten kurdischen Anwalts Tahir Elci.
Am 10. 12. berichtet die Vorabend-Tagesschau über den Besuch des irakischen Kurdenpräsidenten Barzani bei Präsident Erdogan und Ministerpräsident Davutoglu
Am 14.12. informierte 10vor10, dass zwei kurdische Demonstranten von Sicherheitskräften erschossen worden seien.
Auf der SRF-Website finden sich am 17. und 20. Dezember Beiträge mit den Titeln: „Grösster Einsatz der türkischen Armee gegen PKK seit zehn Jahren“, sowie „Der Türkei droht ein Bürgerkrieg“.
Im gleichen Zeitraum und bis 2016 wird in der Tagesschau mehrmals über Gefechte zwischen PKK und Armee und Protestationen dagegen berichtet. Beispielsweise am 25.12. in der Spätausgabe der Tagesschau: „Gewalt gegen Kurden – inzwischen wieder allgegenwärtig. Friedens-Verhandlungen, wie sie der Präsident einst selbst veranlasst hatte, scheinen für Erdogan keine Option mehr.“
Kernstück der Einordnung aber war am 22. September 2015 das damals neu lancierte Auslandmagazin SRF Global, das die Entwicklungen in der Türkei und die Rolle von „Machtmensch Erdogan“ aus den Blickwinkeln von den drei SRF-Korrespondenten in Istanbul, Beirut und Brüssel sowie eines kurdischen Journalisten von Ronahi TV mittels Berichten und Interviews erklärt.
SRF berichtet also durchaus über den Kurdenkonflikt und ermöglicht den Zuschauenden, gerade auch durch Hintergrundsetzungen, sich mit der Situation in der Ost-Türkei sachlich auseinandersetzen zu können.
In diesem Sinne kann ich Ihre Beanstandung nicht gut heissen, ich sehe keine Verletzung der Programmbestimmungen. Dass die Redaktion künftig, wie sie in ihrer Stellungnahme schreibt, noch intensiver über die Themenwahl diskutieren wird, ist zu befürworten.
4. Ich bitte Sie, das vorliegende Schreiben als meinen Schlussbericht gemäss Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes RTVG entgegenzunehmen. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen UBI (Monbijoustrasse 51A, Postfach 8547, 3001 Bern) orientiert Sie der beiliegende Auszug aus dem Bundesgesetz über Radio und Fernsehen.
Sylvia Egli von Matt
Stv. Ombudsfrau SRG.D
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