Zwei «Tatort»-Folgen beanstandet

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Mit Ihrem Brief vom 5. Januar 2016 kritisieren Sie die beiden Tatort-Folgen um die Jahreswende. Den Erhalt Ihrer Eingabe habe ich mit meinem Brief vom 12. Januar bereits bestätigt.

Wie üblich, habe ich die Verantwortlichen von SRF gebeten, zu Ihren Kritiken Stel­lung zu beziehen. Dies ist erfolgt und in der Zwischenzeit habe ich die Angelegenheit analysieren können. Ich bin somit in der Lage, Ihnen heute meinen Schlussbericht zu senden.

1. Sie begründen Ihre Beanstandung wie folgt:

„Dass man angesichts der angespannten Lage in Europa und der Welt einen solchen Hardcore-Brutalo mit entsprechendem politischem Hintergrund serviert bekommt, ist nichts anderes als eine Zumutung für den friedliebenden, aufgeklärten Bürger unseres Landes. Und das noch im gebührenpflichtigen öffentlich-rechtlichen Rahmen des Schweizer Fernsehens geschieht und dafür Gelder der Rundfunkteilnehmer verwendet werden, ist zusätzlich noch äusserst bedenklich.

Sie sollten sich zu Recht schämen, eine solche gewaltverherrlichende Produktion auszustrahlen, welche Ängste zum Versagen der Polizei, Justiz und Gesellschaft verbreitet und die vermeintliche Allmacht terroristischer Gruppierungen in schockierender Weise thematisiert. Und dies zu einer Sendezeit, wo ein in solchen Themen abgehärtetes jugendliches Publikum Vorbilder und Ideale abholen kann.

Als wären die Nachrichten aus der realen Welt nicht beunruhigend genug, werden hier Opfer und Betroffene gleichsam verhöhnt und in ihrer Würde getroffen.

Sie haben offenbar jegliches Feingefühl und Gespür verloren, was die derzeitige politische Lage verträgt, und was nicht. Dies trifft in gleichem Masse auch für die Produzenten des Films und die Schauspieler zu, die sich für ein solches Machwerk hingeben und sich in den Dienst von Effekthaschern und Zuschauerzahl-Arithmetikern begeben.

Als Bürger, Steuer- und Gebührenzahler in diesem Land verlange ich zu dieser Stunde nur eins: Eine öffentliche Distanzierung von der Ausstrahlung dieser Folgen und eine Entschuldigung bei Ihrem Fernsehpublikum. Sie werden sicher auch verstehen, dass ich mir eine Bezahlung der Fernsehgebühren für dieses Jahr reiflich überlege und vorbehalte.“

2. Wie bereits erwähnt, haben die Verantwortlichen von SRF zu Ihren Kritiken Stellung bezogen. Ich möchte Ihnen das Schreiben von Frau Lilian Räber, Leiterin Fernsehfilm, nicht vorenthalten. Sie schreibt Folgendes:

„Auf Ihre Bitte um eine redaktionelle Stellungnahme zur Kritik von Herrn X gehe ich gerne ein.

Zuallererst ein paar Worte zum Tatort. Die Tatortreihe erfreut sich bei unserem und auch dem deutschen und österreichischen Publikum grosser Beliebtheit. Seit 2011 zeigt SRF die Filme auf dem Sendeplatz am Sonntagabend um 20.00 Uhr. Es gibt Fanclubs, die die neuen Folgen mit Spannung erwarten, zusammen anschauen und anschliessend bewerten. Der Tatort startete 1970 und hat sich bis heute in der schnelllebigen und sich immer rascher verändernden Fernsehlandschaft gut gehalten. Das ist ein Phänomen. Das Schweizer Radio und Fernsehen sieht deshalb einen grossen Vorteil darin, sich am Tatort-Verbund zu beteiligen. Die Redaktion will nicht etwa, wie Herr X meint, mit billigen Effekten auf gute Zahlen setzen, sondern sie ist überzeugt, dem Publikum ein hochwertiges Programm zu bieten.

SRF produziert den Tatort in Produktionsgemeinschaft mit der ARD und dem ORF. Von den 36 Tatortfolgen pro Jahr werden drei Folgen vom Schweizer Radio und Fernsehen produziert (Tatort Luzern und Tatort Bodensee in Koproduktion mit dem SWR). Die restlichen Folgen sind sogenannte Übernahmen und werden von den deutschen, respektive österreichischen Redaktionen verantwortet. Wir haben auf die Inhalte dieser Filme keinen Einfluss. Mit den Produzenten und Schauspielern, die Herr X kritisiert, hatten wir keinen Kontakt. Trotzdem übernehmen wir für die Ausstrahlung dieser Filme die Verantwortung.

Zum Punkt Gewaltdarstellung und Jugendschutz: Das Publikum erwartet vom Fernsehen, dass es die Komplexität der Wirklichkeit im Programm widerspiegelt. Dazu gehört auch das Phänomen der Gewalt, das seit jeher in unserer Gesellschaft existiert. Gerade im Kriminalfilm, wie der Tatort einer ist, ist Gewalt von Anfang an ein Thema. Krimis erzählen von Verbrechen und ihren Folgen und sind per Definition keine leichte Unterhaltung. Deshalb zeigen wir sie in der Regel erst im Hauptabendprogramm ab 20 Uhr. Dieses Programm richtet sich grundsätzlich an ein mündiges Publikum, das sich bei der Festlegung seiner Bedürfnisse und Rezeptionsgewohnheiten nicht gerne bevormunden lässt. Die Redaktion achtet aber darauf, dass das Programm einem Publikum ab 12 Jahren zugemutet werden kann. Die Tatorte aus Deutschland werden vom Jugendschutzbeauftragten der Sender geprüft und frei gegeben. So geschehen auch bei den beiden von Herrn X kritisierten Folgen.

Vermischung von Realität und Fiktion: Wir entnehmen der Beschwerde, dass sich Herr X besonders gestört hat an der Nähe der Erzählung zur ‚angespannten Lage in Europa und der Welt’. Tatsächlich haben die Attentate in Paris die ARD dazu bewogen, die ursprünglich geplante Ausstrahlung im November zu verschieben. Auch die Geiselnahme im Studio der Tagesschau, die erste Szene im zweiten Teil der Doppelfolge, wurde nachträglich bearbeitet. Ziel der Bearbeitung war, die ursprünglich viel stärker geplante Vermischung von realer Tagesschau und fiktivem Tatort zu verringern. Unserer Meinung nach waren diese beiden Entscheidungen richtig. Trotzdem ist noch spürbar, dass mit einer Vermischung gespielt werden sollte. Wir verstehen deshalb Herrn Xs Reaktion, halten aber die getroffenen Massnahmen für ausreichend, um einer Beschwerde entgegenzutreten.

Im Gegensatz zur Vermischung von Realität und Fiktion steht schliesslich die besondere Farbe des NDR-Tatorts mit seinem Ermittler gespielt von Til Schweiger. Der Schauspieler hat das Ziel, seine Folgen besonders spannend zu gestalten. Vorbild sind die englischen und amerikanischen Actionfilme. Das Genre des Actionfilmes lebt von Schlägereien, Explosionen und rasanten Autofahrten. Der Schauwert der teuren und aufwendig inszenierten Szenen steht im Vordergrund, eine politische Botschaft ist nicht impliziert und die Realität tritt in den Hintergrund. Abgesehen von der oben erwähnten Eingangsszene ist der Film deshalb in unseren Augen eindeutig als fiktives Werk erkennbar. Nun kann man das Genre Action mögen oder nicht. Das Publikum, an das sich die Tatorte richten, ist aber in aller Regel fähig, solche Genreversatzstücke zu erkennen und zu interpretieren.

Insgesamt sind wir der Überzeugung, dass die beiden Tatortfolgen sorgfältig geprüft, der aktuellen Lage angepasst und auf dem richtigen Sendeplatz gezeigt wurden.

Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen möchte ich Sie bitten, die Beanstandung abzuweisen.“

3. Soweit die Stellungnahme der Verantwortlichen von SRF. Als Leiterin „Fernsehfilme“ argumentiert Frau Lilian Räber ausführlich, warum ihrer Meinung nach Ihre Beanstandung abgewiesen werden soll.

Geht es nun um meine eigene Beurteilung, so kann ich Ihre kritische Reaktion durchaus verstehen. Angesicht der leider vorhandenen Aktualität kann man sich sicher fragen, ob es opportun ist, am Schweizer Fernsehen derartige Produktionen wie den Tatort „Der grosse Schmerz“ vom 1. Januar und „Fegefeuer“ vom 3. Januar zu zeigen. Auch wenn beide Tatort-Folgen etwas angepasst worden sind, nehmen sie doch klar Bezug zu gegenwärtigen terroristischen Aktivitäten.

Doch die Ombudsstelle hat keine Qualitätskontrolle vorzunehmen, sie hat nicht die Aufgabe, zu bewerten, ob die Ausstrahlung eines Filmes opportun ist. Sie hat lediglich zu beurteilen, ob die geltenden gesetzlichen Bestimmungen verletzt wurden oder nicht. Vorwiegend geht es um das Verbot, Gewalt zu verherrlichen oder zu verharmlosen (Art. 4 Abs. 1 RTVG) und um die Bestimmungen betreffend „Jugendgefährdende Sendungen“ von Art. 5 RTVG.

Dabei – und dies scheint mir sehr wichtig zu sein – muss die Ombudsstelle bei der Behandlung von Beanstandungen der den Veranstaltern zustehenden Programmautonomie gebührend Rechnung tragen.

Denn etwas darf nie vergessen werden: Art. 93 Abs. 3 der Bundesverfassung und Art. 6 Abs. 2 RTVG gewährleisten die Programmautonomie von Radio und Fernsehen.

Diese beinhaltet namentlich auch die Freiheit in der Wahl eines Themas einer Sendung oder eines Beitrags und in der inhaltlichen Bearbeitung. Das Fernsehen ist somit grundsätzlich frei, unabhängig vom reellen Umfeld auch harte Krimis wie die zwei von Ihnen kritisierten Tatort-Folgen zu senden. Vorausgesetzt, dass Gewalt nicht verherrlicht oder verharmlost wird und der Jugendschutz gewährleistet ist.

Dies war meines Erachtens in den zwei Tatort-Krimis durchaus der Fall. In seinem Kampf gegen das organisierte Verbrechen spielt Til Schweiger als LKA-Chef Nick Tschiller das Gute, der mit allen Mitteln gegen die Gewalt des Bösen kämpft. Gewalt wird deshalb in keiner Weise verharmlost, sondern bekämpft. Zudem wurden die geltenden Bestimmungen zum Jugendschutz nicht verletzt.

Aus dem Gesagten ergibt sich, dass ich zwar für Ihre Reaktion viel Respekt und Verständnis habe, Ihre Beanstandung aber, soweit ich darauf eintreten konnte, nicht unterstützen kann.

4. Ich bitte Sie, das vorliegende Schreiben als meinen Schlussbericht gemäss Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes RTVG entgegenzunehmen. Über die Mög­lichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen UBI (Monbijoustrasse 51A, Postfach 8547, 3001 Bern) orientiert Sie der beiliegende Auszug aus dem Bundesgesetz über Radio und Fernsehen.

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