Sendung «Club» zur Durchsetzungsinitiative beanstandet
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Vielleicht haben Sie es schon mitbekommen: Auf der Ombudsstelle der SRG Deutschschweiz hat ein Wechsel stattgefunden. Am 1. April habe ich das Amt und damit auch Ihre Beanstandung von Achille Casanova übernommen.
A. Ihre Beanstandung vom 26. Februar 2016 richtet sich gegen die Fernsehsendung „Club“ vom 9. Februar 2016, in der sechs Personen – drei Befürworter und drei Gegner – über die Durchsetzungsinitiative diskutierten. Moderator war Thomy Scherrer. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:
„Die Sendung fand statt im Vorfeld einer wichtigen Abstimmung, die Rolle des öffentlich-rechtlichen Fernsehens müsste sein, kontroversen politischen Standpunkten ein Forum zu bieten für Diskussion und Auseinandersetzung, damit sich Zuschauerinnen und Zuschauer eine Meinung über die strittige Vorlage bilden können.
Diesem Anspruch wurde die Sendung in keiner Weise gerecht. Der Moderator Thomy Scherrer war absolut unfähig, eine Diskussion zu leiten und war offensichtlich überfordert, die Übersicht zu wahren und die Diskussion sinnvoll zu strukturieren.
Er sass die ganze Zeit stumm und hilflos da, derweil die drei Herren von der SVP nach Belieben, feixend und grinsend, die Moderation der Sendung an sich gerissen und nach Belieben gesprochen haben, ohne dass der Moderator ordnend eingegriffen hätte. Die Initiativgegner versuchten sich Gehör zu verschaffen, was aber meistens nicht gelang und sie waren höflich genug, diese katastrophale Sendung über sich ergehen zu lassen, statt über die fehlende Moderation durch Scherrer zu protestieren.
Ich bitte Sie um eine Erklärung, wie so etwas in einem von mir bis jetzt als seriös betrachteten öffentlich-rechtlichen Sender stattfinden konnte. Die Sendung hat auf mich gewirkt wie eine Propagandasendung für die Durchsetzungsinitiative, nicht wie eine Diskussionssendung über eine strittige Vorlage. Das ist im Moment deshalb besonders gravierend, weil das Stimmenverhältnis knapp zu werden scheint und weil gerade in einer solchen Situation SRF nicht eine einseitige Sendung zugunsten der Initiative ausstrahlen darf. Ich unterstelle nicht, dass SRF dies bewusst gemacht habe (um der SVP zu gefallen), ich denke eher, dass die Sendung so einseitig verlief, weil der Moderator der Sache nicht gewachsen war. Das macht sie aber deshalb nicht unbedenklicher“.
Ihre Kritik besagt im Wesentlichen, dass der Moderator zu passiv war und die Diskussion nicht wirklich geleitet hat und dass deswegen die Sendung zu einer Propagandasendung für die Durchsetzungsinitiative und für die SVP wurde.
B. Als Sendeverantwortliche nahm die stellvertretende Redaktionsleiterin des „Clubs“, Christine Schulthess, zu Ihrer Beanstandung wie folgt Stellung:
„Vom Beschwerdeführer X aus Basel wird moniert, der Moderator Thomy Scherrer hätte es unterlassen, die Diskussion sinnvoll zu strukturieren und die Übersicht zu wahren. Zudem hätten die Befürworter der Durchsetzungsinitiative die Moderation der Sendung an sich gerissen und nach Belieben gesprochen, ohne dass der Moderator ordnend eingegriffen hätte. Die Sendung hätte gewirkt wie eine Propagandasendung für die Durchsetzungsinitiative, die Sendung sei einseitig verlaufen.
Auch wir haben diese Sendung redaktionsintern genau analysiert. Und wir sind zum Schluss gekommen, dass die Moderation in diesem Falle nicht optimal war. Thomy Scherrer hatte den Gesprächsteilnehmern allerdings ganz bewusst relativ viel Redezeit für die Erläuterungen der einzelnen Pro- bzw. Contra-Argumente geben wollen, weil es auch in anderen Medien und in der Öffentlichkeit ein besonders heiss diskutiertes politisches Eisen war und auch die Liste der Pro- und Contra-Argumente lang war. Und weil die Sendung kurz vor der Abstimmung stattgefunden hatte, war es eine Auflage, dass die Gesprächsteilnehmer beider Lager gleich viel Redezeit zur Verfügung haben.
Aus diesem Grund haben wir die Sendung besonders genau unter die Lupe genommen. Im Anhang können Sie auf die Sekunde genau die Redezeiten der einzelnen Exponenten bzw. der einzelne Lager (Pro/Contra) – gekennzeichnet mit unterschiedlichen Farben – entnehmen. Diese Liste zeigt, dass die Gegner der Durchsetzungsinitiative einen Redeanteil von 33 Minuten und 10 Sekunden hatten, die Befürworter der Durchsetzungsinitiative einen Redeanteil von 33 Minuten und 31 Sekunden. Der Rest der Sendung waren Anmoderation, Zwischenmoderation und Verabschiedung. Das heisst: Die Befürworter hatten ziemlich genau 20 Sekunden mehr Redezeit, was einer ausgeglichenen Redezeit entspricht. Es kann also in keiner Weise von einer ‚Propagandasendung für die Durchsetzungsinitiative‘ die Rede sein, noch von einer Sendung, die einseitig verlief.
Das Online-Magazin „Watson“ hat die Sendung unter die Lupe genommen und dazu geschrieben: ‚Sendezeit ist Zeit. Sie lässt sich messen. In Gefühlen und in Minuten. Die Gefühle sagten gestern angesichts des ‚Clubs‘ vom Dienstag zur Durchsetzungsinitiative (DSI): Geht gar nicht. Die Gefühle sagten, dass die Befürworterseite etwa 85 Prozent der Redezeit für sich beanspruchen durfte. Das stimmt nicht. Wir haben die Zeit gestoppt. Befürworter und Gegner hatten bis auf wenige Sekunden die gleiche Redezeit.‘ (ganzer Text: http://www.watson.ch/Schweiz/watson-Leser%20empfehlen/957208285-Die-Eindrittel-R%C3%B6sti--Der-%C2%ABClub%C2%BB-zur-Durchsetzungsinitiative-in-Zahlen)
Kommt hinzu, dass ein Redaktor der Club-Redaktion wenige Tage nach Ausstrahlung der Club-Sendung Feedbacks von Gegnern der Durchsetzungsinitiative erhielt. Diese hätten die Gesprächsanlage gelobt und gesagt, dass ihre Argumente trotz ‚turbulenter Diskussion‘ genügend Platz erhalten hätten. Dasselbe Feedback kam übrigens auch von den Club-Gästen Kaspar Surber und Massimo Aliotta.
Was die Strukturierung der Sendung betrifft: Wie bei jeder Sendung entwirft und bespricht der Moderator zusammen mit der Produzentin ein Konzept. Doch wie in jeder Diskussionssendung mit Live-Charakter (die Sendung wird zwar am Tag der Ausstrahlung aufgezeichnet, jedoch nicht geschnitten) kann sich ein Moderator nicht immer an den geplanten Kurs halten. Gerade strittige Vorlagen wie diese, die bereits im Vorfeld hochemotional geführt werden, sind für die Gesprächsleitung äusserst anspruchsvoll. Die Redaktion sieht ein: Der Moderator Thomy Scherrer hätte öfters einordnend und zusammenfassend eingreifen müssen, damit die Übersicht für den Zuschauer besser gewahrt gewesen wäre.“
C. Damit komme ich zu meiner eigenen Beurteilung. Vorweg sind zwei wichtige Punkte zu berücksichtigen. Es handelt sich erstens um eine Diskussionssendung, und es handelt sich zweitens um eine Diskussionssendung im Vorfeld einer Volksabstimmung . Das Bundesgericht sagt, dass an Diskussionssendungen weniger hohe Anforderungen gestellt werden dürfen als an Informationssendungen. Warum? Weil ein Moderator eine Diskussionssendung zwar leiten und Fragen stellen kann, aber keine Macht darüber hat, was die einzelnen Beteiligten dann im konkreten Fall antworten. Man kann im Grunde im Bereich der politischen Berichterstattung drei Sendetypen unterscheiden:
Sendetypen | Journalistischer Einfluss |
Informationssendung: recherchierter, gestalteter Beitrag | Groß (außer kurze Quotes kann alles kontrolliert werden) |
Diskussionssendung: Runde mit geladenen Gästen | Mittel (die Redebeiträge können völlig anders ausfallen als erwartet) |
Direktübertragung: ritualisierter Anlass mit Kommentar | Gering (man kann das Geschehen nicht steuern, nur erläutern) |
Bei Diskussionssendungen kann man also nicht verlangen, dass alle Teilthemen zur Sprache kommen, dass auf jedes Argument ein Gegenargument folgt und dass das Wissen, die rhetorische Brillanz und die Argumentationsstärke gleichmäßig auf die verschiedenen Lager verteilt sind.
Was man aber verlangen kann, ist die besondere Sorgfalt bei Sendungen vor einer Volksabstimmung. Dazu gehört das Vielfaltsgebot: Abstimmungssendungen müssen ausgewogen sein. Die war im konkreten Fall zuerst dadurch sichergestellt, dass den drei Befürwortern der Durchsetzungsinitiative – Ständerat Thomas Minder, Nationalrat Albert Rösti und Bundeshausredaktor Beni Gafner – drei Gegner gegenübersaßen: Nationalrätin Doris Fiala, stellvertretender Redaktionsleiter Kaspar Surber und Anwalt Massimo Aliotta. Ferner kamen die beiden Seiten auf 20 Sekunden genau gleich lang zu Wort. Dem Vielfaltsgebot war also Genüge getan.
Der „Club“ ist eine andere Diskussionssendung als die „Arena“ oder als „Schawinski“. Deshalb ist auch die Rolle des Moderators oder des Interviewers nicht identisch. Im „Club“ sollen die Gäste die Möglichkeit haben, ausführlich zu argumentieren, einen Gedankengang zu Ende zu führen und immer wieder auf die Gegenseite zu replizieren. Es ist darum nicht falsch, wenn der Moderator die Diskussion über längere Strecken einfach laufen lässt, besonders bei einem Thema, das nicht neu ist und bei dem das Publikum die Argumente der beiden Seiten schon ein wenig kennt. Moderator Thomy Scherrer hätte sicherlich an der einen oder anderen Stelle früher intervenieren müssen, er hätte unterbinden müssen, dass der Journalist Beni Gafner den gegenüber sitzenden Gästen immer wieder dreinredete, und er hätte dafür sorgen sollen, dass der Anwalt Massimo Aliotta jedes Mal ausreden kann. Auch die Redaktion kam ja in der nachträglichen Sendeanalyse zum Schluss, dass die Moderation etwas zugriffiger hätte sein können. Aber deswegen ist die Sendung weder verunglückt noch einseitig geworden. Sie war im Gegenteil ein echter Austausch von Argumenten.
Nun ist es natürlich Geschmacksache und auch eine Frage der eigenen Position, ob man die eine Seite als wirkungsmächtiger empfindet als die andere. Mir schienen jedoch die beiden Lager auch faktisch ähnlich stark: Nationalrat Albert Rösti argumentierte sehr gut, aber auch Nationalrätin Doris Fiala war sehr eindrücklich. So kann ich Ihnen nicht zustimmen, dass die Sendung wie eine Propagandasendung für die Durchsetzungsinitiative gewirkt habe. Selbst wenn der Moderator den Eindruck gehabt haben sollte, dass eine Seite überzeugender war als die andere, hätte er nicht eingreifen und diese zurückbinden dürfen, denn es nicht seine Aufgabe, rhetorische und argumentative Schwächen auszugleichen.
D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.
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