«Kassensturz» über «Kantone im Steuervergleich» beanstandet

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Mit Ihrer e-Mail vom 23. März 2016 beanstandeten Sie den Bericht „Kantone im Steuervergleich: Vom Wettbewerb profitieren nur Reiche“ in der Sendung „Kassensturz“ vom 22. März 2016. Die formalen Bedingungen für eine Beanstandung sind erfüllt. Deshalb kann ich gerne darauf eintreten.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:

„Die Sendung ist nicht sachgerecht, weil die komplexe Abwägung zwischen den Fragen nach Gerechtigkeit und Freiheit, Zentralisierung und Föderalisierung im gegebenen Format einer Konsumentensendung nicht möglich war. Bezeichnenderweise bewegte sich die Diskussion vorwiegend um eine Kurve, deren Aussagekraft trivial ist: ja, der Steuerwettbewerb wirkt; die Reichen ziehen in steuergünstige Gemeinden. Es war sicher auch aufgrund der sehr beschränkten Zeit, dass andere für die Gerechtigkeit sehr wichtige Elemente nicht berücksichtigt wurden. Im Vergleich zu Deutschland wirken bspw. die Vermögenssteuer und die bei uns nach oben nicht begrenzten Abgaben für AHV/IV/AL als wichtige Korrekturfaktoren hinsichtlich einer gerechteren Besteuerung. Ein weiterer wichtiger Faktor einer gerechteren Besteuerung im Vergleich zu Deutschland ist auch der niedrigere MWSt-Satz (8 statt 19%). In der verkürzten Form, in der Schmezer das Thema Steuergerechtigkeit anschnitt, kann dies nur als verzerrend und nicht sachgerecht beurteilt werden.

B. Wie immer, wurde die zuständige Redaktion eingeladen, zur Beanstandung Stellung zu nehmen. Ursula Gabathuler, Redaktionsleiterin von „Kassensturz/Espresso“, äußerte sich wie folgt:

„Zur Beanstandung von Herrn X gegen den ‚Kassensturz‘-Beitrag vom 22. März 2016 zum Thema ‚Kantone im Steuervergleich: Vom Wettbewerb profitieren nur Reiche‘, nehme ich gerne Stellung.

Herr X kritisiert den ‚Kassensturz‘-Bericht als nicht sachgerecht, weil die komplexe Abwägung zwischen Fragen der Gerechtigkeit und Freiheit, Zentralisierung und Föderalisierung im gegebenen Format einer Konsumentensendung nicht möglich sei. Die Aussagekraft der Grafik zum Steuerwettbewerb sei trivial gewesen. Zudem seien in der Berichterstattung mögliche Korrekturfaktoren hinsichtlich einer gerechten Besteuerung nicht berücksichtigt worden.

Hier unsere Ausführungen dazu.

Im Beitrag wird schwerpunktmässig aufgezeigt, wie gross die Unterschiede bei den Einkommenssteuern in den verschiedenen Kantonen beziehungsweise Kantonshauptorten sind. Eine Familie mit zwei Kindern und einem Brutto-Einkommen von 100‘000 Franken zahlt in Neuenburg für Kantons-, Gemeinde- und Kirchensteuern 9516 Franken. In Zug sind es 1059 Franken. Eine Grafik zeigt, wie hoch die Steuern für diese Familien in allen Kantonshauptorten ausfallen. Auch bei Alleinstehenden oder verheirateten Rentnern fallen die Unterschiede bei den Steuern sehr gross aus. Auch das zeigt der Beitrag.

Weiter zeigt der Beitrag eine brisante Folge des Steuerwettbewerbes zwischen den Kantonen auf. Weil reichere Haushalte sich in Gemeinden mit niedrigeren Steuern konzentrieren, hat dies zur Folge, dass – insgesamt betrachtetet - reichere Haushalte weniger Steuern bezahlen, als es theoretisch der Fall sein müsste, wenn diese Haushalte gleichmässig verteilt wären. Die Steuerprogression flacht laut einer SNF-Studie (Professor Kurt Schmidheiny, Universität Basel) bei Alleinstehenden ohne Kindern ab einem Einkommen von rund 300‘000 Franken ab. Ab Einkommen von einer Million verläuft die tatsächliche, durchschnittliche Steuerbelastung nicht mehr progressiv, sondern degressiv. Das liegt laut Kurt Schmidheiny daran, dass Haushalte mit sehr hohen Einkommen sehr viel häufiger in steuergünstigen Gemeinden wohnen, als solche mit tieferen Einkommen.

Professor Kurt Schmidheiny erläutert dies im Beitrag anhand einer Grafik, die den theoretischen und den tatsächlichen Verlauf der Durchschnittsprogression über alle Schweizer Gemeinden aufzeigt. Herr X bezeichnet diese Aussage in seiner Beanstandung als «trivial». Fakt ist, dass diese Entwicklung zuvor noch nie mit Daten belegt wurde, wie es das SNF-Projekt macht.

Die Frage der Steuergerechtigkeit ist in der Tat komplex, wie Herr X in seiner Beanstandung schreibt. Dies haben sowohl der Beitrag wie auch das anschliessende Studiogespräch verdeutlicht.

So wurde etwa im Beitrag mehrmals darauf hingewiesen, dass etwa die Mieten in steuergünstigen Gemeinden in der Regel höher sind als in Gemeinden mit hohen Steuern. Als Beispiele wurden die Gemeinden Baar und Les Verrières gezeigt.

Der Baarer Gemeindepräsident Andreas Hotz erklärt mit Hinblick auf die Wohnkosten, dass beide Gemeinden ihre Vor- und Nachteile haben. Und dass jede Person selber entscheidet, wo sie sich niederlässt. Michel Chariatte, Gemeinderat von Les Verrières, sagt im Beitrag sinngemäss, dass sich für ihn ein Umzug nach Baar nicht lohnen würde, weil er dort zwar viel weniger Steuern zahlen müsste, dafür aber mehr Miete.

Im anschliessenden Studiogespräch mit dem Zuger Ständerat Peter Hegglin, ehemaliger Zuger Finanzdirektor und ehemaliger Präsident der Finanzdirektorenkonferenz, wurde die Frage der Steuergerechtigkeit weiter vertieft. Im ersten Teil wurde die Frage der sinkenden Steuerprogression mit zunehmendem Einkommen erörtert. Im zweiten Teil des Gesprächs hat Moderator Ueli Schmezer mit Herrn Hegglin die grossen Unterschiede bei den Steuern und die Frage der Gerechtigkeit diskutiert. Herr Hegglin hat dabei die Vorteile des bestehenden Systems und des Steuer-Föderalismus aus seiner Sicht erklärt. Entgegen der Ansicht von Herrn X wurde im Studiogespräch also durchaus auch auf Fragen der Steuer-Gerechtigkeit, Freiheit und Zentralisierung und Föderalisierung eingegangen.

Herr X bemängelt in seinem E-Mail weiter, dass im Beitrag und dem Studiogespräch andere, wichtige Elemente nicht berücksichtigt wurden. So etwa ein Vergleich der Vermögenssteuer und der Mehrwertsteuer mit Deutschland. Ein solcher Vergleich war aus zeitlichen Gründen nicht möglich. Der Beitrag beschränkt sich auch aus thematischen Gründen auf den Vergleich der Einkommenssteuern innerhalb der Schweizer Kantone.

Den Vorwurf, dass Beitrag und Studiogespräch nicht sachgerecht seien, können wir aus genannten Gründen nicht nachvollziehen. Die Zuschauer konnten sich durchaus eine eigene Meinung zum Thema bilden. Der Beitrag hat ein facettenreiches Bild gezeichnet und interessante Fakten und Diskussionspunkte geliefert zu einem wichtigen, zentralen Thema in der Schweiz.

Darum bitte ich Sie, die Beanstandung als unbegründet zurückzuweisen.“

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Beurteilung. Mit Ihren Feststellungen haben Sie, Herr X, zunächst einmal einfach Recht: Die Frage nach der Steuergerechtigkeit ist komplex, und für eine Gesamtsicht müssten auch jene Faktoren einbezogen werden, die die Großverdiener stärker treffen als die Kleinverdiener – wie die Vermögenssteuer, die Sozialabgaben und die Mehrwertsteuer. Aber die Aufgabe des Journalismus ist es stets, die Komplexität zu reduzieren, und deshalb muss er auswählen und sich auf einen oder zwei Aspekte beschränken. Der „Kassensturz“-Beitrag von Flurin Maissen geht aus von der Nationalfonds-Studie des Basler Ökonometriker Kurt Schmidheiny und beschränkt sich daher auf einen interkantonalen Vergleich der kombinierten Einkommenssteuern von Kantonen und Gemeinden. Und das macht er, wie ich finde, sehr anschaulich und sehr konkret. Vor allem zeigt er auf, dass die Steuern nicht die einzigen Belastungen für die Menschen sind, sondern dass zu den Lebenshaltungskosten auch die Mietzinse gehören, so dass das Leben im zugerischen Baar nicht unbedingt günstiger ist als im neuenburgischen Les Verrières. Und der Beitrag zeigt auch, dass reiche Steuerzahler in steuergünstige Gemeinden ziehen, was diesen wiederum ermöglicht, die Steuern für Reiche relativ niedrig zu halten, aber sie auch für Angehörige des Mittelstandes zu senken. Im etwas unglücklich verlaufenen Gespräch, das Ueli Schmezer mit dem langjährigen Zuger Finanzdirektor und Präsidenten der kantonalen Finanzdirektorenkonferenz sowie heutigem Ständerat Peter Hegglin führte, brachte der Politiker zum Ausdruck, dass es auch gute Gründe für den Steuerföderalismus und den Steuerwettbewerb gibt und dass die Zentralisierung und Harmonisierung nicht das Maß aller Dinge sein müssen. Das Gespräch verlief deshalb etwas unglücklich, weil Interviewer und Interviewter nicht auf das Gleiche hinauswollten und von verschiedenen Dingen redeten. Insgesamt hat aber der Beitrag das Thema, das er behandeln wollte, verständlich und mit viel pädagogischem Geschick präsentiert und alle wesentlichen Fakten einbezogen. Deshalb kann ich mit dem besten Willen nicht sehen, dass das Sachgerechtigkeitsgebot missachtet worden wäre.

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.

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