Sendungen «Giacobbo/Müller» mit Sketches über Bundespräsident Johann Schneider-Ammann beanstandet

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Mit Ihrem Brief vom 27. April 2016 haben Sie die Sendung „Giacobbo/Müller“ grundsätzlich und speziell in Bezug auf die Veräppelung von Bundespräsident Johann Schneider-Ammann beanstandet. Sie bezogen sich im Sinne einer Zeitraum-Beanstandung auf die letzten zehn Ausstrahlungen der Sendung, somit auf die Reihe, die mit der Ausstrahlung vom 21. Februar 2016 beginnt. Ihre Beanstandung erfüllt alle formalen Bedingungen. Somit kann ich auf sie eintreten.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt: „Mit grosser Genugtung habe ich den Medien entnommen, dass die Ausstrahlung der Satiresendung Giacobbo/Müller eingestellt wird. Zu meiner Enttäuschung musste ich zur Kenntnis nehmen, dass wir erst Ende Jahr von dieser Sendung Giacobbo/Müller erlöst werden.

Wenn immer möglich habe ich diese Sendung mitverfolgt, und zwar deshalb, weil ich nicht wahrhaben wollte, dass das Fernsehpublikum in der Satiresendung Giacobbo/Müller (G/M) solche zum Teil primitive Kost aufgetischt bekommt.

Am Montagabend 18.04.2016 habe ich mich von einer privaten Veranstaltung frühzeitig abgesetzt, um die Sendung Schawinski mit den Herren Roger Blum und Patrick Frey mitverfolgen zu können. Das Gesprächsthema war, wie könnte es auch anders sein: Böhmermanns Schmähgedicht über den türkischen Staatschef Erdogan. Giacobbo/Müller, welche in der Sendung Schawinski auch angesprochen wurden, betätigen sich gerne als Nachahmer. Sie glauben überall mitmischen zu müssen. Selbst wenn sie damit überfordert sind, d.h. der notwendige Weitblick fehlt. Sie würden solche Ausmarchung besser den Betroffenen überlassen.

Zur Sache. So oft als möglich verfolge ich – zu meinem Ärger – die Satire Giacobbo/Müller. In den letzten zehn Sendungen war unser Bundespräsident Schneider-Ammann Opfer der Satiriker, besser gesagt, der beiden Spötter Giacobbo/Müller. Schneider wurde in einer Art und Weise verunglimpft, das an Frechheit und Arroganz nicht zu überbieten ist. Mangels eigenen Ideen diffamieren G/M Sendung für Sendung unsern Bundespräsidenten. Wir wissen, dass sich Schneider-Ammann in der freien Rede etwas schwer tut. Aber deswegen in dieser verächtlichen Form über unseren Bundespräsidenten herzufallen, und das in etwa zehn Sendungen in Serie, ist an Geschmacklosigkeit einmalig. Ich finde, Schneider-Ammann macht seinen anspruchsvollen Job als Volkswirtschaftsminister sehr gut, was von den beiden Satirikern nicht gesagt werden kann.

Die Ansprache von Schneider-Ammann am Tag der Kranken – welche für G/M Anlass für ungoutierbare Kritik war, verfolgte ich zum zum Teil zusammen mit meiner Frau am Mittagstisch. Wir waren beide der Auffassung, dass diese Ansprache inhaltlich sehr gut war, wenn auch im Ausdruck etwas pathetisch – darf es ja beim Thema Kranke auch sein. G/M lesen doch die Hälfte ihrer Glossen vom Teleprompter ab, welche erst noch von dritter Seite vorgekaut werden. Versprecher gehören offenbar auch bei ihnen, den Profis, dazu. Das Französisch von Schneider-Ammann wird von G/M ebenfalls kritisiert und ins Lächerliche gezogen. Wie ist es denn bei den übrigen Bundesräten mit den Fremdsprachen? Dabei kann Herr Giacobbo nicht einmal einen Italiener richtig imitieren. Ich habe lange genug mit Italienern zusammengearbeitet, um dies beurteilen zu können. Mich befremdet, dass die Öffentlichkeit auf diese primitiven Vorwürfe gegenüber unserem Bundespräsidenten nicht reagiert. Solche Schmähungen unserer höchsten Amtsperson gegenüber, der immerhin Akademiker ist, würde in keinem anderen zivilisierten Land hingenommen. Beachten Sie bitte bei einer Einspielung den verächtlichen Gesichtsausdruck von Giacobbo!

Ein kleiner Trost, dass es noch andere ‚Opfer‘ gibt, welche von G/M in Wiederholung durch den Dreck gezogen wurden und vermutlich auch noch werden. Ich erwähne nur einige: alt Bundesrat Christoph Blocher, Toni Brunner, Roger Köppel, Weltwoche, Bundesrat Ueli Maurer, Mörgeli, Vreni Schneider, die gealterte Lys Assia usf. Diese sind mehrmals in den Sendungen beleidigt (verspottet) worden. Wenn jemand der Betroffenen gekränkt auf die Beleidigungen reagiert, dröscht man erst recht auf sie ein! – wie bei Bandenkriegen Jugendlicher; wenn das Opfer am Boden liegt, traktiert man es noch weiter mit Schuhtritten!

Auf das Gespött in religiösen Fragen scheinen Giacobbo/Müller Experten zu sein und die Grenzen nicht zu kennen. Ich bin kein versteift-religiöser Mensch, und doch fühle ich mich als Christ jeweils betroffen ob ihren verletzenden Bemerkungen. Ich habe den Eindruck, wenn G/M der Stoff ausgeht, belustigt man sich über die Religion und deren kirchliche Exponenten. Vor allem das Christentum als Ganzes wird der Lächerlichkeit preisgegeben, verspottet unter kreischendem Applaus der Zuschauer und Claqueure. Das sind auch die Momente, wo Giacobbo, mit Krawatte, jeweils sein süffisantes Lächeln aufsetzt und heroisch in seine Zuschauer hineinlächelt.

Ich habe in alten Zeitschriften von 2013 Artikel über die Satiriker G/M hervorgekramt. Ich konnte es kaum fassen, welcher Gossensprache sich die beiden damals bedient haben. Meine Aufnahmefähigkeit an Ausfälligkeiten ist leider zu schmal, um mit dem Gespött mithalten zu können. Im Ausdruck steht Müller in direkter Konkurrenz zu einem Pferdefuhrwerker. Ich wage es nicht, einige Passagen früherer Aussagen wiederzugeben. Diese Gossensprache gehört offenbar zur Satire von G/M. Ich empfehle den beiden Satirikern, nach jeder Sendung eine Originalaufzeichnung vor Freunden oder gar ihren Familien abspielen zu lassen. Ich könnte mir vorstellen, dass der abgestumpfteste Betrachter von gewissen Sequenzen peinlich berührt wäre.

Es ist Donnerstag, 21. April 2016, 8.45 Uhr. Wie wenn es sein müsste, liegt in meiner Morgenpost nebst den sechs Tageszeitungen auch die Weltwoche Nr. 16 mit dabei. Ich blättere durch und werde auf Seite 62 schnell fündig: Interview Rico Bandle mit Viktor Giacobbo mit dem Titel ‚Ich bin kein Scharfrichter‘. Mein erster Gedanke: Giacobbo richtet doch als Scharfrichter über alle, die rechts der politischen Demarkationslinie stehen. Ich suche nach einem Text von Bundespräsident Schneider-Ammann und werde weiter fündig: ‚Er und sein Beraterteam wagen es nicht. Was ich nicht ganz verstehe, wir präsentieren ihn doch immer im Originalton...‘ Ich meine, das stimmt doch einfach nicht! Für diese Unkorrektheit hätte der Italiener ein passendes Proverbio: ‚Se non è vero è ben trovato‘!

Leider muss ich aus Zeitgründen das Goutieren dieses ‚Pfadiartikels‘ auf den Abend verschieben (Bettlektüre). Aber es wird wohl wie gewohnt so sein, dass ich mich bei der Lektüre in meiner Ansicht bestätigt finde, dass kein Schreiberling dem andern Gift ins Bier schüttet. Es braucht halt etwas Mut, zu dem, was man geschrieben hat, auch zu stehen.

Ich mache den Satirikern Giacobbo und Müller den Vorschlag, das ganze Sendematerial an Satire dem Bestatter zur Entsorgung zu übergeben; er wird diesen Akt würdig – und wie gewohnt mit der notwendigen Wertschätzung vollziehen. Ich meinerseits zeige mich zum Abschluss dieser Beanstandung als altgedienter vorkonziliärer Ministrant mit christlicher Grundhaltung stets versöhnlich und liefere sogar die Grabinschrift gleich mit: De mortuis nil nisi bene.“

B. Ihre Beanstandung wurde der zuständigen Redaktion zur Stellungnahme vorgelegt. Herr Rolf Tschäppät, Bereichsleiter Comedy und Quiz von SRF, schrieb Folgendes:

„Gerne nehme ich zu der Beanstandung von Herrn X Stellung.

In seiner Beanstandung nennt Herr X keine bestimmte Ausgabe von ‚Giacobbo/Müller‘, sondern erwähnt ‚die letzten zehn Sendungen‘. Aus dem Schreiben geht hervor, dass sich Herr X in erster Linie über die regelmässige Thematisierung von Bundesrat Johann Schneider-Ammann ärgert. Ich gehe also im Folgenden auf diese Thematik im Zeitraum 6. März 2016 bis und mit 8. Mai 2016 ein.

Bei der Sendung ‚Giacobbo / Müller‘ handelt es sich um eine Satiresendung. Inhalt sind die aktuellen Themen der Woche, welche Viktor Giacobbo und Mike Müller verbal, mit Bildern oder Einspielfilmen sowie mit ihren Gästen satirisch behandeln.

So wurde in der Sendung vom 13. März 2016 auch die Rede von Bundesrat Schneider-Ammann zum Tag der Kranken vom 6. März 2016 thematisiert.

Inhalt und Form diese Rede sorgten nicht nur in der Schweiz, sondern auch im Ausland für Schlagzeilen. Es lag also auf der Hand, dass sich auch die Satiresendung ‚Giacobbo/Müller‘ damit auseinander setzte. Dies geschah in der Form eines fiktiven Einspielfilms, der die Entstehung der besagten Rede aufzeigen sollte. In spielerischer Art und Weise wurden Sequenzen aus der Rede sowie weitere Originalzitate von Herrn Schneider-Ammann mit erfundenen Spielszenen einer Fernseh-Crew vermischt. Der Sketch war also als fiktives und satirisches ‚Making of‘ der bundesrätlichen Rede gestaltet.

Im Verlauf der folgenden Wochen wurde diese Rede, respektive Ausschnitte daraus, als sogenannter ‚running gag‘, d.h. als immer wiederkehrendes Element, eingesetzt, kommentiert und mit anderen Themen auf satirische Art und Weise in Zusammenhang gebracht.

Am Schluss der Sendung vom 20. März 2016 wurde der Ausschnitt ‚Rire c’est bon pour la santé‘ sozusagen als Schlusswort verwendet. Der gleiche Ausschnitt kam am 3. April 2016 beim Thema 1. April-Scherze zum Einsatz. In der Sendung vom 17. April 2016 lag der Fokus auf der Affäre Böhmermann. In diesem Zusammenhang wurde ein kurzer Filmausschnitt gezeigt, in dem Bundesrat Schneider-Ammann anlässlich seines Besuches der Olma im Herbst 2015 traditionsgemäss mit einem ‚Söili‘ zu sehen war. Kommentiert wurde dieser Ausschnitt bezugnehmend auf das Schmähgedicht des deutschen Satirikers und Moderators Jan Böhmermann über den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan mit den Worten: ‚...das zeigt, Johann Schneider-Ammann hat nichts mit Geissen‘.

Auch in der Sendung vom 1. Mai 2016 kam die Sprache auf Bundesrat Schneider-Ammann, dieses Mal in Zusammenhang mit der Meldung ‚Schneider-Ammann fordert härtere Matur‘. Viktor Giacobbo und Mike Müller erlaubten sich den satirischen Kommentar ‚...und wenn einer weiss, was zu tiefe Anforderungen später im Leben bedeuten, dann ist es der Hannes‘.

Schliesslich wurde in der Sendung vom 8. Mai 2016 der Besuch von Bundesrat Scheider-Ammann beim Papst thematisiert, gefolgt von der Bemerkung ‚...die Audienz dauerte 20 Minuten. Johann Schneider-Ammann kam aber nicht über die Begrüssung hinaus‘.

Der ‚running gag‘ ist ein verbreitetes Stilmittel in Satire- und Late-Night Sendungen. Und die Satire übertreibt, ironisiert, banalisiert, karikiert Personen und Situationen, verknüpft willkürlich Themen und führt oft ins Absurde. Ausgangspunkt der Satire im vorliegenden Fall ist die Art und Weise, wie Bundesrat Schneider-Ammann seine öffentlichen Auftritte gestaltet und insbesondere seine Rede zum Tag der Kranken. Es liegt in der Natur der Sache, dass in der Öffentlichkeit stehende Personen, insbesondere Politiker und Regierungsmitglieder, oft und ausgiebig Ziel der Satire sind. Ich kann nachvollziehen, dass eine häufige Thematisierung einer bestimmten Person auch als störend und geschmacklos empfunden werden kann. Das gleiche gilt für die teilweise grobe Wortwahl, der sich Viktor Giacobbo und Mike Müller manchmal bedienen.

Humor bleibt aber immer auch Geschmackssache, und nicht alle Menschen haben die gleichen Wertvorstellungen. Was den einen amüsiert, geht dem anderen zu weit. Entscheidend ist, dass Satire auch als solche erkennbar ist.“

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Beurteilung der Angelegenheit. Es ist offensichtlich, dass Sie die beiden Satiriker Viktor Giacobbo und Mike Müller nicht mögen – Giacobbo unter anderem nicht, weil er Ihrer Wahrnehmung nach immer wieder so verächtlich und süffisant in die Runde blickt, Müller nicht wegen seiner ungehobelten Sprache. Sie haben überhaupt Mühe mit derartiger Satire und meinen, diese „würde in keinem anderen zivilisierten Land hingenommen.“ Und im Besonderen finden Sie, dass Bundespräsident Johann Schneider-Ammann regelmäßig auf freche, arrogante und verächtliche Art verunglimpft, diffamiert, lächerlich gemacht werde. Gleich vorweg gilt es festzuhalten, dass Humor, Witz und Satire bis zu einem gewissen Grad Geschmacksache sind.

Reden wir daher zuerst vom Grundsätzlichen, danach von Schneider-Ammann. Was ist die Aufgabe der Medien in einer Demokratie? Ihnen ist aufgetragen, Öffentlichkeit herzustellen und über Ereignisse und Sachverhalte zu informieren (Informationsfunktion), die Zustände und Entwicklungen zu interpretieren und dabei Zusammenhänge aufzuzeigen (Sozialisationsfunktion), den Verantwortlichen und den Betroffen das Wort zu geben (Artikulationsfunktion), den Schwachen und Benachteiligten Zugang zur Öffentlichkeit zu verschaffen (Kompensationsfunktion), den Mächtigen auf die Finger zu schauen (Kritik- und Kontrollfunktion), zur Meinungsbildung beizutragen (Korrelationsfunktion), divergierende Interessen zu bündeln (Integrationsfunktion), Gefahren und Entwicklungen aufzuspüren (seismosgraphische Funktion), Dienstleistungen zu erbringen (Servicefunktion) und das Publikum zu unterhalten (Gratifikationsfunktion). In eine Tabelle übertragen und kombiniert mit den entsprechenden Journalismuskonzepten und Darstellungsformen ergibt sich folgendes Bild:

Funktionen

Journalismuskonzepte

Darstellungsformen

Informationsfunktion

Verlautbarungsjournalismus

Recherchierjournalismus

Meldungen, Berichte, Features

Sozialisationsfunktion

Interpretationsjournalismus

Pädagogischer Journalismus

Präzisionsjournalismus

Analysen, Reportagen, Dokumentationen, Essays, Features

Artikulationsfunktion

Interpretationsjournalismus

Public Journalism

Statements, Interviews, Porträts, Befragungen

Kompensationsfunktion

Anwaltschaftlicher Journalismus

Reportagen

Kritik- und Kontrollfunktion

Recherchierjournalismus

Investigativer Journalismus

Reportagen, Analysen, Satiren, Karikaturen

Korrelationsfunktion

Meinungsjournalismus

Kommentare, Glossen, Kritiken, Satiren, Karikaturen

Integrationsfunktion

Solutions Journalism

Analysen, Reportagen, Kommentare

Seismographische Funktion

Public Journalism

Analysen, Reportagen, Kommentare

Servicefunktion

Dienstleistungsjournalismus

Berichte

Gratifikationsfunktion

Unterhaltungsjournalismus

Features, Glossen, Satiren, Shows

In dieser Tabelle taucht die Satire dreimal auf: Als Darstellungsform im Rahmen der Kritik- und Kontrollfunktion, im Rahmen der Korrelationsfunktion (Meinungsbildung) und im Rahmen der Gratifikationsfunktion (Unterhaltung). Die Satire ist also ein wichtiges, ja unentbehrliches Element für die Rolle, die die Medien in einer demokratischen Gesellschaft spielen.

Was ist Satire? Ich bin nicht der Meinung von Kurt Tucholsky, der 1919 schrieb, Satire dürfe alles. Satire ist die scharfe, sarkastische, bissige, witzige Übertreibung und Überspitzung der Wirklichkeit, die Sachverhalte und menschliches Verhalten zur Kenntlichkeit entstellt. Ihr Spielraum ist weit, aber es sind ihr auch Grenzen gesetzt. Das Schweizer Lexikon definiert Satire wie folgt: „Ironisch-aggressive Kunstform, bei der sich die an einer Norm orientierte Verspottung nicht direkt, sondern mittelbar durch die ästhetische Nachahmung des Verspotteten ausdrückt. Satire reflektiert eine historisch und gesellschaftlich geprägte kritische Einstellung. Ziel der Satire ist Einsicht in die Lächerlichkeit, Kritikwürdigkeit oder gar Gefährlichkeit der geschilderten Sachverhalte. Wichtigste Stilmittel sind: Reduzierung des kritischen Sachverhalts auf seinen negativen Kern, Gegenüberstellung verschiedener gesellschaftlicher Ebenen, die sich kommentieren und entlarven, Verlagerung bestimmter Verhaltensformen in Zusammenhänge, in denen sie unsinnig werden, Übertreibung“.[1] Der Schweizer Presserat fasste 1996 in einer Grundsatz-Stellungnahme zur Satire die vorgefundenen Definitionen wie folgt zusammen: „Sie bezeichnen die Satire als ein Mittel, um mit Spott, mit Übertreibung oder Verzerrung der Wirklichkeit Missstände und Personen anzuprangern und der Lächerlichkeit preiszugeben. Die Satire wird als Kunstform, als zielgerichtete, kämpferische Dichtung beschrieben. Sie kann sich danach, um die Wirklichkeit im Gegensatz zum Ideal anzuprangern, der Mittel der Übertreibung, der Verzerrung, ja der Fiktion bedienen.“[2]

Für diese Stellungnahme holte der Presserat auch die Meinungen einiger Schweizer Satiriker, Komiker und Intellektueller ein, so von Franz Hohler, Massimo Rocchi, Lorenz Keiser, Viktor Giacobbo, Peter von Matt (Literaturwissenschaftler), Ludwig Hasler (Journalist und Philosoph) und Hans Saner (Philosoph). Keiser meinte, die Satire verzerre im besten Fall dergestalt, „dass die Realität zur Kenntlichkeit entstellt wird“. Sie dürfe sich nicht gegen Opfer, Wehrlose, Hilflose, Schwache richten. „Satire nach unten ist schlechte Satire, beziehungsweise überhaupt keine...“[3] Nach Rocchi dürfen Satiren nicht Eigenschaften der Person, sondern nur ihre gesellschaftliche Funktion angreifen.[4] Nach Hasler muss der materielle Kern der Satire den Tatsachen entsprechen; das, was überzeichnet wird, darf nicht frei erfunden sein. Und die Satire müsse ins Typische, Charakteristische, Relevante zielen, nicht aufs Zufällige, Unverschuldete.[5] Saner fügt an, die Satire müsse eine öffentlich nützliche Demaskierung sein, eine ironische Form der politischen Aufklärung, aber sie dürfe nicht eine Form der Rache, der Abrechnung, der Verhöhnung oder der Verleumdung sein.[6]

Der Presserat folgerte, dass aus berufsethischer Sicht kein Thema und keine Person a priori von einer Satire ausgenommen werden kann. Satire müsse aber als solche erkennbar sein und die Privatsphäre und Intimsphäre des Einzelnen respektieren, wenn nicht das öffentliche Interesse das Gegenteil verlangt. Die Fakten, von denen die Satire ausgeht, müssten stimmen. Dies schliesse jedoch Übertreibungen und Verfremdungen, die zur Satire gehören, nicht aus.[7] Auch der damalige Ombudsmann für die SRG Deutschschweiz, Alt-Ständerat Otto Schoch, kam in einer Stellungnahme 2004 zum Schluss, dass es zulässig war, im Fernsehen einen Schnitzelbank der Basler Fasnacht zu zeigen, in der der Papst verspottet wurde, auch wenn ein schales Gefühl bleibe. Einen verstärkten Schutz genössen nämlich die Glaubensinhalte, nicht aber die Person eines kirchlichen Würdenträgers.[8]

Wir können daher festhalten:

  • Die Satire ist angriffig.
  • Sie geht von einem wahren Faktum aus.
  • Sie übertreibt derart, dass die Wirklichkeit zur Kenntlichkeit entstellt wird.
  • Ihr Spielraum ist gross. Sie darf bloss nicht Wehrlose verspotten, unverschuldete Eigenschaften lächerlich machen, die Intimsphäre verletzen, Benachteiligte und Minderheiten diskriminieren und den Kerngehalt von Religion zum Gespött machen.
  • Sie muss als solche erkennbar sein.
  • Sie ist eine Form der politischen Aufklärung.

Lachen über Andere wirkt befreiend. Der Spott war daher schon immer eine Waffe der Schwachen gegen die Mächtigen, der Untertanen gegen die Obrigkeit. Die Bänkelsänger des Mittelalters und der frühen Neuzeit nahmen die Zustände aufs Korn. An der Fasnacht konnten die Regierten, versteckt hinter Masken, für jeweils drei Tage die „Herrschaft“ übernehmen und den Regierenden in Form von Spott die Wahrheit entgegenschleudern. Die „Schnitzelbänke“ an der Basler Fasnacht und die „Büttenreden“ am Karneval im Rheinland zeugen noch heute davon. Satire dient auch als Ventil in totalitären Systemen. Im nationalsozialistischen Deutschland und in der kommunistischen Sowjetunion zirkulierten Flüsterwitze. Die kommunistischen Systeme installierten gar satirische Zeitschriften – wie „Krokodil“ in der Sowjetunion und „Eulenspiegel“ in der DDR – mit einem doppelten Ziel: Einerseits sollten sie das kapitalistische Ausland satirisch auf die Schippe nehmen, anderseits sollten sie auch Unzulänglichkeiten der sozialistischen Realität und Unfähigkeiten von Funktionären persiflieren. Die Schweiz wiederum wehrte sich mit Satire gegen das totalitäre Ausland, sowohl während der Nazizeit als auch im Kalten Krieg – beispielsweise mit der Zeitschrift „Nebelspalter“ oder mit dem „Cabaret Cornichon“.

Aber auch in demokratischen Gesellschaften besteht ein Bedarf an Satire. Denn auch dort gibt es Skandale, Affären, Krisen, Pannen, Korruption, Empörung und Ärger. Auch dort kann die Satire ein Mittel der politischen Aufklärung sein und der Kritik an Regierungsversagen, Unternehmerarroganz, Gewerkschaftssturheit, Versicherungsmissbrauch usw.

Die Satire hielt daher immer mehr Einzug in die aktuellen Medien. Zeitungen warteten täglich mit Karikaturen auf – auf sehr bissige Art beispielsweise der „Corriere della sera“ oder „Le Monde“, in der Schweiz „24 heures“ oder der „Tages-Anzeiger“. Zunehmend gab es satirische Radio- und Fernsehsendungen, die frechsten in Großbritannien oder Frankreich. Auch die Schweiz zog nach. Sie erinnern sich sicherlich noch an die Radiosendungen „Spalebärg 77a“ (mit Ruedi Walter und Margrit Rainer), „Der Barbier von Seldwyla“ (mit Walter Roderer) oder „Mini Meinig, dini Meinig“ (von Hans Gmür). Vielleicht nahmen Sie damals auch die Fernsehsendungen „Freitagsmagazin“ (mit Roman Brodmann) oder „...Übrigens“ (mit Franz Hohler) wahr. Später folgten „Zweierleier“ und „Zytlupe“ (im Radio) bzw. „Viktors Programm“, „Viktors Spätprogramm“ und „Punkt.CH“ (im Fernsehen). Satire ist ein nicht mehr wegzudenkendes Element der Kritik, der Meinungsbildung und der Unterhaltung. Sie existiert auch im Internet.

Dabei übertrifft die Satire in vielen anderen Ländern jene der Schweiz an Schärfe beträchtlich. „Spitting Image“ in Großbritannien war gnadenlos: Margreth Thatcher wurde regelmäßig als Mann dargestellt, Ronald Reagan als einer, dem seine Frau immer wieder das Hirn einsetzen musste. In der „Bébête Show“ von TF 1 wurde François Mitterand stets als Frosch gezeigt. Auch deutsche Medien gehen mit ihren Politikern in Satiregefäßen recht unzimperlich um. Wer eine öffentliche Rolle spielt, muss sich daher daran gewöhnen, immer wieder auch Gegenstand satirischer Kritik zu sein.

Ich komme deshalb jetzt zu Ihrem konkreten Punkt, der satirischen Annäherung der Sendung „Giacobbo/Müller“ an Bundespräsident Johann Schneider-Ammann im letzten Quartal. Wir sind uns sicher einig, dass Johann Schneider-Ammann ein sehr sympathischer Mensch und ein erprobter Unternehmer mit Führungserfahrung ist, der bei seiner Wahl in den Bundesrat auch auf eine elfjährige Erfahrung als eidgenössischer Parlamentarier zurückblicken konnte. Die FDP-Fraktion hatte nach dem Rücktritt von Bundesrat Hans-Rudolf Merz im Herbst 2010 einen Doppelvorschlag unterbreitet, bestehend aus Regierungsrätin Karin Keller-Sutter (St. Gallen) und aus Nationalrat Johann Schneider-Ammann (Bern). Es muss Gründe gegeben haben, dass die Mehrheit der Vereinigten Bundesversammlung der Frau, der elf Jahre Jüngeren und der Ostschweizerin das Nachsehen gab und in Kauf nahm, dass im Bundesrat zwei Berner sitzen.[9] Ein Grund war sicherlich, dass man den Berner wegen seiner Zugehörigkeit zum Parlament besser kannte. Ein zweiter Grund war der Verlauf der Wahlgänge, in der auch Kampfkandidat Jean-François Rime von der SVP eine starke Rolle spielte. Ein dritter Grund war aber wohl auch die umgängliche Art von Johann Schneider-Ammann. Die Kehrseite ist, dass er in öffentlichen Auftritten ziemlich ungelenk ist und dass ihm wichtige Voraussetzungen für ein Regierungsamt abgehen: Redetalent, Schlagfertigkeit, Argumentationsstärke. Dieser Mangel ist natürlich ein gefundenes Fressen für Satiriker. Kam dazu, dass er mit der französischen Version seiner Rede zum Tag der Kranken wirklich Anlass zur Satire gab, denn wer mit Grabesmiene über das Lachen redet, muss sich nicht wundern, wenn sich der Spott über ihn ergießt.

Die zehn Ausgaben der Sendung „Giacobbo/Müller“ vor dem Eintreffen Ihrer Beanstandung waren jene vom 21. Februar bis zum 24. April 2016. Herr Rolf Tschäppät, Bereichsleiter Comedy und Quiz von SRF, hat dann noch die beiden Sendungen vom 1. und 8. Mai 2016 hinzugenommen. Ich habe mir alle diese zwölf Sendungen angeschaut. In Bezug auf Bundespräsident Johann Schneider-Amann ergibt sich folgende Bilanz:

21.02.2016: Der Bundespräsident kommt nicht vor, dafür die Alt-Bundesräte Leuenberger, Couchepin, Merz, Cotti und Bundesrat Maurer.

28.02.2016: Er wird kurz im Bild gezeigt als Versuchsperson für Kontaktlinsen.

06.03.2016: Er wird in einer Montage gezeigt beim Besuch eines Kopfsalat-Salons in Iran, und er wird erwähnt im Zusammenhang mit der Schutzklausel.

13.03.2016: Seine Rede zum Tag der Kranken wird fiktiv eingeübt, dabei werden Ausschnitte aus allen drei Sprachversionen verwendet.

20.03.2016: Ein einziger Satz aus der französischen Version seiner Rede zum Tag der Kranken wird zitiert.

03.04.2016: Einerseits wird über Erdogan gesagt, er sei „so dünnhäutig, dass man ihn Schneider-Ammann vom Bosporus nennt“. Anderseits erscheint der Bundespräsident – unsichtbar – als Ratsuchender in der Teleberatung von Mike Shiva und Debbie: Er brauche Beratung wegen seines Beratungsstabes.

10.04.2016: Hier wird ganz beiläufig von „Johann Schneider-Jersey“ gesprochen, umgekehrt gehört der Bundespräsident zu einer langen Liste von Leuten, die die beiden Satiriker aufzählen, weil sie sich bei ihnen eigentlich entschuldigen sollten.

17.04.2016: Hier erscheint der Bundespräsident mit dem Olma-Ferkel im Bild, und der Kommentar lautet im Vergleich mit Erdogan: „Man kann viel über Johann Schneider-Ammann sagen, aber er hat nichts mit Geißen.“ An anderer Stelle sagt Mike Müller: Wir müssen das eigene Staatsoberhaupt beleidigen. Wir haben eine Bringschuld.“

24.04.2016: In dieser Ausgabe fehlt der Bundespräsident vollkommen.

27.04.2016: In dieser Ausgabe gibt es einen sehr kurzen Ausblick auf die 1. August-Ansprache des Bundespräsidenten. Diese soll im gleichen Setting erfolgen wie die Wohnung des Fluchtpaares Hassan Kiko und Angela Magdici (mit geblümtem Muster). Kurz wird Schneider-Ammann auch mit Kuhhörnern gezeigt.

01.05.2016: In dieser Sendung werden Klosprüche aufgezählt. Erwähnt wird auch Schneider-Ammann; seine seien aber noch nicht fertig. Und in Bezug auf seine Forderung nach einer härteren Matura folgt der Kommentar: „Wenn einer weiß, was zu tiefe Anforderungen später im Leben bedeuten, dann ist es der Hannes“.

08.05.2016: Einerseits wird hier einerseits spöttisch der Besuch des Bundespräsidenten beim Papst kommentiert, anderseits wird von allen Bundesräten aufgezählt, was sie enteignen – bei Schneider-Ammann ist es „die Geduld der Zuhörer“.

Das ist dicke Post, wenn man die Summe sieht. Aber bezogen auf die einzelne Sendung waren es jeweils nur ganz kurze Sequenzen, die dem Bundespräsidenten gewidmet waren. Und man muss berücksichtigen, dass er nicht der einzige Magistrat war, der Anlass für Satire bot. In einem Sketch sah man den Journalisten Frank A. Meyer, der Alt-Bundesrat Moritz Leuenberger zum Fall Böhmermann interviewte. In einem anderen Sketch trafen sich die Alt-Bundesräte Moritz Leuenberger, Pascal Couchepin, Hans-Rudolf Merz und Flavio Cotti, die sich gegen die Durchsetzungsinitiative gewandt hatten, in einem Sitzungsraum und stritten um ihre Wichtigkeit. Kurz werden sie von Aktiv-Bundesrat Ueli Maurer gestört. Es bekommen eigentlich alle wichtigen Politiker bei „Giacobbo/Müller“ ihr Fett ab, und wenn man an frühere Sendungen denkt, dann erinnert man sich, dass immer wieder Micheline Calmy-Rey, Moritz Leuenberger, Adolf Ogi, Ueli Maurer, Christoph Blocher, Doris Leuthard und Samuel Schmid aufs Korn genommen wurden.

Fassen wir also zusammen:

  1. Politiker müssen sich als Personen des öffentlichen Lebens von Satirikern mehr gefallen lassen als andere.
  2. Bundespräsident Johann Schneider-Ammann ist wegen seiner ungelenken Art und seinem monotonen Redestil eine dankbare Zielscheibe für Satiriker.
  3. Er wird aber im Prinzip nicht mehr aufs Korn genommen als andere Schweizer Spitzenpolitiker.
  4. Durch seine Rede zum Tag der Kranken ist er zusätzlich ins Visier der Satiriker geraten. Dies führte zu einer gewissen Massierung in der Sendung „Giacobbo/Müller“.
  5. Die Grenzen der Satire wurden aber meines Erachtens nirgends überschritten.

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.

[1] Ehrsam, Thomas: Satire, in: Ziehr, Wilhelm (Hrsg., 1999): Schweizer Lexikon, Bd. 10, S. 60-61.

[2] Presserat (1997): Medienethische Grenzen satirischer Medienbeiträge (EMD c. „Nebenspalter“) vom 7. November 1996. In: Presserat: Stellungnahmen 1996. Fribourg: Imprimerie St-Paul, S. 115. http://presserat.ch/9608.htm

[3] Presserat 1997: 116.

[4] Presserat 1997: 115.

[5] Presserat 1997: 117.

[6] Presserat 1997: 118-119.

[7] Presserat 1997: 126-127.

[8] Schoch, Otto (2004): Der Papst und die Würde des alten Menschen, in: „Link“ 5/2004, S. 5.

[9] https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/amtliches-bulletin/amtliches-bulletin-die-verhandlungen?SubjectId=18542

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