«10vor10»-Beitrag über Rechtspopulismus beanstandet
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Mit Ihrer e-Mail vom 28. April 2016 beanstandeten Sie den Beitrag „Rechtspopulismus: Das steckt hinter dem Erfolg“ in der Sendung „10 vor 10“ vom 25. April 2016 nach dem ersten Wahlgang zur österreichischen Bundespräsidentenwahl. Ihre Eingabe erfüllt die formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann somit auf sie eintreten.
A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:
„Nachrichtenmagazine des Schweizer Fernsehens haben die Aufgabe, ausgewogen und unparteiisch zu unterrichten. Die politische Meinung der Mitarbeiter hat nicht einzufliessen, und Zuschauer dürfen nicht manipuliert werden. Bei der gestrigen Sendung 10vor10 wurden diese Grundsätze massiv verletzt.
Der Vorwurf des Populismus ist subjektiv und eindeutig negativ konotiert. Der Vorwurf ‚Rechtspopulist‘ wurde, neben anderen Diffamierungen, im knapp 4-minütigen Beitrag mantraartig 7x wiederholt. Das ist eindeutig übertrieben und dient nur zur Stimmungsmache gegen Andersdenkende.
Es gibt keine präzise Definition des Populismus, und wenn Journalisten diesen Begriff wählen, dann ist er immer subjektiv gewählt. Wenn ein Begriff dermassen übertrieben oft und repetitiv gewählt wird, dann verfolgt der Urheber ein politisches Ziel: Die Verunglimpfung des politischen Gegners. Mit Objektivität oder Aufklärung hat das nichts mehr zu tun.
Folgende Begriffsverwendungen sind manipulativ und wurden in diesem Kurzbericht mehrmals verwendet:
- 7x wird der Begriff ‚Rechtspopulist oder rechtspopulistisch‘ verwendet.
- Die demokratisch legitimierte Partei FPÖ wird als ‚Polterpartei‘ bezeichnet.
- Andersdenkende Politiker politisieren nicht, sondern ‚poltern‘.
- Andersdenke Politiker werden als ‚Wutpolitiker‘ verunglimpft.
Dass Journalisten des Schweizer Fernsehens ihre eigene Meinung in ihre Beiträge gerne einfliessen lassen, ist mittlerweile bekannt. Aber dass hier mit Mitteln der klassischen Gehirnwäsche (dauernde Repetition) gearbeitet wird, darf nicht sein. Wenn in einem Beitrag praktisch alle 30 Sekunden absichtlich beleidigende Begriffe wie rechtspopulistisch, Wutpolitiker, Polterpartei etc. verwendet werden, ist dies Gesinnungsjournalismus und das gehört nicht in unser ‚Staatsfernsehen‘.
P.S. Wieso verwendet das SF den Begriff ‚populistisch‘ eigentlich nie für linke Parteien? Beispiele gäbe es zur Genüge!“
B. Ihre Beanstandung wurde der Redaktion zur Stellungnahme vorgelegt. Herr Christian Dütschler, Redaktionsleiter der Sendung „10 vor 10“, äusserte sich wie folgt:
„Herr X beanstandet den Beitrag „Rechtspopulismus: Das steckt hinter dem Erfolg“, welchen wir am 25. April 2016 ausgestrahlt haben.
Am Tag vor der Ausstrahlung des beanstandeten Beitrages, am Sonntag 24. April 2016, hat in Österreich der FPÖ-Kandidat Norbert Hofer im ersten Durchgang der Bundespräsidentenwahl ein Rekordergebnis erreicht. Das kommt einer historischen Zäsur gleich, erteilten doch die Wählenden erstmals den beiden Traditionsparteien SPÖ und ÖVP gleichermassen eine Abfuhr. Dies nahmen wir zum Anlass, um am Tag nach der Wahl aufzuzeigen, was hinter dem Erfolg der FPÖ in Österreich und politisch ähnlich ausgerichteten Parteien in ganz Europa steht.
Im ersten Teil des Beitrages stellen wir Norbert Hofer und seine wichtigsten Standpunkte vor, wobei er selber zweimal zu Wort kommt:
‚Als Präsident muss man für alle Österreicher da sein, was aber nicht heisst, dass ich meine Prinzipien ablege, das ist ganz klar, ich habe meine Standpunkte, und die werde ich weiter verfolgen.‘
‚Wenn wir unsere Politik weiter so fortsetzen wie bisher, werden im Jahr 2050 bei den 0 bis 12-Jährigen 50 Prozent Muslime sein. Nicht in Wien, in Österreich.‘
Der zweite Teil des Beitrages analysiert die Gründe für den Wahlerfolg Hofers, eingeordnet von Bernhard Odehnal, Buchautor und Korrespondent des Tagesanzeigers in Wien:
‚Nun, diese Wahlen waren eindeutig eine Protestwahl, es ging nicht um die Persönlichkeit des Bundespräsidenten, es ging um den Protest gegen die grosse Koalition. Die Unzufriedenheit mit der Arbeit der Koalition ist riesig und nun konnte Norbert Hofer von der FPÖ die Früchte dieses Zorns ernten.‘
Der dritte Teil des Beitrages schliesslich fokussiert auf ähnliche Entwicklungen in anderen Ländern wie Frankreich, Deutschland oder den Niederlanden. Politikwissenschaftler Klaus Armingeon von der Universität Bern äussert sich zu den Gründen für den Aufwind der rechtspopulistischen Parteien über Österreich hinaus und hält fest, dass die Entwicklung mehr als bloss ein vorübergehendes Phänomen zu sein scheint:
‚Der gemeinsame Nenner ist die Frage Öffnung-Schliessung. Und dazu gehört die Stellung zur EU. Dazu gehört die Frage, wie gehen wir mit diesen Flüchtlingsströmen um, wie verhalten wir uns in dieser humanitären Katastrophe. Dazu gehört die Frage, wie finanzieren wir unseren Wohlfahrtsstaat, wer gehört zu uns und wer darf von unserer Solidarität profitieren.‘
‚Das ist ein neuer, aber schon sehr gut etablierter politischer Konflikt. Ich sehe kein Grund zur Annahme, dass das eine vorübergehende Erscheinung ist.‘
Der Beanstander ist nun der Meinung, dass der Beitrag eine ‚Diffamierung‘ und ‚Verunglimpfung des politischen Gegners‘ sei. Als Beleg dafür nennt er folgende Begriffsverwendungen: ‚7x Rechtspopulismus oder rechtspopulistisch‘ und die Begriffe ‚Polterpartei‘, ‚poltern‘ und ‚Wutpolitiker‘. Insbesondere beanstandet der Zuschauer die häufige Verwendung der Begriffe, was er als ‚klassische Gehirnwäsche‘ deutet. Gerne nehmen wir zu den einzelnen Vorwürfen Stellung.
Der Beanstander wirft uns vor, im Beitrag mehrfach den Begriff ‚Rechtspopulist oder rechtspopulistisch‘ verwendet zu haben. Weiter schreibt er: ‚Der Vorwurf des Populismus ist subjektiv und eindeutig negativ konnotiert.‘ Und: ‚Es gibt keine präzise Definition des Populismus, und wenn Journalisten den Begriff wählen, dann ist er immer subjektiv gewählt. Wenn ein Begriff dermassen übertrieben oft und repetitiv gewählt wird, dann verfolgt der Urheber ein politisches Ziel: Die Verunglimpfung des politischen Gegners.‘
Präzisierend möchten wir festhalten, dass wir an keiner Stelle im Beitrag den vom Beanstander oben erwähnten Begriff ‚Populismus‘ verwenden. Hingegen ist es korrekt, dass wir den Begriff ‚Rechtspopulismus‘ resp. ‚rechtspopulistisch‘ mehrfach verwenden: 3 Mal im Zusammenhang mit der FPÖ resp. Hofer; 3 Mal im Zusammenhang mit rechtspopulistischen Parteien im Allgmeinen und einmal im Zusammenhang dem Front National resp. Le Pen. Inhaltlich macht der Begriff an jeder Textstelle, an der wir ihn verwendet haben, absolut Sinn. Dies insbesondere auch, da unser Publikum mit der österreichischen Parteienlandschaft nicht unbedingt vertraut ist.
Im Allgemeingebrauch charakterisiert der Begriff ‚rechtspopulistisch‘ schlicht einen bestimmten Parteitypus, der sich über einen bestimmten Politikstil und bestimmte politische Inhalte definiert. Im Beitrag heisst es zu den politischen Inhalten Norbert Hofers konkret:
Seine Standpunkte sind eindeutig, rechtspopulistisch. Europaskeptiker, Verfechter einer rigiden Flüchtlingspolitik. (...)
Norbert Hofer im O-Ton:
‚Wenn wir unsere Politik weiter so fortsetzen wie bisher, werden im Jahr 2050 bei den 0 bis 12jährigen fünfzig Prozent Muslime sein. Nicht in Wien, in Österreich.‘
In diesem Sinne wird der Begriff ‚Rechtspopulismus‘ in den Medien durchgängig für Parteien wie die von uns erwähnte FPÖ in Österreich, den Front National in Frankreich oder etwa die AfD in Deutschland verwendet. Als Beleg mögen die folgenden Zitate aus renommierten Leitmedien aus dem In- und Ausland dienen:
- ‚Eingetreten ist das, womit viele vorher gerechnet haben. Sieger des Abends ist der Kandidat der rechtspopulistischen FPÖ.‘ (ARD-Tagesthemen)[1]
- ‚Norbert Hofer von den rechtspopulistischen Freiheitlichen (FPÖ) siegt überlegen und kommt laut dem vorläufigen Endergebnis auf gut 35 Prozent der Stimmen – deutlich mehr, als ihm die Umfragen prognostiziert hatten.‘ (‚Neue Zürcher Zeitung‘)[2]
- ‚Fast überall ausser in Wien lag der Rechtspopulist Hofer vorn. (...) Heute nun regieren Rechtspopulisten in fast allen europäischen Ländern mit, mindestens auf lokaler Ebene.‘ (Süddeutsche Zeitung)[3] ‚Mit Ausnahme der Hauptstadt Wien wählten die Bürger mit breiter Mehrheit einen erklärten EU-Gegner und Rechtspopulisten, der noch im Jahr 2010 das NS-Verbotsgesetz abschaffen wollte.‘ (‚Die Zeit‘) [4]
Der Begriff wird also von Fernsehen und Presse gleichermassen gebraucht, um die FPÖ politisch einzuordnen. Selbst im Brockhaus heisst es zur FPÖ unter anderem: ‚Die FPK schloss sich 2013 auch organisatorisch mit der FPÖ zusammen, die unter der Führung von H.-C. Strache ihren dezidiert rechtspopulistischen Kurs v. a. n Bezug auf die Zuwanderungs- und Europapolitik verstetigte.‘ Der Vorwurf, dass der Begriff subjektiv gewählt sei, stimmt also nicht.
Nicht nur im Journalismus, auch in der Wissenschaft wird der beanstandete Begriff standardmässig gebraucht, um einen bestimmten Parteitypus zu bezeichnen. So bezeichnet zum Beispiel Oliver Geden, der zum Thema Rechtspopulismus an der Humboldt-Universität in Berlin promoviert hat, die FPÖ als rechtspopulistisch[5]. Auch Frank Decker, Professor für Politikwissenschaften an der Universität Bonn, widmet der FPÖ in seinem Buch ‚Der neue Rechtspopulismus‘ ein ganzes Kapitel und ordnet sie klar als rechtspopulistisch ein.
Inhaltlich bemüht sich die Wissenschaft seit Jahren um eine Charakterisierung des Rechtspopulismus und hat dafür objektive Kriterien herausgearbeitet. Für einen Überblick ist die oben erwähnte Studie ‚Rechtspopulismus‘ der Stiftung Wissenschaft und Politik hilfreich. Der Autor Oliver Geden erwähnt darin verschiedene Wissenschaftler, gemäss denen sich der Populismus vor allem durch zwei konstante Gemeinsamkeiten auszeichnet: ‚Die permanente Bezugnahme auf das Volk sowie eine ausgeprägte Frontstellung gegen die gesellschaftlichen Eliten‘, beim Rechtspopulismus in der Regel ergänzt durch eine ‚nationalistische‘ und ‚euroskeptische‘ Komponente und ‚eine wertkonservative Haltung‘. Kurz: Wir gegen die da oben und die da aussen. In seiner Studie hält Geden schliesslich selber folgende vier Elemente fest, welche den Rechtspopulismus seiner Meinung nach ausmachen:
- der permanente Bezug auf das ;Volk‘, welches ‚den politischen und kulturellen Eliten (...) frontal gegenübersteht‘;
- die legitimierende Bezugnahme auf den ‚gesunden Menschenverstand‘; Kultivierung „klarer Feindbilder“, für deren ‚schädliches Handeln‘ die ‚classe politique‘ in der Verantwortung steht;
- ‚spezifische Prinzipien der politischen Kommunikation‘, wie ‚Komplexitätsreduktion‘, ‚Emotionalisierung der politischen Auseinandersetzung‘;
- ‚eine bestimmte Form organisatorischer Strukturen‘, dazu die häufige ‚Existenz einer charismatischen Führungspersönlichkeit‘.
Wenn der Beanstander also behauptet, die Wahl des Begriffs Rechtspopulismus sei rein ‚subjektiv‘, und der Autor verfolge damit ‚die Verunglimpfung des politischen Gegners‘, so irrt er. Die politische Meinung des Autors spielte bei der Erstellung des Berichts und bei der kritisierten Wortwahl keine Rolle. Es handelt sich um einen in den Medien und der Wissenschaft seit langem etablierten Begriff, der einen bestimmten Parteityp bezeichnet, ohne dabei per se abwertend zu sein. Das mag auch die Tatsache unterstreichen, dass es gemäss Geden in der deutschsprachigen Diskussion vergleichsweise lange üblich war, ‚die entsprechenden Parteien unter dem bereits eingeführten Begriff ‚Rechtsextremismus‘ zu subsumieren‘. Gerade die FPÖ wird noch heute von verschiedenen Wissenschaftlern als rechtsextrem eingestuft (so z.B. von Anton Pelinka, ehemals Professor an der Universität Innsbruck, 2013 im Aufsatz ‚Der Preis der Salonfähigkeit‘ [6]) In Abgrenzung dazu ist der von uns verwendete Begriff ‚Rechtspopulismus‘ gemäss Geden ‚meist mit der Einschätzung verbunden, dass entsprechende Parteien nicht verfassungsfeindlich agieren und somit als potentiell koalitionsfähig gelten können.‘
Auch die Verwendung der Begriffe ‚Polter-Partei‘, ‚poltern‘ und ‚Wut-Politiker‘ im Zusammenhang mit der FPÖ wirft uns der Beanstander vor. Die Begriffe werden in der Anmoderation des Beitrages verwendet und spiegeln die politische Position und den politischen Stil der FPÖ wider – also das, worum es im Beitrag hauptsächlich geht. Wie oben ausgeführt werden rechtspopulistische Parteien unter anderem über ihren Kampf, ihr Poltern gegen die politischen Eliten und eine Emotionalisierung der politischen Diskussion definiert. Das trifft in hohem Masse auch auf die FPÖ zu. Die Begriffe sind deshalb durchaus angemessen, insbesondere im Rahmen einer prägnanten Anmoderation. Nicht erstaunlich deshalb, dass – ähnlich wie der Begriff ‚rechtspopulistisch‘ – die Begriffe ‚poltern‘ und ‚Wut‘ in den Medien regelmässig im Zusammenhang mit der FPÖ gebraucht werden:
- 'Die Partei [FPÖ] poltert gegen Muslime und fordert auf Plakaten Elterngeld nur für ‚heimische‘ Familien.‘ (NZZ am Sonntag) [7]
- ‚Wahl in Wien: FPÖ poltert gegen Ausländer‘ (‚Abendblatt‘) [8]‚
- FPÖ poltert: ‚Das ist absolut respekt- und verantwortungslos‘‘ (‚Mein Bezirk‘)
- [9]‚Resultat der Wut vieler Wähler‘ (n-tv) [10]
- 'Die Wut-Wähler von Norbert Hofer könnten durch den Rücktritt [von Faymann] schon besänftigt sein‘ (oe24) [11]
Anzumerken ist, dass gerade das Thema ‚Wut‘ im Beitrag inhaltlich aufgegriffen und erklärt wird. Wut-Politiker scheuen sich nicht, die negativen Gefühle der Wähler in klare Worte zu fassen. Die Wut der Wähler aber gründet in einer tiefen Unzufriedenheit mit der aktuellen Regierung, wie der Österreich-Kenner Bernhard Odehnal im Beitrag erklärt:
‚Nun, diese Wahlen waren eindeutig eine Protestwahl, es ging nicht um die Persönlichkeit des Bundespräsidenten, es ging um den Protest gegen die grosse Koalition. Die Unzufriedenheit mit der Arbeit der Koalition ist riesig und nun konnte Norbert Hofer von der FPÖ die Früchte dieses Zorns ernten.‘
Der Beanstander wirft uns weiter ‚Gehirnwäsche‘ vor. ‚Gehirnwäsche‘ definiert der Duden als ‚Versuch der gewaltsamen Veränderung der Urteilskraft und der (politischen) Einstellung eines Menschen durch starken physischen und psychischen Druck‘. Dieser Vorwurf wiegt schwer, gehört es doch gerade zu unseren Kernaufgaben, Ereignisse und Tatsachen so darzustellen, dass sich unsere Zuschauer und Zuschauerinnen eine eigene Meinung bilden können. Wir sind klar der Ansicht, dass der Beitrag sachlich und unparteiisch über die Gründe für den Erfolg der FPÖ in Österreich und weiterer rechtspopulistischer Parteien in anderen Ländern berichtet. Auch die Tatsache, dass der Autor den Begriff ‚Rechtspopulismus‘ mehrfach verwendet, macht den Begriff nicht falsch oder unzutreffend. Die Wiederholung eines Begriffs ist eine gängige journalistische Methode, um ein Phänomen verständlich zu thematisieren und zu erklären, zumal unser Publikum mit der FPÖ nicht unbedingt vertraut ist. Der Vorwurf einer ‚Gehirnwäsche‘ oder einer ‚Stimmungsmache gegen Andersdenkende‘ ist eine Unterstellung.
Abschliessend möchten wir noch einmal festhalten, dass wir im Zusammenhang mit dem Wahlerfolg der FPÖ unserer Ansicht nach sachgerecht über den Aufwind der rechtspopulistischen Parteien im Allgemeinen berichtet haben. Der Beitrag hat ein aktuelles Thema journalistisch sorgfältig aufgegriffen und mittels zweier Experten eingeordnet und vertieft. Das Thema ‚Rechtspopulismus‘ wurde analytisch angegangen, und der Beitrag ging weit über eine plumpe Etikettierung rechtspopulistischer Parteien hinaus. In unserem Beitrag, der ja hauptsächlich die Gründe für den Erfolg dieses Parteitypus thematisiert, wäre es journalistisch geradezu falsch gewesen, die in Medien und Wissenschaft etablierte Bezeichnung wegzulassen. Zudem hat der FPÖ-Kandidat Norbert Hofer im Rahmen des Beitrages Gelegenheit erhalten, um seine Ansichten öffentlich darzustellen. Er oder seine Partei wurden dabei vom Autor oder von den beiden Experten, die im Beitrag zu Wort kommen, in keiner Weise diffamiert.
Aus diesen Gründen bitten wir Sie, die Beanstandung zurückzuweisen.“
C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Um die Dinge richtig einordnen zu können, muss man einen Blick auf die Geschichte der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) werfen. Die FPÖ wurde 1956, also vor 60 Jahren, gegründet, nachdem sich im Jahr zuvor ehemalige Nationalsozialisten, Anhänger des früheren Landbundes und solche der Großdeutschen Volkspartei zur Freiheitspartei zusammengeschlossen hatten. Man muss wissen, dass es in Österreich nie eine wirkliche Entnazifizierung gab und dass sich die Nazis noch lange unbehelligt in allen Bereichen von Staat und Gesellschaft tummelten. Besonders die FPÖ zog die alten Nazis an. Erster Präsident wurde Anton Reinthaller, damals 61jährig, Forstwirt, Teilnehmer am Ersten Weltkrieg und deswegen zwei Jahre in russischer Kriegsgefangenschaft, seit 1930 Mitglied der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP). Er wurde 1938 nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich in Wien Landwirtschaftsminister und war SS-Brigadeführer. Nach dem Krieg wurde er wegen Hochverrats verurteilt und für zwei Jahre inhaftiert. Sein Nachfolger als FPÖ-Bundesparteiobmann wurde 1958 Friedrich Peter [12], damals 37jährig, Lehrer und Schulinspektor, der 1938 der NSDAP beigetreten war und im Krieg freiwillig zur Waffen-SS ging. Seine Truppe war mit systematischer Judenerschießung beauftragt. Peter hat allerdings seine eigene Beteiligung stets geleugnet, konnte hingegen die Dokumente des Simon Wiesenthal-Zentrums nicht entkräften. Nur die Hilfe Bundeskanzler Bruno Kreiskys, der Peter politisch brauchte, verhinderte, dass ihm in den siebziger Jahren der Prozess gemacht wurde. Und in der Tat: Der politische Opportunismus bewog den Alt-Nazi Peter, die FPÖ gegen die Mitte zu führen und sie nicht mehr nationalliberal, sondern wirtschaftsliberal auszurichten. Als er 1978 den Parteivorsitz abgab, war die FPÖ koalitionsfähig geworden. Und unter dem Rechtsanwalt Norbert Steger, Bundesparteiobmann 1980-1986, regierte die FPÖ in einer Koalition mit den Sozialisten Kreiskys mit. Doch die Parteibasis hatte den Schwenk nicht wirklich mitgemacht. Und als 1986 der promovierte Jurist Jörg Haider[13], damals 36jährig, die Macht in der Partei an sich riss, wurden wieder rechtsradikale Töne gang und gäbe. Haider lobte beispielsweise die „ordentliche Beschäftigungspolitik“ der Nationalsozialisten. Ähnlich tönt der aktuelle Parteivorsitzende Heinz-Christian Strache, der Zahntechniker, der 2005 als ebenfalls 36jähriger die inzwischen ins Schlingern geratene Partei übernahm.
Der Politologe Anton Pelinka schreibt in der von Herrn Dütschler in seiner Stellungnahme bereits erwähnten Schrift: „In keinem anderen Land Europas ist eine derartige Kontinuität zwischen einer Partei, die eine barbarische Diktatur verkörperte, und einer in einem postfaschistischen (oder postnazistischen) liberal-demokratischen System als ‚Normalpartei‘ agierenden Parlamentspartei festzustellen. Die FPÖ repräsentiert die Fortsetzung der deutsch-völkischen Tradition, deren Höhepunkt der Nationalsozialismus und der von diesem zu verantwortende Holocaust war. In keinem der deutschen Bundesländer wäre zum Beispiel vorstellbar, dass einer wegen seiner den NS-Staat verharmlosender Rhetorik bekannter, ja diese Rhetorik bewusst einsetzender Politiker viele Jahre hindurch Regierungschef (Landeshauptmann) sein kann. In keinem anderen europäischen Land wäre eine Partei wie die FPÖ ähnlich generell akzeptiert, wie dies in Österreich der Fall ist.[14]
Was für ein Unterschied zwischen den österreichischen Freiheitlichen und den schweizerischen Freisinnigen! Die Schweizer FDP ging aus den Volksbewegungen der 1830er Jahre hervor, die für Grundrechte und Bürgerrechte, für die Gleichstellung der Landbürger mit den Stadtbürgern und für mehr Demokratie kämpften. Der Freisinn war die freiheitliche, fortschrittliche und vaterländische Bewegung des 19. Jahrhunderts. Die Wurzeln der FPÖ hingegen sind antiliberal, antiparlamentarisch und rassistisch. In der World Federation of Liberalism[15], 1947 gegründet, in der die Schweizer FDP lange eine führende Rolle gespielt hatte, sind manche prägende liberale Parteien vertreten, etwa die Freie Demokratische Partei (FDP) aus Deutschland, die Liberal Democrats aus Grossbritannien, die Alliance Party aus Nordirland, die Centerpartiet und die Liberalerna (L) aus Schweden, die Venstre aus Norwegen, die Venstre und Det Radikale Venstre aus Dänemark, die Suomen Kekusta und die Swedish People‘s Party aus Finnland, die Progressive Party aus Island, das Mouvement Réformateur und die Vlaamse Liberalen en Democraten aus Belgien, die Democraten 66 und die People’s Party for Freedom and Democracy (VVD) aus den Niederlanden, die Demokratesch Partei aus Luxemburg, die Freedom and Democracy (Ll i D) aus Katalonien, der Yabloko aus Russland oder die Liberal Party aus Kanada, insgesamt 66 Vollmitglieder und 30 Mitglieder mit Beobachtungsstatus. Die Schweizer FDP hat sich, aus welchen Gründen auch immer, auf den Beobachterstatus zurückgezogen. Die FPÖ ist indes weder Vollmitglied noch Beobachter. Sie war einmal dabei, aber die Ideale der Liberalen Internationale und die Politik der FPÖ waren unverträglich.
Parteien wie die FPÖ dienen oft auch als Protestparteien. Und um den Protest aufzufangen und möglichst viele Stimmen zu gewinnen, bedienen sie sich des Populismus. Der Begriff existiert in den Sozialwissenschaften schon lange. Populismus kann wie folgt definiert werden: „Populismus ist geprägt von der Ablehnung von Eliten und Institutionen, Anti-Intellektualismus, einem scheinbar unpolitischen Auftreten, Berufung auf den ‚gesunden Menschenverstand‘ (common sense), Polarisierung, Personalisierung und Moralisierung. Populismus betont den Gegensatz zwischen dem ‚Volk‘ und der ‚Elite‘ und nimmt dabei in Anspruch, auf der Seite des ‚einfachen Volkes‘ zu stehen. Populismus hat hingegen kein bestimmtes, eigenes Wertesystem, das seinen ideologischen Kern ausmachen und ihn von anderen Ideologien abgrenzen würde. Er kann daher mit ganz unterschiedlichen politischen Richtungen und Zielsetzungen einhergehen.“ [16] Und so gibt es Linkspopulismus und Rechtspopulismus. Linkspopulismus ist heute in Lateinamerika stark verbreitet, aber auch in Spanien (Wahlbündnis „Unidos Podemos“[17]). Linkspopulismus gab es nach der „Nelkenrevolution“ von 1974 in Portugal, linkspopulistisch war aber ebenso das Regime von Slobodan Milosević in Serbien. Rechtspopulismus findet sich vor allem in Europa (in Frankreich, Deutschland, Belgien, den Niederlanden, Großbritannien, Norwegen, Dänemark, Finnland, Italien, Österreich und der Schweiz) sowie in den USA (Tea Party-Bewegung, Kampagne von Donald Trump). Es ist auf jeden Fall richtig, den Begriff Rechts- und/oder Linkspopulismus zur Beschreibung entsprechender Bewegungen zu verwenden.
Vor diesem Hintergrund war der Beitrag, den „10 vor 10“ ausgestrahlt hat, nicht nur legitim, sondern auch korrekt. Ich kann keine Einseitigkeit, keine Diffamierung und Verunglimpfung eines politischen Gegners und schon gar keine „Gehirnwäsche“ erkennen. Der Beitrag diente der Aufklärung. Und Aufklärung ist a priori keine Diffamierung.
Noch eine Bemerkung zum Schluss: Entgegen Ihrer Annahme ist Fernsehen SRF kein „Staatsfernsehen“. Staatsfernsehen gibt es in autoritären und totalitären Systemen – in China, Nordkorea, Kuba, Syrien, Saudiarabien, Iran, Weißrussland, Ägypten und ein Stück weit auch in Russland - , aber nicht in der Schweiz. Staatsfernsehsender sind Sprachrohre der Regierung. Die Bundesverfassung sieht hingegen für Radio und Fernsehen, auch für die SRG, das Gegenteil vor: Dass sie nämlich unabhängig sind vom Staat und sich auch als Kritiker der Regierung betätigen können. Dass das Parlament im Radio- und Fernsehgesetz einen gewissen Rahmen festlegt und dass vom Staat festgelegte Gebühren sowohl den Service public-Veranstalter als auch die kommerziellen Sender mitfinanzieren, ändert an dieser Unabhängigkeit nichts.
D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.
[1] Sendung vom 24. April 2016; Link zur Sendung: http://www.ardmediathek.de/tv/Tagesthemen/tagesthemen/Das-Erste/Video?bcastId=3914&documentId=34909068 ; Timecode 5:40)
[2] 25. April 2016: Historische Zäsur in Österreich.
[3] 26. April 2016: Land ohne Mitte.
[4] 28. April 2016: Ungeniessbar.
[5] Studie: https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2007_S17_gdn_ks.pdf
[6] http://www.doew.at/cms/download/bvfs9/pelinka_rechtsextremismus-1.pdf
[7] 30.8.2009: Der Mann fürs Grobe.
[10] http://www.n-tv.de/politik/pressestimmen/Resultat-der-Wut-vieler-Waehler-article17552336.html
[11] http://www.oe24.at/oesterreich/politik/Hofburg-Wem-hilft-Faymann-Rueckzug/235136169
[12] Das Fischer Lexikon (2000): Personen der Gegenwart. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch-Verlag, S. 609-610.
[13] Das Fischer Lexikon (2000): Personen der Gegenwart. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch-Verlag, S. 321-322.
[14] http://www.doew.at/cms/download/bvfs9/pelinka_rechtsextremismus-1.pdf , S. 2.
[15] http://www.liberal-international.org/site/
[16] Karin Priester: Wesensmerkmale des Populismus. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, 26. Januar 2012.
[17] Vgl. „Angebot oder Tod“ in: „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, 17. Mai 2016, S. 5.
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