Radiosendung «Doppelpunkt» über Sex beanstandet

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Mit ihrer Eingabe vom 18. Mai 2016 beanstandeten Sie die Sendung „Auf der Suche nach dem Kick beim Sex“, die am 17. Mai 2016 abends im „Doppelpunkt“ von Radio SRF 1 ausgestrahlt wurde. Ihre Eingabe erfüllt die formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann somit darauf eintreten.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:

„Diese Sendung wurde ausgestrahlt zu einem Zeitpunkt, da Primarschulkinder noch ohne weiteres mithören.

Auch wenn das Thema Sexualität in unserem Leben omnipräsent ist, bereits jüngere Kinder ein Smartphone und/oder einen PC haben und pornografisches Material sehr leicht ‘zugänglich’ ist, bin ich der Meinung, geht es nicht an, dass SRF zu bester Sendezeit dieser Tendenz nachzukommt und mitzumacht. Zumal es sich bei SRF um staatliches Radio und TV handelt.

Selbst mir, einer erwachsenen Frau, die gesund und mit beiden Beinen auf dem Boden und im Leben steht, war die Sendung höchst zuwider und ich empfand sie alles in allem eine Zumutung. All die höchst privaten Details sind m. M. nach nicht von öffentlichem Interesse und werden buchstäblich vom persönlichen Intimraum an den Lautsprecher gezerrt. Damit bin ich nicht einverstanden.

Bei der gestrigen Sendung wurde ganz ausser Acht gelassen, dass Sexualität eigentlich der Ausdruck von gegenseitiger Vertrautheit und Vertrauen ist, von Zärtlichkeit und Innigkeit, von Verbundenheit.

Das Gestrige war in meinen Augen Nervosität, auch Irritiertheit, und das will ich mir nicht anhören müssen. Wer das sucht, findet es auch ohne Mittun von SRF garantiert.

Ich bitte Sie, dies in Ihrer künftigen Programmwahl zu berücksichtigen.“

B. Ihre Beanstandung wurde der zuständigen Redaktion zur Stellungnahme vorgelegt. Frau Heidi Ungerer, publizistische Leiterin von Radio SRF 1, äußerte sich wie folgt:

„Wir nehmen gerne zur Beanstandung von Frau X Stellung:

(1) Zum Zeitpunkt der Ausstrahlung der Sendung und zu deren klaren Deklaration

Radio SRF 1 programmiert solche monothematischen Sendungen in den Randzeiten der Radionutzung – d.h. in den Abendsendungen nach 20 Uhr, wo in der Regel ein 10-fach kleineres Publikum zuhört als am Morgen, der Hauptsendezeit des Radios.

Jede Sendung wird zudem n a c h den 3-minütigen Nachrichten thematisch vom Moderator explizit angekündigt. Nachrichten wiederum können natürlich jederzeit auch ‚nicht kinderfreie‘ Meldungen beinhalten. So im konkreten Bulletin vom 17.Mai, in dem es um sexuelle Beleidigung und um Terroranschläge ging. Eltern sind also so oder so nie von der Pflicht befreit, auch den Radiokonsum ihrer Kinder zu begleiten. Nur so können sie ganz sicher gehen, dass die Kinder nicht unversehens mit unerfreulichen bzw. unerwünschten Themen konfrontiert werden.

(2) Zum Themenfokus der Sendung

Das Zielpublikum von Radio SRF 1 sind Menschen ab 45 Jahren, also ein Publikum, das mitten im Leben steht und mit Sexualität bereits eine reiche und reife, sprich eine erwachsene Erfahrung hat. Mehr als 75% der Hörerschaft in den Abendprogrammen von Radio SRF 1 sind Menschen über 45. Für sie ist eine Sendung, die berichtet, wie man in Partnerschaften Sexualität lebendig erhalten oder wieder erwecken kann, ein durchaus relevantes Thema, das Befragungen und Studien problemlos belegen.

Gerade das, was Frau X an der Sendung am meisten vermisst hat, finden wir durchaus explizit wieder: ‚dass Sexualität eigentlich der Ausdruck von gegenseitiger Vertrautheit und Vertrauen ist, von Zärtlichkeit und Innigkeit, von Verbundenheit‘. Zum Beispiel dann, wenn die Swinger-Club-Besitzerin gegen Ende der Sendung klar macht, dass nicht Partnertausch oder Fremdgehen im Vordergrund stehen beim ‚Swingen‘ von Paaren, sondern die Belebung und Vertiefung der eigenen Partnerschaft. Natürlich wird nicht verschwiegen, dass z.B. die Eifersucht & der Neid beim ‚Swingen‘ nicht ausser Acht gelassen werden dürfen von den Partnern.

(3) Zugänglichmachung von pornographischem Material?

In unserer Beurteilung werden in der Sendung zwar Methoden und Darstellungsformen der Sexualität redaktionell in Interviews und Reportagen thematisiert. Eine plumpe Zurschaustellung von Pornographie ist aber in der Sendung nirgends vorhanden. Vielmehr berichten erwachsene Menschen über ihre Erfahrungen, wie sie Sexualität lebendig erhalten auch in langjährigen Partnerschaften.

Deutlich wird das an der redaktionellen Wahl des Internetblogs klicktoris.ch.
Die vier Bloggerinnen befriedigten die Pornos im Netz nicht. Sie haben deshalb einen eigenen Pornoblog gegründet, den sie in ihrer Freizeit auf nicht kommerzieller Basis betreiben. Die Autorin der Sendung geht im Gespräch mit den Bloggerinnen ihren kritischen Fragen nach. Es wird nicht beschönigt, es wird nicht darum herum geredet, aber es wird auch nicht pornographisches Material vermittelt oder auf dem Netz von SRF als ‚Mehrwert‘ dargestellt. Natürlich: Wenn eine erwachsene Person diesen Blog aufsucht, weiss sie, was ihn oder sie erwartet. NB: Im Schnitt verbringt jede Person in der Schweiz täglich acht Minuten auf kommerziellen Porno-Hubs im Netz, 25% davon Frauen, 75% davon Männer.

(4) Wahrung der Privatsphäre, von Anstand und Respekt

Die Darstellung der Inhalte ist während der ganzen Sendung niemals reisserisch oder respektlos, sondern jederzeit diskret und adäquat eingebettet. Auch das Tonmaterial ist nie voyeuristisch, sondern authentisch und dokumentarisch. Immer wieder hinterfragt die Autorin zudem das Geschilderte kritisch.

Intimes wird zwar durchaus erzählt, aber ohne jeden missionarischen oder voyeuristischen Touch. Es trifft eben nicht zu, dass die Aussagen der Menschen ‚an den Lautsprecher gezerrt‘ werden.

Es fällt vielmehr geradezu auf, dass Lustvolles, Freude und Humor in dieser Sendung immer wieder eine zentrale Rolle einnehmen. Kurz: hier sprechen Erwachsene in einer entspannten Tonalität der Selbstdistanz, in Achtung ihrer Partner/innen und mit Respekt vor anderen Auffassungen von Sexualität.

Unser Fazit

Die Beanstandung von Frau X ist nach unserer Beurteilung in keinem Punkt zutreffend.

Wir sehen deshalb letztlich auch keinen Grund, künftig bei entsprechender Aktualität auf solche Themen zu verzichten, wenn sie wie in dieser Sendung qualitativ gut gestaltet und klar deklariert werden.

Wir respektieren ausdrücklich die andere Auffassung von Frau X, auch wenn wir ihre Wahrnehmung und Schlüsse letztlich nicht teilen können.“

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Einschätzung der Sendung. Ihren Widerwillen gegen eine solche Sendung kann ich zunächst einmal nachvollziehen. Es ist nicht alltäglich, dass solche Themen am Radio so freimütig verhandelt werden. Die vier Schauplätze – die Sextoys-Party einer Gruppe von Frauen in einer Berner Landgemeinde, der Online-Versandhandel für Sex-Toys im Stadtzürcher Kreis 5, das Schweizer Pornoportal für Frauen www.klicktoris.ch und der Swinger-Club am Walensee – sind vielen Menschen fremd; sie gehören nicht zu ihrer Welt. Aber die gesellschaftliche Realität zeigt eben, dass diese Angebote gefragt sind: Die Sextoys verkaufen sich gut, der Online-Versandhandel läuft, die Pornoseiten werden besucht, der Swinger-Club ist belebt. Viele Menschen suchen nach Wegen, um den Sex abwechslungsreich und lebendig zu erhalten, ihn nicht erschlaffen zu lassen. Sie brauchen den Kick beim Sex und finden ihn bei der einen oder anderen der vorgestellten Methoden. Die Zahlen, die in der Sendung vermittelt wurden, sprechen ja eine deutliche Sprache: Ein Drittel der Suchanfragen im Internet gehen auf Sexseiten, und in der Luzerner Kantonsverwaltung wurden im Jahr 2010 täglich 500 Sexsites angeklickt! In der gesellschaftlichen Realität spielt eben die durch die Sendung aufgeworfene Thematik eine nicht zu unterschätzende Rolle.

Und die Medien haben ja unter anderem die Aufgabe, die gesellschaftliche Realität zu spiegeln. Genau das hat dieser Beitrag getan. Und er hat es auf behutsame, zurückhaltende Weise getan. Die meisten Personen, die reden, sind – mit Ausnahme des Versandhandel-Geschäftsmannes aus Zürich – nicht identifizierbar; sie werden nicht mit ihrem ganzen Namen vorgestellt. Die Privatsphären werden also gewahrt. Und die Tendenz des Beitrags ist klar paarbezogen: die Beziehungen durch interessanten Sex festigen, auch für den Partner Sex-Toys einkaufen usw.

Natürlich ist die Thematik nicht für Minderjährige bestimmt, und das ist das einzige Problem, das sich stellt. Zwar ist die Wahrscheinlichkeit klein, dass Kinder abends nach 20 Uhr Radio SRF 1 hören. Aber, und da haben Sie Recht, auszuschließen ist es nicht, der Zeitpunkt ist ja nicht wirklich spät; die Sendung war vor 21 Uhr zu Ende. Kommt dazu, dass Minderjährige solche Sendungen im Internet nachhören können; sie müssen bloss darauf stossen. Dieses Problem ist ungelöst: Wegen der Digitalisierung ist ein noch so später Ausstrahlungszeitpunkt kein wirklicher Jugendschutz mehr. Doch: Muss das Radio auf gesellschaftlich relevante und interessante Themen einfach deshalb verzichten, weil auch Jugendliche die Sendung hören könnten? Die Verantwortung, dass die Kinder den für sie adäquaten Medienzugang erhalten, liegt primär bei den Eltern.

Alles in allem handelt es sich bei der Sendung über den „Kick beim Sex“ um einen klug angelegten, aufklärenden Beitrag, der in keiner Weise die gesellschaftliche Moral verletzt oder die „öffentliche Sittlichkeit“ (so formuliert es das Radio- und Fernsehgesetz) gefährdet. Ich kann daher die Ausführungen von Frau Ungerer – mit einer kleinen Einschränkung in Bezug auf den Jugendschutz – nur unterstützen.

Zum Schluss noch ein Hinweis: Radio und Fernsehen SRF sind keine staatlichen Sender. Sie sind vom Staat unabhängig und werden von einem privaten Verein getragen. Zwar gibt der Gesetzgeber im Radio- und Fernsehgesetz den Rundfunkmedien – nicht nur der SRG, sondern auch den privaten – einen Auftrag, und der Bund bestimmt, dass für Radio und Fernsehen Gebühren eingezogen werden. Aber Verfassung und Gesetz garantieren Radio und Fernsehen gleichzeitig die Unabhängigkeit, und deshalb dürfen SRF oder „Tele 1“ oder „Radio Pilatus“ die staatlichen Behörden genauso kritisieren wie die „Neue Luzerner Zeitung“, der „Willisauer Bote“ oder die „Surseer Woche“. Damit hat die SRG eine ähnliche Stellung wie die BBC, die ARD, das ZDF oder der ORF und unterscheidet sich gewaltig von den Staatssendern in China, Nordkorea, Weißrussland, Ägypten oder Kuba.

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.

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