«Terroristen und Amokläufer nicht zu Berühmtheiten und Vorbildern machen»

Welches ist die angemessene Art der Berichterstattung über Gräueltaten wie Terrorattentate oder Amokläufe? Die SRF-Chefredaktion hat sich darüber Gedanken gemacht und Schlüsse gezogen. Tristan Brenn, Chefreadaktor TV, erläutert in seinem internen Newsletter, worauf man sich geeinigt hat.

«Die Schreckenstage vom Juli mit dem Terroranschlag in Nizza und dem anschliessenden blutigen Amoklauf in München, der Axt-Attacke in einem Zug in Würzburg, dem Mord an einem Priester durch einen radikalen Islamisten in einer Kirche im französischen Rouen scheinen weit weg. Die Chancen jedoch, dass es früher oder später erneut zu einem Terrorakt mit blutigem Ausgang kommt, sind leider real.

Angemessene Art der Berichterstattung

Inzwischen ist erneut eine Diskussion darüber entbrannt, welches die angemessene Art der Berichterstattung über solche Massaker ist. Wie ausführlich berichten wir? Welche Ansätze wählen wir? Was zeigen wir und wo verzichten wir auf Bilder? Und welche Details erwähnen wir, von den Tätern zum Beispiel? Wir, die wir bei anderen Themen besonders Wert darauf legen, detailreich und differenziert zu berichten.

Das Dilemma ist offensichtlich. Wir können diese Taten nicht ignorieren, wir wollen aber auch nicht dramatisieren. Wir wollen nicht unnötig Schrecken verbreiten, den Schrecken aber auch nicht beschönigen, indem wir diesen kleinreden und kleiner darstellen, als er ist. Zwar sind diese Bluttaten bei aller Brutalität lokal begrenzt, die Chancen, zufällig am falschen Ort zu stehen und Opfer zu werden, äusserst gering. Das ist kein flächendeckender Krieg! Und doch geht in unseren Köpfen etwas ganz anderes ab, da ist ein diffuses Angstgefühl, das real ist und darum von Relevanz, und auch dem müssen wir in unserer Berichterstattung Rechnung tragen.

Der Wunsch, als Helden in die Geschichte einzugehen und aus dem tristen Alltag herauszutreten, ist ein wichtiger Treiber für viele dieser schrecklichen Taten.

Besonders kontrovers wird zurzeit die Frage diskutiert, was mit den Tätern von Terroranschlägen zu tun ist. Sie benennen und sie mit Bild zeigen, das war bisher die gängige Praxis – auch bei uns. Wir taten dies mit Berufung darauf, dass diese Attentäter mit ihren Gräueltaten zu Personen der Zeitgeschichte werden. Da es keine ‹gewöhnlichen› Verbrechen sind, wo Persönlichkeitsrechte und der Schutz der Privatsphäre von den Medien, zumindest von SRF, stärker gewichtet und also Namen und Bilder nicht publiziert werden. Nun aber haben es die Terroristen genau darauf anlegt, solche ‹Personen der Zeitgeschichte› zu werden.

Verschiedene Medien verzichten auf Bilder und Namen von Tätern

Ob ihre Motive politisch-religiös sind oder wie so oft früh gescheiterten ‹Verlierer›-Biografien entspringen, der Wunsch, als Helden in die Geschichte einzugehen und aus dem tristen Alltag herauszutreten, ist ein wichtiger Treiber für viele dieser schrecklichen Taten. Klar ist: Einen Heldenstatus erreichen diese Täter nur, wenn die Medien mitmachen und ihren Namen und ihr Gesicht in die Welt tragen.

Deshalb hat als erstes grosses Medium die französische Zeitung ‹Le Monde› beschlossen, in Zukunft keine Bilder und Namen von Attentäterinnen und Attentätern mehr zu zeigen. Hierzulande hat sich der ‹Tages-Anzeiger› zu demselben Schritt entschlossen, und auch wir wollen es in Zukunft gleich handhaben. Wenn wir die Täter nicht zeigen, unterlaufen wir ihr Streben nach Aufmerksamkeit und Ruhm. Dasselbe gilt selbstverständlich für Propagandamaterial der Täter, für aufgezeichnete Videobotschaften, wie sie der Axt-Täter von Würzburg hinterlassen hat. Diese sollen in unseren Programmen nicht weiterverbreitet werden, was auch in der Vergangenheit unser Standard war.

Mehr Hintergründe, weniger Emotionen

Doch ist es nicht damit getan, wenn wir in Zukunft auf Bilder der Attentäter zu verzichten. Es geht auch darum, welche journalistischen Ansätze wir verfolgen. Die emotionale – und dabei doch ermüdende – Beschäftigung mit den Tätern stumpft am Ende alle ab. Gar nicht mehr zu berichten, hiesse jedoch, vor dem Terror zu kapitulieren, auch wenn ihm damit die Aufmerksamkeit, also sein Lebenselixier, ein Stück weit entzogen würde.

Es muss uns gelingen, unsere Berichterstattung so wenig wie möglich emotional aufzuladen und so intelligent und differenziert wie möglich Hintergründe, Erklärungen und Lösungsansätze zu liefern.

In einer lesenswerten Kolumne in der ‹Aargauer Zeitung› hat sich kürzlich Rundschau-Moderatorin Susanne Wille für eine Berichterstattung starkgemacht, welche die Öffentlichkeit ‹sensibel und aufnahmewillig› bleiben lässt: ‹Da ist der Politologe Asiem El Difraoui, der Gegenstrategien gegen die Rekrutierung von jungen Terrorgehilfen im Netz sucht. Da ist die Psychiaterin Anne Speckhard, die Videos von IS-Deserteuren veröffentlicht, um die Ideologie der Terrororganisation zu diskreditieren. Da ist die Historikerin Medinat Abdulazeez, eine afrikanische Muslimin aus Nigeria, die nach nicht militärischen Mitteln gegen den Terror von Boko Haram sucht, weil sie überzeugt ist, dass sich die radikalislamische Ideologie mit Krieg allein niemals bekämpfen lässt. Solchen Stimmen müssen wir mehr Gehör verschaffen und ihnen länger und aufmerksamer zuhören.›

Ich möchte diese Sätze ausdrücklich unterstützen. Niemanden lassen diese Anschläge kalt. Und doch muss es uns gelingen, unsere Berichterstattung so wenig wie möglich emotional aufzuladen und so intelligent und differenziert wie möglich Hintergründe, Erklärungen und Lösungsansätze zu liefern.

Zurückhaltung bei Amokläufen

Zurückhaltung in der Berichterstattung über Täter gilt übrigens erst recht bei Amokläufen ohne terroristischen Hintergrund wie jenem vor zwei Wochen in einem Zug im Sankt Gallischen Salez. Je weniger wir von den Tätern preisgeben, desto weniger taugen sie auch als Vorbilder für potenzielle Nachahmer. Dass es solche Nachahmereffekte gibt, vor allem nach exzessiven, tagelangen Medienberichten über Amokläufe, haben verschiedene Studien weltweit bewiesen. Amokläufe sind ansteckend. Umso stärker stehen wir als grosses Medienunternehmen in der Verantwortung, in dem wir uns bewusst Zurückhaltung auferlegen, statt pseudopsychologische Ursachenforschung ohne Erkenntnisgewinn zu betreiben.»

Mehr Infos zum Umgang mit Terrorakten

Lis Borner, Radio-Chefredaktorin: «Wenn es um Terrorismus und Amokmorde geht, sind wir nicht nur journalistische Beobachter, sondern Akteure. Deshalb stehen wir in einer besonderen Verantwortung.»

Auch Lis Borner thematisierte den Umgang mit Attentaten in ihrem internen Newsletter. Wie Tristan Brenn geht sie auf die Maschinerie ein, die einsetzt, wenn ein schrecklickes Attentat die Welt erschüttert. Und auch sie weist auf die enorme Gefahr von Nachahmetaten hin. Ergänzend sind im Newsletter folgende Kriterien formuliert, wie künftig mit solchen Themen umgegangen werden soll:

  • Nicht jede Gewalttat ist Terrorismus. Selbst ein Gewalttäter, der den Koran liest und auf islamistischen Webseiten surft, ist nicht zwingend ein IS-Attentäter. Terrorismus setzt zweierlei voraus: ein politisches Ziel und ein Mindestmass an Organisation und Vernetzung. Bei den meisten Gewaltakten dieses Sommers traf dies nicht zu. Am ehesten vielleicht noch bei der vermutlich innenpolitisch motivierten Anschlagswelle in Thailand.
  • Terroristen und Amokläufer wollen Helden sein. Weshalb wir möglichst wenig über sie als Personen, über ihre Biographie, Motivation und ihre Tat publizieren.
  • Wir halten uns an Fakten und vermeiden Spekulationen. Wir benennen ausdrücklich, was wir nicht wissen.
  • Wir halten unsere Berichterstattung im Ton so nüchtern wie möglich.
  • Wir hüten uns davor, die Bevölkerung zusätzlich zu beunruhigen, indem wir permanent über Sicherheitsvorkehren berichten. Wenn es den Terroristen gelingt, uns zu zwingen, unseren Lebensstil zu verändern, haben sie bereits einen wichtigen Sieg errungen.
  • Wir sind ausnahmsweise beim Thema Terrorismus nicht kreativ, suchen nicht nach Beiträgen, die man auch noch bringen könnte. Wir beschränken uns auf das, was unser Publikum wissen muss.
  • Wir machen uns nicht zum Sprachrohr von Gerüchten und Behauptungen, die im Internet kursieren, von Blogautoren, deren Qualifikation wir nicht einschätzen können. (Besonders krasses Beispiel: Die St.Galler Polizei machte beim Attentat im Rheintal von vornherein klar, dass es keinerlei terroristischen Hintergrund gibt. Im Internet wurden dennoch wild IS-Zusammenhänge konstruiert. Worauf auch seriöse Medien über diese völlig unqualifizierten Behauptungen berichteten. Das tun wir nicht. Unsinn, auch wenn Netz-weit verbreitet, ignorieren wir.)

Weiter informierte Borner, dass ab Herbst im «Echo der Zeit» Kommentare in eigener Sache publiziert werden, «wenn uns der Umgang mit einem Thema vor grundsätzliche publizistische Fragen stellt. Wir wollen damit versuchen, dem Publikum zu erklären, warum wir gewisse Dinge tun und andere nicht.»

Text: Tristan Brenn, CR-TV-Newsletter 06/16; Lis Borner, CR-Radio-Newsletter 07/16

Bild: Foto Tristan Brenn © SRF / Oscar Alessio, Foto Lis Borner © SRF / Marcus Gyger

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