Baustelle Journalismus: Bei SRF News wird an der Zukunft von SRF gearbeitet

Smartphone und Tablet verdrängen den TV, die Zukunft ist digital und mobil. Mit der Online-Redaktion SRF News arbeitet das Unternehmen an SRF der Zukunft. Das heisst aber auch, nahe am User zu entwickeln: Test-User und Klickzahlen werden wichtiger. Bleibt da der qualitative Journalismus auf der Strecke?

Die Welt hat sich verändert. Die dritte industrielle Revolution – die Digitalisierung – hat tausende Jobs zerstört, tausende neue geschaffen und ganze Branchen durchgerüttelt. Und es rüttelt noch immer, zumindest im Journalismus. Die Anzahl der gedruckten Auflagen nimmt kontinuierlich ab und das Nutzerverhalten ändert sich ständig.

Auch Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) hat diese Entwicklung zu spüren bekommen. Lineares Fernsehen verliert an Attraktivität, ganze Generationen werfen sich nicht mehr jeden Tag um 19:30 Uhr für die «Tagesschau» aufs Sofa. SRF hat reagiert. Die im letzten Jahr erarbeitete Digitalstrategie macht klar: Das Broadcast-Denken ist überholt, ein Wandel weg vom linearen Fernsehen und Radiohören hin zum Informationslieferanten online und mobile muss angestrebt werden.

Bereits 2012 wurden mit der Online-Redaktion SRF News die ersten Bausteine gelegt. Fertig ist das Gebilde indes nicht, die Redaktionsarbeit verändert sich laufend, sagt Bereichsleiterin von SRF News, Sandra Manca. «Die Zeiten, als ein Produkt ­einmal fertig entwickelt war, sind längst vorbei.»

Zu den Usern gehen

Die «Bauarbeiter» sitzen in einem schmucklosen Büro, Digital Natives neben Digital Immigrants, Jung neben Alt. Screens schmücken die Wand, ZGB, OR und das Lexikon der Vereinten Nationen stehen als Gegensatz auf dem Regal. Ein grosses Plakat erinnert fortwährend an die Digitalstrategie. Zu ihrer Gründungszeit war die Redaktion auf den klassischen Desktopnutzer ausgerichtet. Nine to five, Bürozeiten gleich News-Zeiten.

Als iPhone und Co. den Siegeszug antraten und sich die Always-on-Gesellschaft formte, hat sich auch das Nutzerverhalten gewandelt. Diesen User-Bedürfnissen will sich SRF News mit seinem Angebot künftig anpassen. Morgens zum Beispiel sind die Nutzer am Pendeln. «Dann haben unsere User wenig Zeit und möchten schnell informiert werden», erklärt Mark Livingston, der seit Juni die Redaktion leitet. Geplant sind also zu dieser Tageszeit in der Tendenz eher kurze Texte, welche einen Überblick über aktuelle Geschehnisse bieten sollen. Am Mittag ist mehr Zeit vorhanden, dann möchten sich Nutzer eingehender mit den wichtigsten Themen befassen. «Am Abend schliesslich sind die User im Entdeckermodus», erklärt Livingston, «dann können wir wirklich vertiefende Hintergrundgeschichten publizieren.»

Am Abend sind die User im Entdeckermodus, dann können wir wirklich vertiefende Hintergrundgeschichten publizieren. - Mark Livingston, Redaktionsleiter SRF News

Nicht nur die News-Zeiten haben sich geändert, immer weniger Leser tippen die Adresse der News-Site ihres Vertrauens in den Browser ein. Informationen werden heute aus dem immerwährenden Datenstrom der sozialen Netzwerke herausgepickt. «Wir erreichen einzelne Zielgruppen über unsere Website nicht», erklärt Manca. Nicht nur junge Menschen informieren sich seltener aktiv, auch bei älteren hat sich dieses Verhalten manifestiert. «Heute kann man nicht mehr erwarten, dass die User zu einem kommen, man muss aktiv zu ihnen gehen, in ihre Communities – und eigene Communities bilden.»

Das Rad neu erfinden

Jeden Tag ziehen die Redaktorinnen und Redaktoren zu den Nutzern auf Facebook, Twitter, Instagram und YouTube, weitere Plattformen werden laufend evaluiert. Eine andere Plattform bedeutet aber auch andere Produkte. «Der durchschnittliche Nutzer entscheidet online spätestens nach zwei Sekunden, ob ihn ein Video interessiert», erklärt Livingston, «das bedingt, dass Videos komplett anders aufgebaut werden als beim Fernsehen.»

Der durchschnittliche Nutzer entscheidet online spätestens nach zwei Sekunden, ob ihn ein Video interessiert. - Mark Livingston

Ein klassischer News-Beitrag mit Anmoderation oder Symbolbilder scheitert im Netz. Seit Juni testet die Redaktion « Instant Videos ». Diese kurzen Videos sind stark auf Pendler ausgerichtet. In einer knappen Minute werden komplexe News-Themen heruntergebrochen; grosse Texttafeln sorgen dafür, dass der Inhalt auf dem Smartphone auch ohne Ton verständlich ist.

Diese News-Häppchen lassen keinen Tiefgang zu – sollen sie aber laut Livingston auch nicht. «Wir zielen hier auf jene Personen, die sich nicht aktiv für News interessieren, denen wir so aber ein Thema nahe bringen können.» Der nächste logische Schritt: Längere Erklärvideos. «Diese Geschichten verlangen komplett anderes Storytelling, benötigen anderes Material, müssen anders geschnitten werden», erklärt Manca. Für einmal muss die Redaktion jedes «Rad», jedes Video, jede Grafik, neu erfinden.

Zwischen Häppchen und Hintergrund

Die User helfen dabei den digitalen «Tischlern», das Rad nach ihren Wünschen zu gestalten. Jedes Produkt wird ausgiebig getestet. Jede zweite Woche wischen und klicken sich Test-User durch die neuen Prototypen. Aber auch jeder Nutzer von SRF News wird unbewusst zum Tester. Die Website erlaubt, mehrere Titel zu einem Artikel zu setzen. Das System entscheidet, welchem Nutzer es welchen Titel zeigt, und misst die Klickrate.

Klicks, Verweildauer, Unique Client: Das sind die neuen Grössen im Online-Geschäft. Ganze Plattformen wie Likemag oder BuzzFeed setzen auf dieses Prinzip: Publiziert wird, was Klicks gibt; Emotionen, Sex, People. Das weckt Ängste. Erwarten den SRF-Leser bald Katzenbilder statt Kantonsratswahlen? Nein, so der publizistische Leiter Livingston: «Für uns gelten die publizistischen Leitlinien von SRF. Wir wollen Einordnung und Illustrationen zu relevanten aktuellen Ereignissen bieten. Klicks geben uns zwar einen Hinweis, wie gut eine Geschichte funktioniert, die Themen wählen aber wir nach den Leitlinien aus.» Als Teil eines gebührenfinanzierten Unternehmens muss sich die Redaktion auch nicht auf Klicks ausrichten. «Wir stehen dafür unter dem Druck, auch schwierige und weniger zugängliche Themen, die zur Meinungsbildung beitragen, an den Nutzer zu bringen», so Manca. «Und: Wir sind wie Radio und Fernsehen zu Qualität verpflichtet», stellt sie klar.

Wählerisches Publikum

Die Stammkanäle SRF 1 und SRF zwei haben noch immer ihr Stammpublikum, zu vielen Zeiten sind sie Marktführer im Schweizer TV-Markt. Doch auch dies wird sich ändern. Das heutige Publikum ist wählerisch, das Angebot durch ausländische Konkurrenz grösser geworden bei gleichbleibender Mediennutzungszeit. SRF News könnte zum Fernsehen, Radio und zur Newsplattform der Zukunft werden, wo Informationen perfekt auf das Zielpublikum und das Zielmedium zugeschnitten sind. Informativ, unterhaltend und trotzdem immer den Qualitätsrichtlinien des klassischen Fernsehens entsprechend. Eine schöne Zukunftsvorstellung. Die ersten Schritte dazu sind getan.

Text: Simon Huwiler

Bild: SRF / Oscar Alessio

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