Am Telefon die Welt retten – ein neues Hörspiel macht’s möglich
Ein Telefonhörspiel mit futuristischem Retrocharme: «Operation Data Saugus Rex» mischt neue Erzählformen mit alten Empfangsgeräten. Im Agenten-Thriller von Radio SRF ist das Publikum selbst Teil der Geschichte. Klingt so das Hörspiel der Zukunft?
Sanfte Töne rieseln durch den Hörer. Musik, die jedem gefallen soll, aber niemandem so richtig zusagt. Für Deutsch drücken Sie die 1, pour français pressez la 2, sagt eine freundliche Frauenstimme. Und dann nochmals Gedüdel, bis die Leitung nach einer gefühlten Ewigkeit frei wird. Könnte man eine solche Warteschleife nicht mit einer spannenden Geschichte füllen? Fragt sich Dominik Born, Fachexperte Innovation bei SRF Online, als er wieder mal am Telefon festhängt. Seine Idee erzählt er Anina Barandun, Leiterin der Redaktion Hörspiel und Satire.
«Die Idee hat mich sogleich fasziniert», sagt sie. Zuerst wollen sie das Hörspiel für die Warteschleife beim hauseigenen Kundendienst produzieren. Davon kommen sie aber schnell ab. Eine Geschichte erzählen, ohne zu wissen, wann sie unterbrochen wird, weil sich der Kundenberater meldet, wäre unbefriedigend, meint Barandun. Doch der Plan, ein Hörspiel fürs Telefon zu machen, bleibt. «Das hat einen gewissen Retrocharme», meint Barandun. So übertrug man bereits Ende des 19. Jahrhunderts Bühnenstücke oder Nachrichten über den Telefonhörer, bis sich in den 1930-er Jahren das Radio durchsetzte.
Und dieser Retrocharme widerspiegelt sich auch in der Geschichte des neuen Telefonhörspiels «Operation Data Saugus Rex». Agentin Liu kämpft wie einst Jerry Cotton oder James Bond gegen den Bösewicht. Ihre Mission: Die Welt retten. Futuristisch hingegen ist die Szenerie, in der sich Liu bewegt. Sie schlägt sich durch den Datendschungel des World Wide Web. Dieses soll sie vor dem finalen Crash bewahren. Denn Data Saugus Rex, eine Maschine, die eigentlich das Internet vom Datenmüll reinigen sollte, ist ausser Kontrolle geraten und saugt alles auf.
Das Publikum aktiv mitten im Geschehen
Gegen den Weltuntergang kämpfen jedoch nicht nur die Protagonisten. Auch die Zuhörerinnen und Zuhörer sind mittendrin. Sie entscheiden an Wendepunkten per Tastenwahl, wie die Geschichte weitergeht. 14 unterschiedliche Enden kann der Agenten-Thriller nehmen. Diese Mischung aus Game und Geschichte hat die Macher vor neue Herausforderungen gestellt. «Eine Geschichte schreibt man vom Anfang bis zum Ende, ein Game hingegen wird vom Ende her gedacht», sagt Regisseurin Julia Glaus. Denn nur so gehe das Spiel schlussendlich auf. Eine Gamedesignerin hat sie bei diesem Umdenken unterstützt. Doch ganz seien sie nicht von ihrer gewohnten Arbeitsweise abgekommen, meint Glaus. «Deshalb hat die Geschichte wohl 14 Enden und nicht nur drei», sagt sie und lacht. Solch neue Ansätze sollen im Radio der Zukunft vermehrt Raum finden. «Wir wollen Geschichten multimedial, mobiltauglich und interaktiv erzählen», sagt Anina Barandun.
Hörspiele als Erzählform seien nach wie vor gefragt, so Barandun. Gegen 34 Stück werden jährlich von SRF produziert. Das Hörspiel sei ein wichtiger Teil des Kulturauftrags von Radio SRF, sagt die Redaktionsleiterin. «Es ist die einzige originäre Radio-Kunstform», meint sie. Und um dieser Form Gehör zu verschaffen, passt man sie den veränderten Gewohnheiten des Publikums an. Podcasts zur Verfügung stellen sei eine Möglichkeit, sagt Barandun. «So können die Leute mehrere Folgen aufs Mal abrufen und haben eine bessere Tonqualität als übers Küchen- oder Autoradio.»
Dialekte statt Geräusche
Eine möglichst gute Tonqualität ist auch bei «Operation Data Saugus Rex» zentral. Doch bei der Datenübertragung gehen gewisse Töne verloren. Hohe oder tiefe Frequenzen werden am Telefon oder am Handy abgeschnitten und Stimmen sind schwer unterscheidbar. «Deshalb haben wir mit Dialekten und Akzenten gearbeitet», sagt Julia Glaus. Genauso seien Geräusche schwer zuzuordnen. An die Tür klopfen und ein Glas auf den Tisch stellen würden durchs Telefon identisch klingen, so Glaus. Statt Geräusche kommen deshalb oftmals Worte zum Einsatz. Wenn Agentin Liu eine Telefonkabine betritt oder sich in einer Kampfszene mit den Bösewichten prügelt, muss sie die Aktionen erklären. «Da waren die Schauspieler gefordert, diese Erklärungen nicht plump wirken zu lassen», sagt Glaus.
Hauptdarstellerin Inga Eickemeier kennt diese Herausforderungen. Sie hat schon mehrere Hörspiele gemacht. Bei «Operation Data Saugus Rex» schlüpft sie in die Rolle der Agentin Liu. «Ich lote die Möglichkeiten meiner Stimme aus, so dass im Kopf des Zuhörers ein klares Bild entsteht», sagt sie. Bei Kampfszenen hample sie da auch mal ganz schön vor dem Mikro rum, um diese über die Stimme hörbar zu machen.
Erzählungsverlauf auf demokratischem Wege
Nun sind die Aufnahmen nach zwei Jahren Konzipieren, Texten und Umsetzen im Kasten. Bevor das Publikum sie Ende November hören kann, steht aber noch einiges an Arbeit an. So werden derzeit die Optionen programmiert. Danach spielt ein Testpublikum die Geschichte durch und prüft, ob die Wege nicht ungewollt ins Leere führen.
Doch wie bringt man die Radiohörerinnen und -hörer dazu, das Telefon in die Hand zu nehmen? «Wir sprechen in verschiedenen Sendungen über ‹Operation Data Saugus Rex›, geben Kostproben und präsentieren es an Veranstaltungen wie den ARD Hörspieltagen», sagt Anina Barandun. Dort könne das Publikum jeweils demokratisch abstimmen, welche Option der Erzählung gewählt werde, so Barandun. Die Zukunft der Welt selbst in der Hand hat hingegen, wer sich die Geschichte am Telefon anhören wird. Fortbestehen oder untergehen – ein einziger Knopfdruck entscheidet.
«Operation Data Saugus Rex»
Mittwoch, 23.11.2016, 20 Uhr: Lancierung im «Spasspartout» auf Radio SRF 1
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