Vom Chaos zu Breaking News – SRF im Katastropheneinsatz

Plötzlich eintretende Krisenfälle, ob im In- oder Ausland, sind auch für die Journalistinnen und Journalisten von Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) eine grosse Herausforderung. Alles muss schnell passieren – und gleichzeitig müssen die Fakten richtig sein.

«Oft sind solche Situationen sehr volatil, unübersichtlich, teilweise auch chaotisch», so Florian Inhauser. Der Redaktor und Moderator der «Tagesschau» ist einer, der bei plötzlich eintretenden Krisen und ­Katastrophen wie Erdbeben, Hurrikans oder Staatsstreichen oft auch als Sonderkorrespondent für SRF vor Ort ist. «Früher stand sogar immer ein gepackter Rucksack bereit», erzählt er, «denn meist bleibt vor der Abreise in eine Krisenregion nicht viel Zeit.»

Inhauser gibt unumwunden zu, dass ­solche Einsätze für ihn als Journalist, bei aller Tragik, auch etwas Faszinierendes haben, «weil man das Geschehene mit eigenen Augen miterlebt und gleichzeitig Bewusstsein schaffen kann für die Lage der Menschen vor Ort». Sei es auf Haiti oder den Philippinen, komme aber ganz klar immer die eigene Sicherheit vor der Geschichte. Letztlich entscheide der Korrespondent selbst, was und wo er filme, denn er könne die Situation besser einschätzen als die Kollegen in der Zentrale.

Eine spezielle Ausbildung für solche Kriseneinsätze hat Florian Inhauser «aus zeitlichen Gründen» nie absolviert. Er weiss aber, wie wichtig es ist, vor Ort jeweils ­einen sogenannten Stringer, also einen Landeskundigen zu haben, der die lokale Sprache spricht und die Gegend bestens kennt. «Oft fungiert dieser dann als Fahrer, Übersetzer und Organisator in einem.»

Als Erkenntnis aus all seinen Sondereinsätzen resümiert Inhauser, «dass es meist anders kommt, als man denkt, und dass man oft auf die Freundlichkeit von Fremden zählen kann». Geschlafen werde in solchen Extremsituationen «im Flugzeug hin und zurück, dazwischen aber kaum».

Fakten von Gerüchten trennen

Auch in der Schweiz gibt es natürlich regelmässig Krisen und Katastrophen, bei denen Sonderkorrespondenten in Einsatz gelangen, so wie etwa im Oktober 2000 beim verheerenden Bergsturz in Gondo die dama­lige «Rundschau»-Reporterin ­Bettina Mutter. Eigentlich wollte sie für ­einige Ferientage ins Wallis, hörte aber ­unterwegs, was passiert war, und buchte raschestmöglich ­einen Kameramann. Über direkte Kontakte zu Armeeangehörigen wurde sie dann durch kniehohe ­Fluten, Schlamm und anhaltenden Regen nach Simplon-Dorf und anderntags nach Gondo eskortiert und belieferte von dort die verschiedensten Sendegefässe mit News und Hintergründen. «Ich kannte wohl die Regeln der Recherche und des Umsetzens», so Mutter, «aber die Stress­bewältigung in solchen Situationen wäre ohne erfahrene Kameraleute und Kollegen mit Nerven ­wie Drahtseile, die einen von der Zentralredaktion aus coachten, nicht denkbar gewesen.»

«Die Stress­bewältigung in solchen Situationen wäre ohne erfahrene Kameraleute und Kollegen mit Nerven ­wie Drahtseile, die einen von der Zentralredaktion aus coachten, nicht denkbar gewesen.» - Bettina Mutter, ehem. «Rundschau»-Reporterin im Einsatz im Gondo

Für die junge Journalistin war von Beginn an klar, dass sie mit viel Respekt und ­Zurückhaltung auf die Betroffenen zugehen und authentisch berichten wollte. ­«Es ging darum, möglichst schnell das Wesentliche zu wissen, um so Fakten von Gerüchten trennen zu können» erklärt Mutter. Ganz im Sinne des Leitsatzes, den der damalige TV-Chefredaktor Peter Studer seinen ­Medienschaffenden eingebläut ­hatte: «Be first, but first be right!» («Sei der Erste, aber sei erst korrekt!»)

«Es muss gelingen unsere Berichterstattung so wenig wie möglich emotional aufzu­laden und so ­intelligent und differenziert wie möglich Hintergründe, Erklärungen und Lösungsansätze zu liefern» - Tristan Brenn, SRF TV-Chefredaktor

Dieser Leitsatz hat noch heute Gültigkeit, und mit den sich häufenden Anschlags- und Katastrophenfällen stellt sich permanent die Frage, welches die angemessene Art der Berichterstattung ist. «Der Entscheid, wie ausführlich wir berichten und welche Bilder wir zeigen, ist mit den Schreckenstagen von Nizza, München oder Würzburg aktueller denn je», erklärt TV-Chefredaktor Tristan Brenn. Er sieht dabei auch ein Dilemma zwischen dem Ignorieren und dem Dramatisieren solcher Bluttaten. Es müsse gelingen, schreibt er in einem internen Newsletter, «unsere Berichterstattung so wenig wie möglich emotional aufzu­laden und so ­intelligent und differenziert wie möglich Hintergründe, Erklärungen und Lösungsansätze zu liefern». Dazu gehöre auch, dass man sich – wie zuvor schon «Le Monde» oder der «Tages-Anzeiger» – entschieden habe, die Bilder von ­Attentätern nicht mehr zu zeigen, um diesen keinen «Heldenstatus» zu verleihen.

Kriseneinsatz – als Übung

Um den Umgang mit solchen Breaking News praxisorientiert zu üben, anstatt nur Leitlinien festzulegen, führte SRF diesen Sommer eine Alarmübung durch, von der zuvor niemand gewusst hatte: Morgens um 8 Uhr kam die fingierte Meldung, im Zürcher Hauptbahnhof habe sich ein Anschlag ereignet, und kurz darauf wurde von einem ebensolchen vor dem Bundeshaus in Bern berichtet. Eine gute halbe Stunde später war «Schweiz aktuell»-Moderator Michael Weinmann bereits live auf Sendung, und eine zweite Crew bereitete gleichzeitig ein «Tagesschau Spezial» mit Moderatorin Maureen Bailo vor. «Der Einsatz war ex­trem spannend», so Weinmann, der für die Übung vom Frühstückstisch weggeholt wurde, «das ganze Team hat hoch konzentriert und erstaunlich ruhig gearbeitet.» Als Moderator sei es eine Herausforderung gewesen, eine Stunde lang auf Sendung zu sein und teilweise ‹überbrücken› zu müssen, wenn es keine neuen gesicherten News gab. Alle hätten aber viel darüber gelernt, was man im Moment eines Katastrophenfalls brauche und wie man bestmöglich zusammenarbeiten
könne.

Auch Brenn freut sich, «dass das Ganze schnell und professionell abgelaufen ist, trotz verständlichem Chaos und Aufregung gleich in den Anfangsminuten». ­Gregor Meier, als Nachrichtenchef der erste Koordinator in Krisensituationen, stellte zudem zufrieden fest, «dass in einer Ausnahmesituation alle bereit sind, 110 Prozent zu geben und so innert kurzer Zeit ein gutes und informatives Programm auf den Sender zu bringen». Zusammen mit dem Chefredaktor und der Programmleitung entscheidet er, wann und mit welchen Mitteln eine Sondersendung produziert wird.

Den Blick fürs Ganze behalten

Die beste Schulung sei immer noch der Ernstfall, ist Gregor Meier überzeugt. «Es ist beruhigend zu sehen, dass wir auch unter solch aussergewöhnlichen Umständen funktionieren.» Da jede Newsredaktion, also «Schweiz aktuell», «Tagesschau» und «10vor10», normalerweise relativ ­autonom funktioniere, verspricht sich der Nachrichtenchef vom gemeinsamen Newsroom, in dem ab 2019 gearbeitet wird, eine (noch) bessere Koordination untereinander.

«Die beste Schulung ist immer noch der Ernstfall» - Gregor Meier, SRF TV-Nachrichtenchef

Zudem habe man als Reaktion auf die Übung im Juni eine neue Kommunikations­plattform eingerichtet, die sogenannte «collab», auf der in einem solchen Krisenfall künftig alle Informationen zusammenlaufen. «Dieser interne Austausch ist in so einem Moment das Wichtigste und kann auf jeden Fall noch weiter optimiert werden», sagt Meier. Man müsse zudem alles ­daran setzen, den Blick fürs Ganze zu ­behalten und sich nicht in Details zu verzetteln. Dann sei man für ein radikales Ausbrechen aus den gewohnten und ­ein­­gespielten Arbeitsabläufen, wie es eine Krisensituation verlange, bestens ­gewappnet.

Text: Matthias Wipf

Bild: SRF (Screenshot)

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