«Je ne regrette rien»

Roger de Weck sprach mit der «NZZ am Sonntag» über seinen Abgang als SRG-Chef und plädierte für die staatliche Unterstützung aller Medien.

NZZ am Sonntag: Warum treten Sie als SRG-Generaldirektor zurück, bevor Sie das Pensionsalter erreicht haben?
Roger de Weck: Ich habe in Gilles Marchand einen erstklassigen Nachfolger. Bei dieser idealen Ausgangslage stand ich vor der Alternative, entweder 2017 im Alter von 64 zu gehen – oder dann erst mit 68. Dazwischen werden ein neues Gesetz über elektronische Medien und der künftige Leistungsauftrag der SRG aufgegleist; in dieser Frist wäre ein Führungswechsel schlecht. Da war für mich klar: Lieber etwas früher als deutlich zu spät. Im digitalen Umbruch der Medien ist es überhaupt ratsam, den Wechsel zu jüngeren Generationen zu beschleunigen statt hinauszuzögern.

Hat Frau Bundesrätin Leuthard Sie davon zu überzeugen versucht, nun Platz zu machen für den Nachfolger?
Mich musste niemand überzeugen. Umgekehrt habe ich den einen oder anderen Mitmenschen von der Richtigkeit eines Stabwechsels schon 2017 überzeugt. Die Bundesverfassung garantiert die Unabhängigkeit von Radio und Fernsehen, einen Wert, den die Bundespräsidentin und der Bundesrat hochhalten. Donald Trump, dem die Unabhängigkeit der Medien zuwider ist, regiert in Washington und nicht in Bern.

Trotzdem waren viele Leute überrascht über Ihren Schritt, weil man dachte, dass Sie das Amt noch länger ausüben wollen.
Ich meine, im Interesse des Unternehmens gehandelt zu haben.

Die SRG steht derzeit in heftiger Kritik, wie kaum zuvor in ihrer Geschichte. Warum ist das so?
Da sind wir wieder bei Trump.

Er trägt die Schuld?
Der Leistungsauftrag öffentlicher Medienhäuser schöpft aus den Grundwerten der Aufklärung: möglichst ausgewogene, fundierte Meinungsbildung der Bürger statt Fake-News, die der Demokratie schaden; Menschenwürde und Einbezug der Minderheiten statt Herrschaft der Mehrheit; Zusammenhalt der Gesellschaft, in der Schweiz auch der Landesteile; Förderung der Kultur. Heute aber bekämpfen mächtige Kräfte diese Werte der Aufklärung. Nicht nur in Washington wollen sie aufgeklärte Medien einschüchtern und destabilisieren.

Das heisst, die Fundamentalkritik an der SRG hat mit dem Aufkommen der SVP zu tun.
In der ganzen westlichen Welt bröckelt der einst starke Konsens über die Werte der Aufklärung. Ein anderer Faktor kommt hinzu: der Gedanke der Opfersymmetrie. Privaten Medienhäusern, die dem Journalismus treu bleiben, geht es schlechter als früher, also soll auch das öffentliche Medienhaus abbauen. Entlang dieser Logik würden am Ende alle Medien geschwächt. Hauptproblem der Medienpolitik ist nicht die SRG, sondern die Frage, wie sich künftig Journalismus noch finanzieren lässt. Werbung und Kleinanzeigen sind ins Internet abgewandert, viel Werbegeld fliesst ins Ausland und zu Google oder Facebook, die ihre Einnahmen nicht in den Journalismus reinvestieren. Und es herrscht die Gratis-Kultur. So wird es schwer, mit Journalismus gutes Geld zu verdienen. Das ist ein zentrales demokratiepolitisches Problem. Jede Schwächung des Journalismus schwächt die Demokratie, die auf eine aufgeklärte Öffentlichkeit angewiesen ist.

Haben Sie die Anliegen der privaten Medienhäuser zu lang zu wenig beachtet? Sie rufen nach einer kleineren SRG.
Lassen wir Fakten sprechen: Die SRG hat das Radio WRS privatisiert, was seine Hörer erzürnte. Sobald technisch möglich, schliessen wir den italienischsprachigen Fernsehkanal RSI LA2 und lösen ihn durch ein digitales Angebot ab. Schon 2013 wurden auf unseren Websites die News-Texte, die keinen Bezug zu einer Sendung haben, auf 1000 Zeichen beschränkt. Die SRG setzt online auf Videos und Audios, nicht auf zeitungsähnlichen Journalismus. Wir bieten den privaten Medienhäusern tagesaktuelle Videos an, direkt oder via Depeschenagentur; sie zahlen einen moderaten Beitrag an die Kosten, die der SRG deswegen entstehen. Das stösst auf reges Interesse. Und es ist praktikabel, während die Forderung nach «open content» – dass alle Medienhäuser Zugriff auf alle Sendungen der SRG haben – im Dschungel der Urheberrechte völlig unrealistisch ist. In der Romandie haben wir sogar eine Charta der Zusammenarbeit mit privaten Medien.

Ihre Antwort ist Nein.
Wir bauen seit Jahren auf ein konstruktives Verhältnis zu den privaten Medienhäusern. Jetzt gibt es Erfolge. In der Schweiz tut man das Richtige, aber meistens etwas spät.

Sie haben die Leute gereizt durch Ihre Betonung des nationalen Zusammenhalts, den die SRG gewährleiste.
Was eine Spaltung der Gesellschaft bedeutet, sehen wir in den USA – oder in Belgien, das auseinanderdriftet. Dort hat jede Sprachgruppe ihr öffentliches Medienhaus, das an den anderen Landesteilen vorbeilebt.

Die Wahl von Donald Trump scheint Ihnen in die Knochen gefahren zu sein.
Plötzlich haben wir einen unberechenbaren Scharfmacher im Weissen Haus. Im Land der urfreien Medien steht die Vierte Gewalt unter einem nie da gewesenen Druck des mächtigsten Manns. Doch die amerikanische Gesellschaft ist so stark, dass sich Korrekturkräfte entfalten werden.

«Sollten politische Kräfte ein Medium nach dem anderen übernehmen, würde das weder dem Medienplatz noch der Demokratie dienen.»

Noch einmal: Sie haben die Bedeutung der SRG für die nationale Kohäsion zu stark herausgestrichen.
«Je ne regrette rien.» Die Schweiz ist ein Projekt. Im Wort Willensnation steckt die Aussage, dass wir den Willen aufbringen müssen, den Zusammenhalt eines viersprachigen Gemeinwesens zu sichern. Einen von vielen Beiträgen zu diesem Zusammenhalt leistet die SRG.

Vielen Leuten kam das zu abgehoben vor.
Also, noch handfester: Rund 70 Prozent der Einnahmen der SRG stammen aus der Deutschschweiz, die aber nur 45 Prozent erhält. Gut 30 Prozent fliessen in die Westschweiz, gut 20 Prozent in die italienische und 2 Prozent in die rätoromanische Schweiz. Ohne diesen SRG-Finanzausgleich wäre in Sachen Medien die Deutschschweiz privilegiert und wären die drei Minderheiten benachteiligt. Ich bin überzeugt, dass der helvetische Wille zum Ausgleich eine Voraussetzung für die Stabilität unseres Landes ist und damit den wirtschaftlichen Erfolg.

Beträchtliche Teile der Politik und die privaten Medienhäuser erwarten, dass die SRG ihr Angebot reduziert.
In den vergangenen zehn Jahren hat die SRG nirgends expandiert. Laut Gesetz hat sie allerdings «die gesamte Bevölkerung inhaltlich umfassend» zu versorgen. Das erfordert Angebote in vier Sprachen, für die Älteren, die Mittleren, die Jüngeren. Wären wir ein einsprachiges Land, hätte die SRG viel weniger Sender. Die Empfangsgebühr liesse sich fast halbieren. Ohnehin ist die Debatte über die Zahl der Kanäle anachronistisch.

Wieso?
Früher hatten wir zwei Verbreitungswege, das Radio und das Fernsehen. Heute haben wir sechs: Radio, TV, Smart-TV, Apps, die eigenen Websites und die sozialen Medien. In wenigen Jahren wird man gar nicht mehr über Kanäle sprechen, sondern über den optimalen Einsatz der sechs Verbreitungswege, um das Publikum zu erreichen.

Die Medienkommission des Nationalrats zieht ein Powerplay gegen die SRG auf – mit lauter Vorstössen zum Abbau der SRG-Sender.
Ich habe grossen Respekt vor dem Parlament und seinen Kommissionen. Dieser Respekt ist gewachsen, seit ich in Bern bin und die gesetzgeberische Feinarbeit vieler Parlamentarierinnen und Parlamentarier beobachte. Gleichzeitig gehört es zu einem Milizparlament, dass Volksvertreter ein Stück weit Interessenvertreter sind, manchmal extensiv. Jetzt sind wir mitten in der Debatte über den Service public: Wie jede politische Debatte verläuft sie teils differenziert und lösungsorientiert, teils plakativ und machtorientiert. Aber am Schluss wirken in der Schweiz viele Checks and Balances.

Die Wettbewerbskommission hat festgehalten, es brauche nur dort einen Service public, wo der Markt versage.
Die reine Marktlogik der Wettbewerbskommission ist nicht meine. Das Angebot privater Medienhäuser richtet sich in erster Linie nach der Nachfrage. Das Angebot des öffentlichen Medienhauses prägt sein Leistungsauftrag im Dienst des Gemeinwesens. Unser Gesamtangebot unterscheidet sich massiv von demjenigen privater Anbieter. Privatisierungen brächten ein sehr anderes Programm hervor. Mein künftiger Nachfolger Gilles Marchand bringt es auf den Punkt: Unsere Aufgabe ist nicht «faire autre chose», sondern «faire autrement». Da und dort dürfen wir sehr wohl noch zulegen.

Sie könnten privaten Medienanbietern entgegenkommen, indem Sie weniger Werbung ausstrahlen. In Deutschland zeigen die öffentlichen Sender nach 20 Uhr keine Spots mehr.
Wir sind offen für neue Geschäftsmodelle in Sachen Werbung. Bekanntlich hat Gilles Marchand in der Eidgenössischen Medienkommission eine Schwelle vorgeschlagen: Überschreiten die Werbeeinnahmen der SRG diese Schwelle, fliesst ein Teil davon in die indirekte Förderung von Medien. Solche Modelle sind gescheiter als eine Einschränkung der Werbung bei der SRG. Von einer Beschränkung würden vor allem die deutschen und französischen Kanäle mit ihren Schweizer Werbefenstern profitieren.

«In der ganzen westlichen Welt bröckelt der einst starke Konsens über die Werte der Aufklärung.»

Ueli Haldimann, der frühere Chefredaktor des Schweizer Fernsehens, sagt, die Probleme der SRG hätten damit zu tun, dass man in den letzten Jahren den Service public zu wenig gestärkt habe. Es seien keine neuen Sendungen ins Programm gekommen, die einem öffentlich finanzierten Sender gut anstünden.
Der Dok-Film «Inside Bundeshaus», «Gotthard», die Abende «Terror» und «Blackout», Serien wie «Der Bestatter» – das alles ist Service public pur. Auch Satire wie «Switzerland Second» mit rund 11 Millionen Video-Abrufen gehört dazu.

Die Casting-Formate und amerikanischen Serien sind nicht Service public pur.
Derzeit strahlen wir keine Talent-Show mehr aus. Die Rechte für «The Voice» liegen auf dem Markt, nur greift kein privater Anbieter zu. Eine Sendung wie «The Voice», die übrigens eine Bühne für begabte Secondos war, wurde als kommerziell gestempelt, obwohl sie jahrelang beim Inbegriff des Service public lief, der BBC. Unsere Aufgabe, die wir natürlich noch besser erfüllen können, ist Unterhaltung mit Haltung. Abgesehen davon bringen wir mehr und mehr europäische Serien, bei SRF bereits zwei Drittel.

Trifft es zu, dass Sie in Gesprächen mit Parlamentariern die SRG als Bollwerk gegen die sich ausbreitende nationalkonservative Presse bezeichnet haben?
Das Wort «Bollwerk» ist mir fremd.

Dann sagen wir Garant.
Einzelne Medienkonzerne steigen allmählich aus dem Journalismus aus, weil er schlecht rentiert. Radikal ist in Deutschland Axel Springer vorgegangen: Bis auf zwei Titel verkaufte er alle Blätter. Es ist abzusehen, dass auch in der Schweiz Zeitungstitel auf den Markt kommen. Wer wird sie kaufen? Sollten politische Kräfte ein Medium nach dem anderen erwerben, würde das weder dem Medienplatz noch der Demokratie dienen. Eine Sorge, die viele mit mir teilen.

Wenn die Medienunternehmen mit Journalismus zu wenig Geld verdienen – sollte der Staat sie finanziell unterstützen?
In Ansätzen ist das bereits der Fall, dank verbilligter Postzustellung von Zeitungen und reduzierter Mehrwertsteuer. Ich wäre nicht erstaunt, wenn sich ein Zwei-Ebenen-Modell entwickelte. Auf nationaler Ebene finanzieren die Gebührenzahler die SRG und 34 Regionalsender. Auf kantonaler Ebene ergreifen vorausschauende Staatsdiener die Initiative. Ich bin Freiburger und lese unsere Zeitung mit dem wunderschönen Titel «La Liberté». Sie gehört einem Orden, das Durchschnittsalter der Nonnen ist achtzig – keine nachhaltige Eigentümerschaft. So sind die Freiburger Kantonalbank und das Elektrizitätswerk ins Kapital der «Liberté» eingestiegen; eine Stiftung wurde dazwischengeschaltet, um Risiken der Einflussnahme zu bannen. «La Liberté» ist auf dem Weg zur ersten Service-public-Zeitung der Schweiz. Je nach Lage in einzelnen Regionen finden sich massgeschneiderte Lösungen.

Die staatliche Förderung der Medien birgt die Gefahr, dass die Medien ans Gängelband der Politik geraten.
Es gibt keine öffentliche oder private Medienfinanzierung, die gefahrlos wäre. Doch gerade die Schweiz entwickelte gute Lösungen: Kein öffentliches Medienhaus in Europa ist so weit weg von Staat und Politik wie die SRG, dank ihrer Trägerschaft, einem privaten Verein. In meinen sieben Jahren bei der SRG traf ich nie eine Entscheidung unter parteipolitischen Gesichtspunkten. Aber ausgerechnet politische Kreise, welche die SRG als «Staatsradio» und «Staatsfernsehen» schlechtmachen, wollen jetzt eine Einflussnahme durch das Parlament: Es solle nicht nur als Gesetzgeber die Rahmenbedingungen setzen, sondern direkt auf den Leistungsauftrag der SRG einwirken. Wird ein unabhängiges Medienhaus zum Spielball der Parteipolitik? Wer politische Einflussnahme anstrebt, schwächt die Rolle der Medien als Vierte Gewalt in der Demokratie.

Gehört eine Zeitung der Kantonalbank oder dem kantonalen Elektrizitätswerk, kann sie ebenfalls zum Spielball der Politik werden.
Man kann ebenso zum Spielball grosser Inserenten werden. Es kommt immer auch auf das Rückgrat der Medienmanager an. Doch wenn sich Journalismus je länger, desto schlechter finanzieren lässt, gibt es drei Optionen: Finanzierung durch Stiftungen, Mäzene und Crowdfunding, aber das geht nur punktuell. Finanzierung durch Machtmenschen, die ihre Macht ausdehnen möchten, aber das wünschen sich die wenigsten Bürger. Oder Finanzierung durch öffentliche Hände, mit so vielen Sicherungen wie nur möglich, damit sich dies in der journalistischen Arbeit nicht niederschlägt.

Was muss die SRG tun, um ihre eigene Zukunft zu sichern?
Ein gutes Angebot bereitstellen, wie jedes Medienhaus.

Wie sieht Ihre persönliche Bilanz als SRG-Generaldirektor aus? Was war gut, was weniger?
Jetzt wäre es eine Zwischenbilanz. Die Bilanz ziehe ich, ganz für mich, Ende September. Sie wird selbstkritisch ausfallen. Ich zähle zu den Menschen, die sich in dieser Hinsicht wenig schenken.

Was tun Sie nach Ihrem Rücktritt im Herbst?
Schreiben.

Für welchen Titel? Oder schreiben Sie ein Buch?
Schreiben. Und jetzt darüber schweigen.

Text: NZZ am Sonntag/Francesco Benini

Bild: Danielle Liniger

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