Digitale Disruption und die Folgen für SRF
Was für die Taxibranche Uber und für die Hotellerie Airbnb ist, sind im Falle traditioneller Medien globale Player wie Netflix oder Amazon Prime. Wer relevant bleiben will, ist zum Handeln gezwungen – SRF ist gewappnet.
Wenn das TV-Programm in den 1980er Jahren und auch später «Wetten, dass ...?» ankündigte, stand die Samstagabendgestaltung von Millionen Menschen fest: Man bezog – im Kreise der Familie oder zusammen mit Freunden – zur angegebenen Uhrzeit vor dem Fernseher Stellung und schaute anderen beim Siegen oder Scheitern zu. Mitunter wurden dafür sogar bestehende Verabredungen verschoben.
Das ist heute anders: Das Fernsehgerät hat – genauso wie das Radio – seine Anziehungskraft verloren. «Dies jedoch nicht, weil Video und Audio heute weniger interessieren würden», sagt David Angehrn, Leiter Strategische Projekte SRF. Bei den 15- bis 34-Jährigen sei sogar das Gegenteil der Fall, wie Studien zeigen: «Die tägliche Audionutzung ist bei den Jungen zwar höher als im Gesamtbevölkerungsdurchschnitt, aber die lineare Radionutzung liegt bei ihnen tiefer.»
Viele neue Konkurrenten
Gründe dafür gibt es einige: Eine grosse Rolle spielen die zahlreichen neuen Konkurrenten, die in den letzten Jahren vor allem auf den Fernsehmarkt gekommen sind: «Anders als früher buhlen heute nicht nur SRF und private Stationen um Kunden, sondern auch Kabel- und Telekommunikationsunternehmen, und sogar Energieversorger bieten heute eigene TV-Inhalte an», so David Elsasser, Leiter Vermarktung SRF, der auch für die Kooperationen mit diesen Plattformen verantwortlich ist. «Sie legen nicht mehr nur den Zugang, sondern nutzen ihn auch, um selbst produzierten oder eingekauften Content zu verbreiten.» Dazu kommen die vielen sogenannten Over-the-top-Service-Anbieter (OTT) wie der Global Player Netflix mit eigenen Videoangeboten.
... und viele neue Zugänge
Der Zuschauer kann sich heute jedoch nicht nur zwischen verschiedenen Zugängen entscheiden. Er kann auch bestimmen, auf welchem Gerät und zu welchem Zeitpunkt er dies tut. Schliesslich sind die Inhalte auf Plattformen wie YouTube und Facebook zu jeder Zeit auf TV-Geräten, Tablets und Smartphones abrufbar. Damit wird der Zuschauer sein eigener Programmdirektor, für den das klassische Fernsehen nur eine Option von vielen ist. Und die steht vor allem bei jungen Leuten hinten an.
«Studien zeigen, dass 60 Prozent der jungen Menschen Informationen über die Schweiz – ein Kerngeschäft von SRF – über Apps oder mobile Websites abrufen», sagt Angehrn. Fast 50 Prozent der 18- bis 24-jährigen Schweizerinnen und Schweizer nutzten dafür Facebook. «Um sie zu erreichen und damit unseren Leistungsauftrag erfüllen zu können, müssen unsere Inhalte auch da vorkommen.» Mit anderen Worten: Wenn die Menschen nicht mehr zum Fernsehen kommen, muss das Fernsehen eben zu den Menschen. Deshalb hat SRF beschlossen, die neue Konkurrenz zum eigenen Vorteil zu nutzen – beispielsweise als Distributionskanal.
Optimierung für Facebook
«Letztes Jahr haben wir ‹Instant Videos› lanciert: Clips, die in gewohnter SRF-Qualität informieren, aber für den Gebrauch bei Facebook optimiert wurden», sagt der Leiter Strategische Projekte SRF. So können die Videos beispielsweise für sich alleine stehen und ohne Ton verstanden werden. Zudem sind sie kürzer. Auch bei der Produktion von «Instant Stories» wird so vorgegangen, nur dass diese für die Nutzung auf Instagram ausgelegt sind. Gleiches gilt für Beiträge, die über YouTube verbreitet werden.
Noch neuer ist der Facebook-Messenger-Bot «Janino»: Über die Kommunikation mit dem Bot – einem weitgehend automatischen Computerprogramm, mit dem der Nutzer ähnlich wie mit einem Menschen kommunizieren kann – erfuhr der Facebook-Nutzer interaktiv alles Wissenswerte zu den Abstimmungen vom 12. Februar. Das ist laut Angehrn nicht nur informativ, sondern auch unterhaltsam und damit ideal für das soziale Netzwerk. Genauso wie die Funktion «Facebook Live», bei der die Konsumenten SRF-Akteuren über die Schulter schauen können.
SRF in der digitalen Welt zuhause
Die Beispiele zeigen: Das Unternehmen am Leutschenbach ist 2017 auch in der digitalen Welt zuhause. SRF ist nicht mehr nur auf eigenen Apps und Websites vertreten, sondern auch auf Facebook, Instagram und YouTube – den bei jungen Leuten derzeit angesagtesten Plattformen. Das ist aus Sicht David Elsassers der richtige Weg: «Entscheidend ist, dass wir mit unseren Inhalten dort präsent sind, wo sich die Nutzer aufhalten.»
«Entscheidend ist, dass wir mit unseren Inhalten dort präsent sind, wo sich die Nutzer aufhalten.» - David Elsasser, Leiter Vermarktung SRF
Dazu passt auch, dass SRF mit einigen der vermeintlichen Konkurrenten Partnerschaften eingegangen ist, um auch in deren Angebot vorzukommen. So ist in den Videotheken von Swisscom TV oder Netflix beispielsweise «Der Bestatter» zu finden.
Dass die Strategie bisher aufgegangen ist, ist laut Elsasser vor allem einem Umstand zu verdanken: «Es hilft uns, dass die Grossen im Moment noch nicht da sind beziehungsweise noch nicht um die Rechte für die gleichen Inhalte mitbieten.» Gemeint sind damit finanzstarke US-Giganten wie Amazon Prime. «Die spielen für den Schweizer Markt noch keine Rolle», so Elsasser. Wie lange es noch so bleibt, kann niemand sagen. Feststeht dagegen, dass SRF weiterhin am Ball bleiben muss, um den Kontakt zur Zuschauerin – oder zum Zuhörer – nicht zu verlieren. Kurz: So bequem, wie es früher einmal war, als sich die Menschen ganz selbstverständlich nach dem Fernsehprogramm richteten, wird es nicht wieder.
Begriffserklärung
Als digitale Disruption wird eine Art Störung bezeichnet, wenn ein bereits bestehendes Produkt oder Angebot durch eine elektronische/digitale Innovation abgelöst und vom Markt verdrängt wird. Wer als Unternehmen nicht ein Opfer der «Digital Disruption» werden will, muss im Zeitalter der digitalen Transformation auch in Plattformen denken und prüfen, auf welchen Plattformen sich eine Präsenz lohnen kann.
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