Einkommensabhängige Medienabgabe als «optimale Lösung»
Der Kommunikationswissenschafter Manuel Puppis hält die Abschaffung der Rundfunksteuer für keine gute Idee. Er sieht aber eine Alternative für die Finanzierung des Service public.
In Kürze:
- Eine Annahme der No-Billag-Initiative wäre das Todesurteil für die SRG in der heutigen Form.
- Auch eine Vielzahl Privatradios und Fernsehstationen deckt zum Teil bis zu 80 Prozent ihrer Kosten mit den Gebühren. Die meisten würden nach einem «Ja» nicht lange überleben.
- Der relevante Partner auf dem freien Medienmarkt ist die Werbewirtschaft und nicht der Rezipient. Man kann also nicht davon ausgehen, dass durch dieses Finanzierungsmodell die Programmqualität gefördert wird.
- Service public sollte auch im Internet stattfinden dürfen.
- Alternativ könnte die SRG durch eine einkommensabhängige Medienabgabe finanziert werden.
Manuel Puppis, die Initiative No-Billag fordert die Abschaffung der Radio- und Fernsehgebühren. Wäre dies das Todesurteil für die SRG?
Es wäre das Todesurteil für die SRG in der heutigen Form. Mit dem Verbot der öffentlichen Finanzierung könnte die SRG schlichtweg ihren Leistungsauftrag nicht mehr erfüllen, und in der lateinischen Schweiz wäre es sehr schwierig, überhaupt ein Angebot auf die Beine zu stellen. Durch die reine Werbefinanzierung würde das Programm der SRG ganz anders aussehen als heute.
Inwiefern?
Erstens muss die SRG heute einen Service-public-Auftrag erfüllen. Dieser umfasst Politik, Kultur, Bildung, Unterhaltung, Berücksichtigung aller Sprachregionen und Minderheiten, Themenvielfalt und Qualität. Ein Sender, welcher sich rein kommerziell finanziert, muss und kann dies nicht erfüllen. Zweitens würden die Einnahmen der SRG massiv sinken. Neben dem Wegfall von 1,2 Milliarden Franken Gebührengelder würde auch das heutige Werbevolumen von 300 Millionen Franken zurückgehen. Denn ohne die öffentlichen Gelder könnte die SRG niemals ein so attraktives Programm produzieren, wie sie es heute kann. Folglich würde sie Werbekunden und Werbegelder verlieren.
Das Programm würde sich also ändern. Das heisst nur noch «Bachelor» und keine «Tagesschau» mehr?
So extrem wäre es nicht. Es gibt ja bereits heute private Sender, die versuchen, ein anderes Programm als Reality Shows und Scripted Reality anzubieten. Aber im kleinen Deutschschweizer Markt mit knapp fünf Millionen Menschen kann ein werbefinanziertes Fernsehen nicht viel mehr machen, als wie es der Sender 3+ heute bereits tut. Dessen Programm besteht vor allem aus eingekauften Sendungen und ein paar wenigen Eigenproduktionen, die grosse Aufmerksamkeit generieren. Anders Privatfernsehen zu machen ist schlicht nicht rentabel.
«Pay-TV-Modelle wären auf dem kleinen Schweizer Markt nur sehr beschränkt möglich.»
Wie 3+ bekommt auch Tele Züri keine Gebührengelder. Dennoch bietet der Regionalsender Nachrichten und Talkshows an.
Ja, genau. Das ist das Maximum für ein Privatfernsehen, was möglich ist. Tele Züri hat aber zum Beispiel keine Auslandkorrespondenten, und auch die Berichterstattung jenseits der Region Zürich ist eingeschränkt. Dieses Nachrichtenprogramm ist legitim für einen Privaten, aber nicht vergleichbar mit dem heutigen Angebot der SRG. Allein in der Deutschschweiz werden über 50 Millionen Franken pro Jahr in tagesaktuelle Fernsehnachrichtensendungen investiert.
Bei einem Wegfall der Empfangsgebühren und einem Rückgang der Werbeeinnahmen müsste sich die SRG nach anderen Finanzierungsmodellen umschauen. Wie sehen Sie die Chancen eines Pay-TV-Angebots, wie das zum Beispiel der amerikanische Fernsehsender HBO macht?
HBO bietet zwar viele spannende Sendungen, Serien und Filme an, jedoch keine Nachrichten. Zudem agiert der Sender auf einem Markt mit über 300 Millionen Einwohnern. In der Schweiz funktioniert Pay-TV zum Beispiel bei UPC und Swisscom, die aber nur Sport und eingekaufte Unterhaltung anbieten. Eigenproduktionen von Nachrichten und fiktionaler Unterhaltung sind auf dem kleinen Schweizer Markt relativ unrealistisch und lassen sich nicht durch Pay-TV finanzieren. Daneben kann man im Sportbereich Abonnenten gewinnen, die bereit sind, für Eishockeyspiele und die Fussball-WM zu zahlen. Da aber Sportrechte extrem teuer sind, sind auch die Abos teuer. Bei eingekaufter Unterhaltung und der Übertragung von massenattraktiven Sportarten kann Pay-TV funktionieren. Sonst sehe ich die Chancen in der Schweiz sehr eingeschränkt.
Könnte die SRG nicht Kooperationen mit privaten Fernsehsendern eingehen, um die Kosten für Senderechte an den Olympischen Spielen oder an einer Fussball-WM gemeinsam zu tragen?
Solche Kooperationsmodelle hängen davon ab, wie interessant eine Sendung für beide Partner ist. Aber ich denke, dass man über solche Zusammenarbeitsformen diskutieren kann.
«Regionale Radio- und Fernsehstationen, welche heute Empfangsgebühren erhalten, könnten ohne diese nicht mehr lange senden.»
Bleiben wir bei den Privaten. Neben der SRG hängen auch 41 lokal-regionale Radiosender und 13 regionale Fernsehprogramme am Tropf der Gebührengelder. Könnten diese weiter auf Sendung bleiben?
Diese Privatradios und Fernsehstationen decken zum Teil bis zu 80 Prozent ihrer Kosten mit den Gebühren. Die meisten würden nicht lange überleben. Aber auch für private Sender, welche sich heute ohne Konzession auf dem Markt behaupten können, wie Tele Züri, TV24 oder Radio Energy, wäre der Wegfall der Gebühren nicht unproblematisch. Denn mit der SRG hätten sie einen neuen starken Konkurrenten im Kampf um die Werbegelder. Ohne die Einschränkungen des Service-public-Auftrages könnte die SRG Radio- und Online-Werbung machen, was ihr heute verwehrt bleibt, und wäre somit immer noch der Riese unter den Zwergen der privaten Schweizer Sender.
Wäre es nicht auch möglich, dass die Initiative die Monopolstellung der SRG durchbricht und so den Privaten hilft, sich zu entfalten?
Das halte ich für absolut illusorisch. Die SRG hat keine Monopolstellung. Sie hat in jeder Sprachregion einen Marktanteil von 30 Prozent, daneben dominieren die ausländischen Sender mit über 60 Prozent. Die SRG würde bei einer Annahme der Initiative sicher an Marktanteil verlieren, aber das würde den Privaten nicht helfen. Der private Rundfunk würde auf dem Werbemarkt nur noch stärker von der SRG unter Druck geraten. Die Initiative hilft den privaten Sendern nicht.
Also hilft sie eher den ausländischen?
Ja, schwächer würden diese sicher nicht.
Würde die Qualität der SRG-Inhalte steigen, wenn sie sich auf dem freien Markt behaupten müsste, wo nur für das bezahlt wird, was auch gut ist?
Überhaupt nicht. Es ist kein Marktmodell, bei dem eine Austauschbeziehung zwischen Konsumenten und Rundfunkveranstaltern besteht, sondern ein Dreieckstausch. Die Werbewirtschaft zahlt die Fernsehsender. Diese verbreiten Programme und Werbebotschaften, welchen die Rezipienten ihre Aufmerksamkeit schenken, wodurch ihre Konsumbereitschaft gesteigert werden soll. Der relevante Marktpartner ist also die Werbewirtschaft und nicht der Rezipient. Der Veranstalter produziert Sendungen, mit denen er möglichst günstig viele Zuschauer in bestimmten Zielgruppen gewinnen kann und die somit für die Werbewirtschaft attraktiv sind. Man kann also nicht davon ausgehen, dass durch dieses Finanzierungsmodell die Programmqualität gefördert wird.
Nach einer Studie der Forschungsinstitution Mediapulse sehen die 15- bis 29-Jährigen in der Deutschschweiz nur noch 57 Minuten pro Tag fern, und die beliebtesten Programme sind vor allem deutsche Privatsender. Ist die SRG ein aussterbendes Programm?
Die komplette Fernsehnutzung befindet sich in einem Wandel. Erstens sind in den letzten Jahren immer mehr Programme entstanden, auch ausländische, welche den grossen Sendern Marktanteile abjagen. Trotzdem konnte die SRG einen Marktanteil von 30 Prozent behalten, was beachtlich ist. Zweitens nutzen junge Menschen heutzutage die Medien einfach anders. Das betrifft nicht nur die SRG, sondern auch die Privaten. Die lineare Nutzung geht zurück, und Video-on-Demand-Plattformen wie Netflix erleben einen Aufschwung. Weiter unterscheidet sich zwischen den jüngeren und älteren Menschen das Bedürfnis, journalistische Inhalte zu konsumieren – das war bei den Jungen aber schon immer kleiner.
Wie kann die SRG die Jungen abholen?
Sie kann sie auf den Kanälen abholen, wo die Jungen die Medien konsumieren. Die SRG ist bereits auf Youtube und diversen Sozialen Medien aktiv. Neben dem Kanal muss aber auch das Angebot stimmen, indem Inhalte anders aufbereitet und etwa einem Smartphone-Bildschirm angepasst werden. Aber die Nutzung des linearen Fernsehens nimmt über alle Altersgruppen hinweg ab.
«Service public sollte auch im Internet stattfinden dürfen.»
Sollte dann nicht auch der Service public angepasst werden? Entspricht er noch der aktuellen Mediennutzung?
Die aktuelle Einschränkung, dass die SRG nur Radio und Fernsehen, im Internet wenig mehr als ein Streaming der bestehenden linearen Kanäle und ausgestrahlte Sendungen auf Abruf anbieten darf, ist tatsächlich überholt. Damit der Service public Relevanz behält, sollte er sich ins Internet verlegen dürfen, um dort gerade für die Jungen Inhalte anders aufzubereiten. Das wäre für mich der logische Schritt, das ist jedoch politisch sehr umstritten. Denn hier kommen die privaten Verleger ins Spiel, welche durch solche Einschränkungen geschützt werden, damit sie die Möglichkeit haben, im Internet Geschäftsmodelle zu entwickeln.
Die SRG mischt also in Bereichen der Privaten mit?
Das Internet gehört weder den Privaten noch der SRG. Die Medienformen überschneiden sich immer mehr, und vieles spielt sich online ab. Die Verleger zeigen Videos auf ihren Online-Seiten, und die SRG veröffentlicht Textbeiträge. Was den Privaten und auch der SRG viel mehr helfen würde als eine No-Billag-Initiative oder die Diskussion, was jetzt den Privaten und was der SRG gehört, wäre eine Schärfung des Service-public-Auftrags. Die SRG soll ein andersartiges Programm machen, das Qualität, Vielfalt und Relevanz in den Vordergrund stellt, aber auch Rechenschaftspflichten sind nötig. Die SRG soll hinaus zu den Menschen gehen, soll sich den Diskussionen stellen, Jahresberichte veröffentlichen, erklären, wieso man die Empfangsgebühren braucht und was man damit macht. Auf Seite der Privaten könnte im Internet eine neue Plattform für journalistische Angebote aufgebaut werden. Das würde die Kosten für kleine Anbieter massiv senken.
Die Empfangsgebühren scheinen vielen Schweizerinnen und Schweizern ein Dorn im Auge zu sein. Wäre es möglich, die SRG etwas zu entschlacken und so die Gebühren zu halbieren?
Audiovisuelle Produkte sind einfach teuer, und das Sparpotenzial ist nicht so gross, wenn man vier Sprachregionen beliefern soll. Klar wäre es um einiges günstiger, wenn man nur noch deutschsprachige Sendungen produzieren und die anderen Sprachregionen vernachlässigen würde. Aber das ist eine politische Grundsatzfrage, wie die Schweiz funktionieren soll. Weiter werden ja meistens die Sendungen kritisiert, die nicht viel kosten. Teuer sind Information, Kultur, Dokumentationen, fiktionale Filme und Serien. Und das sind die Sendungen, die man unter Service public versteht. Ich sehe keine Möglichkeit, mit einer Halbierung der Gebühren einen Service public anzubieten und Rundfunk in allen vier Landessprachen zu produzieren.
Werfen wir noch einen Blick über den Tellerrand. Sie untersuchten in einer Studie den öffentlichen Rundfunk, seine Regulierung und Finanzierung in verschiedenen Ländern. Konnten Sie ein optimales Finanzierungsmodell finden?
In Finnland wurde 2013 die Gerätegebühr durch eine individuelle Medienabgabe abgelöst. Diese Gebühr ist einkommensabhängig und wird von der Steuerbehörde eingezogen. Die Abgaben gehen aber nicht in den Staatshaushalt mit den übrigen Steuern, sondern werden in einem Fonds angelegt, damit die strukturelle Unabhängigkeit vom Parlament bewahrt bleibt. Zudem ist Werbung und Sponsoring dem öffentlichen Rundfunk verboten. Dieses Modell halte ich für optimal, und weil das Einkommen massgebend für die Höhe der Abgabe ist, auch für sozial.
Bundesrat und Ständerat haben die No-Billag-Initiative abgelehnt und keinen Gegenvorschlag formuliert. Der Nationalrat wird voraussichtlich im September darüber diskutieren. Denken Sie, er wird einen Gegenvorschlag einbringen?
Die zuständige Kommission des Nationalrates hat die Initiative und einen Gegenvorschlag klar abgelehnt. Falls der Nationalrat sich doch noch entscheidet, einen Gegenvorschlag zu formulieren, nehme ich an, dass dieser vom Ständerat abgelehnt wird und schliesslich doch kein Gegenvorschlag vors Volk kommen wird. Ich halte es für wichtig, dass die Initiative so zur Abstimmung kommt – ohne Gegenvorschlag.
Wieso?
Damit auch klar ist, worum es geht: Wollen wir auch künftig ein breites inländisches Programmangebot, oder sind wir zufrieden mit dem, was der private Radio- und Fernsehmarkt hergibt? Eine Halbierung der Gebühren wäre dann auch nicht viel besser als das komplette Verbot von Empfangsgebühren. Natürlich zahlt niemand gerne die Billag-Gebühren. Aber anderseits zeigen Publikumsumfragen, dass sowohl die Radio- als auch die Fernsehprogramme der SRG bei der Schweizer Bevölkerung auf hohe Zufriedenheit und Vertrauen stossen.
Dieses Interview erschien am 3. August 2017 in der NZZ .
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