«Geärgert? Ich kann mich nicht erinnern»

Er nennt die No-Billag-Initiative «No-SRG-Initiative»: Der neue SRG-Präsident Jean-Michel Cina will sich im Abstimmungskampf stark engagieren.

Zuerst ein paar Fragen an Sie als Medienkonsument. Wann haben Sie sich über eine SRG-Sendung zum letzten Mal so richtig geärgert?
Geärgert? (überlegt) Ich kann mich nicht erinnern.

Ist alles immer tipptopp, was die SRG produziert?
Jedenfalls nichts, was bei mir Ärger verursacht hätte. Es ist aber ohnehin nicht meine Aufgabe, in die Programme und die redaktionelle Freiheit einzugreifen.

Haben Sie ein Ritual? Welche Sendungen schauen Sie oder hören Sie täglich?
Ich höre und schaue oft zeitversetzt, und zwar auch über Websites und beispielsweise über Twitter. Auf dem Twitter-Kanal des ZDF habe ich etwa das ­Streitgespräch zwischen Angela Merkel und Martin Schulz verfolgt.

Sprechen wir über den Betrieb SRG. Welches sind Ihre Eindrücke nach drei Monaten als Präsident?
Ich habe ein Hightechunternehmen angetroffen, das betriebswirtschaftlich sehr gut aufgestellt ist – und das natürlich sehr gefordert ist durch das Miteinander von Radio, Fernsehen, Internet und sozialen Medien.

Gibt es Dinge, die Sie überraschten?
Der harte Konkurrenzkampf mit deutschen, französischen und italienischen Sendern ist mir bewusster als vorher. Spannend ist es für mich, unsere Trägerschaft mit rund 24'000 Vereinsmitgliedern aus der ganzen Schweiz kennen zu lernen. Sie sind unser Fundament, quasi unsere Aktionäre. Sie sichern unsere Unabhängigkeit. Ich sage immer: Uns kann man weder kaufen noch verkaufen, wir gehören der Schweiz.

«Ein ganz kleines, hochkommerzielles Fernsehen hätte vielleicht ein winziges Potenzial.»

Ein schöner Werbespot. Aber Sie möchten doch sicher auch manches ändern oder verbessern.
Mich beschäftigt, wie wir die Jungen besser an uns binden können. Wir alle passen auf, dass die SRG mit ihren Angeboten in der ganzen Bevölkerung der Schweiz verankert bleibt. Einerseits sind wir gefordert, neben dem erwachsenen auch ein junges Publikum anzusprechen. Andererseits ist es wichtig, dass noch mehr junge Menschen auch in der Trägerschaft mitmachen. Wir müssen sie dafür begeistern. Das gilt ebenso für Menschen aus eingewanderten Familien. Die SRG will Junge und Migranten noch besser bedienen.

Und wie wollen Sie die Jungen und die Migranten gewinnen?
Die SRG hat bereits viele Angebote entwickelt. Weitere Initiativen werden folgen, warten Sie ab.

Die No-Billag-Initiative dürfte Sie ebenfalls beschäftigen. Die Initiative kommt 2018 zur Abstimmung – ein heisserer Start für Sie ist fast nicht denkbar.
Ich habe Erfahrung mit anspruchsvollen und heissen Phasen. Als Walliser Staatsrat habe ich das neue Raumplanungs­gesetz und die Zweitwohnungsinitiative umgesetzt. Viel heisser geht es nicht, glauben Sie mir. Es stimmt aber: Die SRG erlebt zum ersten Mal eine Initiative, die direkt auf ihre Abschaffung zielt.

Die No-Billag-Initianten sagen, sie seien nicht gegen die SRG, sondern gegen die Gebührenpflicht.
Was auch immer die Initianten sagen – würde diese Initiative angenommen, gäbe es kein öffentliches Radio und Fernsehen mehr. Der Wortlaut der Initianten lässt da keinen Spielraum offen.

Wir hätten doch sicher auch nach einem Ja zur Initiative noch Radio- und Fernsehsender.
Ein ganz kleines, hochkommerzielles Fernsehen hätte vielleicht, und nur in der Deutschschweiz, ein winziges Potenzial. Ein solcher Kanal müsste extrem viel Werbung bringen, woran weder die Zuschauer noch die Verleger Freude hätten. Für die sprachlichen Minderheiten gäbe es wohl praktisch gar nichts mehr.

«Ich musste die Zweitwohnungsinitiative umsetzen. Viel heisser geht es nicht mehr, glauben Sie mir.»

Im Juni 2015 hat das neue Radio- und Fernsehgesetz (RTVG) nur eine hauchdünne Mehrheit im Volk gefunden. Macht Sie das mit Blick auf «No Billag» nervös?
Wir nehmen diese Abstimmung sehr ernst. Unsere Aufgabe wird es sein, der Bevölkerung aufzuzeigen, was die SRG für dieses Land leistet und welche Folgen eine Abschaffung für das Publikum und das Gemeinwesen hätte.

Der vormalige SRG-Generaldirektor Roger de Weck hat sich in der RTVG-Abstimmung stark exponiert, was viele als strategischen Fehler werten. Sie auch?
Das ist Ihre subjektive Bewertung der Vergangenheit. Ich konzentriere mich auf das Jetzt und die Zukunft der SRG. Fest steht, dass ich mich gemeinsam mit dem Generaldirektor und anderen stark gegen die «No-SRG-Initiative» engagieren werde. Ich finde es im Übrigen eine Merkwürdigkeit, dass zeitgleich mit der No-Billag-Initiative auch die Forderung nach staatlichen Subventionen für private Verlage diskutiert wird.

Diese Forderung kommt freilich von einer anderen Seite, von der SRG-freundlichen Linken nämlich. Unterstützen Sie die Idee?
Gegenüber einer direkten Presseförderung bin ich skeptisch. Gemeinsam müssen Private, SRG und Politik andere Wege prüfen, um den Qualitätsjournalismus und die Medienvielfalt in der Schweiz zu wahren.

Das Verhältnis der SRG zu den Verlegern war in den letzten Jahren schwierig. Haben Sie sich mit Verlegerpräsident Pietro Supino schon getroffen?
Wir hatten ein erstes Kennenlerntreffen. Aus meiner Sicht ist es sehr gut verlaufen. Es ist mir wichtig, unsere Beziehungen zu den Verlegern weiter zu entspannen.

Die Verleger wehren sich gegen die Versuche der SRG, in das Geschäft mit der Onlinewerbung einzusteigen. Werden Sie an diesen Bestrebungen festhalten?
Gewisse Formen von Onlinewerbung liessen sich gar nicht verhindern: Wenn wir ein Fussballspiel live streamen oder über Play SRF senden, können und dürfen wir die Werbeeinblendungen gar nicht herausschneiden. Die klassische Bannerwerbung ist nachrangig.

Die Grünen fordern in einem Positionspapier ein Werbeverbot für die SRG. Was würde der Wegfall der Werbeeinnahmen bedeuten?
Es steht der SRG nicht zu, medienpolitische Positionspapiere von Parteien zu kommentieren.

Bald kommt ein neues Mediengesetz, das solche Fragen regeln wird. Was sind Ihre Erwartungen?
Eines nach dem anderen. Jetzt sollten wir zunächst die Volksabstimmung abwarten. Und dann folgt das neue Mediengesetz. Jetzt schon zu spekulieren, bringt nichts.

Man könnte bösartig vermuten: Sie planen die Expansion, halten sich aber aus strategischen Gründen bis nach der Abstimmung zurück.
Eine so eigenartige Bewertung meiner Aussagen muss ich Ihnen überlassen. Ihre Interpretation trifft nicht zu. Wunschszenarien und Forderungen sind einfach fehl am Platz. Vielmehr streben wir noch mehr Kooperationen mit Privaten an.

Werfen wir trotzdem einen Blick in die langfristige Zukunft. Wo steht die SRG in zehn Jahren? Gibt es ihre Programme nur noch im Internet?
Ich bin nicht Madame Teissier. Ich würde aber das klassische, lineare Fernsehen noch lange nicht abschreiben. Und überhaupt: Die SRG wird in ihrem Kerngeschäft der audiovisuellen Produktion immer Inhalte von grosser Qualität, Relevanz und Attraktivität herstellen. Die Herstellung bleibt in jedem Fall kostenintensiv.

Sie waren Fraktionschef der CVP im Bundeshaus, danach Walliser Staatsrat, jetzt SRG-Präsident. Welches war das schwierigste Amt?
Es gab in meinem Leben bisher zwei sehr anspruchsvolle Aufgaben. Die eine war das Amt des CVP-Fraktionschefs, die andere das Präsidium der KdK, der Konferenz der Kantonsregierungen.

Was hat die KdK besonders anspruchsvoll gemacht?
Die unterschiedlichen Interessen, die da aufeinanderprallten. Beim Finanzausgleich einen gemeinsamen Nenner zu finden, die KdK in dieser Frage nicht auseinanderbrechen zu lassen – das war ungeheuer komplex. Ich bin froh, dass ich hier vor meinem Rücktritt noch eine Lösung gefunden habe – sogar gegen die abweichende Haltung meines Kantons.

Vermissen Sie das Wallis?
Eigentlich nicht, denn ich wohne ja noch dort. Meine Zeit als Mitglied der Walliser Regierung liegt gedanklich schon weit hinter mir. Ich setze mich jetzt mit Begeisterung für die SRG ein, diese so wichtige Institution.

Ein Programm, das Sie geärgert hat, wollten Sie nicht nennen. Können Sie uns abschliessend dafür sagen, welche SRG-Sendung Ihnen ganz besonders Freude bereitet?
Der grosse Fernseh-Zweiteiler über den Gotthard hat mich berührt. Oder, wenn Sie mich denn auf das Wallis ansprechen, den Beitrag über die Walliser Skilehrer bei den Chinesen fand ich toll. Fast jede Ausgabe der Radiosendung «Echo der Zeit» ist eine Perle. Es gibt Momente, da bin ich richtig stolz.

Dieser Artikel erschien am 12. September 2017 in «Der Bund» sowie im Tagesanzeiger .

Text: Der Bund/Tagesanzeiger/Fabian Renz; Claudia Blumer

Bild: SRG

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