Der Publikumsrat: Ein kritisches Gremium wird erwachsen
Seit 25 Jahren bringt er die Perspektive der Zuschauerinnen und Zuhörer ein. Setzt der Publikumsrat heute auf konstruktive Kritik, so ging er in seinen jungen Jahren ab und an auf Konfrontationskurs. Und nahm auch einen Zwist mit den Redaktoren in Kauf.
Sie geben ihre Meinung zur Sendung in der Kommentarspalte ab, versehen einen Tweet mit dem Hashtag SRF, rufen den Kundendienst an oder schicken ein Mail. Die Zuhörerinnen und Zuschauer von Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) können ihre Ansichten heute auf vielen Kanälen kundtun und ihre Perspektive den Redaktionen näherbringen. Doch nicht alle Rückmeldungen erfolgen auf diesen Wegen. Der Publikumsrat beispielsweise setzt auf die Kommunikation von Angesicht zu Angesicht. An zehn Sitzungen im Jahr diskutiert das 26-köpfige Gremium mit den Sendungsmacherinnen und -machern. Und obwohl die Sichtweisen des Publikums heute auf vielfältige Weisen abgeholt würden, sei der Rat nach wie vor eine wichtige Stimme, meint Regula Wirz. Die Programmleiterin von SRF 1 und SRF info ist bei der Sitzung des Rats jeweils dabei. «Das Feedback des Publikumsrats wird auf den Redaktionen sehr ernst genommen», sagt sie. Denn der Rat beobachte die Sendungen sorgfältig und gebe differenzierte Kritik ab.
Dies tut er nun schon seit 25 Jahren. Als der Publikumsrat 1992 gegründet wurde, waren Social Media und Kommentarspalten aber noch kein Thema. Man hatte mit anderen Herausforderungen zu kämpfen. Das kritische Gremium musste erst seine Rolle finden, das Vertrauen der Redaktionen gewinnen und öffentliche Aufmerksamkeit erlangen. Einer, der diese Anfangsphase direkt miterlebt hat, ist Hermann Battaglia. Der Journalist und Kommunikationsfachmann war der erste Präsident des Publikumsrats und zugleich der letzte der vorherigen Programmkommission (nicht mit den heutigen Programmkommissionen der Mitgliedgesellschaften zu verwechseln). Bevor es den Publikumsrat gab, war nämlich die Programmkommission zuständig für die Begleitung der Sendungen. Doch wollte man das Gremium neu strukturieren: War die Programmkommission eine Stabskommission der Trägerschaft, so sollte der Publikumsrat unabhängiger werden. Zwar musste er einen Teil seiner Kompetenzen abgeben. Denn die Programmkommission hatte noch Mitspracherecht, wenn es um Sendezeiten oder Programmänderungen ging. Dafür war der Rat nun ein eigenständiges Gremium und konnte sich öffnen. «Die ehemalige Programmkommission habe ich als eher elitären Diskussionsclub erlebt», sagt Battaglia. Mit dem Publikumsrat wollte man nun näher bei den Leuten sein. «Wir müssen konsumieren wie das Publikum», sagte der Präsident damals in der ersten Sitzung des neuen Rats. So erweiterte man die Palette der Sendungen, die beobachtet wurden. Neu sah und hörte man genau hin, wenn es um Sport- oder Unterhaltungssendungen ging.
Aber gerade diese Beobachtung sorgte hin und wieder für einen Zwist zwischen Rat und Sendungsmachern. Beispielsweise die Kritik an der Unterhaltungsshow «Ventil» mit Frank Baumann. Zur Show gehörte, dass die Zuschauer ins Studio anriefen und ihrer Verärgerung über die Sendung selbst oder über das Programm von Schweizer Fernsehen im generellen Luft verschafften. Was satirisch daherkam, fand der Publikumsrat gar nicht witzig. «Der süffisant schnoddrige Umgang des Moderators mit den wohl durchwegs ernst gemeinten Kritiken am Programm von SF DRS ist ein unentschuldbarer Affront gegenüber Publikum und Programmschaffenden», schrieb er in seiner Medienmitteilung. Bereits nach der ersten Ausstrahlung forderte der Rat die Absetzung der «Blödelsendung». Abgesetzt wurde «Ventil» dann aber nicht. Und Frank Baumann nahm die Kritik mit Humor. In der folgenden Sendung benannte er sein Maskottchen – ein Plüschschwein – nach dem Präsidenten des Publikumsrats: Hermann. Hermann Battaglia erinnert sich noch gut an diesen Moment. «Ich fand es lustig, der Rest des Publikums hat den Scherz wohl aber nicht verstanden.» Auch Othmar Kempf, der bis 2008 Präsident war, scheute die Konfrontation nicht. «Wir sind in der Kritik manchmal ziemlich laut geworden», sagt er. Das sei natürlich ein gefundenes Fressen für die Boulevardmedien gewesen. Doch auch die NZZ habe geschrieben: «Endlich sagt mal jemand etwas.»
Weniger auf öffentliche Konfrontation setzte sein Nachfolger. Der Publikumsrat habe nicht die Absicht, hohe Wellen zu schlagen, sondern dem Unternehmen als konstruktiv-kritischer Partner zur Seite zu stehen, sagt Manfred Pfiffner. So sei das Vertrauen zwischen den Redaktionen und dem Rat gewachsen. Genauso setzt Susanne Hasler weniger auf harsche Kritik: «Wir sagen, wie die Sendungen bei uns ankommen, führen den Dialog mit den Programmverantwortlichen und äussern Wünsche», sagt die heutige Präsidentin. Auf diese Weise könne man immer wieder Veränderungen bewirken. Zuletzt beim Familienquiz «Wir mal vier». Die Fragen seien anfangs recht simpel gewesen und hätten das Mitraten zu wenig spannend gemacht. Auf diese Kritik reagierten die Macher prompt. Seither wählt jede Familie ein Spezialgebiet, auf dem sie kniffligere Fragen beantworten. Es müsse aber nicht jede Kritik eine konkrete Auswirkung haben, sagt Hasler. «Vielmehr wollen wir Diskussionen in Gang bringen und Reflexionsprozesse anstossen.» Solche Anstösse könne der Rat gerade bei der fortschreitenden Medienkonvergenz geben, meint Programmleiterin Regula Wirz. Denn je mehr Kanäle bespielt würden, desto anspruchsvoller sei es für das Publikum, den Überblick zu behalten. «Der Publikumsrat hingegen behält das grosse Ganze im Auge», sagt sie. Er weise auf blinde Flecken hin.
Auch Christoph Gebel, Abteilungsleiter Unterhaltung, erlebt die Zusammenarbeit mit dem Publikumsrat als konstruktiv. «Wir führen sehr offene Diskussionen», sagt er. Zudem komme die Kritik heute strukturierter daher als früher und basiere weniger auf Einzelmeinungen. Nur vermisse er die Durchmischung der Milieus im kritischen Gremium. «Meiner Meinung nach fehlen die Stimmen des Publikums, das zum Beispiel bei einem ‹Donnschtig-Jass› auf der Festbank sitzt oder ‹Potzmusig› fix in der Agenda eingetragen hat», sagt er. Und gerade diese Leute würden viele Unterhaltungssendungen schauen. Dass der Publikumsrat nicht eins zu eins das Publikum abbildet und abbilden kann, dessen ist sich Susanne Hasler bewusst. Um noch mehr die Ansichten der entsprechenden Zielgruppen wiederzugeben, holt sich der Publikumsrat aber immer wieder Unterstützung. So auch, als es darum ging, «Nouvo» zu beobachten: ein neues Format, das kurze Newsvideos über die sozialen Medien verbreitet. Das Zielpublikum sind die Millennials. «Zwar haben wir auch jüngere Mitglieder, unser Durchschnittsalter liegt aber bei 52 Jahren», sagt die Präsidentin. Der Publikumsrat tauschte sich also erst mit einer Gruppe von Jungen aus. Das kritische Feedback diskutierte der Rat dann mit den Machern von «Nouvo». «Wir wollen eine grosse Meinungsvielfalt einbringen», so Susanne Hasler.
Kommentar