«DOK» «Liebesnöte in Japan» beanstandet
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Mit Ihrer E-Mail vom 28. November 2017 beanstandeten Sie die Sendung DOK (Fernsehen SRF) vom 22. November 2017 mit dem Film „Liebesnöte in Japan“. Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann folglich darauf eintreten.
A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:
„Wir hören jeden Tag von sexuellen Übergriffen!!! WARUM, ?????? ICH wundere mich nicht... ob Bischöfe, Prominente, an Freiern usw. Unsere Gesellschaft ist so sexualisiert, was auch schön sein könnte, Aber unser Kinder sollten wir schützen.
Ich habe am 27.11 11 Uhr 15 den Fernseher eingeschalten und auf SRF 1 folgende Sendung gesehen: ‚ Liebe und Sex in Japan‘ DAS ist vom Gefühl her unter meiner Gürtel Linie
Ob wohl Sie mich auf die Richtlinien hingewiesen haben[1] Diese Richtlinien verstehen «normale» Menschen wie ich wieso nicht
Anbei sende ich Ihnen ein paar Screenshots.
Da geht es um Vorlieben der Japaner, um Pillen, um Puppen, um Porno Darsteller...Ich weiss, es interessiert SIE nicht was der kleine X aus Adliswil denkt....Aber wundern SIE sich nicht, wenn Kinder Dinge tun, was Wir erwachsene verachten...Ich werde das veröffentlichen, was SIE für Sendungen Ausstrahlen.. UND WIR bezahlen das auch noch!“
B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Herr Daniel Pünter, Bereichsleiter DOK und Reportage, schrieb:
„Herr X beanstandet Auszüge aus dem Dokumentarfilm ‚Liebesnöte in Japan‘ (nicht mehr online verfügbar), welcher am Mittwochabend um 22:55 Uhr auf SRF gesendet und am Montagmorgen, den 27.11. wiederholt wurde. Wir waren uns bewusst, dass gewisse Szenen und Bilder bei einigen Zuschauerinnen und Zuschauern vielleicht eine überraschende oder sogar irritierende Wirkung haben würden. Denn wir alle wissen: Der Massstab der Moral ist je nach Individuum sehr unterschiedlich. Ob das Verhalten der Japaner in Liebes-, Sex und Beziehungsbelangen und die entsprechenden Szenen dazu geschmacklos bzw. ‚unter der Gürtellinie‘ sind, wie es Herr X in seiner Beanstandung beschreibt, bleibt dem Publikum überlassen. Die beanstandeten Szenen und Darstellungen im Dokumentarfilm ‚Liebesnöte in Japan‘ sind aber in jedem Falle keine pornografischen Darstellungen und verhältnismässig harmlos.
D er Dokumentarfilm ‚Liebesnöte in Japan‘ zeigt, mit welchen Schwierigkeiten vor allem junge Menschen in Japan kämpfen, wenn sie sich binden, eine Partnerschaft eingehen oder gar eine Familie gründen wollen. Er zeigt auch auf, dass Japan, aufgrund der sehr grossen Anzahl an vor allem männlichen Singles, über einen vielfältigen Beziehungshilfe-Dienstleistungssektor und eine umsatzstarke Erotik-Industrie verfügt. Wirtschaftszweige, die für ihre zahlreiche Kundschaft diverse Ersatzwelten und Hilfeleistungen schaffen. Herr X schreibt, es gehe im Film um ‚Vorlieben der Japaner, um Pillen, um Puppen, um Porno Darsteller‘. Diese Aspekte machen insgesamt einen sehr geringen Anteil am Film aus. Und sie alle stehen in einem grösseren erklärenden Kontext. Sowohl im Film als auch im Online-Angebot von SRF.[2]
Die Bilder der Silikonpuppen, des Striptänzers, Porno-Filmdarstellers oder der Erotikartikel dienen im Film nicht allein dem Selbstzweck, d.h. sie wurden nicht zu Unterhaltungszwecken gezeigt, um voyeuristische Neigungen zu befriedigen, sondern sie dienen der Illustration dieser, für uns in dieser Form nicht bekannten Ersatzwelten innerhalb eines relevanten gesellschaftlichen Problems, welches in Japan seit längerem breit diskutiert wird: Ein grosser Anteil junger Japanerinnen und Japaner bekundet nämlich grosse Mühe, ganz normale Freundschaften und Beziehungen zwischen unterschiedlichen Geschlechtern zu knüpfen und zu pflegen. D er Dokumentarfilm «Liebesnöte in Japan» handelt genau davon: von einer heiratsträgen Gesellschaft, von Liebesnöten und Beziehungsproblemen. Je nach moralischen Grundsätzen können wir nicht ausschliessen, dass im Einzelfall die beanstandeten Filmsequenzen Moralvorstellungen widersprechen. Dies ist offenbar bei Herr X der Fall. Es reicht aus unserer Sicht aber nicht, wenn das sittliche Empfinden nur aus der subjektiven Sicht eines Einzelnen oder mehrerer Einzelpersonen tangiert wird. Es muss vielmehr ein objektiver Massstab Anwendung finden. Deshalb sind wir überzeugt, dass es sich bei den relativ harmlosen Sequenzen nicht um eine Gefährdung der öffentlichen Sittlichkeit handeln kann. Öffentliche Sittlichkeit im Sinne von allgemein akzeptierten Normen in Bezug auf das Sittlichkeitsempfinden und die Moralvorstellungen, welche von einer Mehrheit der Menschen in unserer liberalen und toleranten Gemeinschaft getragen wird.
Herr X stellt mit seiner Bemerkung <Aber wundern SIE sich nicht, wenn Kinder Dinge tun, was wir Erwachsene verachten...> implizit auch noch die Frage, ob die Verbreitung dieses Films die Kinder verderbe. Im Sinne des Jugendschutzes ist die Frage zu überprüfen, ob die im Film gezeigten Szenen und Informationen die <körperliche, geistig-seelische oder sittliche Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen beeinträchtigen>.
Zusammen mit der Jugendschutzbeauftragten von SRF sind wir zum Schluss gekommen, dass dies im vorliegenden Film nicht der Fall ist. Dieser Entscheid basiert auf verschiedenen Tatsachen. Einerseits sind diese Bilder im Film in einen grösseren Kontext eingebettet und kommen, anders als in der Beanstandung von Herr X, nicht isoliert vor. Zudem gibt es distanzierende Elemente, die Bilder der Puppen beispielsweise sind in einer Fabrik entstanden, welche im Film deutlich spürbar sind. Nacktheit an sich ist nichts, was Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung beeinträchtigt. Andererseits betont der Film gerade mit dem Beispiel des Kuschelcafés, wie bizarr die Beziehung vieler Japanerinnen und Japaner zum anderen Geschlecht ist. Der Film zeigt auf, dass insbesondere fehlender sozialer Austausch mit Gleichaltrigen und vermehrter Zeitvertrieb in einer virtuellen Welt zu dieser Problematik führen. Uns scheint es wichtig, solche Botschaften Kindern und Jugendlichen nicht vorzuenthalten.
Wir kommen deshalb zum Schluss, dass SRF mit ‚Liebesnöte in Japan‘ die gesetzlichen Anforderungen an den Programminhalt (Art. 4.1 und Art. 5 des Radio- und Fernsehgesetzes) , aber auch Richtlinien und publizistischen Leitlinien von SRF und der Guidelines UBI in Bezug auf Gefährdung der Sittlichkeit und des Jugendschutzes befolgte.“
C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Als ich Ihre Screenshots sah, war ich ziemlich schockiert, denn das kommt ja daher wie die Bilder einer Porno-Website. Ich konnte kaum glauben, dass Fernsehen SRF so etwas sendet. Dann sah ich mir den Film an und musste feststellen, dass Sie mit den Auszügen zu einem verzerrten Bild der Reportage „Liebesnöte in Japan“ beigetragen haben: Ihre ausgewählten Bilder sind fast alle solche von Silikon-Puppen, die einen ganz kurzen Abschnitt des Films ausmachen.
Die Reportage ist ein Problemfilm. Er handelt von der Schwierigkeit junger japanischer Singles, Anschluss an das andere Geschlecht zu finden. In einem Land, in dem kulturell sehr vieles durch eine lange Tradition geregelt ist, schafft der Wechsel von der arrangierten Hochzeit zur freien Partnerwahl eitel Probleme. So thematisiert denn der Film beispielsweise Solohochzeiten, Mietfreunde, Kuschel-Cafés, Sexberatung für Frauen, Camps für Partnerkontakt, Liebespuppen aus Silikon, binationale Maskenbälle und die Nachfrage nach Pornos – also eine ganze Bandbreite von Angeboten und Möglichkeiten, die jungen Japanerinnen und Japanern geboten werden, um ihre erotischen und sexuellen Nöte zu überwinden. Ich fand den Film sehr aufschlussreich und sehr respektvoll. Der Autor ist äußerst behutsam vorgegangen. Er hat viele junge (und auch ältere) Leute zum Reden gebracht, ohne sie vorzuführen. Er hat Einblick in deren Problemlage gegeben, ohne voyeuristisch zu werden. So wurde beispielsweise nicht gezeigt, wie der ältere Mann Sex mit den Puppen hat; man sah nur, wie er sie in hübscher landschaftlicher Umgebung fotografiert. Nur in der Fabrik, in der sie hergestellt werden, kamen auch die verschiedenen Ausstattungen der Puppen zum Ausdruck.
Ich muss daher Herrn Pünter Recht geben: Sowohl durch die Darstellungsweise als auch durch die Ausstrahlungszeit sind die Vorschriften des Jugendschutzes eingehalten worden. Die einzelnen Szenen waren respektvoll gedreht. Nirgends kam Pornografie als solche zum Zug, sondern nur als Problembeschreibung. Und bei den Puppen wurde lediglich sichtbar, dass sie so aussehen wie nackte Frauen. Pornografisch war das nicht. Auch wenn einem diese Bilder gegen den Strich gehen mögen und auch wenn man den Kopf darüber schüttelt, dass sich Männer gewissermaßen mit Puppen befriedigen, kann man Fernsehen SRF keiner pornografisch-voyeuristischen Absicht bezichtigen. Ich kann daher Ihre Beanstandung nicht unterstützen.
D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.
[1] https://www.srf.ch/allgemeines/kinder-und-jugendmedienschutzrichtlinien
[2] Im Internet verfasste SRF-Asien Korrespondent Stalder zum Film einen hintergründigen Bericht zu eben diesem gesellschaftlichen Problem. Er kommt zum Schluss, dass es „...die Liebe, die Familie und Partnerschaft schwer hat im Land der aufgehenden Sonne.“. https://www.srf.ch/sendungen/dok/die-liebe-hat-es-schwer-in-japan
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