«Wer würde unsere Geschichten erzählen?»

So ist es in allen «kleinen» europäischen Ländern, in Belgien, den Niederlanden und in Skandinavien: Unterhalb der Zehn-Millionen-Einwohnergrenze sind die öffentlichen Fernsehanstalten die unumgänglichen Verbündeten des nationalen Filmschaffens. Warum? Weil ein nationales Fernsehen durch Produktion und Ausstrahlung über seine Nation berichten muss. Ein Gastkommentar von Denis Rabaglia, Filmregisseur und Autor von Filmen wie «Azzurro» (2000) und «Marcello, Marcello» (2008).

«Das Fernsehen kann sich nicht damit begnügen, die amerikanischen Serien, so brillant sie auch sein mögen, bis ins Unendliche zu wiederholen. Seine Aufgabe ist es, Geschichten für jedes Publikum zu erzählen und nicht nur für die Schlaflosen, die Filme und Serien auf VOD (video on demand) verschlingen.

Filme oder Dokus aus dem eigenen Land auszustrahlen, ist weit mehr als simple ‹kulturelle Vielfalt› oder ‹Aufgabe des Service public›. Es entspricht einem tiefen gesellschaftlichen Bedürfnis, die Welt zu widerspiegeln, in der wir leben, und nicht nur die Welt, in der unsere Nachbarn leben. Die Beziehungen zwischen Schweizer Kino und Schweizer Fernsehen folgen auch dieser Logik, aber mit einer viel komplexeren, multikulturellen Realität.

Die SRG SSR besteht aus vier Einheiten, von denen jede einer der nationalen Sprachen zugeordnet ist. Jede Einheit hat die Aufgabe, Filme oder Dokus in ihrer Sprache zu produzieren oder koproduzieren, in Zusammenarbeit mit Autoren, Produzenten, Interpreten und Technikern des betreffenden Sprachgebiets. Diese Zusammenarbeit wurde im ‹Pacte de l’audiovisuel› festgehalten. Die Vereinbarung wird alle vier Jahre zwischen den Parteien verhandelt; in der aktuellen Vorlage stehen CHF 27,5 Millionen Franken zur Verfü­ gung. Diese finanziellen Mittel werden unter den Einheiten für das Fernsehschaffen und das Filmschaffen verteilt.

«Die Zusammenarbeit zwischen Schweizer Fernsehen und dem Schweizer Kino ist eine Erfolgsgeschichte.»

Diese Form der Zusammenarbeit nimmt ihren Anfang in den 1970er Jahren: Damals arbeiteten bei RTS Alain Tanner, Claude Goretta und Michel Soutter. Die Produktionsgelder, die sie für ihre ersten Kinofilme erhielten, erlaubten den Durchbruch des ‹jungen Schweizer Films› auf internationaler Ebene. Diesen Erfolg nutzten auch die Filmschaffenden der anderen Regionen des Landes, indem sie eine regelmässige Zusammenarbeit mit den anderen Einheiten der SRG auf die Beine stellten. In der deutschen Schweiz zum Beispiel wird der Dialekt zum Eckpfeiler dieser Politik. Denn wenn Schweizer Fernsehen keine Dialektfilme produziert, wer macht es dann? Bestimmt nicht die deutschen Fernsehanstalten. So hat sich im Laufe der Jahrzehnte zwischen Schweizer Fernsehen und dem Schweizer Kino eine erfolgreiche Zusammenarbeit ergeben. Gewiss hat sie in Genf, Zürich oder Lugano nicht dieselbe Farbe, da sie sich der soziokulturellen Wirklichkeit anpasst. Die No-Billag-Initiative ist ein Angriff auf das Herz dieser Einrichtung. Die Folgen wären das Verschwinden der SRG, eine Streichung von 25 Prozent der Finanzierung des Schweizer Films und Dokumentarfilms sowie die gleichzeitige Zerstörung jeglicher Fernsehproduktionen. Wer würde dann unsere Geschichten erzählen?»

Text: Magazin LINK/Denis Rabaglia

Bild: Getty Images/Florian Seefried

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