«Sternstunde Religion» über «Kampfbegriff Gender» beanstandet (II)
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Mit Ihrem Brief vom 22. Januar 2018 beanstandeten Sie im Namen von Transgender Network Switzerland die Sendung «Sternstunde Religion» (Fernsehen SRF) vom 21. Januar 2018 zum Thema «Kampfbegriff Gender».[1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann folglich darauf eintreten.
A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:
«Im Beitrag kam es zu Fehlinformationen, Herabwürdigungen und klar diffamierenden Aussagen gegenüber schutzbedürftige Minderheiten. Hauptsächlich betroffen davon waren trans Menschen, aber auch die Würde von homosexuellen und zwischengeschlechtlichen Menschen wurde im Zuge der Sendung angegriffen.
Wir erwarten eine ausführliche und objektive Aufarbeitung inklusive transparenter Konsequenzen für die Beteiligten sowie Entschuldigungen und Richtstellungen für die beanstandeten Punkte.
Hier die Liste der Beanstandungen:
1. Konzept der Sendung
a. Die Gäste
Die Auswahl der Gäste sorgte für eine unausgewogene und auch unzureichend informierte Diskussion. Beide Gäste befassen sich privat wie beruflich nahezu ausschliesslich mit Genderfragen rund um heterosexuelle Lebensformen von cis Menschen und bewiesen Desinteresse und Unkenntnis betreffend anderen Lebensformen, die sie jedoch im Habitus der Autorität diskutierten. Herr Gasser ist einer grösseren Öffentlichkeit bekannt für seine abwertende Meinung zum Thema Homosexualität und wurde dennoch hier als Experte geladen und erhielt ungehindert eine Plattform für seine Behauptungen, dass sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität in die für ihn richtigen Bahnen zu lenken seien (Minute 49 und Minute 52). Bereits ab Minute 6 wies Herr Gasser in zunehmend emotionalem Tonfall darauf hin, dass für ihn hauptsächlich um das Thema des ‘Transgender’ oder ‘Transgenderismus’ ging. Die Sendung, die mehr als die Hälfte der Sendezeit dem Thema trans Menschen widmete, hat auffälligerweise zwei Expert_innen geladen, die beide weder beruflich noch private Erfahrungen mit dem Thema haben. Die Stimmen von trans Menschen kamen in sehr reduzierter Form als Einspieler vor (siehe Punkt 3). Erst in Minute 40 bemerkt Frau Praetorius, man müsse für diese Fragen eigentlich jemanden haben, der wirklich betroffen ist.
b. Die Moderation
Zwar hat Herr Bischofberger wiederholt durch seine Einwürfe und eigene Wortwahl gezeigt, dass er selbst nicht mit den Äusserungen seiner Gäste d’accord ging und dass ihm die korrekte Wortwahl durchaus geläufig war, es gelang ihm jedoch nicht, einen Gegenstandpunkt herauszuarbeiten oder die phasenweise frappante Respektlosigkeit und Unkenntnis der Gäste über das Diskussionsthema in Frage zu stellen.
2. Expertise Genderwissenschaften
In Minute 5 erklärte Frau Praetorius, Judith Butler habe in ihren Schriften die Existenz eines biologischen Geschlechtes geleugnet und mokierte sich darüber, dass doch jedem klar sein müsse, dass es zur Zeugung eines Kindes eindeutig einen Mann und eine Frau brauche. Butler leugnet weder den biologischen Dimorphismus noch die Bedingungen sexueller Reproduktion, sondern postuliert, dass die Arbeit der Naturwissenschaften stets historisiert werden muss und dass die Ordnung der Gesellschaft anhand der Geschlechtertrennung nicht bedeutungslos, sondern kontingent, beziehungsweise arbiträr ist. Es ist irreführend und nachlässig, einer der berühmtesten Forscherinnen in diesem Feld eine derart unsinnige und unwissenschaftliche Behauptung zu unterstellen, während man versucht, einem Publikum grössere Zusammenhänge zu erklären.
Auch Herr Gasser schloss sich diesem Punkt an (Minute 35) und erklärte, er fände es unhaltbar, wenn Menschen das biologische Geschlecht als subjektive Realität sähen.
Des Weiteren gab Frau Praetorius die Arbeit der Genderwissenschaft inkorrekt wieder, als sie erklärte, die Naturwissenschaften dienten häufig als Korrektiv für die überbordenden Genderwissenschaften (Minute 28). In diesem Zusammenhang erklärt Praetorius, die Naturwissenschaften bestätigten die Existenz der zweigeschlechtlichen Ordnung, welche von den Genderwissenschaften geleugnet oder dekonstruiert werde. Dies gibt weder natur- noch genderwissenschaftliche Erkenntnisse korrekt wieder.
Ebenso irreführend sind die Aussagen von Frau Praetorius, die Existenz von trans Menschen würde geschlechtliche Stereotypen stärken und damit der Gleichberechtigung und Vielfalt schaden (Minute 37, Minute 50). Frau Praetorius bedient hier überholte Vorurteile, dass trans Menschen die andere Rolle lediglich spielten, indem sie eine geschlechtsspezifische Marker wie Make-up etc. verwenden. Es zeugt von der mangelnden Expertise, dass diese Behauptungen unhinterfragt geblieben sind. Trans Menschen sind in vielen Bereichen des Lebens gezwungen, ihr Geschlecht zu beweisen, um in ihrer Identität ernst genommen zu werden und als ihr Geschlecht gesehen zu werden. Trans Menschen werden von ihrem Umfeld, von medizinischem Personal und von Behörden dazu aufgefordert, ja genötigt, ihre Identität äusserlich zu demonstrieren.
3. Argumentatives Ungleichgewicht
Es gibt in dieser Sendung weder trans noch inter oder homosexuelle Expert_innen, obwohl sich die Diskussion zu einem überwiegenden Teil um diese Personengruppen dreht. Es ist problematisch, wenn als ‘Gegenstimmen’ lediglich Einspieler gebracht werden, die natürlich nicht in die Debatte eingreifen können. Auch die Auswahl der Ausschnitte ist irritierend. Der erste Ausschnitt, aus dem Segment SRF mySchool erklärt komplexe Zusammenhänge zugänglich und für einen schulischen Kontext verständlich. Die drauf folgenden emotionalen Ausbrüche von Herrn Gasser, solche Aussagen nervten ihn ‘tierisch’, es wäre ‘unlogisch’ und ‘Ideologie’ (Minute 32), diese Ansichten zu vertreten, zeigen klar, dass es nicht angeht, eine Seite der Diskussion nur durch Einspieler zu vertreten, denen die Chance auf Gegenrede genommen ist.
Der zweite Einspieler ist mit rund 7 Minuten sehr lang bemessen und beginnt in Minute 49. Der Ausschnitt aus der Dokumentation ‘Das Geschlecht der Seele’ beginnt mit einer Szene, in der eine cis Frau tränenreich die Transition ihrer Ehefrau betrauert. Das Publikum wird also in dieser ohnehin parteiischen und einseitigen Diskussion zunächst darauf aufmerksam gemacht, was für Schmerz und Elend die Existenz von trans Menschen für ihre Umwelt bedeuten kann. Obwohl sich ein Teil des Einspielers auch der Sicht der trans Frau widmet, ist der Grundtenor des gewählten Ausschnitts jedoch tragisch und leidend.
4. Fokus auf „Transgenderismus“
Wiederholt kam in der Sendung der Begriff des ‘Transgenderismus’ auf. Allein die die Wahl dieses Neologismus, wiederholt in Zusammenhang gebracht mit Begriffen wie ‘Ideologie’, ‘Dogma’ und ‘Agenda’ ist stossend und hätte, wenn nicht vermieden, so wenigstens erklärt und gerechtfertigt werden müssen. Generell war dieses Segment geprägt von haltlosen Spekulationen ohne Untermauerung (siehe Minuten 3, 6, 11, 20, 29). Wie auch in der Mediendebatte um den Begriff Genderismus zu verfolgen ist, konstruiert diese Rhetorik ein zusammenhängendes Glaubenssystem (-ismus), das seine Glaubensgrundsätze (Dogmen) gemäss einem geheimen Plan (Agenda) durchsetzen will. Nutzer dieser Rhetorik verweigern, wie in dieser Sendung demonstriert, klare Aussagen darüber, wovon und von wem sie genau reden und beschwören eine diffuse Bedrohung herauf. Trans Menschen sind Individuen und verfügen weder über die Machtmittel noch Ressourcen oder das Bedürfnis, irgendjemandem etwas dogmatisch vorzuschreiben. Dass ein solches unhaltbares Bedrohungsszenario unhinterfragt stehen gelassen wird, ist unverantwortlich.
5. Medizinische Expertise
Herr Gasser wurde als medizinischer Experte geladen und auch so in Szene gesetzt. Dies, obwohl er selbst wiederholt erklärte, weder privat noch beruflich Erfahrungen mit trans Menschen oder mit Homosexualität zu haben. Aus dieser Position der vermeintlichen fachlichen Autorität förderte Herr Gasser Panikmache rund um trans Menschen, indem er ohne Details oder Belege von angeblich illegal vorgenommenen Mastektomien bei Minderjährigen berichtete. Als Arzt sollte Herr Gasser wissen, dass medizinische Eingriffe Urteilsfähigkeit voraussetzen und nicht Volljährigkeit. Demzufolge sind weder Mastektomien noch Hormonbehandlungen für Minderjährige illegal. Dass eine solche Behauptung in dieser Sendung unwidersprochen stehengelassen wird, ist unhaltbar.
Zudem brachte er die erhöhte Suizidalität von trans Menschen als Argument dafür, dass es nichts bringe, trans Menschen in ihrer Identität zu respektieren, was eine gefährliche und schädliche Sichtweise ist (Minute 41).
Die Vergleiche mit der Anorexie der eigenen Tochter sind pathologisierend und unangebracht, da sie trans Menschen die Mündigkeit und Autorität absprechen und ihre Identität als Krankheit inszenieren. Dies entspricht nicht dem aktuellen medizinischen Wissensstand. Nach wiederholten eigenen Aussagen kann Herr Gasser trans Menschen nicht ernst nehmen, obwohl er es gerne würde, was ihn bereits als Experten disqualifizieren sollte.
Auch in dieser Sendung äussert Herr Gasser seine Ansicht, sexuelle Orientierung sei unter der richtigen Anleitung wandelbar und verkleidete diese Aussage als moderne Erkenntnis, die sich von dem altmodischen ‘Dogma’ abwende (Minute 52).Es ist hier nur zu deutlich, dass Herr Gasser keineswegs von Bisexualität oder fluiden Terminologien spricht, sondern davon, dass ‘gleichgeschlechtliche Anziehung’, wie er es wiederholt nennt, nicht ausgelebt werden ‘muss’.
6. Herabwürdigende Wortwahl
Eine Sendung, die sich derart explizit mit trans Menschen befasst und den Anspruch auf eine kritische Einordnung erhebt, muss einem Anspruch auf korrekte und respektvolle Wortwahl genügen. Zu den herabwürdigenden und inhaltlich nicht korrekten Aussagen beider Gäste gehörten unter anderem:
‘Das [Einspieler 1] nervt mich tierisch.’ (32) W.G.
‘Solche Männer, die gerne eine Frau sein wollen’ (37) I. P.
‘Das Geschlecht wird körperlich vermurkst.’ (36) W.G.
‘Frauen wie Conchita Wurst, ach nee, das ist ein Mann, der einen Bart hat.’ (51) I.P.
‘Diese schönen, ästhetischen Versionen von trans gibt es schon.’ (51) I.P.
‘Wenn ein Mann so eine schöne Frau wird, finde ich das toll.’ (51) I.P.
‘Wechsel des Geschlechtes’ (52)
‘Einmal schwul, immer schwul wie früher’(52)
Neben den bereits ausgiebiger diskutierten Beispielen ist hier augenfällig, dass Frau Praetorius wiederholt Aussagen tätigte, die nicht nur die Existenz von trans Menschen in Frage stellte, sondern auch explizit deren Anerkennung von Attraktivität und Geschlechtskonformität abhängig machte. Aussagen, die nicht nur im deutlichen Kontrast zu ihren Behauptungen stand, trans Menschen würden durch ihre Existenz Genderstereotypen fördern, sondern auch an und für sich herabwürdigend sind.
7. Anliegen der inter Gemeinschaft
Die Anliegen der inter Gemeinschaft wurden in der Sendung wiederholt trivialisiert und herabgewürdigt. Die nach wie vor durchgeführte genitale Verstümmelung von Säuglingen wurde von Herrn Gasser wiederholt herabgespielt (Minute 8, Minute 26). Dass in der Schweiz pro Jahr etwa 40 Kinder geboren werden, die von Zwangseingriffen zur Aufrechterhaltung der binären Geschlechtsordnung betroffen wären, wurde von Herrn Gasser als verschwindend geringe Anzahl bezeichnet. Befremdlich ist hier, dass also die anekdotisch aufgebrachte Spekulation um eine Mastektomie einer Person im Teenageralter als skandalös und bekämpfenswert dargestellt wird, obwohl dies völlig legal wäre, während die genitale Verstümmelung an Säuglingen anscheinend nicht der Rede wert ist.»
B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Frau Dr. Judith Hardegger, Redaktionsleiterin «Sternstunden», schrieb:
«Uns liegt die Beanstandung von Frau X, Mediensprecherin Transgender Network Switzerland, zur Sendung ‘Sternstunde Religion’ vom 21. Januar 2018 mit dem Titel ‘Kampfbegriff Gender’ vor. Gerne teile ich Ihnen hiermit meine Stellungnahme mit:
In der beanstandeten ‘Sternstunde Religion’ ging es im ersten Teil um das Thema Gender und die Argumente, die von religiöser Seite kritisch dagegen eingebracht werden, im zweiten Teil um Trans und abschliessend um Care. Die vorliegende Beanstandung bezieht sich vor allem auf den zweiten Teil der Sendung.
Gäste waren Ina Praetorius, evangelische Theologin und Autorin mit Schwerpunkt feministische Ethik und Wilf Gasser, Arzt und Psychiater, der seit 20 Jahren als Sexualtherapeut in eigener Praxis arbeitet. Wilf Gasser ist Präsident der Schweizerischen Evangelischen Allianz, einem Verbund von christlichen Gemeinden und Freikirchen.
X beanstandet das Konzept der Sendung (Gästewahl und Moderation), die Expertisen, ein argumentatives Ungleichgewicht, die Wortwahl und die Anliegen der inter Gemeinschaft. Nun:
Zu Beginn der kritisierten Gesprächssequenz (min 30) wird ein kurzer Filmbeitrag der Sendung ‘Myschool’ über Transmenschen gezeigt. Darin kommt auch Z vom Transgender Network Schweiz zu Wort. Die Anliegen von Transmenschen und die korrekten Begriffe für Transfrauen und Transmänner werden im Beitrag erklärt.
Im Anschluss an diese Sequenz reagiert Wilf Gasser sehr emotional. Als Mann könne er doch nicht wissen, wie eine Frau sich fühle. Wenn dieses subjektive Gefühl als Realität bezeichnet werde, dann sei das pure Ideologie. Moderator Norbert Bischofberger greift dies auf (‘Sie werden sehr emotional’) und fragt, ob Wilf Gasser in der eigenen Praxis mit Transmenschen zu tun habe.
Wilf Gasser berichtet auf diese Frage von einem Mädchen, das sich vor dem 18. Lebensjahr mit dem Einverständnis der Eltern die Brüste habe amputieren lassen und erklärt, dass operative Geschlechtsanpassungen in der Schweiz ‘vor dem 18. Lebensjahr meines Wissens illegal’ seien. Diese Aussage ist falsch, und wir haben sie auf der SRF-Korrekturen-Seite berichtigt:
<... Diese Aussage ist falsch. Hierzu präzisieren wir: Die hormonelle und operative Geschlechtsangleichung bei minderjährigen Transmenschen ist in der Schweiz rechtlich möglich. Sie ist an die Urteilsfähigkeit gebunden und nicht abhängig davon, ob eine Person volljährig ist. Für die hormonelle und operative Geschlechtsangleichung müssen Jugendliche demnach nicht volljährig, also 18-jährig, sein. Sie müssen urteilsfähig sein. Hier werden jedoch an die Urteilsfähigkeit hohe Anforderungen gestellt. Es ist heute in der Schweiz zudem für Jugendliche schwierig, eine Behandlung vornehmen zu lassen, weil nur wenige Ärztinnen und Ärzte dazu bereit sind und weil die Krankenkassen manchmal die Kosten nicht übernehmen.>[2]
Wilf Gasser begründet seine ablehnende Haltung mit dem Argument, allein in seinem Leben habe sich die Einstellung zum Geschlecht so sehr gewandelt, dass er bezweifle, dass sich ein junger Mensch bereits endgültig auf ein Geschlecht festlegen könne.
Seine Argumente bleiben nicht unwidersprochen stehen. Die Theologin Ina Praetorius betont mehrfach den Respekt, den sie vor den Äusserungen von trans Menschen habe.
35:19 | IP | Also ich verstehe das gut. Für mich ist der Ansatzpunkt ein anderer, dass ich nämlich Respekt habe davor, was ein anderer Mensch sagt und dass ich auch die Menschenrechte in dem Sinne interpretiere, dass auch Dinge, die ich nicht verstehe, ich nicht entscheiden kann, dass die verboten werden sollen oder dass die geächtet werden sollen. |
35:44 | NB | Ich finde es schon verletzend für Menschen, die jetzt so empfinden – und das sind ja nicht nur Kinder, es sind ja viele Erwachsene, die sagen <das stimmt für mich so nicht> – dass Sie sagen, Sie können das überhaupt nicht nachvollziehen. |
38:46 | IP | Und ich glaube unsere/ Die Differenz zwischen uns beiden ist jetzt, dass ich respektiere, wenn ein anderer Mensch mir sagt <So geht’s mir>. Dann sage ich/ menschenrechtlich muss ich sagen, dieser Mensch darf nicht diskriminiert werden. |
40:00 | IP | Da müsste man jetzt jemanden haben, der wirklich betroffen ist, weil ich würde jetzt sagen, ich respektiere die Aussage. Es gibt viele Sachen in dieser Welt, die ich nicht verstehe. Ich verstehe auch nicht, wie man gerne raucht. |
Wilf Gasser nennt daraufhin das Beispiel seiner eigenen Tochter und ihrer Magersucht. Sie habe auch bei einem Gewicht von 40 Kilogramm noch das Gefühl gehabt, sie sei zu dick. In der Psychologie seien Gefühl und Wahrnehmung etwas sehr Subjektives. Natürlich nehme er das Gefühl ernst, dass ein Mensch daran leiden könne. <Ich bezweifle jedoch, dass eine Geschlechtsumwandlung seine Identitätsfragen löst. Die inneren Identitätskonflikte können nicht mit äusseren Massnahmen gelöst werden.>
Hier wird deutlich, dass Wilf Gasser sich gegen die operative Geschlechtsangleichung ausspricht. Diese persönliche Meinung darf er haben, doch der Moderator hätte hier nachhaken sollen mit der Frage, ob Gasser Belege – wissenschaftliche Studien bspw. – für seine Behauptung habe, dass Geschlechtsangleichungen Identitätskonflikte nicht lösten.
Überhaupt muss ich Frau X Recht geben, was gewisse Aussagen von Wilf Gasser betreffen. Es geht in der Tat nicht an, trans Menschen zu pathologisieren. Beim Vergleich mit der Magersucht wie auch beim Ausdruck ‘körperlich vermurkst’ hätte der Moderator sofort intervenieren müssen. Leider wendet der Moderator erst zu einem späteren Zeitpunkt (50:30) ein: <Verwirrung ist auch wieder abwertend>.
Wir haben denn auch ebenfalls auf der SRF Korrekturen-Seite vermerkt:
<Der Arzt und Psychiater Wilf Gasser erklärt in derselben Sendung, dass er ein Problem damit habe, wenn bei Transmenschen «das Geschlecht körperlich vermurkst» werde. Damit meint Gasser weitreichende geschlechtsangleichende Operationen. Diese Wortwahl von Wilf Gasser ist herabwürdigend und diskriminierend und verletzt die Menschenwürde insbesondere von Transmenschen. Wir distanzieren uns in aller Form davon und entschuldigen uns dafür.>[3]
Ebenfalls stimme ich Frau X‘ Einschätzung zu, dass reparative Therapien unethisch sind und nicht dem aktuellen Forschungsstand entsprechen. Wilf Gasser hat sie aber nicht explizit verlangt, nur angedeutet. Dennoch: Auch hier hätte die Moderation eingreifen müssen.
Norbert Bischofberger führt dann das Thema zurück zur Genderforschung: Stereotype von typisch männlich und weiblich.
Ina Praetorius hält fest, wenn die Vielfalt vor der Zweiheit bevorzugt würde, hätten trans Menschen weniger Probleme. Die Vielfalt und Offenheit, das sei für sie auch in der biblischen Botschaft enthalten: <Du bist akzeptiert, so, wie du bist, und nicht so, wie dich irgendein System haben will>.
Hingegen hat Ina Praetorius nicht gesagt, trans Menschen tradierten generell Geschlechterstereotypen mehr als cis Menschen. Ihre Aussagen bezogen sich nicht auf die Transgender-Community, sondern auf Filmausschnitte, deren Auswahl sie nicht beeinflussen konnte. Sie stellte lediglich fest, dass sie sich als gestandene Feministin darüber wundert, wie hartnäckig sich äussere Geschlechterklischees halten. Dass Stöckelschuhe und Lippenstift immer noch als typisch weiblich gelten.
Auch <dass trans Menschen die andere Rolle lediglich spielten>, behauptet Frau Praetorius nirgendwo.
Zum Vorwurf des argumentativen Ungleichgewichts:
Die beanstandete Sendung mit dem Titel ‚Kampfbegriff Gender‘ war die erste Sendung einer Reihe von Beiträgen zum Thema Trans und Gender - eine Reihe, für sich notabene die Sternstunden-Redaktion eingesetzt hat, weil wir das Thema enorm wichtig finden. Im Lauf der Woche folgten die Dokumentarfilme ‚Transkinder‘ (24.1.), ‚Das Geschlecht der Seele. Transmenschen in der Schweiz‘ (Teil 1 am 25.1., Teil 2 am 01.02.) und die Sendung ‚Sternstunde Philosophie‘ mit dem Titel ‚Mann oder Frau – eine Frage des Gefühls?‘ (28.1.). Die Hinweise von Moderator Norbert Bischofberger in der Sendung und am Ende des Gesprächs auf diese Beiträge haben diesen Zusammenhang für die Zuschauerinnen und Zuschauer deutlich gemacht.
In der Sendung ‘Sternstunde Philosophie’ mit dem Titel ‘Mann oder Frau: eine Frage des Gefühls’ sind mit Z, Leiter der Zürcher Fachstelle für Transmenschen, und Y zwei ausgewiesene Fachpersonen und als trans Menschen selber Betroffene eine Stunde lang zu Wort gekommen. Mit ihnen wurden Fragen zu Geschlechteridentität, Macht der Worte, Stereotype usw. diskutiert.
Die Programme müssen in der Gesamtheit ihrer redaktionellen Sendungen die Vielfalt der Ereignisse und Ansichten angemessen zum Ausdruck bringen. Dies war mit den beiden Sternstunden-Gesprächen sowie dem SRF Themen-Schwerpunkt zu Trans und Gender insgesamt ganz offensichtlich gegeben.
Was den Vorwurf der falschen Wiedergabe der Genderwissenschaften und insbesondere der Theorien von Judith Butler betrifft, lasse ich Ina Praetorius selber zu Wort kommen, die in einer Stellungnahme schreibt:
<Der Gesamtintention entsprechend hatte ich mir vorgenommen, den Namen Judith Butler allenfalls auf ausdrückliche Nachfrage zu erwähnen, da ich die starke Identifikation der akademischen Gender-Szene mit diesem Namen und den entsprechenden für LaiInnen kaum mehr nachvollziehbaren Debatten nicht weiter verfestigen wollte. Leider habe ich mich an diesen Vorsatz nicht gehalten, was tatsächlich dazu geführt hat, dass meine kurze Äusserung zu Judith Butlers ‘Gender Trouble’ der hohen Komplexität dieses Themas nicht gerecht geworden ist. Wie sollte sie auch? In den Gender Studies wird seit Jahrzehnten über die korrekte Auslegung des Butler’schen Werkes kontrovers (!) gestritten. Es gibt folglich nicht die eine richtige Butler-Interpretation, zumal die Autorin selbst weiterhin sehr produktiv ist, immer wieder neue Aspekte in die Debatte wirft und mehrfach erklärt hat, dass einige ihrer frühen Äusserungen zur Auslegung des biologischen Geschlechts missverständlich sind. Ich bin deshalb zwar nicht gerade glücklich mit meiner kurzen ‘Abfertigung’ Butlers, halte es andererseits aber doch für einen (wenn auch unintendierten) witzigen Schachzug, die ‘berühmte’ Butler auch einmal mit einer gewissen Nonchalance nur zu streifen und so die zuweilen an Heiligsprechung grenzende Ehrerbietung ihr gegenüber ansatzweise zu lockern. Mit anderen Worten: In dieses Fettnäpfchen bin ich gern getreten und lasse mich auch (bis zu einem gewissen Grade) gern dafür von der Butler-Gemeinde prügeln 😊 .>
Schliesslich moniert Frau X, die Anliegen der inter Gemeinschaft seien in der Sendung trivialisiert und herabgewürdigt worden. Das mag für Aussagen von Wilf Gasser stimmen. Doch der Moderator hat explizit darauf hingewiesen, dass es 40 Fälle pro Jahr gebe und Ina Praetorius pflichtet bei: <Diejenigen, die man operiert hat, weil man meinte, jeder muss ein eindeutig männliches oder weibliches Geschlecht haben, die 40 Leute – oder wie viele es dann sind – haben sicher sehr gelitten und dieses Leiden hätte nicht sein müssen.>
Zusammenfassend:
Der Fokus der beanstandeten Sendung lag auf dem Thema Religion und Gender, und die Sendung muss im Zusammenhang mit dem gesamten SRF Themen-Schwerpunkt gesehen werden. In diesem kamen fast ausschliesslich trans Menschen zu Wort. Wilf Gasser war eine der ganz wenigen kritischen Stimmen. Diese Stimmen gibt es aber in unserer Gesellschaft – gerade in konservativ-religiösen Kreisen. Ich halte es deshalb für journalistisch redlich, sie nicht völlig zu verschweigen.
Dennoch will ich nichts schönreden – die beanstandete Sendung war in einigen genannten Punkten nicht gelungen. Dass damit betroffene trans Menschen auch persönlich verletzt wurden, bedaure ich sehr und dafür entschuldige ich mich in aller Form.
Gleichwohl: Sieht man die beiden Sternstunden-Gespräche zum Thema trans und Gender zusammen, meine ich, dass sie das ihnen zugesprochene Mandat erfüllt haben.»
C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Ich kann mich den Ausführungen von Frau Dr. Hardegger anschließen. Ich anerkenne, dass sie die Sendung kritisch analysiert und fehlende Interventionen des Moderators gerügt hat. Und ich weiß zu würdigen, dass online zwei Klarstellungen publiziert wurden. Die Redaktion hat vor allem jenen Punkt korrigiert, der eindeutig nicht sachgerecht war. Damit hat sie Ihrer Kritik Rechnung getragen.
Darüber hinaus erinnere ich daran, dass zur Medienfreiheit die Programmautonomie gehört. Zu ihr gehört das Recht, dass die Redaktion selber darüber bestimmt, wie sie ein Thema angehen will und wen sie in eine Diskussionssendung einlädt. Konkret hat das Publikum ein über weite Strecken lebhaftes und zum Nachdenken anregendes Gespräch zwischen der Theologin und Feministin Ina Praetorius und dem Arzt und Psychiater Wilf Gasser erlebt. Für Meinungen, die im Rahmen eines solchen Gesprächs geäußert werden, sind zunächst die Gäste selber verantwortlich. Es dürfen auch extreme Meinungen geäußert werden. Der Moderator ist nur gefordert, wenn die vermittelten Fakten nachweislich nicht stimmen oder wenn sich jemand rassistisch oder auf andere Weise diskriminierend äußert. Die eindeutig falschen Fakten dieser Sendung sind nachträglich berichtigt worden. Der Rest verletzte das Sachgerechtigkeitsgebot meines Erachtens nicht, zumal immer zu berücksichtigen ist, dass das Bundesgericht an Diskussionssendungen weniger strenge Anforderungen richtet als an Informationssendungen. Ich habe jetzt noch zu prüfen, ob Transmenschen diskriminiert wurden und ob das Vielfaltsgebot missachtet wurde.
Transmenschen haben Anspruch auf Respekt, genauso wie die Menschen mit anderen Geschlechtsidentitäten auch. Diskriminiert werden sie, wenn man sich über sie lustig macht, wenn man ihnen weniger Rechte zubilligt als Andern, wenn man sie nicht für voll nimmt oder wenn man despektierlich über sie redet. Es muss aber möglich sein, darüber zu debattieren, ob für Menschen, die sich in ihrem biologischen Geschlecht nicht wohlfühlen, die Wahl einer anderen Geschlechtsidentität der einzig richtige Weg ist. Eine nicht verletzende Debatte wäre nicht per se eine Diskriminierung, und ich habe den Eindruck, dass das Publikum am Schluss der Sendung nicht schlecht über Transmenschen dachte, gerade auch, weil der lange Einspieler über Andrea, die mal Andi war, einen Kontrapunkt zum Verlauf der Diskussion setzte, dass es aber von Seiten von Wilf Gasser mehrfach den Eindruck serviert bekam, Menschen bildeten sich bloß ein, mit einer anderen Geschlechtsidentität glücklicher zu sein. Und das war gegenüber den Transmenschen verletzend, sie wurden dadurch diskriminiert. Ich kann daher den Vorwurf der Diskriminierung unterstützen.
Doch dem Vorwurf, dass das Vielfaltsgebot verletzt sei, kann ich nicht folgen. Erstens trug der Einspieler zur Vielfalt der Ansichten bei. Zweitens verlangt das Radio- und Fernsehgesetz mit Ausnahme von Sendungen unmittelbar vor Wahlen und Abstimmungen die Vielfalt nicht für die einzelne Sendung, sondern für das gesamte Programm über eine längere Zeitdauer. Gerade die am Schluss angekündigten weiteren Sendungen zum Themenbereich machten deutlich, dass die Sendung in den Rahmen eines Schwerpunkts gehörte, der durchaus vielfältig war.
Fazit: Ich kann Ihre Beanstandung teilweise (in Bezug auf die Diskriminierung) unterstützen.
D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.
[1] https://www.srf.ch/sendungen/sternstunde-religion/kampfbegriff-gender
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