«Wir können jetzt nicht ausruhen»

SRG-Generaldirektor Gilles Marchand erklärt, warum er 100 Mio. Franken sparen muss, wohin er Mittel umlagern will und warum Kooperationen strategisch wichtig sind.

Philipp Cueni: In einer ersten Reaktion nach der Abstimmung zu No Billag haben Sie eine Auslegeordnung gemacht: Sparen, Reformen, Kooperationen. In welchem strategischen Umfeld sehen Sie diese Kooperationen?
Gilles Marchand: Dieses Abstimmungsergebnis war für uns sehr wichtig und mit 71,6 Prozent war es auch sehr deutlich. Die SRG SSR hat eine neue Legitimation erhalten. Es war ein Statement für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Darüber bin ich sehr froh. Aber wir können jetzt nicht ausruhen. Wir müssen uns vorbereiten, denn die Zukunft wird für die Medien weltweit schwieriger werden. Deshalb ist der 4. März für die SRG auch ein Neustart, es wird nicht so weitergehen wie bisher. Wir haben während der Abstimmungsdebatte gespürt, dass Veränderungen angebracht sind. Zentral für unsere Legitimation ist die Unterscheidbarkeit zwischen Service public und Privaten. Wir können nicht alles machen. Die Unterscheidbarkeit gegenüber den Privaten muss deutlich sein.

Was bedeutet das konkret?
Wir müssen auf unsere Mehrwerte fokussieren, uns auf das konzentrieren, was uns von den Privaten unterscheidet. Also auf den Informationsbereich in den vier Landessprachen, auf das kulturelle Angebot, das sich über den Markt nie finanzieren liesse, und auf den Zugang zu einem Gratis-Sportangebot, das die Schweiz zusammenbringt. Es geht also nicht nur um Einsparungen, sondern auch um Anpassungen.

Dennoch zuerst zu den Einsparungen.
Wir müssen ein Effizienzpaket von 100 Mio. Franken schnüren. Ab 2019 sind das 50 Millionen weniger Einnahmen aus den Gebühren, weil wir dann die Auswirkungen der Plafonierung der Gebühreneinnahmen bei CHF 1,2 Milliarden zu tragen haben. Die unsichere Entwicklung im Werbebereich zwingt uns zudem, ungefähr weitere 30 Millionen einzusparen. Und schliesslich, um beim Programmangebot Spielraum für Innovationen zu haben, wollen wir nochmals 20 Millionen einsparen für Reinvestitionen.

Und wo möchten Sie neu investieren?
In zwei Bereichen: Wir wollen erstens den Bereich «Fiktion» weiterentwickeln, vor allem Serien. Unsere gesellschaftliche Realität können wir nicht nur durch Information erklären, sondern auch durch Geschichten in fiktionaler Form. Gefragt sind gute Ideen, damit wir uns in der Schweiz gegenseitig besser verstehen. Das möchten wir zusammen mit der Filmbranche in den nächsten drei bis vier Jahren entwickeln. Und zweitens geht es um eine digitale Plattform, mit welcher wir das viersprachige Angebot der SRG über die jeweilige Sprachregion hinaus besser verfügbar machen wollen. Die digitale Welt bietet hier neue Möglichkeiten, unsere Produktionen in vier Sprachen für alle nutzbar zu machen.

«Wir wollen den Bereich 'Fiktion' weiterentwickeln, vor allem Serien. Unsere gesellschaftliche Realität können wir nicht nur durch Information erklären, sondern auch durch Geschichten in fiktionaler Form.»

Zurück zur Frage der Kooperationen.
Wir streben eine bessere Zusammenarbeit mit den Privaten an, also mit den Verlegern, den Radio- und Fernsehunternehmen, der Filmindustrie. Denn wir als SRG können uns in dieser kleinen Medienlandschaft Schweiz nicht alleine sehen. Wir wollen kooperieren und zusammen Projekte entwickeln. Und wir wollen uns etwas zurückhalten im Bereich Kommerzialisierung im Online-Bereich. Das hilft bei der Zusammenarbeit und dient auch unserer klaren Fokussierung.

Die Zusammenarbeit mit den Privaten als Charmeoffensive der SRG?
Nein, das ist nicht bloss eine Charmeoffensive. Wir wollen nicht etwas für, sondern mit den Privaten machen, auf der Basis eines Win-win-Gedankens. Anders wäre das paternalistisch. Wir brauchen die anderen als Partner. Denn der Wettbewerb ist international. Wir möchten im Markt Schweiz mehr Mittel finden, um mehr produzieren zu können. Und wir meinen, dass wir auch im Bereich Werbung zusammen stärker sind.

Also auch Kooperationen aus Eigeninteresse?
Ich bin Pragmatiker. Kooperationen müssen für alle Partner stimmen. Umso besser, wenn eine solche für uns interessant ist. Aber wir müssen aufpassen, damit wir nicht in zu vielen Bereichen tätig sind. Das ist auch eine Frage der Haltung. Mit dieser Fokussierung auf unsere Kernkompetenz, auf die Werte, die uns ausmachen, erreichen wir eine bessere Legitimität. Diese Legitimität, also die Unterstützung in der Bevölkerung für die nächsten zehn Jahre zu erlangen und zu bewahren, erachte ich als eine unserer wichtigsten Aufgaben.

Sie sprechen von Zurückhaltung. Die SRG will aber auch besser werden. Im Online-Bereich führt das zu einem Zielkonflikt mit den Verlegern, welche die SRG dort einschränken wollen.
Natürlich möchten wir im Online-Bereich nicht alles machen. Und wir berücksichtigen, dass die Verleger ihre Online-News refinanzieren müssen. Das respektieren wir. Eine solche Rücksicht muss keine grosse Schwächung für uns sein, wenn wir uns auf unsere spezifische Stärke, auf audiovisuelle Inhalte, fokussieren. Das heisst, dass die SRG im Online-News-Bereich ab 2019 keine Texte ohne zugehörige Video- oder Audiobeiträge publiziert.

«Wir können und wollen als SRG nicht alles alleine machen.»

In der Abstimmungskampagne ist stärker als vorher sichtbar geworden, dass die SRG auf vielfältige Art mit unterschiedlichen Partnern und Veranstaltern kooperiert, beispielsweise bei der Kultur und im Sport. Das ist vermutlich teuer, bringt der SRG aber eine starke Verankerung.
Nehmen wir die Filmbranche. Sie will eine starke SRG, will aber auch als eigenständiger Partner mit der SRG arbeiten können. Das ist richtig, wir können und wollen als SRG nicht alles alleine machen. Wir brauchen in der Schweiz eine audiovisuelle Industrie mit privaten Unternehmen, die für und mit der SRG produzieren. Hier kooperieren wir mit neuen Partnern. Auch mit Autoren und Schauspielerinnen. Oder im Journalismus: Wir wollen mit Journalistinnen und Journalisten zusammenarbeiten, welche nicht bei uns, aber trotzdem auch mit uns arbeiten. Ich suche diese Partnerschaften. Aus Kooperationen entsteht Vitalität, so werden wir besser. Wenn wir alleine bleiben, wird es für uns gefährlich.

Warum gefährlich?
Eine isolierte SRG, auf sich allein gestellt, hätte grösste Schwierigkeiten, ihre Mittel und ihr Mandat zu legitimieren.

Die SRG ist auch Partner von Sportanlässen, Musikfestivals ...
... zum Beispiel mit Koproduktionen, in die wir investieren, oder über Berichterstattungen, richtig. Oft ist es für Veranstalter essenziell, Finanzierungen und Sponsoren zu finden, wenn die SRG überträgt. Das bringt den Veranstaltern und der SRG etwas. Diese Veranstaltungen sind wichtig für die schweizerische Identität. Ich denke nicht, dass ausländische TV-Sender das in der Schweiz übernehmen würden.

Die SRG hat sich auch schon von Partnerschaften mit Dritten getrennt, weil es nicht mehr zum Servicepublic- Programm gepasst hat – zum Beispiel bei «Miss Schweiz».
Solche Programme passen nicht mehr 100 Prozent zu unserem Profil und sind sehr teuer. Da geht es weniger um die Partnerschaften, als um die Programmstrategie. Nehmen wir das Beispiel «The Voice», entwickelt von der BBC, eine typische Service-public-Sendung also. SRF hat das mit grossem Erfolg übernommen. Es gab aber zwei Probleme: Es war eine sehr teure Sendung, weil man alle vertraglichen Rahmenbedingungen des Formats genau einhalten musste. Und weil in Frankreich und Deutschland private Sender das Format gekauft hatten, galt es in der Wahrnehmung als kommerziell. Wegen den hohen Kosten und dem Image-Aspekt haben wir entschieden, «The Voice» nicht mehr zu machen. Obwohl die Rechte frei sind, hat es in der Schweiz aber kein privates Unternehmen übernommen.

«Die Politik soll die Rahmenbedingungen, den Auftrag formulieren. Aber innerhalb dieser Vorgaben müssen die Profis frei arbeiten können.»

Von der SRG wird verlangt, offen für Partner zu sein. Neu will das Parlament aber Kooperationen der SRG bewilligungspflichtig machen und sich da einmischen.
Das wäre sehr problematisch. In einer solchen Situation könnte man kaum mehr Kooperationen realisieren. Falls zum Beispiel vorgeschrieben wird, die SRG müsse eine Partnerschaft jeweils für alle offen halten: Was, wenn ein Partner mit uns kooperieren will, aber nicht mit einem direkten Konkurrenten? Wir wollen zwar für viele verschiedene Partner offen sein, aber immer mit allen gemeinsam zu kooperieren, ist unmöglich. Wir müssen hier zu einem gesunden Pragmatismus finden.

Die Politik soll sich dazu also nicht einmischen?
Die Politik soll die Rahmenbedingungen, den Auftrag formulieren. Aber innerhalb dieser Vorgaben müssen die Profis frei arbeiten können. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass die Privaten solche Einschränkungen wünschen.

Politisch umstritten ist die Beteiligung der SRG beim Werbevermarkter Admeira. Jetzt gibt es aus Verlegerkreisen Zeichen von bisher unbekannter Offenheit gegenüber Admeira, aber auch die harte Forderung, die SRG müsse Admeira verlassen.
Diese Konfrontation zwischen der SRG und den Verlegern sollte nicht noch lange andauern. Denn der Druck im Werbegeschäft durch internationale Plattformen wird zunehmen. Wir wollen eine schweizerische Lösung mit Akteuren aus der Schweiz, die in der Schweiz reinvestieren. Vermutlich werden sich zwei grosse Werbevermarkter in der Schweiz etablieren; der eine vermarktet auch die Werbefenster der ausländischen Sender, der andere ist mehr Richtung Schweiz orientiert. Wir sind offen für gute und faire Lösungen für die ganze Branche. Wir sind bereit, über unsere Beteiligung am Admeira-Aktienpaket zu diskutieren, wir müssen nicht unbedingt Aktionäre bleiben. Und für weitere interessierte Verlage soll Admeira offen sein. Aber die SRG selbst braucht für ihr eigenes Inventar, also die Vermarktung der Werbung, einen guten Partner. Dafür haben wir bei Admeira investiert und das möchten wir weiterhin realisieren.

Sie haben eine Reihe von Vorschlägen gemacht, wie Sie Angebote der SRG für andere Stationen zur Verfügung stellen können.
Wir stellen Radionachrichten und News-Videos zur Verfügung, integral und mit dem SRG-Branding. Das wird bereits von vielen privaten Stationen genutzt. Ebenso öffnen wir neu unsere Archive. Dadurch können mehr Gebührenzahlende von unseren Leistungen profitieren. Aber: Werden journalistische Bilder und Töne, welche die SRG produziert hat, von Dritten verwendet, bleibt die Verantwortung bei der SRG. Deshalb gibt es hier Auflagen.

Dann geht es auch um Partnerschaften bei der Entwicklung von gemeinsamen Projekten.
Die SRG hat zusammen mit der EPFL Lausanne und drei Universitäten ein Zentrum eröffnet zur Entwicklung von technologischen Innovationen im Medienbereich. Ringier ist bereits dabei, ich hoffe, es kommen weitere Partner dazu.

Diskutiert wird auch eine grosse digitale Plattform, Stichwort digitaler Medienkiosk. Diese würde von mehreren Medienhäusern getragen, jeder Anbieter könnte dort dann seinen eigenen Inhalt publizieren.
Für solche Ideen für gemeinsame Angebotsformen sind wir offen. Konkret bieten wir in diese Richtung ein Projekt eines gemeinsamen IP-Players für das Radio an. Das ist eine BBC-Entwicklung, die in Belgien bereits gut funktioniert. Für die Hörerinnen und Hörer gibt das verbesserte Möglichkeiten beim Finden von Radioprogrammen, von Themen via Suchmaschinen oder für den Einsatz von sogenannten Smart Speakern wie «Alexa» von Amazon. Bei allen diesen Ideen und Projekten haben wir das gleiche Problem: Unser Markt Schweiz ist zu klein. Es braucht eine kritische Grösse, damit ein Projekt finanzierbar ist. Deswegen braucht es auch im Bereich Technologie-Entwicklung Kooperationen, auch mit internationalen Partnern.

Und wo wollen Sie zusammenarbeiten bei Inhalten, die im Programm sichtbar sind?
Wir möchten den Bereich Film ausbauen und dabei mit anderen TV-Stationen über Kooperationen sprechen. Nicht nur beim Spielfilm, der sehr teuer ist, sondern auch beim Dokumentarfilm. Oder bei TV-Serien, da arbeiten wir mit der Filmindustrie zusammen. Ein anderes Beispiel sind Events wie das «Fête des Vignerons» 2019, ein sehr grosser Anlass, der sich über einen ganzen Monat erstreckt. Hier planen wir, mit regionalen TV- und Radiostationen in der Westschweiz gemeinsame Studios zu betreiben. Es gibt weitere Projekte auch in der Deutschschweiz, zum Beispiel im Sportbereich. Es ist einiges in Bewegung.

5 Beispiele für SRG-Partnerschaften

Neben der langjährigen Zusammenarbeit mit der Schweizer Kulturbranche (Film, Musik, Literatur), mit Sportveranstaltern usw. will die SRG die Kooperation mit privaten Medienhäusern und Institutionen vertiefen. Eine Übersicht über fünf aktuelle Projekte .

Text: Philipp Cueni

Bild: Peter Mosimann

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