Seit 40 Jahren im Zeichen der Schweizer Literatur
Vom 11. bis 13. Mai war Solothurn zum 40. Mal das Zentrum des Schweizer Literaturschaffens. Die Eröffnungsfeier vom 10. Mai stand im Zeichen der Viersprachigkeit mit Lesungen von jungen Autorinnen und Autoren aus allen Landesteilen. Die drei Tage des Festivals boten Publikum und Schreibenden zahlreiche Möglichkeiten zum Austausch, zu Begegnungen und gegenseitigen Inspirationen.
Am Donnerstag, 10. Mai, sind die Solothurner Literaturtage mit einer viersprachigen Feier eröffnet worden. Damit war der Startschuss gefallen zu einem abwechslungsreichen Programm mit Lesungen, Diskussionen, Übersetzungsworkshops, Performances und Ausstellungen – und das bereits zum 40. Mal. Nebst Bekanntem überraschten die Solothurner Literaturtage zu ihrer Jubiläumsausgabe auch mit Neuem.
Reina Gehrig, Geschäftsführerin des Festivals, freute sich im Vorfeld nebst anderen Highlights vor allem auf die Jubiläumsgespräche: «Im Rahmen der Jubiläumsgespräche begegnen sich Autorinnen und Autoren der Gründungsgeneration und junge Stimmen aus der Schweizer Literaturszene zum Gespräch und unterhalten sich über die Kraft des Erzählens.» Aus feierlichem Anlass wurden die Besucherinnen und Besucher ausserdem zum literarischen Flanieren eingeladen: Sie begegneten den Autorinnen und Autoren in Restaurants, Bars und auf der Strasse, wo gelesen, gedichtet, gesungen und vorgetragen wurde.
Seit 40 Jahren das Forum für gegenwärtiges Literaturschaffen
Im August 1978 wurde der Verein Solothurner Literaturtage gegründet. Den Initianten schwebte ein jährliches Treffen der Schweizer Autorinnen und Autoren vor, um die Schweizer Literatur zu beleben, sie sichtbarer zu machen und ihren gesellschaftlichen Stellenwert zu betonen.
Franz Hohler, Mitglied der ersten Programmkommission, erinnert sich: «Es war ein Gongschlag: Uns gibt es! Ich persönlich habe mich gefreut, dabei zu sein.» Abgelaufen seien die ersten Literaturtage ähnlich wie heute. «Die Lesungen waren kürzer. Zudem gab es Werkstätten der schreibenden Arbeiter Zürich, der Arbeiterkultur Basel, der Schreibenden Frauen Bern. Ich selbst habe mit dem Publikum eine Geschichte erarbeitet. Dann ein Gespräch darüber, was in der Literatur fortschrittlich, was reaktionär ist», erzählt Hohler.
Forum für das aktuelle Literaturschaffen
Seither hat sich die Literatur stetig weiterentwickelt: Neue Genres sind dazugekommen und auch neue Themen wie beispielsweise die Migration beherrschen das Schreiben. Neue Technologien verändern das Nutzungsverhalten der Leserinnen und Leser – der Buchverkauf ist rückläufig. Franz Hohler bemerkt dazu: «Wer vom Schreiben leben will, muss mehr raus auf die Piste.»
Anlässen wie den Solothurner Literaturtagen kommen in diesem Zusammenhang eine grosse Bedeutung zu. Für Judith Keller sind diese Veranstaltungen wichtig für den Austausch mit Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Landesteilen. «Durch die vielen kleineren und grösseren Literaturfestivals und andere Leseformate begegnet man sich wahrscheinlich öfter, als dies in anderen Ländern der Fall ist».
Im Zeichen der Viersprachigkeit
Die junge Autorin Judith Keller ist eines der vier Nachwuchstalente aus den vier Landesteilen der Schweiz, die an der Eröffnungsfeier vom 10. Mai einen Text in ihrer Muttersprache vorgetragen haben. Dieser Sprachenmix hat dem Publikum eindrücklich vor Augen geführt, dass die Literatur in der Schweiz in vier Sprachen lebt.
Für Alexandre Hmine, Schriftsteller und Lehrer aus dem Tessin, liegt genau in dieser Viersprachigkeit die Bedeutung der Solothurner Literaturtage: «Der grosse Mehrwert des Festivals liegt wirklich in der Möglichkeit, zahlreiche Autorinnen und Autoren aus allen vier Landesteilen zu treffen, mich mit ihnen auszutauschen und über ihre Werke zu unterhalten – ob sie nun auf Deutsch, Französisch, Italienisch oder Rätoromanisch geschrieben sind.»
Lebendige Schweizer Literaturszene
Jessica Zuan vertrat die Romantschia an der Eröffnungsfeier. Für die Autorin aus dem Oberengadin setzt die Programmkommission mit der Auswahl der eingeladenen Schriftstellerinnen und Schriftsteller ein klares Zeichen. «Dass auch junge Autorinnen und Autoren teilweise mit Erstlingswerken ein wichtiger Teil des Festivals sind, sagt viel über die Solothurner Literaturtage aus: Die Literatur lebt und wird gefördert – in allen Landesprachen und Disziplinen.», erklärt Zuan. Überhaupt sei die Literaturszene in der Schweiz in allen vier Sprachregionen sehr lebendig.
Das bestätigt auch Thomas Flahaut. Der 27-jährige Autor aus Frankreich sagt über das Literaturschreiben in der Romandie: «Es gibt viele aufstrebende Schriftstellerinnen und Schriftsteller. Ihre Arbeiten sind geprägt von einer ganz speziellen Dynamik.»
Das Schweizer Literaturschaffen sei vielfältig und immer wieder überraschend, sagt Franz Hohler. Ein Aspekt, den Flahaut auch an den Literaturtagen in Solothurn sehr schätzt: «Hier mischen sich nicht nur Sprachen, sondern auch Generationen und Genres.»
Die SRG unterstützt die Schweizer Literatur
Die SRG unterstützt die Solothurner Literaturtage seit zehn Jahren als Medienpartnerin. So übertrug SRF auch dieses Jahr wieder Gespräche und Debatten live. Für Reina Gehrig sind diese Live-Sendungen eines der Highlights. Ausserdem zeichnete SRF die Lesungen im Landhaus auf und stellte sie den Solothurner Literaturtagen als Podcasts zur Verfügung. Gehrig zur Medienpartnerschaft mit der SRG: «Dank dieser Medienpartnerschaft erhalten die Solothurner Literaturtage bei einer breiten Öffentlichkeit eine grosse Sichtbarkeit. Das ist wunderbar.»
- Judith Keller, geboren 1985 in Lachen, Schwyz, lebt in Zürich. In Solothurn präsentiert sie ihr Erstlingswerk «Die Fragwürdigen». Das Buch versammelt über 80 kurze Texte, die manchmal ein paar Sätze lang sind und manchmal ein paar Seiten. Auf dem Buchdeckel heisst es: «Mit den Leuten in diesem Buch stimmt etwas nicht. Lernen Sie sie kennen.»
- Jessica Zuan wurde 1984 in Samedan im Oberengadin geboren und lebt heute in Barcelona. Ihr Debut heisst «L’orizi / La tempête». L’orizi ist ein Gedichtband mit romanischen Gedichten mit französischer Übersetzung. In ihren Gedichten geht es um das Warten, das Hoffen und das Andere. Die Bilder des Engadins vermischen sich mit neuen Landschaften, Erlebnissen und Eindrücken.
- Alexandre Hmine, 1976 in Lugano geboren, unterrichtet am Liceo Cantonale Lugano 1. In Solothurn stellt er seinen Erstling «La chiave nel latte» vor, der fragmentarisch die ersten dreissig Lebensjahre des Protagonisten nachzeichnet. Die Geschichte entwickelt sich entlang von Erinnerungen, die die Hauptfigur in die Kulturen der italienischen Schweiz und Nordafrikas zurückwirft und emotional bindet.
- Thomas Flahaut, 1991 in Montbéliard (Frankreich) geboren, lebt und studiert in Lausanne. Sein Erstling «Ostwald» handelt von einer Generation ohne Zukunft. Der Roman erzählt die Geschichte zweier Brüder, die nach einer atomaren Katastrophe im Kernkraftwerk Fessenheim durch ein völlig zerstörtes Elsass irren.
- Franz Hohler, geboren 1943 in Biel und heute wohnhaft in Zürich, ist Schriftsteller und Kabarettist. In Solothurn liest er aus «Das Päckchen»: Es erzählt von einem Zürcher Bibliothekar, der in die geheimnisvolle Geschichte des «Abrogans», des ältesten deutschsprachigen Buches, verstrickt wird.
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