Nachhörbedarf in Sachen Podcasts
Er wird gehypt und fristet gleichzeitig immer noch ein Nischendasein: der Podcast. Was er kann, warum er boomt und bei welchem es sich lohnt reinzuhören.
Sie war 18 Jahre alt, als sie starb. Hae Min Lee, Schülerin einer High School im US-amerikanischen Baltimore. Man fand ihre Leiche im Jahr 1999, einen Monat nach ihrem Verschwinden in einem Park. Die Obduktion ergab, dass sie mit blossen Händen erwürgt worden war. Der Täter schien klar: ihr Ex-Freund. So kam er auch bald nach dem Fund der Leiche hinter Gitter. Der Fall war somit abgeschlossen. Doch 2014 passierte ein Stück Podcast-Geschichte. Und der Mordfall musste vom Gericht neu aufgerollt werden.
Dieses Stück Podcast-Geschichte, das war «Serial» , ein Spin-off der Radiosendung «This American Life» vom WBEZ Chicago Public Radio. In der zwölfteiligen Serie rollte die Radiojournalistin Sarah Koenig den Mordfall von Hae Min Lee neu auf. Man hörte der Journalistin zu, wie sie den Fall akribisch nacherzählte, Zeugen interviewte, in Archiven nach wegweisenden Dokumenten suchte. Man war mit dabei, als sie den verurteilten Mörder im Gefängnis besuchte und als sie zum Ort der Tat ging und den ganzen Hergang nochmals durchging. Man war stets an Koenigs Seite. Man fühlte sich wie Watson neben Sherlock, war mit ihr frustriert, wenn sie in der Recherche nicht weiterkam, war mit ihr plötzlich unsicher, wer nun schuld war, und kriegte Hühnerhaut, wenn die dramatische Intro-Musik des Podcasts erklang.
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Audiophile, Serienliebhaber, Krimifans ...
175 Millionen Mal wurden die Folgen von «Serial» seit der Veröffentlichung heruntergeladen. Kein Podcast konnte zuvor nur annähernd eine solche Downloadzahl vorweisen. «Serial» hatte nicht nur die Audiophilen angefixt, sondern auch die Serienliebhaber, die Krimifans und noch viele andere mehr. «Serial» hatte sie eingesogen in diesen Audio-Kosmos, den es vorher so nicht gab. In dem Geschichten erzählt wurden, so nah, so intim, wie es bisher kein Audioformat geschafft hatte. Seit «Serial» versuchen Medienhäuser und Private auf der ganzen Welt, einen prominenten Platz in diesem Kosmos zu ergattern, und machen Podcasts.
Ein Versuch, Podcasts einzugrenzen
Das Wort Podcast ist eigentlich eine Verschmelzung vom englischen Wort «Broadcast» (dt. Übertragung, Sendung) und dem tragbaren Abspielgerät von Apple, dem iPod. Ein Podcast ist also schlichtweg eine Audio- oder Videodatei, welche man über einen Web-Feed (sei dies via Smartphone oder Computer) abonnieren und herunterladen kann. Von der Form her können sie aber stark variieren. Gewisse Podcasts ähneln stark dem Radiofeature – einem Mix aus Hörspiel, Dokumentation und Reportage. Andere sind Talks, Interviews oder auch ganz unstrukturierte Gespräche.
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Und es gibt viele Podcasts, die eigentlich gar keine sind, sondern schlichtweg geschnittene Radiosendungen. Auch thematisch gibt es keine Grenzen. Von harten News-Themen bis zu Motivations-Podcasts gibt es alles Erdenkliche. Auch die Herkunft der Macher ist unterschiedlich. Nicht nur ausgebildete Radiomacher, auch Online-Redaktoren, Printjournalisten, gar prominente Laien sowie völlig unbekannte Laien versuchen sich als Podcaster.
«Erst seit ‹Serial› können Podcasts rentieren»
Doch was macht denn eigentlich einen guten Podcast aus? Wie erhält er ein Publikum? Und warum bleiben die Vereinigten Staaten auch Jahre nach «Serial» immer noch der Vorreiter von guten Podcasts? This Wachter, selbständiger Audioproduzent und ehemaliger Redaktionsleiter von Radio SRF 4 News, beschäftigten genau diese Fragen, nachdem er vor Jahren einen ersten Podcast gehört hatte (der im Übrigen auch «Serial» war). «Die Podcast-Szene kann das Wort ‹Serial› fast nicht mehr hören», sagt Wachter, «aber erst seither interessiert sich auch die Werbeindustrie für Podcasts. Seither können Podcasts rentieren.» Zudem habe «Serial» ein Publikum angezogen, welches Werber wie Medien gleichermassen erreichen wollten: «Jung, kaufkräftig, gut gebildet – ein Traumpublikum.»
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Eine neue Radio-Welt
Auch This Wachter selbst war fasziniert vom Phänomen Podcast. «Da tauchte eine Welt auf, die ich beim Radio nicht kennengelernt hatte.» Er kündigte seinen Job, machte ein Sabbatical in den USA, traf Produzenten und Sounddesigner von Podcast-Giganten wie «99 % Invisible» und «Reveal», produzierte Podcast-Kritiken für Radio SRF 2, kam zurück in die Schweiz und gründete Anfang 2018 seine eigene Firma «Audio Story Lab GmbH», die Audio-Dokumentationen und Podcasts produziert. This Wachter ist überzeugt, dass man sich an den angelsächsischen Podcast-Vorreitern orientieren sollte. «Die US-amerikanischen Podcasts sind stark filmisch geprägt», erklärt Wachter. Die Podcast-Macher in den USA seien viel konsequenter darin, Geschichten dramaturgisch so zu erzählen, dass es bei einem Publikum hängen bleibe. «Da werden vorher richtige Drehbücher entworfen, Szenen werden bereits angedacht, bevor es überhaupt in die Recherche geht.»
Traum-Markt USA
Zudem komme auch die subjektive Haltung von den Erzählern in Podcasts stark aus den USA: «Sie geben viel mehr preis von sich selbst, machen ihre Recherchen transparent, man hört sie telefonieren, es wird schlechte Tonqualität von unterwegs mit der typischen, eher sterilen Studioqualität gemischt. Diese Authentizität, dieses leicht Dreckige war im deutschsprachigen Raum lange Zeit undenkbar.» Natürlich hätten die USA aber auch eine ganz andere Ausgangslage: «Rein die Grösse des Landes ermöglicht ein potenzielles Publikum von über 325 Millionen Menschen, da kann man auch mal etwas Neues ausprobieren und erreicht auch bei mässigem Erfolg noch eine anständige Menge an Leuten, die sich dafür interessieren.» Da es ebenfalls viel mehr Player gebe und die öffentlich-rechtlichen Radiostationen eine untergeordnetere Rolle spielen würden als bei uns, müsse man als Podcaster dem Publikum gefallen. «Und dafür betreiben viele einen riesigen Aufwand», sagt This Wachter. «Bei deutschsprachigen öffentlich-rechtlichen Radios scheint es mir manchmal eher so, als wäre der Publikumsgeschmack fast lästig.» US-amerikanische Podcaster scheuen sich auch nicht, in Sachen Fundraising Donationen anzunehmen und selbst Werbung im eigenen Podcast zu präsentieren.
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Ein Buhlen um den Podcast
Auch wenn es ein wenig länger gedauert hat: Der deutschsprachige Raum macht nun mit in Sachen Podcast. Beinahe alle grossen Medienhäuser produzieren ihre eigenen Podcasts – Radiostationen genauso wie Printhäuser und private Podcaster. «Viele können oder wollen aber nicht so viel investieren und das hört man einfach», sagt Wachter. «Es klingt dort gut, wo Leute mit Know-how an Bord geholt werden.» Die Günstigere-Version-Strategie stehe im Widerspruch dazu, die US-amerikanischen Podcasts als Vorbild zu nehmen. Darum seien vor allem Podcast-Labels wie «haus eins» oder «Viertausendhertz» spannend, die sich komplett auf die Podcasts fokussieren und Qualität bieten.
Qualitativ hochstehende Podcasts könnte auf dem Schweizer Markt vor allem das Haus SRF liefern. «Durch die Ressourcen, das Know-how und durch den Zugriff auf ein riesiges Archiv sowie auf eine enorme Musikdatenbank wäre SRF vielen anderen voraus», glaubt Wachter. Und man sehe bereits ein erstes Sich-Befreien von den klassischen Radiofesseln: «Mit dem Podcast ‹Einfach Politik› von SRF News hat SRF einen riesigen Schritt in die richtige Richtung gemacht», findet Wachter. Der Podcast analysiert und bringt Geschichten rund um Politik und wie sie uns im Alltag betrifft. «Die Macher duzen sich, viele Recherche-Töne werden eingeflochten, es wird mit Musik gearbeitet – obwohl das bisher bei politischen Themen immer ein No-Go war.»
«Es muss ein Erlebnis sein»
Ein weiterer Versuch, sich der Podcast-Welt anzunähern, ist der seit Januar 2017 existierende Podcast «Input Kompakt» von SRF 3. Ein 15-minütiger Spin-off der sonntäglichen, stündigen Sendung «Input», der jeweils unter der Woche bereits als Podcast angeboten wird. «Wir mussten einfach auf die aktuelle Entwicklung reagieren», sagt Input-Leiterin Céline Raval. «Die Hörgewohnheiten verändern sich, man hört unterwegs, dann, wenn man will, und zwar nur die Themen, die persönlich interessieren.»
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Doch die Input-Redaktion merkte selbst, wie schwierig es war, einen erfolgreichen Podcast zu entwickeln. «Es gab viele Diskussionen, Unsicherheiten und Skepsis», sagt Raval. «Wir haben uns gefragt: Verlieren wir an Tiefe? An Qualität? Wollen die Leute das überhaupt?» Ein Umdenken musste stattfinden. «Am Anfang wollten wir die stündige Sendung einfach in 15 Minuten zusammenfassen. Das funktionierte nicht. Wir mussten beginnen, vom Podcast auszugehen und dann die Sendung zu gestalten.» Bei «Input Kompakt» wird nun mehr auf die Gestaltung fokussiert, aus der persönlichen Perspektive des Input-Machers erzählt. «Es muss ein Erlebnis sein, kein Beitrag», weiss Raval. Dies ging nicht ohne Anpassungen im Workflow. «Klar, als Input-Macher hat man nun mehr zu tun, die Moderatoren fungieren nun auch als Produzenten und nehmen die Sendungen ab», sagt Raval. Es sei ein ständiger Prozess, das eigene Produkt immer wieder zu verbessern. «Vor allem im Bereich Storytelling können wir uns noch weiterentwickeln.» Dass sich der Aufwand aber lohnt, dessen ist sich Céline Raval sicher. Steigende Zahlen bei den Downloads von «Input Kompakt» machten sie zuversichtlich, dass man auf dem richtigen Weg sei. «Es gibt immer mehr Podcast-Hörer, SRF hat den Trend erkannt.» Aber eines ist für Raval klar: dass es noch mehr qualitativ hochstehende und einzigartige SRF-Podcasts geben muss. Was auch bald passieren werde: «Ein serieller Podcast im Bereich ‹Audio Documentary› ist bereits in der Pipeline.»
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Wie funktioniert's? Gewünschten Link öffnen, Podcast wähen und auf eigenes Gerät herunterladen, offline hören! Oder: einfach online streamen. Da ein Podcast meistens aus mehreren Episoden besteht, lohnt es sich auch, ihn zu abonnieren. Fürs Handy benötigt man dazu eine App (z. B. iTunes für Apple oder Podcast Addict für Android); diese gibt es in den jeweiligen Stores. Die Bedienung hängt von der App ab. Die meisten erklären sich schnell selbst, wenn man sie einmal installiert hat.
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