«Gebündelte Kritik bewirkt sehr wohl etwas»

Geht es um unterhaltsame Sendungen, scheiden sich die Geister. Kritik ist sich Christoph Gebel gewohnt; auch vom Publikumsrat. Ratsmitglied Stefan Z’Graggen im Gespräch mit dem Ende Jahr abtretenden SRF-Unterhaltungschef.

Unterhaltungssendungen polarisieren. Auch im Publikumsrat geben sie jeweils am meisten zu reden. Wie erklären Sie sich das?
Christoph Gebel: Die Unterhaltung hat enorm viel mit Geschmack zu tun und der ist bekanntlich von Person zu Person verschieden. Auf eine positive Kritik folgt oftmals im selben Atemzug eine negative. Die Unterhaltung polarisiert und wir können nicht mit jeder Sendung alle zufriedenstellen. Das ist nicht nur beim Publikumsrat so, sondern generell bei unseren Zuschauerinnen und Zuschauern.

Wie gehen Sie mit der Kritik der Zuschauer um?
Wenn von einer halben Million Zuschauern 50 negative Kritik äussern, sind darunter auch viele Einzelmeinungen, die mit dem persönlichen Geschmack zu tun haben. Wenn die gleichen Punkte jedoch von vielen Kritikerinnen und Kritikern bemängelt werden, schauen wir uns das Thema genauer an. Wichtig ist mir persönlich auch der Zuspruch des Publikums, also jener Leute, die die Sendung wirklich schauen. Das ist die stille Masse.

«Wichtig ist mir persönlich auch der Zuspruch des Publikums, also jener Leute, die die Sendung wirklich schauen. Das ist die stille Masse.»

Einschaltquoten als Messinstrument für die Qualität also?
Quoten reichen heute nicht mehr, um zu beurteilen, ob eine Sendung erfolgreich ist oder nicht. Es gibt sehr viele qualitative Kriterien und Ansprüche. Wie wurden die Protagonisten ausgewählt? Konnten ihre Geschichten packend und authentisch erzählt werden? Wie reagieren die verschiedenen Zielgruppen auf die Sendung? Was ist gesellschaftlich relevant? Da bringen uns vor allem qualitative Diskussionen weiter. Beispielsweise mit dem Publikumsrat.

Was machen denn solche qualitativen Diskussionen, wie jene mit dem Publikumsrat, aus?
Früher wurden in den Sitzungen des Publikumsrats vor allem Einzelmeinungen geäussert. Jemand fand eine Sendung super und jemand weniger gut. Damit war es schwierig zu arbeiten. In den letzten Jahren hat sich das aber stark verändert. Seit der Publikumsrat seine Kritik nicht mehr in Einzelmeinungen äussert, sondern diese bündelt, diskutiert und ein Fazit zieht, bewirkt das sehr wohl etwas.

«Seit der Publikumsrat seine Kritik nicht mehr in Einzelmeinungen äussert, sondern diese bündelt, diskutiert und ein Fazit zieht, bewirkt das sehr wohl etwas.»

Und was bewirkt die Kritik des Publikumsrats?
Die Berichte des Publikumsrats werden auf den Redaktionen aufmerksam gelesen. Natürlich gibt es immer wieder Punkte, mit denen wir nicht einverstanden sind. Gibt es aber Kritikpunkte, die beispielsweise bereits von Zuschauern geäussert wurden oder in den Medien aufgetaucht sind, unterstützt uns dies in der Meinung, unser Augenmerk darauf legen zu müssen. Wir arbeiten immer intensiv an der Verbesserung von Formaten – das ist ein ständiger Prozess, den wir auch mit internen Debriefings und Sendungsfeedbacks unterstützen.

Gerade vor der Abstimmung der No-Billag-Initiative war die Unterhaltung immer wieder Thema. Welchen Einfluss hat das?
Es wird nun eine Übergangskonzession für die SRG erarbeitet. Für uns ist die grösste Änderung wohl, dass Formate, die bereits im deutschsprachigen Privatfernsehen zu sehen waren, nicht mehr bei SRF gezeigt werden. Eine hohe Unterscheidbarkeit ist wichtig. «Die grössten Schweizer Talente» oder «The Voice of Switzerland» wurden deshalb aus dem Programm gestrichen. Was ich im Einzelfall sehr schade finde.

«Für uns ist die grösste Änderung wohl, dass Formate, die bereits im deutschsprachigen Privatfernsehen zu sehen waren, nicht mehr bei SRF gezeigt werden.»

Weshalb?
Wo sonst wird die multikulturelle Schweiz in all ihren Facetten auf eine so positive Art dargestellt, wie beispielsweise bei «Die grössten Schweizer Talente»? Da haben alle Arten von Talenten Platz, vom Turnverein bis zu Sängerinnen und Sängern. Für mich ist das Service public in Reinkultur.

Diese Formate können ja nun die privaten Fernsehsender zeigen.
Die Lizenzen für beide Sendungen sind frei Übernommen hat sie aber bisher nach meinem Wissen kein anderer Sender in der Schweiz. Denn die Sendungen sind in der Produktion sehr aufwendig. In der Schweiz sind solch grosse Formate rein kommerziell einfach nicht zu finanzieren.

Was unterscheidet denn die Unterhaltungssendungen von SRF von jenen der privaten Sender?
Es sind nicht unbedingt die Themen, die den Unterschied machen, sondern die Machart, beispielsweise wie wir mit den Protagonisten umgehen. «Stutz um Stutz» etwa könnte auch ein privater Sender ausstrahlen. Er müsste anders daherkommen, um auf die nötigen Einschaltquoten zu kommen, mit denen sich Geld verdienen lässt. Fallhöhen und Unfälle einbauen etwa, um die Sendung noch spektakulärer zu machen.

Welches Format wird auf SRF nie zu sehen sein?
Monatlich werden rund um die Welt hunderte von Sendungen für den Fernsehmarkt erfunden. Die grosse Mehrheit wird bei uns nie zu sehen sein: Weil sie die Menschenwürde in Frage stellen oder zu sehr darauf ausgelegt sind, damit Geld zu verdienen. Aber natürlich nehmen wir auch immer neue Formate ins Programm auf. Derzeit drehen wir gerade «Ärzte VS Internet». Darin wird nach einer Diagnose für eine Person gesucht – die Diagnose der Mediziner wird jener, die Personen über Google finden, gegenübergestellt. Die Sendung unterhält nicht nur, sie greift ebenso wissenschaftliche Aspekte auf.

«Die grosse Mehrheit der Unterhaltungssendungen wird bei uns nie zu sehen sein: Weil sie die Menschenwürde in Frage stellen oder zu sehr darauf ausgelegt sind, damit Geld zu verdienen.»

«Ärzte VS Internet» wird von Endemol produziert. Wie viele Sendungen entwickelt SRF eigentlich selber?
Die Idee für «Ärzte VS Internet» stammt zwar aus dem Ausland, unsere Sendung haben wir aber für den Schweizer Markt angepasst und weiterentwickelt. Endemol ist der Produzent, da wir nicht genügend personelle Ressourcen haben, alle Formate selbst umzusetzen. Dazu gehört es auch zu unserem Auftrag, mit der privaten audiovisuellen Industrie zusammenzuarbeiten. Übrigens haben wir von all unseren Unterhaltungssendungen 90 Prozent selbst entwickelt.

«90 Prozent von all unseren Unterhaltungssendungen haben wir selbst entwickelt.»

Schon bald geht ihre Zeit als Unterhaltungschef bei SRF zu Ende. Derzeit wird Ihre Nachfolgerin oder Ihr Nachfolger gesucht. Zeit also zurückzublicken. Worauf sind Sie besonders stolz?
Vor sieben Jahren, als ich die Stelle übernahm, hiess es, Fernsehunterhaltung sei am Ende. In diesen letzten Jahren war es uns aber möglich, mit vielen Formaten sehr erfolgreich im Markt und bei unserem Publikum zu sein. Das freut uns sehr – was wir schliesslich möchten, ist unseren Zuschauerinnen und Zuschauern gerecht zu werden und ihnen mit unseren Mitteln qualitativ hochstehende Unterhaltung zu bieten.

Wie unterhalten Sie sich privat am besten?
Meinem Umfeld kann und möchte ich das Fernsehen natürlich nicht verbieten. Ich selber versuche mich aber abzugrenzen, sonst bin ich mit meinen Gedanken gleich wieder bei der Arbeit. Wichtig ist darum, den Kopf durchzulüften – ich gehe gerne wandern, verbringe Zeit mit Freunden und Familie. Privat mag ich es ruhig. Und so einen richtig guten Fussballmatch schauen, das macht mir Spass.

Text: Stefan Z'Graggen und Regina Schneeberger

Bild: SRF/Oscar Alessio

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