Kurz gesagt und vertieft erklärt

«Digital Storytelling» gewinnt an Bedeutung. Was beinhaltet dieses «digitale Geschichtenerzählen», wer übt es aus, was ist das Neue daran und welche Bedeutung hat Digital Storytelling für SRF – jetzt und für die Zukunft?

Die Moderatorin Rosanna Grüter steht vor der Haustüre eines Wohnblocks und drückt auf einen Klingelknopf. Sie kennt den Mann nicht, mit dem sie auf diese Weise in Kontakt treten möchte, seine Adresse hat sie gegen Geld erworben. «Daten kann man kaufen – Dates auch?» – so lautet ein Beitrag der noch jungen Sendung «Bytes/Pieces» von SRF. Das ganze Sendungs-Päckli mit drei Beiträgen erschien Mitte Jahr und war dem Thema Datenschutz und Datenhandel gewidmet. Die trocken und kompliziert anmutende Thematik scheint sich im besten Fall für eine Hintergrundsendung am Abend zu eignen. Zielpublikum: Erwachsene mit Sitzleder. Könnte man denken. Aber es ist komplett anders. Der Dreiteiler richtet sich an ein junges Publikum, ist so kurzweilig wie eine Soap und so lehrreich wie eine Wissenschaftssendung – und es gibt ihn nur im Internet, wie alles, was die Macherinnen und Macher von «Bytes/Pieces» produzieren. Die Sendung ist eines der vielen und vielseitigen Beispiele dafür, was SRF derzeit unter dem Begriff «Digital Storytelling» produziert.

Storytelling - multimedial

Ein ungenauer Begriff notabene. Innerhalb von SRF findet man in den verschiedensten inhaltlichen Abteilungen digitale Storyteller, bei den News ebenso, wie in der Unterhaltung und der Kultur. Eine bessere Eingrenzung ergibt sich über das erste Wort: «Digital». Es ist genau so gemeint, umfasst also ausschliesslich journalistische Arbeiten, die SRF online publiziert. Aber da wird’s bereits wieder kompliziert: «Online» kann bedeuten: auf den eigenen Websites, aber auch auf YouTube und in den sozialen Netzwerken Facebook, Twitter, Instagram und weiteren. Ist die naheliegende Übersetzung «Online-Journalismus» gleichbedeutend mit Digital Storytelling? «Nein», sagt Marius Grieder und lacht. Er muss es wissen, denn seine Berufsbezeichnung bei SRF lautet «Digital Storyteller». «Ich bin Allrounder. Ich filme, schneide, animiere und überlege auch, wie ein Inhalt aufgebaut werden kann, woran wir ihn ‹aufhängen›. Ich recherchiere aber nicht selber, das machen die Journalisten, mit denen ich zusammenarbeite. Wir sind ein Team.»

Die Geschichten von SRF Data

Was Digital-Storytelling-Beiträge auszeichnet, ist ihre Multimedialität: Text, Audio, Film, Fotografie, Illustration, Grafik, Infografik – es ist ein individuelles Zusammenspiel von mehreren dieser Disziplinen. Teamarbeit war schon immer selbstverständlich im Radio- und Fernsehjournalismus, aber jetzt kommen neue Spezialisten in die Teams: Programmierer und Designer respektive Multimedia-Produzenten. «Unser Ziel ist es, dass sie alle auf gleicher Stufe zusammenarbeiten, dass es kein Gefälle zwischen ihnen gibt», sagt der langjährige SRF-Journalist Konrad Weber, der heute Projektleiter für die digitalen Angebote ist. Hier finde ein Umdenken statt, wie auch bei den Überlegungen, für welche Kanäle ein Beitrag produziert werde: «Früher arbeitete man immer erst mal fürs Radio oder Fernsehen. Heute gibt es Beiträge, die zuerst einmal für Online recherchiert und produziert werden.»

Anschauliche und vielseitige Beispiele dafür liefert SRF Data, ein Team von Datenjournalisten, das im «Online» bei SRF News angesiedelt ist. Angelo Zehr ist einer von ihnen. Der 28-Jährige, der sein Studium in Multimedia Production an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) in Chur mit einer Bachelorarbeit über multimedialen Politjournalismus abgeschlossen hat, zeigt von den vielen Arbeiten eine, die zu recherchieren und zu produzieren ihm besonders Spass gemacht hat: «20 Jahre, 20 Titel» – eine grosse, animierte Datenanalyse zur Karriere von Roger Federer. Sie erschien im Januar und beeindruckte auch externe Medienkritiker. «Aktuell bin ich an einer Geschichte zur Entwicklung der politischen Mehrheitsverhältnisse in den zehn grössten Schweizer Städten. Das war eine Anfrage des Regionaljournals Bern Freiburg Wallis.» Auch das eine fundierte Analyse.

Zahlen frisch vermittelt

Dass sich vermeintlich trockener, technischer Datenjournalismus frisch vermitteln lässt, zeigt beispielhaft die bereits erwähnte Sendung «Bytes/Pieces», auch sie wird von SRF Data produziert. In einer der Folgen sieht man Angelo Zehr neben Rosanna Grüter sitzen. Er erklärt ihr, wie er an die Adressen vermeintlich passender Männer für sie gekommen ist. «28 potenzielle Dates für CHF 9.80», staunen die beiden. Und die Zuschauenden erfahren Unerwartetes über Recherche.

Mit der Dating-Idee wird zwar vor allem ein junges Publikum angesprochen, relevant ist dieser dreiteilige Beitrag aber auch für Ältere. Die über 50-Jährigen seien übrigens auch das Klientel, bei dem die digitalen Inhalte von SRF derzeit am stärksten zulegen würden, sagt Konrad Weber. Dies kommt nicht von ungefähr, denn SRF produziert Digital Storytelling längst nicht nur für ein junges Publikum.

Auch Christoph Aebersold will mit einem Vorurteil aufräumen, nämlich jenem, wonach es online nur oberflächliches Kurzfutter zu konsumieren gebe. Der Leiter Strategie und Angebote des SRF-Bereichs «junge Zielgruppen» sagt: «Klar gibt es viele Kurzformen. Aber es gibt auch viele neue und immer mehr Formen und Möglichkeiten, Informationen online zu vertiefen. Das entspricht auch dem Bedürfnis des jungen Publikums: Es wünscht Information, Orientierung und Einordnung.» Gerade was das Radio betrifft, sieht Aebersold im Digital Storytelling Gemeinsamkeiten: «Radio darf nicht ausufernd sein, es muss Inhalte herunterbrechen. Das ist eine Qualität, die auch das Digital Storytelling erfordert.» In ihm sieht er vor allem Chancen – auch fürs Erreichen von Hörerinnen und Hörern, zu denen SRF sonst keinen Zugang (mehr) hätte. «Digital Storytelling bietet uns die Möglichkeit, Inhalte zu produzieren, mit denen wir an ein neues Publikum herankommen – insbesondere auch an das junge, das Medien kaum noch linear konsumiert.» Und darum gehe es ja: «SRF hat mit dem Service public den Auftrag, alle Bevölkerungsgruppen zu erreichen.»

Alle Folgen von «Bytes/Pieces» gibt es auf dem YouTube-Kanal von SRF Virus .

Text: Esther Banz

Bild: Illustration: iStock

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